AUSFLUG – Drei aus Leipzig
Jan Dörre, Jörg Ernert, Petra Ottkowski: Malerei
27.06.—20.07.08
Info
Was ist Realität?
Auf diese Frage gibt die Malerei des europäischen Kulturkreises, unseres spezifisch enger werdenden Kulturkreises also, unterschiedliche Antworten. Es öffnet sich da ein weiter immer noch atemberaubender geistiger Raum zwischen Res und Res Publica. Zwischen der Betrachtung und Würdigung der faktischen Dinge, das sind die Res, in ausgehendem Mittelalter und Renaissance, einer Zeit, die in der Dingwelt die Ewigkeit aufscheinen sah. Und der Verknüpfung der Frage nach den Dingen mit der sozialen Frage, der Res Publica, die mit der Utopie eines irdischen Paradieses antwortet.
Diese Fragen sind keineswegs historisch abgelegt, durch die zunehmende Konfrontation des West-Kultur mit anderen Weltkulturen, in der wie uns gerade befinden, sind die Fragen nach einem globalen Kontext, der sagt, was Sache ist und was nicht, hochaktuell. Das sind schwergewichtige Dinge und harte philosophische und politische Nüsse, die wir heute Abend nicht knacken.
Der Abend soll uns ein spielerisches Vergnügen bereiten,
Wir freuen uns, dass wir noch neben unserer Ausstellung „Fritz Herlt und Joseph Beuys“ mit dieser Ausstellung „Ausflug. Drei aus Leipzig“ auch wieder zur Auseinandersetzung mit aktuellen Themen in Kunst und Gesellschaft beitragen können.
Wir haben heute Abend Besuch aus Leipzig, die Malerin, Petra Ottkowski, und die beiden Maler Jan Dörre und Jörg Ernert, sind zu Gast. Ihre Malerei zielt imaginativ in den Fokus dieser Fragen. Via Gedankenspiel und Philosophieren in Bildern geschieht das, oder lassen Sie es mich kunst- und wahrnehmungs-theoretisch genauer sagen, das ist ja der Begegnung mit einem altehrwürdigen Kulturzentrum wie Leipzig (nicht nur in künstlerischer Hinsicht, auch in wissenschaftlicher) nur angemessen:
In der Form der bildbezogen-interpretierenden Ratio und der bild-raum-bildenden Praxis unserer Sinnlichkeit, unseres sehenden, empfinden und fühlenden Körpers begegnen wir der Historie und der Aktualität derartiger Fragestellungen, und dies am Beispiel dieser Arbeiten explizit.
Ungeachtet der Eigenständigkeit und Qualität der einzelnen Künstler-Position, die aus den Arbeiten spricht, reagieren diese Arbeiten dabei auch – Stichworte: Leipzig, Leipziger Schule, Neue Leipziger Schule – als Reflexions-Schirme dessen, was seit den 30er Jahren in der Kunst verloren gegangen, bzw überholt gewesen zu sein scheint, der Aura. In Leipzig scheint wieder die Aura eines Ortes als geistiger Raum zu erscheinen, und es ist geradezu paradox und aufregend, dass dieser Ort, der weltweit zum Booming-Place der schönen Künste wurde, auf kunsthistorischen Schichten sockelt, die sich unter Vorzeichen gebildet hatten, die man heute nicht mehr für wahr halten mag. Gemeint sind die Vorzeichen des heute gesellschafts-theoretisch abservierten Sozialismus bzw des kunsttheoretisch ebenso abservierten Sozialistischen Realismus und seiner aus heutiger Sicht naiven, aber vielleicht ja gar nicht falschen humanistischen Menschheitsträume.
Die "Drei", Petra Ottkowski, Jörg Ernert und Jan Dörre, die seit einigen Jahren als Gruppe auftreten, studierten kurz nach der Wende, in den 90er Jahren an der Leipziger Kunstakademie, der heutigen Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig, und sie erlebten den verwunderlichen Boom der Leipziger Realismus-Tradition hautnah mit, der ausbrach, als auch in Leipzig die Malerei als solche von den Neuen Medien und der Fotografie totgesagt worden war. Darüber unterhielt ich mich mit der Künstlerin und den Künstlern, als ich in Leipzig in ihren Ateliers war und die Exponate für diese Ausstellung abholte.
