In Hülle und Fülle – Textilkunst
Barbara Eichhorn, Maria Weber, Barbara Westerath
Eröffnung
Mittwoch, 11. Oktober 2019, 20.00 Uhr
Ausstellungsdauer
11. Oktober – 10. November 2019
Geöffnet
So 14 – 18 Uhr, Do bis Sa 21 – 24 Uhr
Eingang durch das Vereins-Lokal Neues Linda
Info
Seit gut 2 Jahrzehnten sind die drei Künstlerinnen aus dem fränkisch-oberpfälzischen Raum dem Filzvirus verfallen, einem Werkstoff, der sich nach seiner Renaissance Ende der 1990er Jahren zu einer Volkskunst entwickelt hat. Hier haben das dekorativ Ästhetische und das Nützlich-Schöne eben so ihren Platz wie das künstlerisch Experimentelle.
Die Ausstellerinnen Barbara Westerath, Maria Weber und Barbara Eichhorn sind Mitglieder des deutschen Filznetzwerks und arbeiten außerhalb ihrer Ateliers auch im deutschsprachigen Raum als Dozentinnen. Der atmende faserige Flächen-Gebilde stammt von der Schafwolle, gilt in der Verarbeitung als meditativ und mental stimulierend, ist vielseitig verwendbar und soll schon vor der Webkunst den Menschen gekleidet haben.
Mythologische und historische Bezüge gibt es viele, die vom Goldenen Vlies bis zum Filzhut von Josef Beuys reichen. Aber auch ohne den direkten Bezug darauf, erweist sich Filz als ein faszinierender den Farbausdruck steigernder Stoff, wie die Ausstellung im Kunstverein Weiden zeigt. Dabei erweitert er hier mit seiner besonderen organischen Anmutung in exzentrischen Hutobjekten und fantasievollen Gewändern die menschliche Körperform und passt sie einer fließenden, weichen und mimikriartigen Raum-Geometrie an.
Filz hat die Möglichkeit einer hauchdünnen Verarbeitung und kann sich durch eine opalisierende Misch-Farbigkeit verzaubern, die transparenten Filz-Schichtungen entspringt. Dabei kann sie leuchtende Materialien wie Porzellan imitieren und, wie hier durch strahlende Blumen und Fruchtstillleben gegeben, eine Augentäuscher-Kultur fortsetzen, die bis ins Barock zurückreicht.
Eröffnungsrede
Meine Sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Kunst und des kreativen Lebens,
Mäh, Mäh, Mäh, wenn Sie ihr Ohr ganz nah an die ausgestellten Objekte heranbringen, hören Sie es, aus weiter Ferne, da taucht aus weiter Ferne das Gedankenbild Arkadiens, des Schäfer-Idylls und des guten Hirten auf, ein Urbild. Filz wird aus Wolle, Schafwolle hergestellt.
Vielen Dank Barbara Eichhorn, Barbara Westerrat, Maria Weber, dass Ihr zu uns gekommen seid.
Mit der Ausstellung In Hülle und Fülle, bei der es um Textil-Kunst geht, bewegen wir uns in einer kulturellen Gegend unseres Daseins, die sogar bis in den vormenschlichen Raum reicht: das Chamäleon wechselt seine Farbe, die Katzen haaren, die Schlange häutet sich, bevor sie ins Paradies schlängelt, zum Date mit Adam und Eva, die kurz darauf erkennen, dass sie ja eigentlich nackt sind, und dass es ohne Filz eigentlich nicht geht.
Auch im übertragenen Sinn nicht, der Erzengel am Paradiesausgang hätte für die zwei Vertriebenen noch ein gutes Wort einlegen können.
Penelope webt in ähnlichem mythologischen Zusammenhang das Totentuch für Laertes und trennt die Fäden nachts wieder auf, um ihre Freier, auf Abstand zu halten, bis Odysseus in sein irdisches Paradies auf Ithaka zurückkehren würde.
Kurz gesagt, Stoff ist auch immer Lesestoff und das Kleiderwesen durchzieht mit vielen Beziehungsfäden das gesamte Leben auf Erden von Anfang an, da machen Kleider Leute, da muss ein kleiner Bub dem Kaiser klarmachen, aus welchem Stoff seine neuen Kleider sind, da gibt es eine Kleiderordnung bis zum letzten Hemd und da sollen Umwickelungen aus Filz den Künstler des 20. Jahrhunderts, Josef Beuys, vor dem Frost-Tod nach einem Flugzeugabsturz gerettet und die Grundlagen für seine Wärme-Theorie gelegt haben. Bei der geht es dem Künstler um die Frage, wie das erstarrte technokratische Denken im westlichen Kulturkreis im Sinne des ökologischen Fortschritts in Fluss gebracht werden kann, wie die Energieträger erwärmter Honig und erhitztes Fett.
Im bildnerischen Sinnzusammenhang mit dieser Theorie, wurde dann der Filzhut, den der Meister immer trug, auch um eine kriegsgegebene Kopfverletzung zu verdecken, zu einem der kulturellen Wahrzeichen des 20. Jahrhunderts. Kurz gesagt, zwischen dem Lebewesen und den Dingen der Welt ist immer noch extra etwas, das in der Bedeckung seinen Ausdruck findet, eine Schicht wie die Rinde am Baum, eine Brücke, auf der Innen und Außen zusammengehen, die zweite Haut, da, wo immer die Sonne scheint, ist es häufig die Tätowierung, in der sich Kultur und Natur zu etwas Unauflöslichem verfilzen.
