Baum – Raum
Schnittstelle Kreativität
Tschechisch-deutsches Umwelt-Kunst-Projekt Klasse Milos Sejn, Akademie Prag: David Dubensky / Prag, Ivan Svoboda / Prag, Anders Grönlien / Prag, Vaclav Prokes / Prag, Petr Skala / Prag, Tomas Kulistak / Prag, Tomas Cerny / Prag und Arbeitsgruppe »Quite Early One Morning - Weidener Talente an den Akademien III«; Edith Deyerling / Frankfurt, Mascha Lang / Hamburg, Matthias Müller / Wien, Ines Reichert / Berlin, Nina Schmidt / Kassel, Kerstin Schrems / München, Evi Spickenreuther / Nürnberg, Dominik Steiner / München, Markus Voit / Kassel, Birgit Zimmermann / Berlin Orte: Fachhochschule Amberg-Weiden Bezirksgut Wöllershof, Akademie der Bildenden Künste Prag Kooperation: Galerie G4 Eger/Cheb, Fachhochschule Amberg-Weiden, Akademie der Bildenden Künste Prag
25.02.—10.04.05
Info
77 Tage hat das Work in Progress „BAUM-RAUM / Schnittstelle Kreativität“ den Kunstverein Weiden in Atem gehalten. Am 13. 5. besteht zum letzten Mal die Gelegenheit, das Werk in seiner Gesamtheit zu sehen. Fast zeitgleich findet auch unser anderes tschechisch-deutsches Groß-Projekt „La boite en Valise - oder die Neue Welt liegt mitten in Europa“, der geglückte Versuch, die Kunstakademien Nümberg und Prag zu „verkuppeln“, seinen Abschluß in Nürnberg.
Beides steht unter dem Zeichen der Nachwuchsförderung und der regionalen Imagepflege und wagt das Machbare, das die Verschiebung der Oberpfalz aus der europäischen Randlage ins Mitten-in-der-Mitte-Sein anbietet.Bei der „Schachtel im Koffer“ waren es demgemäß die Professorlinnen, die zum EU-Beitritt Tschechiens ein künstlerisches Gepäckstück und eine Skizze ihrer Lehrauffassung am 1. und 2. Mai 2004 nach Weiden, zur Stopp-Stelle zwischen den Metropolen, gebracht hatten. Ein grenzüberschreitender Austausch über die Rolle der ästhetischen Lehre in der neuen europäischen Wirtschafts- und Wertegemeinschaft hat beginnen können und seine Fortsetzung in den Koffer-Folge-Ausstellungen an den Akademien der Bildenden Künste Prag und Nürnberg gefunden. Leider hatten die (Erinnerungs-) Kräfte der fränkischen Koffer-Transporteure unterwegs nachgelassen. Man mußte wohl Ballast abwerfen. Denn der Name des Oberpfälzer Projekt-Urhebers ist, wie die aktuellen Plakate und Pressemeldungen zeigen, in Nürnberg nicht mehr dabei.
Beim BAUM-RAUM-Projekt vervollständigen die Studenten das idealistische Bild einer Oberpfälzer Landschaft mit Regenbogen, das dem Veranstalter vor Augen schwebte. Nach der Sintflut und ihrer Verlängerung im Kalten Krieg nun versöhnte Verschiedenheit. Das Licht- und Friedenszeichen überwölbt Zeiten und Räume.
77 Tage war der Weidener Standort der Fachhochschule Amberg - Weiden ein Nistplatz für Kunst. Es könnte die Brut des „Ideenbrüters“ sein, der seit längerem schon aus dem riesigen Starenkobel im Giebelfeld des Kunstvereins-Gebäudes über die Dächer blickt (Siehe Bild-Vorderseite), die sich in dieser für Künstler ungewohnten und herausfordemden Umgebung den Nischen, Vorsprüngen, Ecken und Korridoren zugewandt hat. Dabei entstanden interkontextuelle Bezüge zwischen der Institution Hochschule und dem System Ausstellung. Die Akteure schufen unter der Beteiligung von „Mutter Natur“ und „meinem Freund, dem Baum“, ein virtuelles Gefüge neuer Fühl- und Empfindungs-Räume. Das umfassende Thema „Kommunikation“ erhielt durch den Umstand, daß dabei auch Bäume zu Wort kamen, einen beachtlichen Sonder-Akzent.
