Eichenpflanzung zu Ehren von JOSEPH
BEUYS (1921—1986)
Vortrag Pflanzung, 9.3. 2022
Wer hätte vor einem Jahr im März gedacht, dass
Luthers berühmte Sentenz vom Apfelbäumchen
im Zusammenhang mit dem aktuellen Geschehen
in der Ukraine, von so unmittelbar konkret
brutaler Aktualität sein könnte. Und wenn die
Welt untergehen würde ...
Wir sind nah dran.
Es fällt schwer, in der gegebenen weltpolitischen
Lage, mit Martin Luther und Joseph Beuys an
eine menschliche Zukunft zu glauben, an die
Freiheits-Kraft von Kunst und Kultur, die das Bild
vom Baum symbolisiert. Ist das mehr als ein
leeres Durchhalte-Ritual, mit dem man sich
gegen das Kommende wappnen will.
Der Container, der Stein und Baum aufnehmen
soll, nimmt die Form eines Sarges an, aus dem
der Baum, Sinnbild des ökologischen
Wohnraums, wie ein Lebend-Projektil, wie eine
grüne Rakete aufschießt, wenn wir das Ohr an
die Container-Wandungen legen, können wir im
Metall den Geschützdonner hören.
Unsere Veranstaltung ist eine Veranstaltung des
Trotzdem. Eine Gedenk-Veranstaltung an eine
Welt, die es nicht mehr gibt. Vielleicht bleibt der
Gedanke von Günter Eich wahr: Wer möchte
leben, ohne den Trost der Bäume.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein
herzliches Guten Morgen und lassen Sie mich
danken für Ihr Kommen heute und für Ihr
Mitwirken, das es möglich gemacht hat, im letzten
Jahr in ein bayernweites Kultur-Projekt
einzusteigen und darin ein eigenes Format zu
entwickeln, das nun mit dieser Eichenpflanzung
zu Ehren von JOSEPH BEUYS (1921—1986) a la
Weiden ihren vorläufigen Abschluss findet.
Der international renommierte Künstler Josef
Beuys wäre 2021 100 Jahre alt geworden, sein
erweiterter Kunstbegriff, in dem die klassischen
Künste, so die Handzeichnung und die
Bildhauerei ebenso ihren Platz haben wie die
avantgardistische, sozial interaktive Form der
Performance und der Objektkunst, hat dabei, wie
die bundesweite Resonanz beweist, nichts von
ihrer herausfordernden Frische und Provokation
verloren.
Kernbegriff und bildnerisches Grundmotiv seines
Schaffens ist die Herstellung demokratisch
bürgerschaftlicher Prozesswärme im
ökologischen Zusammenhang, die auf der
künstlerischen Offenheit, dem schöpferischen
Potential aller Menschen, dem gesellschaftlichen
Dialog und der Idee der ökologischen
Ganzheitlichkeit basiert.
Das Bild des lebendigen Baumes und des toten
Gesteins, verwendet der Künstler als Sinnbild
allgemeiner dialektischer Lebensprozesse seit
dem Urknall bis zum Klimawandel.
Die Idee der Eichenpflanzung, in der sich das
Beuyssche Meisterwerk, die Groß-Aktion 7000
Eichen, spiegelt, ermöglicht, dem künstlerischen
Erbe auch in praktischer Hinsicht ganz nahe zu
sein.
Diese Idee geht auf das oberbayerische Museum
DAS MAXIMUM/ Traunreuth und den Arbeitskreis
STADTKULTUR Netzwerk Bayerischer Städte in
Ingolstadt zurück, in dem die Stadt Weiden
Mitglied ist und mit unserer Kulturamstleiterin
Frau Petra Vorsatz einen Vorstandsposten
bekleidet.
Die Realisation dieser Idee auf Weidener Boden
verdanken wir Weidener Kunstfreund*innen im
und um den Rio-Raum und den Kunstverein
Weiden, wobei letzterer vor allem dafür sorgte,
dass die schöne Idee nicht am Geld scheitern
sollte.
Nichts aber wäre gegangen, hätte sich dabei
nicht außerdem im engeren Zusammenhang eine
kreativ hoch inspirierte Projektgruppe gebildet.
Hier sind besonders zu nennen die Firmen
Garten Punzmann und Bergler GmbH/
Weiherhammer, die mit Sponsoring, sprich
Container und Baum, und Sachverstand die
Sache unterstützen. All das wurde von Herrn
Huber, dem Vize der Stadtgärtnerei schließlich
zur Vollendung zusammengeführt. Ganz, ganz
herzlichen Dank.