Dabei hat es Filz als besonderer Träger kultureller Semantik nicht nur in die sogenannte Hochkunst geschafft, ja, der besondere Stellenwert, den das uralte Handwerk hat, ein Handwerk, das es möglichweise, wie die Forschung meint, vor dem Webstuhl gegeben haben könnte, bringt gerade in der heute flächengreifenden Renaissance als Volkskunst und im Freizeit-, Hobby - und Selbstfindungs-Bereich in unerschöpflicher Fülle zum Ausdruck, was der Stoff, die Hülle, alles draufhat.
Da stehen, um das Oberpfalznetz unserer Tageszeitung zu zitieren, im regionalen Zusammenhang verschiedene Orte, die wir jetzt im einzelnen nicht aufzählen wollen, sehr hoch im Kurs. Für die die Kurse stürmenden Filz-Freaks so hoch im Kurs wie NewYork oder Kassel für die High-Heel-Galerienszene.
Dabei gehört das Herstellen der Decken, Mäntel, Schuhe oder Hüte aus Wolle durch Filzen zu den historischen haushälterischen Grundkenntnissen - und Fertigkeiten vieler Hausfrauen im ländlichen Raum und beinhaltete wie jede echte Handarbeit neben dem Zweckdienlichen auch eine erfinderische, die Körper-Intelligenz herausfordernde Qualität, die das eigentliche Gold des Handwerks-Bodens ausmacht und Kunst ist, ohne dass die Tätigen einen Begriff davon haben.
Das Bewusstsein für das Besondere, das kam erst Generationen später, in den Hurra-Ruf "Filz beflügelt die Sinne", stimmen nun Generationen übergreifend alle ein, die, für die Filzen auch ohne Worte immer schon zum Leben gehört hatte, und die, für die es die Lebensentdeckung ist’.
Dem Filzen liegen die drei Elemente - Wolle, Wasser, Bewegung - zu Grunde. Danz einfach: Unsere Künstlerinnen Maria Weber, Barbara Eichhorn und Barbara Westerrat nicken fachfraulich wissend dazu. Auch Maria und die zwei Barbaras haben das Filzen von der Pike auf gelernt.
Denn, ob damals oder heute, man lernt nie aus. So haben sie die Filzschule in Oberrot (bei Schwäbisch Hall) besucht und sind bei vielen Filzertreffen in Südtirol und anderen Kursen gelehrig gewesen. Das alles über viele Jahre. Erst voriges Jahr im September hätte Maria, so verweist sie mich auf die längst gegebene Internationalität der Sache, an einem 3-tägigen Meisterkurs in Montbrun-Bocage am Fuße der Pyrenäen/Frankreich im Atelier von Krystel teilgenommen: Seads and Seadpots war das Arbeitsthema.
In Kombination mit Seife stellen sich die Schuppen in der obersten Wollschicht auf und in Verbindung mit dem Walken, das den Tastsinn bis auf Endoskopie-Niveau verfeinert, durchdringen sich die Fasern gegenseitig, verhaken sich unauflöslich, bretter- und wetterfest: dabei entsteht ein durchgängiges Hohlraum-System, Filz atmet.
Im Nassverfahren, wie hier beschrieben, ebenso wie im Trockenverfahren qua Filznadel und anderen Verfahren, die die Logik der tierischen Thermo-Oberflächen nutzen, entsteht aus feinster Faser ein Stoff, ein Flächengebilde von hoher Widerstandsfähigkeit und flexibler Formbarkeit. Dabei ist die Stärke der Flächen kein Problem, Hauchdünn geht, wie die Gefäße von Barbara Eichhorn zeigen, wenn dabei das in Natur und Technik gleichermaßen gängigste Bauprinzip angewendet wird, der Aufbau in gegenläufigen Schichten.
Fragt sich der Betrachter nach dem Geheimnis der Farbabstufungen, mit denen Filz verzaubert, dann kann ein kleiner Verweis auf die Nuno-Technik das Geheimnis weitgehend lüften: hauchdünne, übereinander liegende unterschiedlich farbige Filzschichten sind in einem durchlässigen Trägergewebe aus Seide, Baumwolle oder Polyester verankert und sie mischen sich wie die Lasur-Malschichten der altmeisterlichen Ölmalerei in der Reflexion des eingedrungenen Lichtes.
Und nun ist den FilzerInnen im geschickten Umgang mit Schablonen und Schneide-Geschick nichts zu „schwör“, gerne folgt die Fertigkeit jeder angewandt- oder frei-künstlerischen Raum- Behälter- und Höhlungs-Vorstellung und den grundlegenden Verlangen des Menschen nach Wärme und Geborgenheit.
Wir hören noch den Jubel der Höhlen-Menschen aus ihren Höhlen hervorhallen, endlich eine tragbare Allwetter-Kleidung, die transportable Höhle sozusagen, von Kopf bis Fuß, von Mütze und Hut über den Lodenmantel bis zum Schuhwerk, von der Tasche und dem Beutel bis zum Zelt, von der Jungsteinzeit bis Pompeij. Die Mongolei ist heute noch eine Hochburg funktioneller Filzkultur.
Aber das ist es nicht allein, was bezaubert. Es ist die Ästhetik, die dem Material selber innewohnt und dessen individuell und kollektiv aufbauende Qualität mindestens so bedeutsam wie die Erfindung des Faustkeils gewesen sein dürfte. Allerdings ist der Faustkeil beständiger und die frühen Zeugnisse textiler Ästhetik sind bis auf wenige Spuren allesamt dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen, so dass vieles unbestimmt ist und Theorie bleiben muss.
