coming of age – the missing link
BIG GIRLS DONT CRY
18.1. – 20.2. 2024
Malerei
Axel Bunt & ChristophBartolmäs
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde des kreativen Lebens, schön, dass Ihr heute her gefunden habt,
heute begrüßen wir zwei junge Maler aus Berlin, das sind Axel Bunt und Christoph Bartolmäs, schön, dass Sie da sind.
Sie schenken uns im einzelnen eine spannende Reihe Gemälde und Bildobjekte, die für sich stehen können, im Zusammenhang aber, den wir mit unserer vielachsigen, kreuz und quer verlaufenden Hängung hergestellt haben, können sie auch Geschichten erzählen und die Stimmung eines sonnigen Sonntags in einer Großstadt heraufbeschwören, der Frühling des Lebens klingt an, da ist Zeit, im privaten, ganz persönlichen Mikrokosmos zu sich selber zu kommen, oder in den heftig und vital kreuchenden und fleuchenden städtischen Makrokosmos einzusteigen. Dort kann man in den Tierpark gehen und seinen uralten Ahnen, die bezüglich ihrer evolutionären Rolle selber ahnungslos sind, einen Besuch abstatten.
Die besagten Ahnen befinden sich in dem Blickwinkel, den wir heute in unserer Betrachtung einnehmen wollen, hinter Gittern und Gräben, sozusagen in Beugehaft und sollen sagen, was Sache ist, wo der Mensch herkommt und anderes.
Die philosophischen Sonntagsfragen sind das, wie sie uns Immanuel Kant aufgelistet hat,: Woher kommen wir, was können wir wissen, was haben wir zu tun, worauf dürfen wir hoffen. Diese Fragen sind alt. Das Zoo- und Tierschau-Wesen ebenso, hatte seine Blüte im 19. und frühen 20.Jahrhundert, im Zuge des wissenschaftlichen Positivismus, des Kolonialismus und der Industrialisierung, die u.a. das Pferd mit dem Auto als technisch verbessertes Transportmittel vertauschte und dem Glauben huldigte, dass der Mensch,der weiße Mensch, die Krone der Schöpfung ist.
Es wird Abend in der feiertäglichen Stadt, all die Bilder des Tages, die wir vom Morgen bis zum Abend gesammelt haben und nun nach Hause zurückbringen, mischen sich zu einer Impression, zu einer Aura, die uns verzaubert.
Die beiden bildenden Künstler stellen seit längerem gemeinsam aus. Dabei könnten ihre stilistischen Positionen im Dialog von Farbe und Form nicht konträrer sein. Was bewegt sie gemeinsam? Sehen wir, wie weit wir kommen!
Was ist es, das sie dabei spürbar trennt und doch griffig zusammenfügt? Welches sind die Elemente im Spiel der bildnerischen Analogien und Kontraste, die hier ihre Anwendung finden, im Bildaufbau, in dem ein wesentlicher Teil unsere interpretierenden Fantasie nistet und natürlich in den figürlichen Motiven: den Mädchen, den Tieren und den Gehäusen und Aufenthaltsorten.
Was hier als erstes ins Auge sticht, ist die Beziehung der Körperlichkeit der gegebenen Dinge zum Raum. Bartolmäs ertastet ihn über die illusionistische Schattierung seiner Figuren, er wendet die Normal-Perspektive an, während bei Bunt reale dreidimensionale Körperlichkeit vorherrscht, er baut eine Art Bühnenraum, dessen Kulissen von einer abstrakten perspektivisch gestuften Farbigkeit gefasst werden.
Weiterhin fällt auf, dass in beiden Arbeiten ein immateriell unsichtbares Moment bildformend hervortritt, nämlich der Blick der Figuren: Mensch und Tier sind durch ganze Blicke-Bündel miteinander verbunden. Außenwelt und Innenwelt durchdringen einander räumlich und mental..
Einmal geht es da um den Blickkontakt im geschlossenen Bildraum, zum anderen auch um den Blick, der über den Bildraum hinausgeht, ihn verlässt und den Außenraum betritt.
Und plötzlich fühlt man sich beobachtet! Etwas zielt von innen nach außen, auf die Menschen, die das Bild betrachten und seine Inhalte zum Objekt machen, zur Projektionsfläche ihrer Imagination.
Und sie werden dabei selber zum Objekt. Das blickende Wesen im Bild lässt uns spüren, daß es unsere übergriffige Aufmerksamkeit wahrnimmt und gibt uns das entsprechende Feed Back. Es hat den Voyeur in uns ertappt, wie er dabei ist, den Intimbereich der jungen Frauen zu verletzen.