Im weiteren Zusammenhang möchte ich als
Vertreter des Museums DASMAXIMUM Herrn
Lothar Müller vorstellen und für seine Kooperation
danken, die ja heute noch nicht zu Ende ist, erst
abgeschlossen sein wird, wenn der Baum auf den
Campus der OTH angekommen ist, und begrüßt
und bedankt sein soll als Vertreter der Stadt
Weiden Herr Bürgermeister Lothar Höher, einem
der ganz standhaft guten Geister und Begleiter
des Kunstvereins.
Weiden als Stadt der Bäume hatte uns mit ihrer
eindrucksvollen Grünanlage, darunter auch viele
markante Eichen, vor die Frage gestellt, welche
Platzierung dem Namen Beuys entsprechen
würde.
Der Gedanke der geistigen Beweglichkeit, des
Transfers künstlerisch symbolischer
Problemlösungen auf außerkünstlerische
Bereiche, wie er bei Beuys formgebend wirksam
war, führte zu der Vorstellung einer Art
Prozession, zur Form einer mobilen Platzierung,
die den Baum in einem Behälter in zwei Etappen
quer durch die Stadt bringen sollte.
Ziel wäre die OTH, die technische Hochschule
Ostbayern, eine der regional bedeutendsten
Bildungs-Einrichtungen, ein Wunschort für die
Demonstration wissenschaftlich-kulturellen
Transfers ganz im Sinne des Pädagogen und
Professoren und Gründers der freien
internationalen Universität FIU Joseph Beuys.
Das ist die Zukunft unseres Projektes, das damit
auch als Symbol heutigen Bildungswesen
wahrgenommen werden kann. Dafür steht Herr
Prof. Dr. Clemens Bulitta, der Präsident der
Technischen Hochschule Amberg/Weiden. Er hat
den Boden bereitet, die Landebahn für Ideen. Ich
danke ihm für die Offenheit, mit der er der Kunst
entgegengekommen ist.
Hierher gehört auch ein Blick in die
Vergangenheit. Im Sinne der Feststellung des
Philosophen Odo Marquard: „Zukunft braucht
Herkunft“ möchte ich posthum meinen Dank an
Dr. Friedrich Herlt (1914—2010) aussprechen.
Neben Franz Joachim Behnisch, dem kritischen
Literaten, der Weidner Nachkriegszeit, ist er für
viele künstlerisch animierten Jugendlichen meiner
Generation eine Identität stiftende Größe
gewesen.
Der Arzt, Künstler und Freund auch vieler
europäischer Künstler hatte seit den 1960 er
Jahren persönlichen und herausgeberischen
Kontakt mit Joseph Beuys, der als Soldat Weiden
kennengelernt hatte.
In Absprache mit seinen Sohn Gulliermo Herlt ist
es nun möglich, im Herbst mit den Früchten der
Beuys-Herltschen Zusammenarbeit, das sind
mehrere Graphikzyklen, eine das Projekt
begleitende Ausstellung durchzuführen. Vielen
Dank an Vater und Sohn.
Alles in allem, eine Veranstaltung des Trotzdem.
Alles klingt anders und wie aus weiter Ferne.
Ich danke für Ihre Teilnahme. Gerne gebe ich
das Wort ans Sie weiter.
Wolfgang Herzer
Eichenpfl
anzung
zu Ehren von Joseph Beuys.
2 Pflanz-Orte in Weiden in der Oberpfalz,
09.10. 2022.
Eine Eichenpflanzung zu Ehren von Joseph
Beuys, dazu eine Ausstellung mit Graphiken des
Künstlers, damit kann nun der Kunstverein, seine
bisherige 30 jährige Arbeit krönen.
Dank starker Partner:
Da wäre die Ostbayerische Technische
Hochschule zu nennen, vertreten durch Herrn
Bulitta, auf deren Grund wir uns soeben
versammelt haben und mit der wir die Auffassung
teilen, dass Kunst- und Wissenschaft
zusammengehören und die Erforschung des
facettenreichen Zusammenspiels all der harten
und weichen Lebenswelt-Faktoren ein Gebot der
Stunde ist.
Da wären die handwerklichen Fachkräfte, die
Fachkünstler, möchte ich sagen, zu nennen,
vertreten durch Herrn Thomas Bergler und die
Firma Garten-Punzmann, und ganz besonders
durch Herrn Huber, Stadtgärtnerei und THW, und
Herrn Sommer, dem Hausmeister der OTH,
denen es gelang, ganz im Sinne des Künstlers,
dass aus Bodenarbeiten in schwierigem Gelände
ein Fest der Heiterkeit wurde.