Doch, was die Redewendung sagen will, wenn sie etwas als wahrhaft in der Wolle gefärbt beschreibt, wird einem überhaupt erst angesichts der Filz-Farbigkeit klar. Filz, dessen Herstellung das Mikroskopische der Tast-Empfindungs-Zellen mit den Stäbchen und Zäpfchen der Retina verbindet, reflektiert ein klares Tiefenlicht, das strukturell dem des gedämpften Schummerns von Gold entspricht und wie dieses in der reinen Gegebenheit seiner selbst ähnlich fasziniert. Als Sucher nach der wahren Farbe besitzt Filz die beste Referenz, ja, er scheint, wie die Arbeit von Barbara Westerath zeigt, das Vorbild aus der Blumenwelt, fast in den Schatten zu stellen.
Es ist nicht alles Gold was glänzt, dem ist nichts entgegenzusetzen, aber es könnte mit Gold zu tun haben, und es könnte Filz sein oder beides. In der griechischen Mythologie stoßen wir mit diesem Gedankenspiel auf das Goldene Vlies, auf das Fell des Chrysomeles, des goldenen Widders, der fliegen und sprechen konnte, ein Motiv, das alles, was wir bisher über Filz und implizit das Schaffell gehört haben, um ein vorkapitalistisches Etwas toppt. Hintergrund des Mythos ist, dass im goldreichen Kolchis, dem im Westen des heutigen Georgien gelegenen Gebiet am Kaukasus, Schaffelle verwendet wurden, um Goldstaub aus den Flüssen zu waschen.
Die drei Künstlerinnen sind mittlerweile, nachdem sie vor einer Reihe von Jahren in den Bann des Filzens geraten waren und aus der privaten Neigung eine Profession geworden war, auch Motoren der Szene geworden, die sich über den ganzen deutschsprachigen Raum erstreckt.
Alle drei sind Mitglied im deutschlandweiten Filz-Netz-Werk, einem in Regionalvereine gegliederten Zusammenschluss von Förder-Mitgliedern, freien KünstlerInnen, FilzhandwerkerInnen und DozentInnen, die die Vielfalt des gestalteten Filz und seine Einsatzmöglichkeiten fördern und bekannter machen wollen, und dies unter Bezugnahme auf die kulturhistorischen Wurzeln und die mannigfaltigen ethnologischen Variationen von Filzprozess und Filzprodukt.
So war Barbara Eichhorn, Jahrgang 1957, wohnhaft im fränkischen Heroldsbach, ursprünglich Kinderkrankenschwester bevor sie 1996 das Filzfieber bekam und sich mit den Themen Bekleidung und Hüte ausgiebig zu befassen begann. Nach der Einrichtung einer eigenen Werkstatt mit Laden 1997 war sind dann und ist sie heute noch unterwegs als Dozentin für Filzkurse und seit 2002 als Teilnehmerin an Fortbildungen und Workshops bei renommierten Filzkünstlerinnen aus dem In- und Ausland. In diesen letzten 17 Jahren hat sie auch an zahlreichen Ausstellungen und Projekten teilgenommen.
Barbara Westerath, die Filzblumen-Barbara, wie ihre Netzadresse sagt, Jahrgang 1963, wohnhaft in Altdorf, wo auch unser Freund Reiner Zitta wohnt, ist Filzerin seit 1999, nachdem sie vorher als gelernte Handelsassistentin tätig war, sie hat bis heute an vielen Gemeinschaftsausstellungen teilgenommen, in Nürnberg, Altdorf, Forchheim, Coburg, Finnland, und Frankreich, Kurse gibt sie hauptsächlich in Deutschland und der Schweiz, und zwar mit besonderem Zertifikat, nachdem sie sich 2016 einer freiwilligen Qualitätsprüfung des Filznetzwerks unterzogen hat.
Maria Weber, Jahrgang 1952, gelernte Sozialpädagogin und Erzieherin, wobei der pädagogischen Profession, die das bildnerische Tun einschließt, ein schon früh, seit Kindesbeinen erkennbarer künstlerisch-experimenteller Eigensinn vorauseilt, seit 1962 in Weiden, hat inspiriert von den Berliner Jahren 72 bis 78 alle Phasen Alternativen Lebens in Weiden mitgestaltet, aktiv im WAA-Widerstand, in der Frauenbewegung und jetzt profitiert der Kunstverein seit vielen Jahren von ihrer Kompetenz als Tresen-Queen im Ausstellungsraum, die das bildnerische Geschmacks-Angebot mit Gaumen- und Kehlen-Freuden ergänzt. Seit 25 Jahren ist sie Leiterin der Keramik-Werkstatt im Maria Seltmann-Haus, so lange liegt auch ihre Entdeckung zurück, dass sich mit Wolle nicht nur stricken lässt. Ein großes Experimentierfeld öffnete sich und Gelegenheiten, an Ausstellungen teil zu nehmen, folgten. So in Südtirol, in Norwegen, im Handwerksmuseum Nürnberg, im alten Rathaus in Forchheim.
