Christoph Gerling und der Nürnberger Kreis
Kunst in der Metropolregion, Werkschau
12.01.—28.02.16
Info
Meine Sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Kunst und des kreativen Lebens
Herzlich Willkommen in Weiden: Christoph Gerling und der Nürnberger Kreis. Die Nürnberger Künstlervereinigung „Der Kreis“ ist heute zu Gast und mit ihm und in ihm im Ausstellungs-Zusammenhang als Primus Inter Pares: Christoph Gerling.
Sie alle möchte ich dankbar für Ihr Mitmachen begrüßen, und das sind:
Hubert Baumann, Michaela Biet, Chris Brude, Meide Büdel, Mareike Drobny, Walter Förster, Rolf Fütterer, Jan Gemeinhardt, Christoph Gerling, Hanns Herpich, Hubertus Hess,
Brigitta Heyduck, Christian Hiegle, Udo Kaller, Peter Kampehl, Thomas May, Ortwin Michl, Günter Paule, Christian Rösner, Peter Thiele, Florian Tuercke, Wilhelm Uhlig, Franz Weidinger, Hjalmar Leander Weiß, Peter Wrede. Wenn mir zu Eröffnung dieser Ausstellung mit Arbeiten der Genannten das schöne Erlebnis einfällt, das dem Kunstverein Weiden 2003 gestattet war, dass nämlich auf diesem Nadelfilzboden unter Ihren Füssen Udo Kittelmann stand, damals noch Leiter des MMK Frankfurt und ab 2008 der Leiter der Nationalgalerie Berlin, und die Ausstellung mit Plein - Air-Malerei seines Freundes Peter Angermann eröffnete, dann, dann hat das einen Grund!
Eigentlich hatte ich die Sache trotz der Angermann-Konnexion, die einem mit den Stichwörtern Franken, Nürnberg und Kreis in den Sinn kommen kann, total vergessen. Dazu muss ich vorausschicken, dass Plein-Air-Malerei, also das Malen vor, in und nach der Natur, etwas total Altmodisches ist, und Udo Kittelmann alles andere als altmodisch ist. Er war außerdem sehr entgegen kommend und unterstützte den Kunstverein bei seinem Projekt „La Boite en Valise“ – oder Die Neue Welt beginnt mitten in Europa“.
Ich sehe ihn noch vor mir und höre, was er zur Einführung über`s Altmodische bei Angermann sagte, gemessen an der Zahl der Worte war es minimal, hinsichtlich Wortwahl – und Verbindung banal. Aber wie er es halt sagte! Er sagte: Wissen Sie meine Damen und Herren, das hier ist einfach gute Malerei. Und mehr musste er auch nicht sagen, er hatte Recht. Warum diese Malerei so gut wäre, sagte er in seinem halbstündigen Vortrag nicht, das vermittelte sich weitgehend lässig und nebenbei auf nonverbaler Ebene, in der durch die Rede inspirierten Anschauung und kraft der natürlichen, ansteckenden Autorität des Könners und Kenners. Der Kenner machte keine belehrende Lehr-Veranstaltung, er teilte seine Begeisterung mit und lud zur Feier des Gelungenen ein.
Ich war auf einen völlig anderen Vortrag eingerichtet gewesen, auf eine Sagbarmachung des Unsagbaren, ich dachte, das Angerührtsein durch Qualität, das bei Redner und Publikum spürbar war, kommt nun auf den begrifflich fassbaren Nenner. Das ewige Dilemma! Und jetzt hatte ich etwas gelernt.
Ich wünschte, Sie wären dabei gewesen, dann könnte ich mir jetzt all die Worte sparen.
In der kleinen Künstler-Laudatio-Performance des Spitzen-Fachmanns hat auch das unausgesprochene Extra-Thema, das in jeder Ausstellung unhörbar mitschwingt, eine Behandlung erfahren, Udo Kittelmann hat das in einer charmanten Geste gemacht, die alles auf den Punkt brachte.