Und all dies dank der Möglichkeiten, die uns
Kunst- und Kultur-Aktivist: innen folgende
Einrichtungen angeboten haben:
namentlich das Museum DASMAXIMUM
KunstGegenwart Traunreut, vertreten durch Herrn
Müller, der Städteverbund Stadtkultur Netzwerk
bayerischer Städte, vertreten durch Frau
Christine Fuchs, die Stadt Weiden, vertreten
durch Herrn Reinhold Wildenauer, die Weidener
Jugendszene im Rio Raum, vertreten durch Frau
Carolin Schiml, und der Grafos-Verlag/Weiden
und
Das bayernweite Projekt Eichenpflanzung zu
Ehren von Joseph Beuys begann im letzten Jahr,
dem 100 Geburtsjahr des Künstlers, es knüpft
inhaltlich und formal an das Projekt 7000 Eichen
an, einem Bewaldungs- und Pflanz-Projekt des
Künstlers im urbanen Rahmen der Stadt Kassel.
Aber auch von Kunstköpfen der Oberpfalz wurde
es mit großem Interesse verfolgt, denn zeitgleich
fielen in der Oberpfalz Bäume in entsprechender
Menge zum Vorteil einer im heute legendären
Wackersdorf geplanten Atomfabrik, der WAA, der
Wiederaufbereitungsanlage für atomare
Brennstäbe. Die dann glücklicherweise, auch
unter dem Druck der Bevölkerung, verhindert
wurde.
In dieser Zeit stand auch der Bus für direkte
Demokratie unter dem Zeichen Beuysschen
Hasensymbols auf unserem Marktplatz.
Neben dieser geistigen Verbindung gibt es auch
faktische Verbindungen, aus denen zum einen
die Ausstellung “ Joseph Beuys - späte
Druckgraphik“ hervor geht, eine Leistung des
Weidener Kunstfreundes Dr. Friedrich Herlt,
aktuell zu sehen im Kunstverein.
Zum anderen soll Beuys als Soldat im Raum
Weiden stationiert gewesen sein, im Gedenken
daran errichtete die Nürnberger Kunst-Studentin
Aenne Bittner 2008 ein halbkugelförmiges Beuys-
Memorial, einen Aussichtpunkt für ganzheitliches
Sehen, dies im Rahmen des bayerweiten
Projektes Kunst-Räume Bayern, auf dem Grund
des ehemaligen Militärflugplatzes Maierhof.
Auch dieses Mal schon mit der ausgesprochen
kreativen Hilfe der Stadtgärtnerei aus Weiden.
Nach drei Jahren erlag der Erdhügel einer
künstlerischen Transformation, einem Akt der
Demokratiserung und wurde schließlich in Tüten
umgefüllt und als Multiple angeboten. Kunst für
Jedermann.
Falls Sie Bedarf haben, ich kann Ihnen helfen,
um die Traditions-Linie zu halten, zu der
unbedingt auch die OTH-KV-Connection
Baumraum 2005 gehört, bei der wir mit OTH-
Technik zweihundertjährige Bäume zum
Sprechen brachten, werde ich, wenn kein
Einspruch kommt, den Inhalt einer Tüte Hügel-
Erde nachher der Erde im Pflanzloch hinzufügen.
Vielen Dank
Wolfgang Herzer
BEUYS IN W EIDEN
Fr 07.10. 2022
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde des kreativen
Lebens,
als wir vor mehr als zehn Jahren den
Zwischenraum zwischen dem Cafe Lindas und
unserrem Ausstellungsraum von unseren
Praktikanten gelb streichen ließen, ahnten wir
nicht, wie gut das Honiggelb einmal, vielleicht
dem Kraftstoff aus Linden - und Löwenzahnblüten
entstammend, zur Vernissage passen würde.
Joseph Beuys, den sie im Eingang auf einem
documenta 6-Poster innerhalb seines Objektes
„Honigpumpe am Arbeitsplatz“ sehen können,
verwendet in seinem Werk eine Reihe naturaler
Sinnbilder, die er auf das menschliche Wesen als
Zoon Politikon überträgt.
Die grundlegen soziale Seite des Menschlichen
ist es, die ihn vorrangig unter den Zeichen von
Gleichheit, Freiheit und Geschwisterlichkeit
interessiert und zu einer eklektizististichen
Kosmologie animiert hat. Hier durchdringen sich
auf der erkenntnis-theoretischen Ebene bildhafte
Anschauung und rationaler Begriff in einer
lebensadäquaten Balance, deren Ausdrucksform
am Beispiel der berühmten Fett-Ecke besonders
deutlich wird.
Fett, wie der Honig ein herausragender
Energieträger und Lebensstoff hat keine Ecken
und wird auch im Festzustand so gut wie nie hart
und starr und bleibt potenziell formbar und
flüssig, ein Material, dessen Eigenschaften in
einem analogen Verhältnis zum kreativen
Prozess stehen.
Unter diesem Aspekt lohnt sich ein Besuch der
Asphalt-Kapelle von Wilhelm Koch bei Etzdorf.