Alle drei Künstlerinnen machen uns in ihren Arbeiten auf erstaunliche Art mit dem Gestaltpotential des Faser- und Flächenmaterials Filz bekannt, das seinen Ursprung in der wilden Tierwolle hat, die Künstlerinen, machen sich den plastischen Charakter dieses Materials mit großem sensibel differenzierten Körpereinsatz nutzbar, wer sich das nicht vorstellen kann: Youtube hilft weiter, sie domestizieren das Vlies, und das Spüren, Streichen, Drücken, Pressen oder Stechen des Materials, mit dem sie nah dran am Tier-Körper und seiner Bedürfnisebene sind, spiegelt das Wollen unseres eigenen Körpers, das mit dem der Tiere so gut wie identisch ist, und lässt intuitiv verstehen, was das heißt, wenn man von der Natur als Künstlerin spricht.
Von Barbara Eichhorn verdienen in dieser Ausstellung hauchdünne Schalen unsere ganz besondere Beachtung. Ihre porzellanene Anmutung und filigrane Gestaltung zeigt einmal mehr das Chamäleonhafte des Materials. Auch die Hutobjekte und Kleidungsstücke von Frau Eichhorn, deren organisches Formenspiel an das Mimikri der Naturwelt und den Phantastischen Realismus eines Arik Brauer erinnern kann, zeigen die Anpassungsfähigkeit und den Adel des drögen Dämmmaterial. Dem strapazierfähigen Bodendecker hier unter unseren Füßen, einem Fasergut namens Nadelfilz, ist dieser Adel kaum anzusehen, warum heißt er nicht Aschenputtel.
Barbara Westerrat lässt Blumen sprechen, und zwar, so finde ich, in so originaltreuer, im Detail botanisch exakter Art, dass jeder Pflanzenkundler begeistert sein müsste. Aber nicht nur das ist es, was beeindruckt. Außerdem liegt dabei auch eine Referenz vor, die den Betrachter ins Geschichtliche, zum barocken Bildtypus des Blumen-Stilllebens lenkt, das mit seiner Augentäuschung zur Winterszeit als Seelenwärmer diente, da hält es die Vanitas-Betrachtungen über Sein und Schein und über Werden und Vergehen in Zaum und den Optimismus und die angenehme, stimulierende Illusion wach. Schopenhauer meint, das wäre die Kern-Aufgabe von Kunst. Die Künstlerin selber sagt: Filz ist für mich sinnlich anregend, farblich berauschend und formbar wie Ton. Mein Faible: Bei Blumen geht mir das Herz auf. Die Farben, die Geometrie der Blüten und deren Dynamik faszinieren und regen zum Nachahmen an. Die Vielfalt der Pflanzen ist grenzenlos, Sie sind verschwenderisch und sparsam zugleich. Das ist mir ein Vorbild bei der Herstellung.
Auch Maria Weber arbeitet neben freien Fantasien und anderem, in das sie auch Filz-Produkte einarbeitet, die durch den ozeanischen Wellengang entstehen, am Gärtnerischen und in Verbindung mit dem Themenfeld barocker Augentäuschung. Da widmet sie sich, ohne dass wir die Hutobjekte übersehen dürfen, die die menschliche Körperform einer fließenden, weichen und wehenden Geometrie anpassen, analog zu ihrer Blumen-Kollegin dem realitätsnahen Abbild und der Illusion.
Ebenso wie bei Frau Westerrat kommt dabei nicht nur die Lokalfarbe zur Anwendung, das ist die Eigen-Farbigkeit eines plastischen Objektes, die für unser Auge unabhängig vom Wetter und von Licht und Schatten gleichbleibt. Doch Licht und Umferld, das sind wichtige Einflussnahmen, ohne die ein Apfel am Baum oder in der Obst-Schale nicht dick und rund erscheinen würde. Will man nun beim Malen plastische Dinge auf dem flachen Bildträger, auf dem Papier oder der Leinwand, zur Erscheinung bringen, reicht es nicht, eine Form apfelrot zu malen, man muss sich auch mit Licht- und Schatten auskennen und dem entsprechend die Lokalfarbe verändern. Das ist Maria Weber gelungen, mit dem ihr eigenen Witz, ihr Obst-Gehänge fragt: können Körper durch entsprechende Farbgebung, wie in ihrem Fall, noch körperlicher werden? Irgendwie schon und weil das an einem realen plastischen Körper, einem kugelig knackigen Naturprodukt wirkungsvoll ausgeführt wurde, ist man beinahe geneigt, ihr im Stil der klassischen Künstlerwettkämpfe zu gratulieren und zu sagen, dass sie punktuell die Natur übertreffen und noch verbessern konnte. Freilich, was dem Auge ein Genuss ist, muss ein solcher dem Geschmackssinn noch lange nicht sein. Man beiße also in die Früchte nicht hinein, wie die Vögel des Zeuxis. Obst und Filz, beides suggeriert Sonne und Wärme, angesichts des Klimawandels, der das unschuldige Mitgehen mit den Jahreszeiten und die illusionäre Verlängerung der Sommerzeit qua Südseejet nachdrücklich in Frage stellt, werden wir vielleicht bald nicht mehr umhin können, eine weitere Eigenschaft des Filz zum Symbol werden zu sehen.Filz wird beim Bau von Deichen und Dämmen verwendet. Seit Jahrhunderten weiden die Urheber dieses segenreichen Materials auf den Deichen. Dass es so kommt, das hätten sie nicht gedacht. Mäh! Mäh! Und die politische Filzokratie, der gute Hirte, stimmt mit ein. Mäh.
Da gibt es nur noch eins zu sagen: Die Bar ist geöffnet.