Aber gilt nicht vielleicht auch hier, was schon bei der Mona Lisa angesagt war, ihr Lächeln ist unergründlich und lässt uns mit Kurt Tucholsky fragen: . Ja … warum lacht die Mona Lisa?
Lacht sie über uns, wegen uns, trotz uns, mit uns, gegen uns –
oder wie –?
Es ist alles in allem ein bilateral suchendes Sehen, eine Wahrnehmung in der Ambivalenz, die den Zwischenraum und die Schwelle thematisiert und nicht so kurz greift, allein die Genderfrage zu stellen, die dem aktuellen soziologischen Diskurs entspricht.
Dabei erzeugt bei mir das Zusammenspiel dieser Betrachtungen im Wechsel romantisch intimer und expressiv kämpferischer Realisationen eine besondere Gestimmtheit für Balance und gibt Denkanstöße, unter denen mir ein Gedanke besonders reizvoll erscheint.
Ist Euch vielleicht schon aufgefallen, dass wir uns gerade ziemlich deutlich, wenn auch unausgesprochen mit dem männlichen Blick befasst haben, dass im direkten Bildgeschehen der Mann selber jedoch ausfällt.
Es ist der unterschwellige Gedanke, sich in einer paradiesischen Gemeinschaft zu befinden, die aus sich heraus existiert, in einer sehr alten Sehnsuchts-Gesellschaft, in der Frauen, Kinder, Tiere und Pflanzen als Repräsentant*innen des Fürsorge-Prinzips das Sagen haben. Und was sie sagen ist, dass wir im Großen und Ganzen auch ohne Männer prima koexistieren können, sogar der Löwe in dieser Vision, der König der Tiere, frißt friedlich zusammen mit dem Lamm Gras und Kräuter. Vegy day forever!
Ein tolles Bild, ein großes Versprechen, es stammt aus dem Alten Testament und es lässt uns den Blinden Fleck übersehen: der biblische Gott, der das alles aufs Wunderbarste geschaffen hat und es nun mit Wohlgefallen betrachtet, das ist dann ja schluss- endlich doch ein Mann, einer von den überflüssigen Wesen, ohne die es ja auch gehen könnte.
Der Klebstoff, der das feministische Mosaik unserer Impression zusammenhält, funktioniert geistesgeschichtlich betrachtet allerdings auch schon seit längerem, spätesten seit Pythagoras. Er könnte einer Art Saint Simonistischer Utopie entstammen, ein moderner polyamorer Lebensraum aus dem 19. Jhdt wäre das, in dem in unserem Fall die Männerfrage irgendwie im fließenden Dazwischen beantwortet ist: wohl nicht das Mann-Sein an sich gehört abgeschafft, nicht in Bausch und Bogen, sind doch die sensiblen und exaltierten Visionen, die in dieser Ausstellung die Wände schmücken, alles andere als nur plakativ maskuline Manifestationen.
Vielmehr wäre das gesellschaftlich gemachte viril patriachalische Prinzip vom Thron zu stoßen, warum nicht im Rahmen einer sanften Revolution, so eine alternative Lesart des ikonographischen Codes.
Der biologistische Thron wird abgeschafft, Veränderung wird angesagt, und das könnten uns die Bilder auch tatsächlich sagen wollen, es scheint schlüssig, klingt es doch ganz konkret auch in einem der ausgestellten Gemälde an, wenn dort eine verschwindend winzige männliche Plastik deutlich genug zu sehen ist, ein Torso, den eine junge Frau in die Höhe hält, vielleicht als Verweis auf Rilkes epochales Gedicht vom archäischen Apoll, das mit dem Ausruf schließt: Du musst Dein Leben ändern.
Bartolmäs verbindet dabei das idealistische Torso - Motiv, das vom Menschen Individualität, Eigentlichkeit und Offenheit fordert, mit den dammbruchartig Daten generierenden und flutenden massenmedialen Geräten, hier sind es Handy, Bildschirme, alles die Kontrapunktik einer Harmonie parallel zur Natur, in deren „Realisation“ für Cezanne die künstlerische Aufgabe bestand.