Fett in den Ecken unserer geistigen Bauwerke
bedeutet dementsprechend, mehr kreativen Geist
als Flußmittel ins erstarrte weltbildliche Denk-Gut
zu bringen und es wie die Bienen zu machen, die
staatsbildenden Insekten, die Honig. Wachs- und
Wärme erzeugen.
Mit dieser Denkschablone, diesem Doppel-
Schlüssel ausgerüstet, in dem sich die kristalline
Geometrie mit dem Sonnenlicht verbindet,
erhalten Sie ein Sesam Öffne dich, das die
Felswand öffnet, die Beuysschen Zeichen werden
im Bewusstsein seiner Wärme-Theorie greifbarer,
geistige Prozesswäre entspringt den
fragmentarischen Strichelierungen und
graphischen Andeutungen, die zwischen Skizze
und Notiz wechseln und die Leerstellen der
Bildflächen als energetisches Potenzial und
Zustand reinsten Flows zur Erscheinung bringen.
In dem Sinne habe wir auch Leerrahmen
aufgehängt, hier erkennen Sie die Differenz
zwischen faktischer Leere, die vom dinglichen
Fehlen getragen wird, und dem dinglichen Fehlen
als Visualisierung energetischer Fülle im
imaginativen Raum. 2x Weiß, aber das Wand-
Weiß im Rahmen ist weißer, von seiner
gezeichneten bzw geschreinerten Umrahmung zu
einem Qualitätssprung bewegt.
Wie kam es zu dieser Ausstellung? Das ist eine
längere, spannende Geschichte. Unser
ehemaliger Kulturamtsleiter Bernhard M Baron,
der heute leider nicht da sein kann, hat diese
Geschichte aufgeschrieben. Er hat sie letztes
Jahr im bayerischen Literaturportal veröffentlicht,
wo sie in Gänze nachzulesen ist. Der Autor
beginnt, wie folgt:
Anlässlich der Wiederkehr des 100. Geburtstags
von Joseph Beuys am 12. Mai geht mein Blick in
die bayerische Stadt Weiden i.d. OPf.
Es war wohl in erster Linie seine
Künstlerfreundschaft mit dem seit 1950 dort
ansässigen und als HNO-Arzt wirkenden Dr.
Friedrich Herlt (1914-2010), die ihn mit Weiden in
Verbindung brachte. Der aus Nordmähren
stammende, selbst malende Medicus und
Kunstsammler, verheiratet mit der Katalanin
Maria Pilar und eigenem Atelierhaus in Spanien,
hatte seine erste Begegnung mit Joseph Beuys
1968 bei der Eröffnung der Künstlerbund-
Ausstellung in Nürnberg. Weitere persönliche
Begegnungen erfolgten bei den documenta-
Ausstellungen in Kassel, wo beide – der
Professor und der Mediziner – intensive
Gespräche führten.
Dr. Friedrich Herlt war gleichzeitig künstlerischer
Leiter des „Ärzte-Sammlerkreises“. Er, der bereits
mehrere Zeichnungen von Joseph Beuys
erworben hatte, erhielt eine persönliche
Einladung zu einer Besprechung in dessen
Atelier nach Düsseldorf, wo der Künstler dem
Arzt die Mitarbeit an der Druckfertigung von
Grafiken anbot. Diese Entwicklung der
Beuys’schen Wünsche und Anforderungen zog
sich über Jahre hinweg. Das Ergebnis ist eine
stimmige Synthese seines Werkes mit der
Drucktechnik.
Zahlreiche Werke schenkte Joseph Beuys
seinem Anreger und Gesprächspartner Dr.
Friedrich Herlt, zum Teil mit persönlichen
Widmungen für seine anhaltend idealistische und
vertrauensvolle Mitarbeit. Selbst Mitglied in der
„Münchner Künstlergenossenschaft“, beteiligte
dieser sich mit eigenen künstlerischen Arbeiten
unter dem Pseudonym „Medina“ erfolgreich an
internationalen Ausstellungen. Die beiden
ehemaligen Kriegsteilnehmer führten ebenso
intensive Gespräche über die Gräuel des Zweiten
Weltkriegs, die beide an der Ostfront erlebt hatten.
Darüber hinaus berichtete der kriegsfreiwillige
Luftwaffen-Stuka-Flieger Joseph Beuys von
seinem technischen Flugaufenthalt, vermutlich
Sommer 1942, auf dem seit 1936/37 errichteten
„Feldflugplatz Maierhof“ bei Ullersricht, seit 1978
auch Stadtteil von Weiden.
Der Deutschen Luftwaffe diente der militärische
Feldflugplatz in der sog. „Bayerischen
Ostmark“ als Etappenstützpunkt und
Ausbildungsstätte, als „Flugzeugführerschule A/B
121 und Blindflugschule“ bis 17. Januar 1945.