Vielen Dank
Wolfgang Herzer
In Hülle und Fülle – Textilkunst
Barbara Eichhorn, Maria Weber, Barbara Westerath
Eröffnung
Mittwoch, 11. Oktober 2019, 20.00 Uhr
Ausstellungsdauer
11. Oktober – 10. November 2019
Geöffnet
So 14 – 18 Uhr, Do bis Sa 21 – 24 Uhr
Eingang durch das Vereins-Lokal Neues Linda
Info
Seit gut 2 Jahrzehnten sind die drei Künstlerinnen aus dem fränkisch-oberpfälzischen Raum dem Filzvirus verfallen, einem Werkstoff, der sich nach seiner Renaissance Ende der 1990er Jahren zu einer Volkskunst entwickelt hat. Hier haben das dekorativ Ästhetische und das Nützlich-Schöne eben so ihren Platz wie das künstlerisch Experimentelle.
Die Ausstellerinnen Barbara Westerath, Maria Weber und Barbara Eichhorn sind Mitglieder des deutschen Filznetzwerks und arbeiten außerhalb ihrer Ateliers auch im deutschsprachigen Raum als Dozentinnen. Der atmende faserige Flächen-Gebilde stammt von der Schafwolle, gilt in der Verarbeitung als meditativ und mental stimulierend, ist vielseitig verwendbar und soll schon vor der Webkunst den Menschen gekleidet haben.
Mythologische und historische Bezüge gibt es viele, die vom Goldenen Vlies bis zum Filzhut von Josef Beuys reichen. Aber auch ohne den direkten Bezug darauf, erweist sich Filz als ein faszinierender den Farbausdruck steigernder Stoff, wie die Ausstellung im Kunstverein Weiden zeigt. Dabei erweitert er hier mit seiner besonderen organischen Anmutung in exzentrischen Hutobjekten und fantasievollen Gewändern die menschliche Körperform und passt sie einer fließenden, weichen und mimikriartigen Raum-Geometrie an.
Filz hat die Möglichkeit einer hauchdünnen Verarbeitung und kann sich durch eine opalisierende Misch-Farbigkeit verzaubern, die transparenten Filz-Schichtungen entspringt. Dabei kann sie leuchtende Materialien wie Porzellan imitieren und, wie hier durch strahlende Blumen und Fruchtstillleben gegeben, eine Augentäuscher-Kultur fortsetzen, die bis ins Barock zurückreicht.
Eröffnungsrede
Meine Sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Kunst und des kreativen Lebens,
Mäh, Mäh, Mäh, wenn Sie ihr Ohr ganz nah an die ausgestellten Objekte heranbringen, hören Sie es, aus weiter Ferne, da taucht aus weiter Ferne das Gedankenbild Arkadiens, des Schäfer-Idylls und des guten Hirten auf, ein Urbild. Filz wird aus Wolle, Schafwolle hergestellt.
Vielen Dank Barbara Eichhorn, Barbara Westerrat, Maria Weber, dass Ihr zu uns gekommen seid.
Mit der Ausstellung In Hülle und Fülle, bei der es um Textil-Kunst geht, bewegen wir uns in einer kulturellen Gegend unseres Daseins, die sogar bis in den vormenschlichen Raum reicht: das Chamäleon wechselt seine Farbe, die Katzen haaren, die Schlange häutet sich, bevor sie ins Paradies schlängelt, zum Date mit Adam und Eva, die kurz darauf erkennen, dass sie ja eigentlich nackt sind, und dass es ohne Filz eigentlich nicht geht.
Auch im übertragenen Sinn nicht, der Erzengel am Paradiesausgang hätte für die zwei Vertriebenen noch ein gutes Wort einlegen können.
Penelope webt in ähnlichem mythologischen Zusammenhang das Totentuch für Laertes und trennt die Fäden nachts wieder auf, um ihre Freier, auf Abstand zu halten, bis Odysseus in sein irdisches Paradies auf Ithaka zurückkehren würde.
Kurz gesagt, Stoff ist auch immer Lesestoff und das Kleiderwesen durchzieht mit vielen Beziehungsfäden das gesamte Leben auf Erden von Anfang an, da machen Kleider Leute, da muss ein kleiner Bub dem Kaiser klarmachen, aus welchem Stoff seine neuen Kleider sind, da gibt es eine Kleiderordnung bis zum letzten Hemd und da sollen Umwickelungen aus Filz den Künstler des 20. Jahrhunderts, Josef Beuys, vor dem Frost-Tod nach einem Flugzeugabsturz gerettet und die Grundlagen für seine Wärme-Theorie gelegt haben. Bei der geht es dem Künstler um die Frage, wie das erstarrte technokratische Denken im westlichen Kulturkreis im Sinne des ökologischen Fortschritts in Fluss gebracht werden kann, wie die Energieträger erwärmter Honig und erhitztes Fett.
Im bildnerischen Sinnzusammenhang mit dieser Theorie, wurde dann der Filzhut, den der Meister immer trug, auch um eine kriegsgegebene Kopfverletzung zu verdecken, zu einem der kulturellen Wahrzeichen des 20. Jahrhunderts. Kurz gesagt, zwischen dem Lebewesen und den Dingen der Welt ist immer noch extra etwas, das in der Bedeckung seinen Ausdruck findet, eine Schicht wie die Rinde am Baum, eine Brücke, auf der Innen und Außen zusammengehen, die zweite Haut, da, wo immer die Sonne scheint, ist es häufig die Tätowierung, in der sich Kultur und Natur zu etwas Unauflöslichem verfilzen.