Zurück ins Hier und Jetzt! Christoph Bartolmäs erscheint uns als Künstler von introvertiertem, stillem, einfühlsamen Wesen, der die bonne Peinture pflegt. Er bewegt sich im Raum einer poetischen Sachlichkeit, der mich atmosphärisch an Impressionismus und entfernt an die gedämpfte Salonmalerei des 19. Jahrhundert erinnert und dabei, so wie er nach meiner Ansicht alte malerische Tugenden reflektiert, auch inhaltlich auf die damit tradierten bürgerlichen Weiblichkeits-Mythen anspielt.
Der männliche Blick ist hier in der figuralen Gestik und dem kompositorischen Arrangement allgegenwärtig. Doch nicht uneingeschränkt: Das heißt hier:
Man sieht verhaltene, sinnbildliche, metaphorische Anspielungen auf die männlichen Wunsch-Bild-Fantasien von der erwachenden Weiblichkeit, wie sie auch heute noch en vogue sind, sehen das Klischee von dem „Jungen Mädchen“, das mit 17 noch Träume hat, den begehrlichen male view auf seiner Haut spürt und dem sexistischen Märchen nach zur raubtierhaften femme fatale werden kann.
Wir stoßen in der Ausstellung aber auch mehrmals auf die intime Ansicht von einer Lesenden, die sich in einem Buch über das Leben im Fiktionalen verliert, bevor sie es selber wagt, in die Wirklichkeit einzutreten und für sich entscheidet, auf welchem Weg sie sich als Frau verwirklichen möchte. Gib es ein Leben außerhalb der Koordinaten des männlichen Blickfeldes? Coming of Age? Authentizität oder Abziehbild? Keine Tabus: Sehen wir weiter.
Bartolmäs verbindet seine Darstellungen von Mensch und Tier auch mit symbolisch aufladbaren an sich sachgerechten
neutralen Objekten. Bett-Umrandungen sind das, Bücher, Fenster, Gitter, Gewandfalten alles unauffällige Alltagsgegenstände, in denen sich die hier behandelten Gedanken zur Emanzipation weiterführend verbildlichen lassen und in zeitgemäßer Mehrdeutigkeit interpretiert werden können, nach der Formel: Ein Gitter, das mich wegsperrt, ist auch eine Leiter, die mich befreit.
Jungen Frauen, so wiederholt das Setting, lassen sich aber bei weitem nicht mehr so uneingeschränkt beeindrucken wie zur Zeit ihrer Ur-Großmütter und der Soufragetten. Sie versuchen mittlerweile unübersehbar außerhalb der femininen Stereotypen bei sich selber und in ihrer eigenen Identität anzukommen, so die sinnbildliche Gebärdensprache der Dinge und ihre Anmutung hier in den Bildern,
anzukommen, ohne mit dem angelernten anmacherischen Gestus des Posings zwischen Verführung und Unterwerfung zu kokettieren und sich als Klasse Frau dem traditionell normierten sexistischen Verhaltenskodex zu unterwerfen.
So funktionieren im gegebenen Denk- und Konnotations-Rahmen die Motive des Bett-Gitterwerks, des Buches mit seiner vergitternden Zeilenstruktur, des Tiergatters und des Rechner-Bildschirms mit der Passgenauigkeit seiner Algorhythmen, auch ohne weiteres im emanzipatorischen Sinn. Da funktionieren sie als Momente der Überwindung von männlicher Fremd-Bestimmtheit, oder treffender noch, als in sich ambivalente Grätsche zwischen Anpassung und Ausbruch.
Das Leiter-Bild, das eine junge Frau auf dem Entdecker*innen-Weg nach oben zeigt, wie eingesperrt in einem metallischen Gitterturm oder Käfig ist in diesem Zusammenhang besonders beredt, verbindet es doch in höchster Konzentration und traumartiger Verdichtung individuelle, gesellschaftliche und geschlechtliche Aspekte.
Das Bild, das bereits verkauft wurde, hier aber auf der Einladungskarte zu sehen ist, ist angefangen vom Begriff der Klimax als sexueller Höhepunkt, durch und durch sexualisiert. Der Blick geht nach oben, der Saum des Kleides über das Knie, doch der malerische Ausdruck will uns auch sagen: es ist ein einsamer Gang, ein Gang für Mutige, es geht um unsere Würde, irgendwo lauert die Sittenpolizei.
Die Auseinandersetzung mit dem männlichen Blick, der nur das eine sieht, ist auch in unseren Darstellungen wie in einem Spiegel überall erkennbar, seiner Eindimensionalität
jedoch begegnet der Künstler mit Empathie und subtiler Malerei.
Die domestizierende Fixierung von Vogeltieren im goldenen Stilrahmen, die Herrschaft und Vögeln verbindet, treibt das Thema auf die parodistische Spitze.