Joseph Beuys war nach eigenen Aussagen von
der Weidener Umgebung inspiriert: Eine
geheimnisvoll anmutende Beobachtung vom
Hang des nahen Fichtenbühls, eine alle paar
Stunden über der unweit gelegenen
Porzellanfabrik Gebr. Bauscher aufsteigende
weiße Wolke faszinierte ihn ungemein. Angeblich
hat er seinen Aussichtspunkt immer zu festen
Zeiten aufgesucht, um dieser mystischen Wolke
nachzuschauen. Leider ist uns nicht bekannt, was
der spätere FLUXUS- und documenta-Aktionist
hier am Ortsrand von Weiden gezeichnet hat –
und er zeichnete in jenen Jahren viel –, denn bei
etlichen seiner damaligen „Flugplatz“-
Zeichnungen fehlen Orts- und Zeitangaben.
Der Doyen der Gegenwartskunst nutzte aber
auch die Gelegenheit, den Doktor in den 1980er-
Jahren persönlich in Weiden zu treffen, wohl
auch, um seine Wirkungsstätte der 1940er-Jahre
weitere Male aufzusuchen. So vermittelte Dr.
Herlt, der mittlerweile zum wichtigen Kunst-
Impulsgeber im Weidener Kulturleben geworden
war, im Jahre 1985 eine von Beuys skizzierte
Objektidee – vermutlich dem keltischen Kultkreis
entstammend, mitsamt vier Notenblättern, einem
bronzenen hirschfüßigen
Dreifuß (90 cm hoch)
und einem
Tischgefäß (30 cm hoch) – an den aus
Böhmen stammenden, mehrfach
ausgezeichneten Weidener Bildhauer Günter
Mauermann (Jg. 1938). Die Fertigstellung des
geschaffenen Gussmodells bei der Glocken- und
Kunstgießerei GmbH Straubing erlebte Joseph
Beuys allerdings nicht mehr, so dass das
gegossene Objekt vom Ideengeber nicht per
Signatur autorisiert werden konnte.
Zwischen Herlt und Beuys entspannen sich
zudem medizinische Fachgespräche ob den
erlittenen Kriegsverletzungen, unter denen Beuys
litt. Herlt blieb ihm bis zuletzt ein medizinischer
Berater. Beuys’ Röntgenbilder lagen eines Tages
bereit. Herlts mehrfach wiederholte Hinweise,
einen Lungenspezialisten und - chirurgen der
Oberpfälzer Lungenheilstätte Wöllershof zu
konsultieren, kamen jedoch zu spät. „Beuys“, so
dessen Ehefrau Eva, sei „sein Leben lang
gestorben.“ Für den Weidener Arzt, Künstler und
Kunstsammler war er entsprechend „ein großer
Mann“.
Soweit Bernhard M Baron. Danke Bernhard.
Und nun willkommen in unserer Beuys-Kompakt-
Woche,
wir treffen uns an der zweiten Station, hier in den
Räumen des Kunstvereins begegnen wir Joseph
Beuys als Zeichner von Weltrang, nachdem wir
ihn mit unserer quer durch die Stadt zur OTH
führenden Eichen-Prozession als Aktions-
Künstler gewürdigt haben, wir genießen mit dem
unmittelbaren Blick auf den Zeichner ein Privileg,
für das wir dem Grafos-Verlag ganz herzlich
danken wollen.
Morgen sind Sie eingeladen, bei uns den
preisgekrönten Film von Andreas Veiel „Beuys“
zu sehen, und am kommenden Sonntag findet
das nun ein Jahr währende Projekt mit der finalen
Pflanzung auf dem Campus der OTH seinen
Abschluss. Wir würden uns freuen, wenn Sie
beim Graben, Häufeln, Angießen und bei der
anschließender Podiums-Diskussion mit von der
Partie wären.
Mittlerweile sind es an die dreißig Städte in
Bayern und darüber hinaus, die sich an der
Eichenpflanzung zu Ehren von Joseph Beuys
beteiligen, letztjährig geplant bzw wieder
aufgegriffen von dem Galeristen und
Museumsgründer Heiner Friedrich und dem
Verein Stadtkultur – Netzwerk bayerischer Städte
hält es den Projektleiter Lothar Müller ganz schön
auf Trab.