Dabei hat es Filz als besonderer Träger kultureller Semantik nicht nur in die sogenannte Hochkunst geschafft, ja, der besondere Stellenwert, den das uralte Handwerk hat, ein Handwerk, das es möglichweise, wie die Forschung meint, vor dem Webstuhl gegeben haben könnte, bringt gerade in der heute flächengreifenden Renaissance als Volkskunst und im Freizeit-, Hobby - und Selbstfindungs-Bereich in unerschöpflicher Fülle zum Ausdruck, was der Stoff, die Hülle, alles draufhat.
Da stehen, um das Oberpfalznetz unserer Tageszeitung zu zitieren, im regionalen Zusammenhang verschiedene Orte, die wir jetzt im einzelnen nicht aufzählen wollen, sehr hoch im Kurs. Für die die Kurse stürmenden Filz-Freaks so hoch im Kurs wie NewYork oder Kassel für die High-Heel-Galerienszene.
Dabei gehört das Herstellen der Decken, Mäntel, Schuhe oder Hüte aus Wolle durch Filzen zu den historischen haushälterischen Grundkenntnissen - und Fertigkeiten vieler Hausfrauen im ländlichen Raum und beinhaltete wie jede echte Handarbeit neben dem Zweckdienlichen auch eine erfinderische, die Körper-Intelligenz herausfordernde Qualität, die das eigentliche Gold des Handwerks-Bodens ausmacht und Kunst ist, ohne dass die Tätigen einen Begriff davon haben.
Das Bewusstsein für das Besondere, das kam erst Generationen später, in den Hurra-Ruf "Filz beflügelt die Sinne", stimmen nun Generationen übergreifend alle ein, die, für die Filzen auch ohne Worte immer schon zum Leben gehört hatte, und die, für die es die Lebensentdeckung ist’.
Dem Filzen liegen die drei Elemente - Wolle, Wasser, Bewegung - zu Grunde. Danz einfach: Unsere Künstlerinnen Maria Weber, Barbara Eichhorn und Barbara Westerrat nicken fachfraulich wissend dazu. Auch Maria und die zwei Barbaras haben das Filzen von der Pike auf gelernt.
Denn, ob damals oder heute, man lernt nie aus. So haben sie die Filzschule in Oberrot (bei Schwäbisch Hall) besucht und sind bei vielen Filzertreffen in Südtirol und anderen Kursen gelehrig gewesen. Das alles über viele Jahre. Erst voriges Jahr im September hätte Maria, so verweist sie mich auf die längst gegebene Internationalität der Sache, an einem 3-tägigen Meisterkurs in Montbrun-Bocage am Fuße der Pyrenäen/Frankreich im Atelier von Krystel teilgenommen: Seads and Seadpots war das Arbeitsthema.
In Kombination mit Seife stellen sich die Schuppen in der obersten Wollschicht auf und in Verbindung mit dem Walken, das den Tastsinn bis auf Endoskopie-Niveau verfeinert, durchdringen sich die Fasern gegenseitig, verhaken sich unauflöslich, bretter- und wetterfest: dabei entsteht ein durchgängiges Hohlraum-System, Filz atmet.
Im Nassverfahren, wie hier beschrieben, ebenso wie im Trockenverfahren qua Filznadel und anderen Verfahren, die die Logik der tierischen Thermo-Oberflächen nutzen, entsteht aus feinster Faser ein Stoff, ein Flächengebilde von hoher Widerstandsfähigkeit und flexibler Formbarkeit. Dabei ist die Stärke der Flächen kein Problem, Hauchdünn geht, wie die Gefäße von Barbara Eichhorn zeigen, wenn dabei das in Natur und Technik gleichermaßen gängigste Bauprinzip angewendet wird, der Aufbau in gegenläufigen Schichten.
Fragt sich der Betrachter nach dem Geheimnis der Farbabstufungen, mit denen Filz verzaubert, dann kann ein kleiner Verweis auf die Nuno-Technik das Geheimnis weitgehend lüften: hauchdünne, übereinander liegende unterschiedlich farbige Filzschichten sind in einem durchlässigen Trägergewebe aus Seide, Baumwolle oder Polyester verankert und sie mischen sich wie die Lasur-Malschichten der altmeisterlichen Ölmalerei in der Reflexion des eingedrungenen Lichtes.
Und nun ist den FilzerInnen im geschickten Umgang mit Schablonen und Schneide-Geschick nichts zu „schwör“, gerne folgt die Fertigkeit jeder angewandt- oder frei-künstlerischen Raum- Behälter- und Höhlungs-Vorstellung und den grundlegenden Verlangen des Menschen nach Wärme und Geborgenheit.
Wir hören noch den Jubel der Höhlen-Menschen aus ihren Höhlen hervorhallen, endlich eine tragbare Allwetter-Kleidung, die transportable Höhle sozusagen, von Kopf bis Fuß, von Mütze und Hut über den Lodenmantel bis zum Schuhwerk, von der Tasche und dem Beutel bis zum Zelt, von der Jungsteinzeit bis Pompeij. Die Mongolei ist heute noch eine Hochburg funktioneller Filzkultur.
Aber das ist es nicht allein, was bezaubert. Es ist die Ästhetik, die dem Material selber innewohnt und dessen individuell und kollektiv aufbauende Qualität mindestens so bedeutsam wie die Erfindung des Faustkeils gewesen sein dürfte. Allerdings ist der Faustkeil beständiger und die frühen Zeugnisse textiler Ästhetik sind bis auf wenige Spuren allesamt dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen, so dass vieles unbestimmt ist und Theorie bleiben muss.
