Blicke über Grenzen
Nikolai Marochkin sieht die Oberpfalz – Gerd Dollhopf in Baschkortostan und Bilder einer gemeinsamen Oberpfalz-Tour.
28.06.—14.07.13
Info
Eröffnungsrede
Nikolai Marochkins Sicht auf die Oberpfalz – Gerd Dollhopfs Sicht auf Baschkortostan und Bilder einer gemeinsamen Oberpfalz-Tour
Mit der Ausstellung „Blicke über Grenzen“ weiß der Kenner unseres Ausstellungs-Programms, dass wir auf diesem thematischen und fotomedialen Weg schon lange unterwegs sind, dass wir auf unserer Programm-Schiene Fotografie jetzt an der Station Gerd Dollhopf und Friends ankommen, erfüllt uns dabei mit besonderer Freude.
Gerd Dollhopf stammt aus der Region, es ist angenehm zu erleben, wie sich der Sinnspruch „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ auch in unserem Ausstellungsraum bewahrheitet, wo wir bereits mehrmals Vater Dollhopf, den Maler, präsentieren durften.
Lieber Gerd, lieber Nikolais, sehr geehrte Frau Marochkin, herzlich Willkommen im Kunstverein Weiden und besten Dank dafür, dass Ihr uns Euere Sicht der Dinge mitteilt. Das Ding heißt Grenzland, da kommt Ihr beide her, da sind wir alle Zuhause, nicht nur im geographischen Sinne, auch unsere europäische Kunst selber versteht sich als Grenzland zwischen Möglichkeits-Räumen, deren Türsteher Realität und Imagination heißen.
Der kleine Grenzverkehr zwischen diesen Räumen, zwischen Gegebenheit und Wunder geschieht via Symbol, Kunstwerke, worunter man landläufig früher das Leitmedium Malerei verstand und heute alles, was der Jeder-Mensch-ist-ein-Künstler-Mensch hin und her und ins Netz stellt, sind besondere geistige Transportmittel, es sind Symbole, das ist griechisch und heißt soviel wie Zusammenfügendes, Hinüber-Bringendes.
Dass die Fotografie heute den Rang solcher geistigen Transportmaschinen hat, ist eine lange Geschichte, ursprünglich war die Fotografie nicht viel mehr als ein kulturell nutzbar gemachtes pysikalisches Phänomen, das Foto galt als 1:1 - Spiegel der Realität, und auch die kleinen Leute des 19. Jhts konnten sich zwar nicht in Öl, aber im Licht-Bild-Portrait ziemlich hochherrschaftlich verewigen lassen, bis endlich auch die Einsicht aufblitzte, dass die Kunst nicht im Kunstwerk steckt, sondern im Kontext, im sinnstiftenden Zusammenhang, schon unsere banalen Netzhaut-Bilder bedürfen der Interpretation unserer Großhirnrinde, erst dann, wenn wir wissen und fühlen, sehen wir auch. Eine einfache Wahrnehmung der Dinge an sich ist dem Menschen nicht gegeben, ohne seine Sinnstiftung ist alles bestenfalls Schatten.
Diese Spannung zwischen der Materialität und der ästhetischen Eigengesetzlichkeit des Mediums, den individuellen Erlebniswerten der Themen und Motive und dann ihren verallgemeinernden Ausdeutungen zu übergeordneten kulturellen Leitbildern, treibt den Künstler an.
Die Welt des dinghaften Miteinanders wird seinem sinn-form-suchenden Blick zum Setzkasten bildsprachlicher poetischer, philosophischer, politischer Texte.
Unter die Eigengesetzlichkeit der Fotografie fallen Dinge wie: Formate, Perspektive, das Licht, früher gab es noch die Körnung, in dieser Ausstellung fällt besonders die Glanzhaftigkeit der Bildträger auf, die sich wie eine Scheibe vor alles stellt und einen gemeinsamen Illusions-Raum bildet, den man erst wegsehen muss, um an die Essenz zu gelangen, weiterhin sind das die Formen der Komposition, die Wahl der Themen, die Pathosformeln der Posen, der Rekurs auf die fotografische Tradition und ihre stilbildenden Protagonisten. Das alles ist nicht von selber da, das alles wird in den Tiefenzonen des Fotografen-Blicks in einer Zehntelsekunde gesucht und kombiniert und montiert.
Was mit Tradition und Pathosformeln der Posen konkret gemeint ist, sehen Sie sehr prägnant an den Portraits von Nikolai Marochkin und Gerd Dollhopf rechts vom Hintereingang des Ausstellungsraumes.
Da zeigen sich die Künstler in der klassizistischen Pose des „Goethe in der Campagna“ von Tischbein.