Als Memorial gedacht, das die Erinnerung an
einen der bedeutendsten Künstler und geistigen
Impulsgeber des 20. Jahrhunderts in seinem
100sten Geburtsjahr wachhalten soll, ist es doch
auch gleich ein Schritt in die Zukunft, nämlich ein
Akt der Gemeinschaftlichkeit, die den Akzent
dessen trägt, was den Kern des Beuysschen
Werks ausmacht. In der besonderen
Terminologie des Künstlers heißt das soziale
Geschehen soziale Plastik und meint damit die
Übertragung der schöpferischen Kräfte in der
Kunst auf das Leben, und diese Kräfte könnten
und sollten und müssten in jedem Menschen
geweckt werden. Was das bedeutet, ist eigentlich
eine Alltagserfahrung. In der Zusammenarbeit mit
der Stadtgärtnerei bezüglich Eichenpflanzung
haben wir sie in einer Stärke erlebt, die jetzt noch
nachbebt.
Die Gemeinschaftlichkeit war ihm so wichtig,
dass er zum Gründer der Grünen Partei und der
internationalen Universität für Kreativität und
interdisziplinäre Forschung, FIU, avancierte und
sich 1970 in einer Podiumsdiskussion, die den
Titel „Provokation als Lebenselement der
Gesellschaft“ trug, erbost äußerte, man möge
doch mal seine Werke zum Fenster
rausschmeißen, um dem Wesentlichen, einem
dialogischen Miteinander Platz zu machen.
Weiterhin sagte er in diesem Zusammenhang:
Ich bin gar kein Künstler. Es sei denn unter der
Voraussetzung, dass wir uns alle als Künstler
verstehen. Dann bin ich wieder dabei“.
Glücklicherweise ist es, was den Fenstersturz
anbelangt, nicht soweit gekommen, sonst hätte
diese Ausstellung, die uns mit Staunen erfüllen
dürfte, ausfallen müssen. Beuys war seiner Zeit
voraus gewesen. Explizit konnte man das auf der
diesjährigen Documenta 15 in Kassel erleben, die
in diesem Jahr für 100 Tage zum Mekka der
Künstler:innen-Kollektive geworden war, eine
spannungslos gewordene Kunst sollte, so die
Ansicht vieler, mit den wirklichen Problemen von
heute unter Strom gesetzt werden und die Frage
nach der Kunst sollte vor allem als ethische
Frage begriffen werden.
Das war echter Beuys, meine ich, aber hatte man
dann in Kassel den Bereich des Fridericianums,
der künstlerisch-aktionistischen Zentralstätte
verlassen und war man nach fünf Minuten
abseitigen Fußwegs in der Neuen Galerie
angekommen, wo man von Beuys-Werken
gewusst hatte, dann erfuhr man angesichts der
dort zur Schau gestellten Kostbarkeiten aus der
Filz- und- Fett- Werkstatt, dass Beuys gut daran
getan hatte, eingeschränkte Radikalität walten zu
lassen.
Dazu, dass er also in seinem erweiterten
Kunstbegriff auch dem klassisch schöpferischen
Schaffen, speziell dem zeichnerischen, das in der
individuellen Autorität begründet war, weiterhin
Raum gelassen hatte, dazu kann man sich nur
beglückwünschen. Man begegnet Denk-Mitteln
eines metaphysischen Forschers, der hier wohl
auch zu einem Gutteil seine Kriegstraumata, den
Flugzeug-Absturz über der Krim und die Kämpfe
im Reichswald, verarbeitet haben könnte, ohne
allerdings jemals bleibende Worte darüber
gemacht zu haben.
Wenn man aber berücksichtigt, dass Filz, ein bis
in die Vorgeschichte reichendes Material, das wir
im Kunstverein über Maria Webers
Filzausstellung gut kennengelernt haben,
praktisch als Synonym für Beuys selber gelten
kann, dann scheint mir ein solcher biographischer
Link mehr als nur hypothetisch.
Denn, die idealisierte märchenhafte Darstellung,
in der Beuys seine Rettung auf der Krim als Tat
der tartarischen Ureinwohner fiktionalisiert,
könnte mehr sein als ein Spiel mit der
Provokation durch kunstunübliche Materialien.
Impliziert sie nicht, auch, wenn das bisher
nirgendwo so wahrgenommen wurde, die
Möglichkeit, Filz und Fett symbolisch als
Ausdruck von etwas ganz Intim- Persönlichem zu
verstehen. Geht es hier nicht vielleicht auch um
die tiefe Erfahrung fundamental menschlicher
Fürsorge und der eogenen Überlebensfreude, die
Beuys bei seiner Rettung gemacht hat und in
seinen Werken, auch in den Zeichnungen, wieder
aufleben lässt.
Dieser Gedanke würde dann den
zwischenmenschlichen Faktor, der in der
allgemeinen Rezeption seiner Arbeit bisher kaum
eine Rolle spielt, auf versteckte, unterschwellige
Art in den Vordergrund stellen und dann das sehr
hermetische Werk mit seinen kolossalen
Filzstapeln und Fettmengen durchdringen. Von
der psychologisch biographischen Ebene aus
würde dieser vielleicht unterbewertete Faktor an
das Werk eine lebendige Wärme abgeben, die
von der Erinnerung an das Erlebte gespeist wird.
