Blick zurück nach vorn
Deutsche Kunst seit 1945, Arbeiten auf Papier - Installationen
Ulrich Erben, A.R. Penck, Raffael Rheinsberg, Fritz Schwegler, Günther Uecker, Franz Erhard Walther
07.10—13.11.05
Info
Seit 1981 führt die Stadt Weiden in der Oberpfalz ein nicht alltägliches Ausstellungsprogramm mit Gegenwartskünstlem von nationalem und internationalem Rang im Glasbau des Rathaus-Foyers durch. Die einstige Eisenbahner-Stadt, Sitz weltweit bekannter Glas und Porzellan-Firmen und Standort des ältesten Textilversandhauses Witt, an dessen Werbespot aus den frühen Fernseh-Tagen: „Kiwitt, Kiwitt, Wäsche kauft man bei Witt" man bis heute noch erinnert, ist dabei nie in den Verdacht geraten, der Nabel der Kunst-Welt zu werden.
Aber Namen wie Antoni Tapies, Piero Dorazio, E.W. Nay, Fritz Wotruba u.v.a. geben jetzt schon über 25 Jahre im Zwei-Jahres-Takt aus dem Oberzentrum der nördlichen Oberpfalz Signal, daß man mit der Meinung vom kulturellen Niemandsland am ehemaligen Eisernen Vorhang ebenso auf dem Holzweg ist. Die 43-Tausend-Seelen-Gemeinde Weiden, auch Stadt der Korbweide, wie das alte Stadt-Wappen zeigt, hat ihre Flechtwerk-Potentiale weniger auf Handwerks-Art verwendet; vielmehr entfalteten einige rührige Bürgerinnen und Bürger ein ausgesprochenes Verknüpfungs-Talent im übertragenen Sinne. Sie haben ihre Stadt in ein Beziehungs-Geflecht mit der Welt verwickelt, stellen Netzwerke her und legen Schlingen aus, in denen sich mittlerweile auch gerne Künstler fangen lassen.
Seit 1981 werden im Weidener Rathaus unter der Bezeichnung Große Rathaus-Ausstellung herausragende Positionen zeitgenössischer Kunst einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die günstige Lage auf dem Stadtplan ebenso wie im gesellschaftlichen Raum der Weidener Bevölkerung ermöglichen es, daß manche Kenner-Schau, die sonst am Rande liegen geblieben wäre, Tausende sehen wollen. Keine Sonntags-Promenade ohne Abstecher ins Rathaus.
Womit haben sich nun über zwei Jahrzehnte schon auch manche außerhalb wohnende Kunstfreund/innen locken lassen?
1981 Friedenreich Hundertwasser, 82 Otmar Alt, 83 Horst Antes, 85 Piero Dorazio, 87 Günther Uecker, 88 Joan Ciaret, 89 Otto Herbert Hajek, 91 Carl Friedrich Claus, 92 Antoni Tapies, 94 Josua Reichert, 95 Ernst Wilhelm Nay, 97 Hartmut Neumann, 98 AR Penck, 99 Fritz Wotruba, 2000 Franz Erhard Walther, 2002 Fritz Schwegler.
1999 übernimmt der Kunstverein Weiden im siebten Jahr seines Bestehens die hochkarätige Schau, die bis dato vor allem der Vermittlung des ortsansässigen Industriellen und Kunstsammlers Hans Robert Thomas zu verdanken war, und konzentriert sich jetzt mit Vorzug auf markante Positionen deutscher Kunst seit den 60er Jahren.
Dazu wurde ein White-Cube entwickelt, der während der Ausstellungszeit Struktur und Anmutung der Verwaltungseinrichtung zu den künstlerischen Exponaten hin abfedert.
Auf das Konto des Kunstvereins und des Kurators Jürgen Schweinebraden, der als ehemaliger Leiter des Hamburger Kunstvereins und als Mitwirkender der documenta 8 über vielfältige Kontakte verfügt, gehen dabei Ausstellungen mit Franz Erhard Walther, Fritz Schwegler, mit Arbeiten von AR Penck ebenso wie eine umfassende Ausstellung zum 40jährigen Geburtstag von FLUXUS.
Jürgen Schweinebraden, der Aussteller, dessen Wege sich mit denen des Kunstvereins 1996 auf einer Veranstaltung des Kunstvereins Wismar kreuzten, ist selber ein Stück speziell deutsch-deutscher Kunstgeschichte.
Versehen mit dem Namen Jürgen Walther Herrmann Schweinebraden Freiherr von Wichmann-Eichhorn lernte er früh mit den Schwierigkeiten, die so ein Name mit sich bringt, und mit Schwierigkeiten überhaupt umzugehen.
1938 in Dresden geboren, Jugendfreundschaft mit Ralf Winkler alias AR Penck, über die er unter anderem in seinem zweibändigen Erinnerungsbuch „Die Gegenwart der Vergangenheit" berichtet; studiert nach einer Lehre als Autoschlosser Psychologie und Industriesoziologie und nimmt zunächst Lehrtätigkeiten in Ostberlin auf. 1974 gründet er in der Ostberliner Dunckerstrasse die Wohn- und Alternativ-Galerie EP Galerie und Edition Jürgen Schweinebraden. Jazz-Freak seines Zeichens organisiert er bis 1980 50 Konzerte und 70 Ausstellungen, über die er das ostdeutsche Publikum mit Produkten der West-Kunst wie Mail Art, Konzept Kunst, Performance und Video bekannt macht. 1979 wird er mit mehreren Ordnungsstrafen belegt. 1980 folgt ein Strafverfahren wegen Herstellung illegaler Druckerzeugnisse. Noch im November diesen Jahres übersiedelt er in die BRD.
Die von ihm gegründete Alternativ-Galerie wird zum Modell für ähnliche Initiativen in mehrerern Großstädten der DDR und ist der Grundstein für die Entwicklung einer alternativen Kunstszene in der DDR als Gegenstück zu der von der SED propagierten Partei-Kunst.
Nachdem sich die für 2004 geplante Ausstellung mit Ulrich Erben aus haushaltstechnischen Gründen erst 2006 durchführen lässt, gibt der Kunstverein Weiden vom 07. Okt. bis zum 13. November einen Überblick über seine bisherigen Rathaus-Aktivitäten und zeigt die bis dato vorgestellten Einzelpositionen und einen Ausblick nach 2006 im Zusammenhang. Zu sehen sein werden vorrangig Arbeiten auf Papier von Ulrich Erben, A.R. Penck, Franz Erhard Walther, Fritz Schwegler, Günther Uecker und eine Bodenarbeit von Raffael Rheinsberg, den der Leiter des Kunstverein Weiden, Wolfgang Herzer als Mit-Dozenten auf der Sommer-Akademie in Wismar 1999 kennenlernen konnte.
Außerdem erscheint eine Edition mit Siebdrucken von Franz Erhard Walther, die der Künstler zeichnerisch bearbeitet hat. „Sechs Körper. Ort gegenüber". Die Auflage dieser 6 Semi-Originiale inklu-sive eines handschriftlichen Vorsatz-Blattes, die in einer grauen Künstlermappe angeboten werden, umfasst 20 Exemplare, Format 50 x 40 cm; das Ganze ist zu einem moderaten Preis im Kunstverein erhältlich. „Sechs Körper. Ort gegenüber" entstand nach Zeichnungen zu 6 Wandformationen aus dem Lager der Probenähungen, die Walther im Oktober 2000 neben seiner Werkschau mit Blättern und Zeichnungen von 1960 bis 2000 im Rathaus in die Räume des Kunstvereins eingerichtet hatte.
Wolfgang Herzer