Doch, was die Redewendung sagen will, wenn sie etwas als wahrhaft in der Wolle gefärbt beschreibt, wird einem überhaupt erst angesichts der Filz-Farbigkeit klar. Filz, dessen Herstellung das Mikroskopische der Tast-Empfindungs-Zellen mit den Stäbchen und Zäpfchen der Retina verbindet, reflektiert ein klares Tiefenlicht, das strukturell dem des gedämpften Schummerns von Gold entspricht und wie dieses in der reinen Gegebenheit seiner selbst ähnlich fasziniert. Als Sucher nach der wahren Farbe besitzt Filz die beste Referenz, ja, er scheint, wie die Arbeit von Barbara Westerath zeigt, das Vorbild aus der Blumenwelt, fast in den Schatten zu stellen.
Es ist nicht alles Gold was glänzt, dem ist nichts entgegenzusetzen, aber es könnte mit Gold zu tun haben, und es könnte Filz sein oder beides. In der griechischen Mythologie stoßen wir mit diesem Gedankenspiel auf das Goldene Vlies, auf das Fell des Chrysomeles, des goldenen Widders, der fliegen und sprechen konnte, ein Motiv, das alles, was wir bisher über Filz und implizit das Schaffell gehört haben, um ein vorkapitalistisches Etwas toppt. Hintergrund des Mythos ist, dass im goldreichen Kolchis, dem im Westen des heutigen Georgien gelegenen Gebiet am Kaukasus, Schaffelle verwendet wurden, um Goldstaub aus den Flüssen zu waschen.
Die drei Künstlerinnen sind mittlerweile, nachdem sie vor einer Reihe von Jahren in den Bann des Filzens geraten waren und aus der privaten Neigung eine Profession geworden war, auch Motoren der Szene geworden, die sich über den ganzen deutschsprachigen Raum erstreckt.
Alle drei sind Mitglied im deutschlandweiten Filz-Netz-Werk, einem in Regionalvereine gegliederten Zusammenschluss von Förder-Mitgliedern, freien KünstlerInnen, FilzhandwerkerInnen und DozentInnen, die die Vielfalt des gestalteten Filz und seine Einsatzmöglichkeiten fördern und bekannter machen wollen, und dies unter Bezugnahme auf die kulturhistorischen Wurzeln und die mannigfaltigen ethnologischen Variationen von Filzprozess und Filzprodukt.
So war Barbara Eichhorn, Jahrgang 1957, wohnhaft im fränkischen Heroldsbach, ursprünglich Kinderkrankenschwester bevor sie 1996 das Filzfieber bekam und sich mit den Themen Bekleidung und Hüte ausgiebig zu befassen begann. Nach der Einrichtung einer eigenen Werkstatt mit Laden 1997 war sind dann und ist sie heute noch unterwegs als Dozentin für Filzkurse und seit 2002 als Teilnehmerin an Fortbildungen und Workshops bei renommierten Filzkünstlerinnen aus dem In- und Ausland. In diesen letzten 17 Jahren hat sie auch an zahlreichen Ausstellungen und Projekten teilgenommen.
Barbara Westerath, die Filzblumen-Barbara, wie ihre Netzadresse sagt, Jahrgang 1963, wohnhaft in Altdorf, wo auch unser Freund Reiner Zitta wohnt, ist Filzerin seit 1999, nachdem sie vorher als gelernte Handelsassistentin tätig war, sie hat bis heute an vielen Gemeinschaftsausstellungen teilgenommen, in Nürnberg, Altdorf, Forchheim, Coburg, Finnland, und Frankreich, Kurse gibt sie hauptsächlich in Deutschland und der Schweiz, und zwar mit besonderem Zertifikat, nachdem sie sich 2016 einer freiwilligen Qualitätsprüfung des Filznetzwerks unterzogen hat.
Maria Weber, Jahrgang 1952, gelernte Sozialpädagogin und Erzieherin, wobei der pädagogischen Profession, die das bildnerische Tun einschließt, ein schon früh, seit Kindesbeinen erkennbarer künstlerisch-experimenteller Eigensinn vorauseilt, seit 1962 in Weiden, hat inspiriert von den Berliner Jahren 72 bis 78 alle Phasen Alternativen Lebens in Weiden mitgestaltet, aktiv im WAA-Widerstand, in der Frauenbewegung und jetzt profitiert der Kunstverein seit vielen Jahren von ihrer Kompetenz als Tresen-Queen im Ausstellungsraum, die das bildnerische Geschmacks-Angebot mit Gaumen- und Kehlen-Freuden ergänzt. Seit 25 Jahren ist sie Leiterin der Keramik-Werkstatt im Maria Seltmann-Haus, so lange liegt auch ihre Entdeckung zurück, dass sich mit Wolle nicht nur stricken lässt. Ein großes Experimentierfeld öffnete sich und Gelegenheiten, an Ausstellungen teil zu nehmen, folgten. So in Südtirol, in Norwegen, im Handwerksmuseum Nürnberg, im alten Rathaus in Forchheim.