Nun zu Axel Bunt: Er arbeitet dreidimensional,
er baut Reliefbilder bzw flache Bildkästen, und symbolisch betrachtet „Schubladen“, die es in sich haben. Verwendet Schlagmetall, Gold, die feste Währung. Bildet durch raffinierte Farb-Stufungen hyperplastische, den Rahmen sprengende Verhältnisse. In all dem könnten aus der Ferne auch Pop-Art und Frank Stella grüßen.
Die Bild - Bestandteile sind an sich einfach,
ein breiter Rahmen und in die Tiefe
gehende, kulissenartig geschichtete Flächen: Doch die Farbigkeit ist bombastisch: feurig bemalte vegetabile Formen, die im Auge der Betrachter*innen zu lauten und betörenden Gesten der Extraversion, der dionysisch vitalen Begeisterung werden. Die Farbwissenschaft der Konkretion, die Lehre vom Simultankontrast, die hier anklingt, gerät außer Rand und Band. Explosion, Implosion, Akryl auf MDF. Und darin aber auch dem Kollegen Bartolmäs verwandt, dass beide in ihrer jeweils eigenen Stilistik, alles andere machen, als der erotischen Reizmalerei zu entsprechen. Mit Frechheiten und Anzüglichkeiten wird gespart, bei aller Abstraktheit jedoch gibt es sie , allerdings nur auf Englisch.
Motive sind neben denen, die botanischer Natur sind, Landschaften, weibliche Kopf-Portraits, Tiere, vor allem der Mops, ein kreuzbraves Tier, Verkörperung des Treue - Versprechens, das kreuz und quer durch die Kunstgeschichte geht wenig Jagdtrieb besitzt und gegen den Krieg ist. Alles im enthemmten psychodelischen Farbenrausch.
Vegetativ anmutende Elemente werden da, wie schon angedeutet, in einer die Schranken überwindenden, dem Prokrustes-Bett der gesellschaftlichen Norm entfliehenden Bewegung mitgerissen, während Bartolmäs auf der narrativen Ebene unterwegs ist und diszipliniert und in melancholisch heiterer Ruhe allerhand Reise-Geschichten über die Innen- und die Außenwelt, über Anpassung und Selbstverwirklichung, über Heute und Morgen erzählt.
In einem Objekt-Beispiel von Bunt ein interessantes Phänomen. Da taucht unübersehbar ein Kreuz auf, das einen spannenden religiös akzentuierten Bezug herstellt, Bunt präsentiert nämlich die Nonne Hildegard von Bingen, die mittelalterliche Frau, deren lebensbejahende sexuelle Offenheit der Zeit voraus war, er zeigt sie vielleicht als frühe Vorkämpferin der weiblichen Emanzipation und macht für mich eine Geistesverwandtschaft denkbar, die mit Lady Gaga geht, der Sängerin und Performerin, die durch ihre sexuell provozierenden Darstellungen jungen Leuten Mut machen will.
Große Mädchen weinen nicht!
Coming of Age, ein Titel, den wir dem ausstellerischen Ensemble zusätzlich vorangestellt haben, parallel zu the Missing Link, ist ein soziologisch antropologischer Begriff, der den natürlichen Übergang von der Kindheit in die Adoleszenz bezeichnet.
Der Übergang ist fließend, the missing Link, das Verbindungsstück, der Quantensprung fehlt auch hier.
Erwachsen Werden, das beinhaltet hier auch den weiter oben angesprochenen Blick-Begriff, einmal als Begriff des existentiellen Sich- in-die- Erwachsenen-Zukunft - Entwerfens und des individuellen Aufbrechens und Ankommens bei sich selber. Nicht im Wir und Man, vielmehr im Ich und Du. Der Begriff des Advents, der besonderen spirituellen Ankunft, ist vielleicht gar nicht so weit hergeholt: warum denn nicht, wenn man genau hinsieht: Krippe kann überall sein, auch in dieser Ausstellung, Tiere sind da, Kinder sind da, mit leuchtenden Augen, Mutter und Vater ebenso, unbefleckt geht es auch, ohne Mann ... Sternenlicht, beinah wie in Bethlehem, die ganze Welt ist Stall... und wir sind seine Hirten.
Das intensive Licht in den Malereien der beiden Künstler kann hier mehr leisten als ästhetisches Dekor zu sein und nur beiläufig etwas zu beleuchten. Es darf als eigenwertiges magisch mystisches Leuchtlicht gesehen werden, als eigenwertiges Licht-Sinnbild und Real-Metapher, die das ist, was sie ist.