Ich weiß, mit Interpretationen, die nicht autorisiert
sind, muss man vorsichtig sein, betrachten Sie
meine Ausführungen daher besser als einen
persönlichen Erlebnisbericht, getragen von einer
besonderen Faszination, hier erfasst sie mich als
den Bild-Sprach-Forscher auf dem
Erkenntnisweg. Vielleicht kann ich Sie anstecken!
Was dieser Forscher sieht, liegt im Schatten von
Bildern, die man seit 1945 bzw 1989 meinte für
überholt halten zu können: Jetzt wieder
Leichenberge in Europa. Wieder Menschen im
Krieg, wieder lebenslange Traumata, die über
Generationen weitergegeben werden. Die Kette,
die uns fesselt, reiß nicht ab.
Eine Situation ist entstanden, in der Niemand
weiter weiß und alle, auch wir ahnungslos
gebliebenen Nachkriegskinder aus den 1950er
Jahren mit dem unverdienten Glück der späten
Geburt, doch noch nur allzu leicht erfahren
können, wie köstlich es ist, mit dem Leben davon
gekommen zu sein.
Hat das essentiell mit Beuys zu tun? Durch meine
Deutungs-Brille betrachtet, eine ganze Menge.
Die Todesnähe, die schon mal sein äußeres
Leben markiert hat, scheint mir, wenn man z.B.
an seine Arbeit im Lehnbachhaus München
„Zeige Deine Wunde“denkt, wie schon gesagt
ganz entschieden seine künstlerischen Aussagen
zu prägen.
Das ist interessant auch in Hinblick auf die
Person Beuys, auch wenn die Zeichen
persönlicher innerer Betroffenheit und Erfahrung
auffällig fehlen, sie bleiben sozusagen „weiße
Flecken “ auf der Landkarte.
Gerade diese weißen Flecken aber, deren
Äquivalente die Leerstellen der Zeichnungen sein
könnten, sind sehr beredt. Dasselbe gilt für das
Verhältnis der leeren Negativ-Formen in den
Zwischenräumen zu den ausgeführten Positiv-
Formen. Sie haben eine notwendige bildnerische
Funktion im Flächenzusammenhang der
Zeichnung und treten im Zusammenhang mit den
gezeichneten, bedeutungsvollen Positivformen,
die den Bildraum formal und semantisch
abstecken, als Erkenntnispotenzial auf, das
unsere Sinn-Suche mobilisiert. Für dieses
ausgeprägte Wechselspiel von Positiv- und
Negativ-Form dürften Wilhelm Lehmbrucks
Arbeiten vorbildlich gewesen sein.
In der Neuen Sammlung, die nicht dem
Documenta-Geschehen eingebunden war,
beeindruckten mich neben der epochalen Arbeit
„Das Rudel“, bestehend aus Schlitten und VW-
Bus, vor allem die Zeichnungen, die dem, was wir
hier in Weiden sehen können, entsprachen.
Die Schlitten, die mit Fett, Filz und
Taschenlampen bestückt in Kassel das
Wageninnere verlassen, führen uns auch zu
Exponaten in unserem Ausstellungsraum,
namentlich zu den Titeln Urschlitten, Eiszeit und
Nordpol, das sind Arbeiten aus den 1950er und
1980er Jahren, sie spielen wie unterschwellig
viele andere Motive auch, die quer durch die
Jahre zur Beuysschen Grundthematik gehören,
die Polarität zwischen kristalliner Erstarrung und
kreativem Energiestrom an, hier veranschaulicht
in der Gestalt von Bewegungsmitteln in
lebensfeindlichem Gelände.
Analog zum Outfit der Documenta-Räume, in
dem, was den bildnerischen Charakter
anbelangte, fröhliche Buntheit und diverse
wandgroße Weltverbesserungs-Diagramme die
Optik bestimmten, gab es auch hier den Trend
zur autonom ästhetischen Grenz-Überschreitung
hin zur gedanklichen Reflexion und zur
Lebenspraxis. Alles auch Bestrebungen, die von
dem Gedanken getragen werden, Spiritualität,
Rituale und religiöse Handlungen für den modernen
Gebrauch und die Konnektivität neu zu gestalten.
Der Unterschied ist programmatisch. Er stellt
bildnerische Meisterschaft und Sensibilität bei
Beuys der vorrangig piktoralen Funktion der
Gruppen-Mind-Maps gegenüber, die auch den
Aber-Tausenden von Beuys- Blättern innewohnt,
aber nicht nur.