Alle drei Künstlerinnen machen uns in ihren Arbeiten auf erstaunliche Art mit dem Gestaltpotential des Faser- und Flächenmaterials Filz bekannt, das seinen Ursprung in der wilden Tierwolle hat, die Künstlerinen, machen sich den plastischen Charakter dieses Materials mit großem sensibel differenzierten Körpereinsatz nutzbar, wer sich das nicht vorstellen kann: Youtube hilft weiter, sie domestizieren das Vlies, und das Spüren, Streichen, Drücken, Pressen oder Stechen des Materials, mit dem sie nah dran am Tier-Körper und seiner Bedürfnisebene sind, spiegelt das Wollen unseres eigenen Körpers, das mit dem der Tiere so gut wie identisch ist, und lässt intuitiv verstehen, was das heißt, wenn man von der Natur als Künstlerin spricht.
Von Barbara Eichhorn verdienen in dieser Ausstellung hauchdünne Schalen unsere ganz besondere Beachtung. Ihre porzellanene Anmutung und filigrane Gestaltung zeigt einmal mehr das Chamäleonhafte des Materials. Auch die Hutobjekte und Kleidungsstücke von Frau Eichhorn, deren organisches Formenspiel an das Mimikri der Naturwelt und den Phantastischen Realismus eines Arik Brauer erinnern kann, zeigen die Anpassungsfähigkeit und den Adel des drögen Dämmmaterial. Dem strapazierfähigen Bodendecker hier unter unseren Füßen, einem Fasergut namens Nadelfilz, ist dieser Adel kaum anzusehen, warum heißt er nicht Aschenputtel.
Barbara Westerrat lässt Blumen sprechen, und zwar, so finde ich, in so originaltreuer, im Detail botanisch exakter Art, dass jeder Pflanzenkundler begeistert sein müsste. Aber nicht nur das ist es, was beeindruckt. Außerdem liegt dabei auch eine Referenz vor, die den Betrachter ins Geschichtliche, zum barocken Bildtypus des Blumen-Stilllebens lenkt, das mit seiner Augentäuschung zur Winterszeit als Seelenwärmer diente, da hält es die Vanitas-Betrachtungen über Sein und Schein und über Werden und Vergehen in Zaum und den Optimismus und die angenehme, stimulierende Illusion wach. Schopenhauer meint, das wäre die Kern-Aufgabe von Kunst. Die Künstlerin selber sagt: Filz ist für mich sinnlich anregend, farblich berauschend und formbar wie Ton. Mein Faible: Bei Blumen geht mir das Herz auf. Die Farben, die Geometrie der Blüten und deren Dynamik faszinieren und regen zum Nachahmen an. Die Vielfalt der Pflanzen ist grenzenlos, Sie sind verschwenderisch und sparsam zugleich. Das ist mir ein Vorbild bei der Herstellung.
Auch Maria Weber arbeitet neben freien Fantasien und anderem, in das sie auch Filz-Produkte einarbeitet, die durch den ozeanischen Wellengang entstehen, am Gärtnerischen und in Verbindung mit dem Themenfeld barocker Augentäuschung. Da widmet sie sich, ohne dass wir die Hutobjekte übersehen dürfen, die die menschliche Körperform einer fließenden, weichen und wehenden Geometrie anpassen, analog zu ihrer Blumen-Kollegin dem realitätsnahen Abbild und der Illusion.
Ebenso wie bei Frau Westerrat kommt dabei nicht nur die Lokalfarbe zur Anwendung, das ist die Eigen-Farbigkeit eines plastischen Objektes, die für unser Auge unabhängig vom Wetter und von Licht und Schatten gleichbleibt. Doch Licht und Umferld, das sind wichtige Einflussnahmen, ohne die ein Apfel am Baum oder in der Obst-Schale nicht dick und rund erscheinen würde. Will man nun beim Malen plastische Dinge auf dem flachen Bildträger, auf dem Papier oder der Leinwand, zur Erscheinung bringen, reicht es nicht, eine Form apfelrot zu malen, man muss sich auch mit Licht- und Schatten auskennen und dem entsprechend die Lokalfarbe verändern. Das ist Maria Weber gelungen, mit dem ihr eigenen Witz, ihr Obst-Gehänge fragt: können Körper durch entsprechende Farbgebung, wie in ihrem Fall, noch körperlicher werden? Irgendwie schon und weil das an einem realen plastischen Körper, einem kugelig knackigen Naturprodukt wirkungsvoll ausgeführt wurde, ist man beinahe geneigt, ihr im Stil der klassischen Künstlerwettkämpfe zu gratulieren und zu sagen, dass sie punktuell die Natur übertreffen und noch verbessern konnte. Freilich, was dem Auge ein Genuss ist, muss ein solcher dem Geschmackssinn noch lange nicht sein. Man beiße also in die Früchte nicht hinein, wie die Vögel des Zeuxis. Obst und Filz, beides suggeriert Sonne und Wärme, angesichts des Klimawandels, der das unschuldige Mitgehen mit den Jahreszeiten und die illusionäre Verlängerung der Sommerzeit qua Südseejet nachdrücklich in Frage stellt, werden wir vielleicht bald nicht mehr umhin können, eine weitere Eigenschaft des Filz zum Symbol werden zu sehen.Filz wird beim Bau von Deichen und Dämmen verwendet. Seit Jahrhunderten weiden die Urheber dieses segenreichen Materials auf den Deichen. Dass es so kommt, das hätten sie nicht gedacht. Mäh! Mäh! Und die politische Filzokratie, der gute Hirte, stimmt mit ein. Mäh.
Da gibt es nur noch eins zu sagen: Die Bar ist geöffnet.
Vielen Dank
Wolfgang Herzer