Dies stellt mit der Frage, was ich in meinen eigenen Augen bin und in den Augen der Anderen, unser Kernthema auf. In Sartres Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ wird das Phänomen des Sehens und Gesehen – Werdens beispielhaft und umfassend behandelt.
Was der große französische Denker ausspart, ist das Moment, das wir eingangs im Zusammenhang mit der paradiesischen Aura, die die Kunstwerke durchdringt, vage angesprochen haben, ohne es weiterführend zu vertiefen. Was macht es mit uns, wenn uns in dem herrschaftsfreien, pazifistischen Refugium, das wir uns wünschen, Tiere anblicken und uns mit ihren Blicken bis ins Innerste durchdringen?
Tiere blicken Dich an: Tierfotograph Heinz Sielmann, übrigens ein Freund von Joseph Beuys, dem Hasen-Freund, hat diesen Titel für eine seiner atemberaubenden, begeisternden Veröffentlichungen verwendet, er zeigt die Augen der Tiere als Höhlen-Lichter, die uns in der Tiefe des gegenseitigen Blickkontaktes in die Pflicht nehmen. Sie lassen uns spüren, dass wir, Mensch, Tier und warum nicht auch die Pflanze kommunikative Teile des Oikos sind, Bewohner und lebendige Bausteine des gemeinsamen Lebenshauses, Passagiere einer neuen Arche Noah.
Es fragt sich da beispielsweise, was Franz von Assisi veranlasst, die Vertreter*innen der Tierwelt als seine Brüder und Schwestern zu bezeichnen, was Hieronymus zum empathischen Löwendoktor machte und in seiner berühmten Bibel-Übersetzung feststellen ließ, dass Niemand gegen das 5. Gebot verstoßen und töten sollte. Alle, Menschen und Tiere gleichermaßen, hätten sich mit grünen Pflanzen zu ernähren. Kein Blut soll fließen. Keine Massentierhaltung: ehret unsere Mitgeschöpfe.
Es fragt sich, ob uns 2004 nach der Entdeckung des tatsächlichen Missing Link zwischen Primaten und Menschen das Erkenntnislicht intensiver leuchtet?
Da ist Zweifel erlaubt, und Optimismus nicht verboten.
Die empathische Nähe, die wir bereits als Kinder zum Tier empfinden und die Christoph Bartolmäs in seinem Zoo-Spaziergang mit einfühlsam genauem Strich bildnerisch zur Erscheinung bringt, scheint die Richtung vorzugeben.
Ebenso die Fensterbilder der intimen Wohnräume, die uns schließlich den aufs Tier gerichteten Kinderblick zeigen. Er bewegt sich im Modus der Nähe, noch jenseits der bürgerlichen autokratischen Allegorien von Sünde und Tugend, jenseits der Sinnbilder-Welten vom Weib als behütende Mutter und zerstörende Hure. Er bildet den Gegensatz zu den Bilder einer vergitterten Welt, wo die Leitern und Stufen herrschen, mit Ein- und Ausblicken, die im Aufleuchten der Erkenntnis die Trennungen aufheben und einen Ort des geistigen Lagerfeuers schaffen, um das sich Mensch und Tier gemeinschaftlich versammeln, um gemeinsam einen Traum zu träumen.
Die angeboren emphathische Nähe, die wir von Kleinauf zum Tier empfinden und die Christoph Bartolmäs in seinem Zoo-Spaziergang mit realistischem Strich bildnerisch realisiert, scheint den Weg zu kennen.
Und der ist längst nicht mehr nur philosophisch-religiöser Art.
Hier sind es nicht mehr die Schlange und der Herrgott mit Lehmklumpen, Rippe, Apfel und gespaltener Zunge, die die Schöpfungsbühne betreten.
Wir sprechen jetzt vom Missing Link. Hallo, hier spricht die Wissenschaft!
The Missing link ist ein Ausdruck aus der Antropologie, eine Art menschheitsgeschichtliches Coming of Age, das die Lücke in der Evolutions-Kette bezeichnet. Hurra,’ endlich kommen wir bei uns in unserem Selbstsein an! Auf allen Ebenen!
Wo sich die Linie spaltet, die Vertreibung aus dem Paradies beginnt und sich der Primat vom künftigen Homo sapiens, unserem menschlichen Vorfahren trennt, war lange unbekannt. Der 2004 nach seinem spanischen Fundort benannte Pierolapithecus catalaunicus könnte der erste Menschenaffe gewesen sein.