Auf dem Weg in die seinerzeit unbekannte
vorbewusste Zukunfts-Ferne wird das Lineament
dieser Zeichnungen, wird der abstrakte, reine
künstlerischen Bedeutungsträger, der ins
Unsagbare vordringt, selber schon zum
vorsprachlichen seelischen Seismogramm und
zum frühen Anzeichen kommender
zerstörerischer Kräfte, die sich damals in ihrer
Entstehungszeit Niemand vorstellen mochte.
Die heute jedoch einen Namen haben.
Klimawandel z.B. Während die Namen der
Warner verklingen, wie z.B. Heinrich Böll, ein
Freund des Mannes mit dem Hut und der
Anglerweste. Aber ist jetzt damit nicht alles schon
gesagt, haben uns seine Arbeiten heute noch
etwas zu sagen, hat sie die Zeit überholt?
Prägnanz in ahnungsvoller Vieldeutigkeit, könnte
eine die Qualität der Arbeiten treffende
Bezeichnung sein, der sich die Äußerung eines
gerade verstorbenen Kollegen aus der Kinowelt
Jean Luc Godard passgenau anfügen lässt:“
Unklaren Ideen muss man klare Bilder
entgegensetzen“. Und auch das
kunsttheoretische Werk des Malers Willi
Baumeisters, „Das Unbekannte in der Kunst“, der
im 3. Reich als entartet verfolgt wurde, kann hier
im erweiterten politischen Gewand der Utopie
auch wieder auftreten.
Die Blätter von Joseph Beuys, die in unserer
Ausstellung von den 1940er bis in die 1980er
Jahre reichen, führen ein Arsenal einer Art
Hieroglyphen auf, die den Jean Champollion, den
Entdecker des ägyptischen Alphabets in uns
ansprechen. Es sind in filigran zerbrechlicher
Linie ausgeführte Motive von Tieren wie Bienen,
Hasen Hirschen, Robben Seegurken und Bären,
die mit anderen Motiven wie denen der
Taucherin, der Mütter, der Freundinnen, der
Seiltänzerin und der flüchtenden Frau mit Hirn
oder auch mit Objekten wie Töpfen und Köpfen,
Schamanentrommel, Blitzen und den Eckigkeiten
wandernden Kisten konfiguriert werden, die auf
die Logik ihrer Zusammenhänge befragt, auf das
parallel zur Naturwissenschaft liegende analoge
Denken indigener Kulturkreise verweisen, auf ein
Denken, das den Hasen, eine von Beuys häufig
verwendete Metapher, auch als numinosen
Vermittler des dunklen Erdinneren mit der Sonne
denkbar macht.
Ein Beispiel, wie das funktioniert, können Sie auf
unserer Einladungskarte erfahren. Wenn Sie die
Bilder mit Hirsch, Hut und grün aufschießendem
Erdhügel in einer landwirtschaftlichen Fläche
nach der Entfernung ihrer Sachbedeutungen
betrachten, dann erkennen Sie Zusammenhang
und Verwandtschaft stiftende Ähnlichkeits-
Bezüge zwischen Hut und Hügel und Geweih und
entsprechende Kontraste zwischen Acker und
Hut als Kulturmomente gegenüber den
Naturmomenten von Hügel, Erde und Hirsch.
Und wenn Sie sich spürbar klarmachen, dass der
Hut ein Wärme-Moment ist, das die Kreativität,
die erstarrt in den Ecken Ihres Gehirns steckt,
befreit und wie der Hügel im Acker bei Maierhof,
wo Joseph Beuys als junger Mann gestanden
war, mit günstiger hügelförmiger Erdung in
geistige Höhen aufsteigen lässt, dann haben Sie
wahrscheinlich die Hauptsache geschafft.
Das Sägen und Feilen am Zellengitter eisig -
eiserner Ratio. Und dass einen die Lust am
teilenden feilenden und ins Fließen bringenden
Weitermachen nicht mehr verlässt.
Für die Stärkung leiblicher Art, die man
zwischendrin manches Mal braucht, sorgt heute
Maria Weber, inspiriert wurde sie von dem
biographischen Hinweis, der Künstler hätte in
einer Atelier-Pause gerne mal einen Hamburger
verdrückt. Maria, Du hast Dich einmal mehr
übertroffen.
Ein Stück des geistigen Nährwerks, womit ich die
Ausstellung in der besonderen Hängeform, in der
sie dem Auge serviert wird, meine, verdanken wir
Claus Bergler.
Am Zustandekommen der Beuys-Compaktwoche
überhaupt waren, das kann man nicht deutlich
genug sagen, maßgeblich beteiligt der Graphos-
Verlag mit Sitz in Weiden und Herr Thomas
Huber von der Stadtgärtnerei, mit dem wir auch in
schwierigen Zeiten doch noch ein Bäumchen
gepflanzt haben.
Mehr möchte ich nicht sagen
Ich danke für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit.
Wolfgang Herze