Auf einer Reihe von Treffen und vor allem durch die Kamera-Interviews, die das Team-Baum-Raum durchgeführt hat, wurde deutlich, daß es jenseits des Spezialistentums von BWL, Technik und Kunst ein gemeinsames Bewußtsein für „Offene Situationen" gibt, für das Ungewisse als Bühne des kreativen Geistes, der alle Lebensbereiche und Diskurse vereint. „Wenn's Schullatein nicht weiterweiß, horch in den BAUM-RAUM!“ könnte es ja nun in Zukunft heißen.
19 oberpfälzer und tschechische Studentinnen haben die Örtlichkeit, wo Wirtschaftswissenschaft und Ingenieur-Wesen zu Hause sind, mit Kunstwerken bestückt und aus der Fachhochschule Amberg-Weiden, die sich in den letzten zehn Jahren zu einem Kompetenzzentrum entwickelt hat, temporär auch noch ein betretbares Lexikon für zeitgenössische Kunst gemacht.
Begleiten Sie mich doch auf einem letzten Rundgang. Wir betreten die Hochschule durch den Eingang des Südgebäudes, gehen hier vom Keller bis zum 2. Stock. Durch den Verbindungskorridor im 1. Stock kommen wir in das Nordgebäude. Im Erdgeschoß besuchen wir die Cafeteria, wo die Besichtigung vor einer Video-Installation endet.
Süd-Portal. Vaclay Prokes. Mit einem Stapel morscher Äste aus der Wöllershofer Eichenallee schafft er einen feinsinnigen Kontrast zu den Stahl-Plastiken auf dem Vorplatz. Parterre, Aula, Vorraum Bibliothek: Team-Baum-Raum: Raumbestimmende Installation aus Holzobjekten. Informationswand. Über die Baum-SoundAnlage wirbt Mutter Natur für mehr Zusammenarbeit zwischen Kunst und Wirtschaft. Boden der Fahrstuhl-Kabine: Markus Voit: weist mit einem weißen Bade-Vorleger auf die Körper-Qualität des Ortes. Tatorte Fahrstuhl und schwarzes Brett: Ivan Svoboda: er schmuggelt „Fremdkörper“, leuchtfarbige Fotografie als Fake einer Anzeigen-Tafel und zwei leere Blätter Papier, in kunstfremde Kontexte. Tomas Cerny: Das Urinal, Duchamps frühe AufbruchsGeste in Richtung Postmoderne, tritt als fotorealistisches Abbild neben das abstrakte WC-Symbol. Zwischen-Absatz Kellertreppe: Alex Strehl: Sechs Querformate in strenger Hängung schaffen einen Ruheraum. In den abstrakten Bildern verzahnen sich grüne und graue Felder. Die Architektur als Mittlerin zwischen Kultur und Natur. Green-House oder Grey-House? Unterseite Treppe: Matthias Müller: Keine Kreativität ohne Standpunkt-Wechsel. Schwerelose Schnur-Arbeit. Hier fallen die Regentropfen nach oben.
Im Treppenhaus. I. Stock: Birgit Zimmermann: Rot. Großes Fototableau. Gender-Art: Das Geschlecht ist eine soziale Fata Morgana. Androgyne Leiblandschaften. Treppenabsatz: Ines Reichert: Schule als Kunst-Kommunikations-Kommunions- & Kuchenform. Esst! Nehmt das Messer! Ecke Nord-Verbindung: Edith Deyerling: Innenbilder ihrer Zuneigung. Freunde, Bekannte, Verwandte in Ausdrucksfarbe und graphologischer Handzeichnung.