Aber wo führen uns diese Einsichten hin, verstehen wir nun das Schöpfungswerk der Natur und uns selber besser und wissen wir genauer, was zu tun ist, sind wir jetzt näher dran an der Wahrheit?
Ficken wir jetzt wie Picasso, natürlicher und elementarer, machen wir alles richtig, ist die Vermenschlichung von Tieren mehr als eine metaphorische Anwendung, die nur die Oberfläche streift? Schrumpft die Leere im Dazwischen, leuchten die Gesichtern der Lebewesen auf? Fragen über Fragen, der Vorhang fällt. Hilf uns, Immanuel Kant!
Aber bleiben wir, bevor unser Exkurs endet, noch einen Moment beim Making Of.
Dieses lichtgegebene Dazwischen, dieses innere Leuchten-Sollen stellt die Malerei der beiden Künstler jenseits aller Begrifflichkkeit , meine ich, in den Brennpunkt, und ich lasse mich gefangen nehmen. Vielleicht sagt eine Stimme in dem Leuchten: All you need is love!
Ölfarbe ist ein altgedientes Medium, das ursprünglich mehr als ein Medium war.
In diesem umfassenden Kontext Ölfarbe zu verwenden, ist dabei, auch wenn wir ihre Herkunft vergessen haben, an sich schon sinnvoll, es hat technische Vorteile, war zu seiner Zeit ein großer Fortschritt und ist darin auch ein Sinnbild des Suchens und des Ankommens. Zu seiner Zeit war sie, die Ölfarbe, ein Zaubermittel, das die Natur und ihren Schöpfer zur Sprache brachte. Mit ihrer besonderen, das Tiefenlicht regulierenden Materialität ist sie das bildnerische Medium, das auf besonders eindringliche Weise die Illusion realen Lebens und die Stimmung einer realistischen Weltsicht hervorrufen kann.
Dem gemäß geben der längere Trocknungsprozess und die längere Verarbeitungszeit der ästhetischen Forschung und Realisation mehr Freiheit. Die Maler*innen erhalten die subtile Möglichkeit, rückwirkend qua bildnerischer Verifizierung und Falsifizierung Nuancen der Näherung und Trennung zwischen den Genres und analog zwischen den Geschlechtern herauszuarbeiten. Das Bild des gesuchten Ich ist auf der Leinwand wie im Leben lange nicht fertig und kann dank der modernen Malmittel immer wieder korrigiert werden.
So sind Künstlerinnen und Künstler, die in der Nachfolge von Hildegard von Bingen und ihrer Offenheit stehen, wiedergeboren. Sie können als neuzeitliche Naturforscher auftreten, die sich den Zugang zur Wirklichkeit nicht mehr durch die Grenzlinien der Scholastik einschränken lassen.
Jan van Eyck, der hier feder-bzw pinsel-führend war, hatte die Malerei und die bildnerische Technik in Nordeuropa von Grund auf verändert, er brachte den Naturalismus in die bildende Kunst und machte damit auch das Abbild-Verfahren selber und seine erkenntnismäßigen Möglichkeiten zur Botschaft und zu einer Herausforderung, die bis heute anhält.
So ist das, was man bislang bezüglich der großen Frage nach dem Missing Link überhaupt herausgefunden hat, dies, dass die Malerei klüger ist und mehr weiß als die Maler*innen selber und erst recht wir, ihre begeisterten Follower, die selbstverblendeten Talmi-Kronen der Schöpfung.
Die wir nicht schweigen können, wenn Mutter Natur im Reichtum ihrer Nuancen und aus der Tiefe ihrer Verbindungen zu uns spricht.
Vielleicht sollten wir doch unser Leben ändern und den Tieren in die Augen sehen.
IM JARDIN DES PLANTES, PARIS
Der Panther, von Reiner Maria Rilke
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Und noch ein Gedicht, es könnte von Valerie Solana sein, die 1988 auf Andy Warhol geschossen hat, oder von der Frau mit der 45 Magnum aus dem Film von Abel Ferrara: aber nein, es ist von Omar Sheriff, der bereits 1767 folgendes sagte:
Das Mannsein hat es bei mir auf ewig verschissen. Ich sehe Hunderttausende von Frauen mit ihren Kindern auf der Strasse, um die Herrschenden totzuküssen mit Lippen, die
röter als Atombomben sind.
Die Bar ist geöffnet.