Auf besagtem berühmten Bild des malers Tischbein denkt der Dichter auf seiner Italienreise 1787 über die Vergänglichkeit der Kulturen nach, über das Wachsen des Einen aus dem Anderen, er tut dies überhöht zur Idealgestalt der aufkommenden bürgerlichen, liberalen Welt, der Welt der in Freiheit Geborenen, die qua Bildung aus sich machen können, was sie qua Anlage sind, und das zwei Jahre vor der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, und all diese Anspielungen können natürlich im Kontext Russland schlecht auf die schwefelig leuchtende Lichtgestalt Lenins verzichten, und da ist er auch schon.
Dieser Gedankenkomplex, der sich den drei Bildern entspinnt, gibt auch ein gutes Motto für den Bildjournalismus, dem sich Dollhopf und Marochin verbunden fühlen, ist dieser doch auch immer, so pittoresk und einzel- und eigenwertig die einzelnen Bilder sein mögen - : Ach Augenblick, Du bist so schön, verweile! - allgemeine Analyse des Temporären, des Relativen und der Bedingungen dessen, was man nur allzu gerne und psychologisch verständlich und verzeihbar als Ewigkeits-Macht und Dauer einfordern will.
In dieser Hinsicht ist in unseren Ausstellungsräumen das fotografische Auge mehrfach geübt worden, man denke da vor allem an die Kooperation mit den tschechischen Kollegen aus der Galerie 4 in Eger oder der Fotografie-Hochschule in der FAMU Prag, man denke an die großartige Land-und Leute-Fotografie von Jindrich Streit, ein Cartier- Bresson-inspiriertes Auge, ähnlich wie das von Dollhopf und Marochkin.
Auch sie haben die besondere Gabe an den Orten, an denen sie ihre Motive finden, das spezifisch Lebensraum-Artige heraufzubeschwören, das in die Tiefe wurzelt, das Heimat sucht.
Kurz nach dem vor über zwei Jahrzehnten der Eiserne Vorhang fiel, war Gerd Dollhopf (geb. 1963 in Amberg) einer der westlichen Fotografen, die früh die ehemalige Sowjetunion und ihren Einflussbereich bereisten. Seit 13 Jahren besucht er regelmäßig Bashkortostan, auf der Westseite des Ural. In der dortigen Hauptstadt Ufa lernte er 2005 den Kollegen Nikolai Marochkin (geb. 1954 in Ufa) kennen und schätzen.
Beide entdeckten, dass sie eine sehr ähnliche Prägung durch viele gleiche „Vorbildner“ aus der Geschichte der Fotografie haben und dass sie in ihrer eigenen Arbeit einen journalistisch-dokumentarischen und dabei ausgesprochen künstlerischen Ansatz verfolgen.
Das bedeutet, dass das Bild an sich eine autonome Qualität hat, für sich als etwas ästhetisch Abgerundetes und inhaltlich Meta-Spezielles genossen werden kann, es bedeutet aber genauso, dass Sie sich das Bild als Illustration zu einem Text , einem Bericht, einer Reportage vorstellen dürfen, es sind beredte Bilder, die an das Wissen bzw Kennenlernen-Wollen appellieren, Bilder, die unsere Empathie ansprechen und neugierig machen, Bilder die aus dem Leben gegriffen sind.
Zuletzt sehr gepflegt wurde diese Stilrichtung mit der deutschen journalistischen Fotografie der 70er und 80er Jahre, schreiben die Künstler in ihrer Werkbeschreibung selber, doch die Einflüsse auf Nikolai Marochkin und Gerd Dollhopf reichen bis Anfang des 20.ten Jahrhunderts zurück. Da möchte ich nur nennen: Brassaii, die Richtung der „subjektiven Fotografie“, Henry Cartier-Bresson, Andre Kertesz, und auch die neue Deutsche Kunstfotografie (der Düsseldorfer Schule).
Gemeinsamkeit, die politisch so lange auseinander gehalten worden war, macht stark und unternehmungs- und aufbruchslustig, die beiden Kollegenfreunde richteten gemeinsam in Russland und Deutschland bereits mehrere Ausstellungen aus und unterrichteten gemeinsam in etlichen Seminaren und Workshops.
Marochkin wird 1984 Absolvent der russischen Flugfahrt-Hochschule, seine künstlerische Anlage entwickelt er 1984 - 87 in einem Fernstudium an der Volksuniversität für Kunst Moskau. Als Bildberichterstatter der russischen Presseagentur Itar Tass genießt er mittlerweile große Bekanntheit.