Südflur: Tomas Kulistak: nachts in der Allee. An die Wand gepinnte Meditationen in Schrift & freier Linie. Linien auf dem Boden bieten dem Passanten Spielfelder an. Westflur, Glaswand Bibliothek: Evelyne Spickenreuther: hängt Mini-White-Cubes mit daumennagelgroßen Landschafts-Triptychen an die Wände. Der Ereignis-Typ „Ausstellung" ist das Thema. Ebenda: Müller: Kunstgeschichte als Materiallager. Technik-Motive in mehreren stilistischen Interpretationen.
Treppenhaus, II. Stock: Christian Bär: arbeitet mit dem Objet Trouvee und der Aura des Fundortes. „Methode“ ist interaktiv. Der Betrachter soll sich auch auf den Weg machen. Ecke Fahrstuhl: Petr Skala: zwei Fotografien von Land-Art-Aktionen im Waldesinneren und auf dem offenen Feld. Süd-West-Korridor: Voit: Fotografische Inszenierungen seiner leiblichen Identität in Pastelltönen. Der „organlose Körper (Artaud) überwindet jede Art der Festlegung. Fensterwand: Prokes: Baum-Raum-Befundungen in Klarsicht-Tüten. 20 m Klebestreifen voller Rindenpartikel messen die Fensterfront ab. Außen, Flachdach: Kulistak: Der Schnee ist geschmolzen. Becher mit roter Flüssigkeit in offener bzw geschlossener Formation auf festem Boden.
Nordgebäude, Mittelgeschoß: Zimmermann: Schwarz-Weiß-Fotografie. Morbide Parkstimmung. Geschlecht als kulturelles Konstrukt. Vorraum Treppenhaus: Nina Schmidt: unüblich hohe Hängung über den Verwaltungs-Schaukästen schafft autonomen Farbraum. Leinwände mit körperlos schwebenden Farblandschaften. Filigrane Zeichen im Kontrast gegen unbegrenzbare FarbEmanationen. Ein Stockwerk höher: Nord-Flur: David Dubensky: Konstruktivismus und metaphysische Melancholie. Großflächige Fenstermotive ergeben im Korridor den perfekten Trompe-l'oeilEffekt. Vorraum Treppenhaus & Südflur: Dominik Steiner: Freud, Darwin, Madame Curie, europäische Geistes-Giganten auf dem Fahndungsplakat; gesucht wird die Verbindung zwischen Kopf & Bauch bzw Arsch. KicksAss! Arschkuß aufs Hirn. Ebenda Raucherzimmer: Zimmermann: Timetable: Wändefüllendes Foto-Journal. Im Auftrag der Künstlerin haben Student/innnen, die in Berlin, Prag, Weiden Kunst, Technik und Wirtschaft studieren, mit der Einmal-Kamera über sich erzählt. Bewegende Offenheit.
Treppenhaus, Stockwerke übergreifend: Mascha Lang: Fotoarbeiten. Menschenleere Architekturvisionen. Abbruch oder Aufbau, Modell oder Realität? Auf gegenüberliegender Treppenhauswand: Müller: Öl auf Leinwand: Fabriken, Walzwerke. Stil- und Technik-Geschichte. Eingangsbereich, Durchgang Cafeteria: Anders Groenlien: Videoinstallation. Altarartiger Aufbau. Zu beiden Seiten das Grüne Feuer keimender Samen, dazwischen der Bildschirm: ein brennendes Haus. Parterre, Cafeteria: Christoph Richter: zwischen den Tischen drei Video-Boxen in Tischhöhe. Studenten lesen aus Lewis Mumfords Klassiker der Technik-Kritik „Mythos Maschine“. Die Grenzen zwischen konserviertem Votrag und Life-Unterhaltung lösen sich im Stimmengewirr auf.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ihr Wolfgang Herzer