Aura. Spürte ich tatsächlich so etwas wie eine spezifische Aura. Ich sah die Stadt nur in der Durchfahrt. Ich war froh, den Transport selber gemacht zu haben, ähnlich wie am Anfang unseres Ausstellungsbetriebes Anfang der 90er Jahre, als wir das herausfordernde Themen-Angebot unserer Weidener Mitte-Europa-Lage wahrnahmen und den Osten bereisten, Wismar, Prag, das gab die unmittelbar hautnahen Erlebnisse, die so unersetzlich sind, unser so erfolgreich ausufernder Ehrenamtsbetrieb allerdings schließt das Zeitfenster für Primärerfahrungen, GottseiDank gibt es das Internet.
Ich schrieb dann nach meiner Rückkehr in Weiden an unsere Pressestelle, ich zitiere: Hallo Irene,
zehn Stunden unterwegs, 5 im Auto, Leipzig ist toll, die Typen waren sehr nett,
alles sehr sehr interessant, eine Szene, in der tatsächlich so was wie Hefe, Aufbruch und Werden spürbar zu sein scheint, das liegt vielleicht an der Stadt und der immer noch bestehenden Wendesituation, betrachtet man den Bauzustand der Stadt, da wesen noch so viele alte Geister durch die Ruinen ... Zitat Ende.
Das Medienecho, das Leipzig als neuen Mittelpunkt einer gegenständlichen, in klassischer Handwerklichkeit gegründeten Malerei hervorhebt, hält an.
Welche Gründe lassen sich für Phänomen und Hype der so genannten Neuen Leipziger Schule angeben? Natürlich ist es auch das große Geschick Leipziger Galeristen und das bekannte amerikanische Faible für German Art.
Unbestritten aber ist auch, dass die Eigenständigkeit von Lehrkörper und Lehre an der Leipziger Akademie eine Rolle spielt. Diese machte die Buch- und Textil-Stadt schon in den 60er Jahren zu einem Zentrum des sozialistischen Realismus, dessen Protagonisten auch im Westen Anerkennung fanden, die Großen der DDR stellten auf der documenta 6 aus, Baselitz, der DDR-Dissident und Republik-Flüchtling, zog damals seine Beiträge empört aus Kassel zurück.
Diese künstlerische Eigenständigkeit, Eigenart und Selbstbewusstheit ließ auch nach der Wende künstlerische Auffassungen, die auf der Linie von DDR-Stars wie Heisig, Tübke, Mattheuer und ihrer Schüler und heutigen Professoren Gille und Rink lagen, den Systemwechsel bravourös überstehen.
Unter dem Titel "Ausflug - Drei aus Leipzig" zeigt der Kunstverein Weiden ab Heute, Freitag, den 27.6., mit den Arbeiten der Künstler/in Jan Dörre, Jörg Ernert, Petra Ottkowski
drei Beispiele aktueller realistischer Malerei, bei denen es Ihnen frei gestellt ist, ob sie Spuren eines prägenden künstlerischen Milieus, sprich der Leipziger Schule, entdecken wollen oder nicht. Die Frage nach Einfluss und Überlieferung, die Kernfrage von Kultur, ist ja nichts Ehrenrühriges, entspricht voll und ganz dem Realismus-Konzept, sichtlich ja auch dem der bei uns ausstellenden Künstler, in ihren Arbeiten reflektieren sie ganz bewusst, allgemeine Malerei-Geschichte.
Dabei erscheinen die Bilder auf Grund ihrer veristischen, expressiven und konstruktivistischen Ausrichtung extrem verschieden. Einheit im Unterschiedlichen stiften das solide kompositorische Handwerk und eine gemeinsame magische Räumlichkeit, was die abstrakten ebenso wie die fotorealistischen Darstellungen charakterisiert. Obwohl die Bilder großteils gegenständlich ausformuliert sind, bleibt das Innerste, das sie zusammenhält, abstrakt. Es sind Stimmungsbilder, die eine melancholische Gelassenheit im Status Quo zeigen. Der Mal-Stil erscheint in jedem Fall als historische Position, als Haut, als Tarnung, als Tücher, die über das Mobilar einer Villa gedeckt wurden, man kehrt ihr nach heiteren Sommerwochen im Herbst wieder den Rücken, was waren das doch noch für Zeiten, die klassische Moderne, da Matisse ein Bild wie einen Sessel betrachten konnte, in dem das Gemüt seelig versinken und sich entspannen durfte.
Junge, frische Malerei, auf dem Weg, ganz dicht am Überlieferten.