Dollhopf studierte in den 1980er Jahren an der Fachhochschule für Fotodesign in Dortmund und an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und ist seitdem freiberuflich tätig in den Bereichen Industrie, Werbung, Architektur und Reportage. An der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, übernimmt er mehrere Lehraufträge, bis 1999 die Gründung einer Privat-Akademie „Fotoklasse Dollhopf“ erfolgt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat den Raum Nürnberg fotokünstlerisch zu erkunden. Und das ist ein Projekt, das mit einer unserer Programm-Ideen konform geht, man denke an die Workshops: „Die ganze Stadt“, bei denen junge Leute aus tschechischen und oberpfälzer Grenz-Landstädten ihre Lebensräume - man könnte sagen - „kreuzweise“ portraitiert haben.
Ähnlicht angelegt ist auch das Projekt, das hier gezeigt wird: Blicke über Grenzen. Es entstand im Juni/ Juli, es ist ein oberpfälzisch-baschkirisches Projekt , eine vergleichende Reportage über die beiden vorwiegend ländlich strukturierten Regionen, wie sie am Pulsschlag der Zeit liegen, wie sich Dauer und Veränderung zeigt, es sind Streifzüge durch zwei Heimat-Regionen, gezeigt wird der Wechsel von Urbanem, Dörflichen und Natur, da die karge Kolchenchosen-Welt im Osten und einstige Randlage am Eisernen Vorhang im Westen.
Eine Reihe speziellerer unterschiedlicher Themen-Bereiche werden darin in der Verfeinerung des Blickwinkel berührt, bei denen vor allem der Mensch und die Kunst des Menschseins im Zentrum stehen.
Die Künstler konzentrieren sich abei auf das Umfeld der Großstadt Ufa und der Städte Weiden und Amberg. Es entsteht ein fotografisch-interkultureller Dialog, eine Fremdbeleuchtung über Kreuz, wie Gerd Dollhopf sagt.
Hier ist nun sichtbar und treibt unsere Entdecker-Lust der Frage nach, welche typischen Lebensmerkmale der versierte russische Fotograf Nikolai Marochkin in der Oberpfalz findet und was er überhaupt als spezifisches Signum für unsere oberpfälzer Region ermittelt.
Entsprechendes spiegelt sich in den gegenübergestellten Bildern des oberpfälzer Fotografen Gerd Dollhopf wieder und inspiriert dazu, Rückschlüsse zu wagen, warum Verhaltensformen, Objekte und Ereignisse uns, dem Betrachter familiär oder fremd erscheinen mögen.
Das eine ist die Kehrseite des anderen, wer sich auf den anderen einlässt, entdeckt auch das Fremde, das Neue, das Mögliche an sich selber.
In diesem Sinne ist die Ausstellung Blicke über Grenzen nicht nur ein Zeitdokument der näheren und entfernteren Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und, über den Wandel der Grenzland-Befindlichen, den wir vielleicht ohne besondere Beachtung und Reflexion miterlebt haben und miterleben, es ist auch eine tatsächlich zeitlose Betrachtung der Conditio Humana, der Verfasstheit des Menschen und sein Staunen - Können über sich selber.
Das Ausstellungsprojekt entsteht in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Amberg, dem Kunstverein Weiden und dem Medienhaus „Der Neue Tag“, Weiden.
Die Amberger Partner eröffnen am Donnerstag, 11.Juli 2013 um 19:30 im A.K.T. Kunstverein Amberg e.V.
Weitere Daten entnehmen Sie bitte den Informationsblättern im Gelben Zwischenraum, Durchgang zum Cafe Linda.
Kultur und ihr Wandel vermittelt sich über Bilder und ihre symbolischen Inhalte, Bilder sind auch immer Vorbilder, Kulturwandel ist Bild-Wandel.
Nikolai Marochkin hat diesen Bildwandel als professioneller Bildforscher in seiner Heimat im Zeitraum der Wende in atemberaubendem Tempo und radikaler Durchdringlichkeit erlebt, er ist für das Vorläufige und Flüchtige der bestehenden Bildwelten, die wir im östlichen wie im westlichen Alltag gleichermaßen für die Welt halten, besonders sensibiisiert.
Herr Marochkin, sie sind nun schon seit mehr als 10 Jahren ein Grenzgänger zwischen Ost und West und sie sind einer, der das, was sich dort tut, im Bild festhalten.
Was hat sich für Sie in dieser Zeit getan, seitdem die sozialistische Bilderwelt zusammengebrochen ist und sich die kapitalistische Bilderwelt entgrenzt hat, welches sind vor diesem Hintergrund ihre besonderen Themen geworden?
Dazu wird uns Herr Marochin selber etwas sagen. Swetlana Dollhopf wird übersetzen.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Wolfgang Herzer