Jan Dörre wurde 1967 in Arnstadt geboren, studierte in Leipzig bei Sighard Gille. Jan Dörres Bilder sind stilistisch und inhaltlich mit neuer Sachlichkeit und Barock verbunden, da vor allem mit der Vanitas-Idee des Stillebens, eine Stimmungslage ist gegeben, die an die Pittura Metaphysica erinnert, an die Haltung des Surrealismus, frappierende realistische Illusion und handwerklich-kompositorische Präzision fesseln die Aufmerksamkeit des Betrachters abwechselnd, eine bestechende metaphysische, wissenschaftliche Transparenz umfängt die Bildinhalte, die Vögel, Münzen, Gefässe, Bücher, Totenschädel, Teller, allesamt Boten der Sachlichkeit, die in Verbindung mit rein malerischen Bildpartien das Handwerk selber und die in ihm innewohnende Möglichkeit eines geglückten Ganzen zum Thema macht. Unrealistische Proportionierungen und widersprüchliche Architekturen verschmelzen hier in schlüssig gefügten Farb-Architekturen, deren abstrakte, inhaltlich offene Codifizierung zuerst gar nicht auffallen mag. Entdeckt man sie endlich, sieht im Augenwinkel man wie einem die Vögel, Kröten und Totenschädel verstohlen zuzwinkern.
Jörg Ernert wurde 1974 in Leipzig geboren, er studierte ebenfalls bei Sighard Gille und außerdem bei Wolfram Ebersbach, seine Malerei fußt auf intensivem Naturstudium, dabei sind unter der Natur, die die Vorgaben für Ernerts Gemälde liefert, die Zivilisations-Räume und die Unnatur von Automessen, Asia-Märkten zu verstehen, hier ist Jörg Ernert mit dem Skizzenblock unterwegs und schafft endlose Folgen von
Strukturskizzen des ihn umgebenden sozialen und architektonischen Geschehens. Ihn interessiert die Dynamik, die Unbelebtes ebenso wie Belebtes durchdringt, auf eine gemeinsame lineare und farbige Aussdrucksebene zu bringen. Dabei werden die vorgegebenen Realitäten einerseits weitgehendst abstrahiert, so dass sie an Werke des abstrakten Expressionismus eines Franz Kline denken lassen, sie behalten aber in ihren farbigen Akkorden weiterhin den gesamten Code realistischer Wiedererkennung, bei längerer Bildbetrachtung tauchen aus dem abstrakten Mustern nachbildhaft fast fotografisch genaue Scheinbilder der realen Wirklichkeit auf, Realität wird zur Frage der Wahrnehmung.
Petra Ottkowski wurde 1967 in Münster in Westfalen geboren, sie studierte unter anderem in Leipzig bei Professor Arno Rink. Petra Ottkowskis Malerei fasziniert durch ihr Eigenlicht, das selbst aus ganz dunklen Kompositionen strahlt. Die konstruktivistische Organisation unterschiedlicher Flächen, die die Hart-Kantigkeit der Geometrie hinter das Eigenlicht der Farbe und der Scheintransparenz der Flächen-Schichtungen zurückstellt, führt in die Empfindungswelt der konkreten Kunst,
die jede außerbildliche Realität außen vorlässt. Keine Figürlichkeit, keine realistische Tonigkeit, mir fiel die Interaction of Colour von Josef Albers ein. Das ist bei Petra Ottkowski anders, ihre Arbeiten changieren zwischen der abstrakt monumentaler Geste konkreter Kunst und der menschlichen Sehnsucht nach der Intimität einer Lichtinsel in der großen finsteren Nacht. Dieses Schwanken zwischen farbig hoch kultiviertem abstraktem Muster und einer bezwingenden hyperrealistischen Anmutung, der Suggestion eines funktionalen Raumes, einer Bibliothek vielleicht, einem Zwischen- den- Regalen-Sein,
sehen Sie gut an dem großen Gemälde mit dem Titel „Ränder“, an dieser Wand, die sich wie ein Riegel in den Raum schiebt.
Und den metaphorischen Riegel, der in allzu langen Reden vorliegt, den schiebe ich jetzt zurück.
Vorher danke ich noch für Ihre Aufmerksamkeit, ich danke dem KV-Team für die gute Zusammenarbveit, ich danke Petra Ottkowski, Jan Dörre und Jörg Ernert für ihr Kommen.
Jetzt ist die Ausstellung eröffnet.
Wolfgang Herzer