Besagtes Thema ist für die Kunst und nicht nur für die Kunst wesentlich, aber im Falle der Kunst ausgesprochen schwergewichtig und lenkt die Gedanken des Amateurs nur zu gern in ausgangslose Labyrinthe, die der Eröffnungsprofi zu meiden weiß.
Und wir hätten es auch instinktiv vermieden, wenn wir uns nicht angewöhnt hätten, im Zusammenhang unserer Ausstellungen da und dort auch die Institutionen des Kunstbetriebs spezieller zu beleuchten und zu zeigen, was von was kommt. Und im Fall von „Christoph Gerling und der Nürnberger Kreis“ verbindet sich all das, was dieser Such-Scheinwerfer-Blickt sucht, aufs Schönste und Engste.
Es sind die Erfahrung und die Verifikation künstlerischer Qualität, nach der jede Ausstellung implizit fragt. Und der bezüglich sie nach Worten sucht.
„Der Kreis“ hat ihre Pflege 1947 bei seiner Gründung zum Satzungsziel erhoben.
Lassen Sie mich mit ein paar Stichworten selber den Pflege-Gegenstand umreißen und dabei etwas detaillierter in seine Struktur gehen:
Es geht um das Geistige in der Kunst damals und heute, hier und überall, im lokalen bis hin zum globalen Kontext ...
... es geht um eine verbindliche Maßstäblichkeit, die dem Zahn der Zeit stand hält und bleibt, im Alten, das geht, z.B. die Plein-Air-Malerei, im Neuen, das kommt, z.B. Angermanns Plein-Air-Revival.
... es geht um ein Erkenntnis-Licht, das Im Eigenen Dauer hat und dort wenigstens auf nomadische Art zuhause ist und ebenso im Fremden und Anderen, letztendlich auch in Leuten z.B., die die Tempel von Palmyra in die Luft sprengen.
Und es geht vor allem um die Künstler/Innen als Hersteller und Beurteiler dergestalt qualitätsvoller Gebilde und die Künstler/Innen - Vereinigung als Interessens-Gemeinschaft, als IG Qualität, die sich in den Ästhetik-Betrieb einmischt.
Mit Christoph Gerling, der 1937 zur Welt kam, mit seiner Arbeit und seiner Welt, und der 1947 gegründeten Nürnberger Künstlervereinigung „Der Kreis“, die in Gerlings Leben eine große Rolle spielt, befinden wir uns im inneren Themenraum jedweder Kunst-Ausstellungen auf einer Reise durch die deutsche Kunstgeschichte seit 1945 und verbinden in der Qualitätsfrage Damals mit Heute. Christoph Gerling, der jung gebliebene fränkische und europäisch reisefrohe Kultur-Veteran mit Kriegs- und Nachkriegs-Sozialisation verbindet die genannte Zeitstrecke und verschiedene Formen der Qualitäts-Pflege in seiner Person.
Er ist Kreis-Mitglied seit 1966, er ist zeitweiliger Leiter dieser renommiertesten fränkischen Künstlervereinigung, die ihr Ziel der Kunst-Geist-Vermittlung mit dem Betrieb einer eigenen Galerie im Bereich des Germanischen National-Museums nachkommen kann, er ist Künstler mit zeitspezifischem Themenschwerpunkt, der im bildnerischen grundlegenden Spannungsfeld und im historischem Zwischenraum zwischen Abstraktion und Realismus liegt, Gerlings Kunst, vor allem Malerei, Graphik und Keramik, die in einer kleinen Werkschau im Kunstverein zu sehen ist, hat ansatzweise analytischen Charakter und steht im Einfluss der klassischen Moderne und des Informel. Ihre vegetativen, geologischen, architektonischen und anatomischen (Köpfe, Balett) Themen, changieren zwischen Abstraktion, Expression und Realismus und entwickeln sich in Serien aus zahlreichen Variationen und Permutationen. Seit 1997 entstehen Arbeiten auf dem Gebiet der Keramik in St. Stefano di Camastra, Patti, Sizilien, und Terlizzi, Apulien.
Er ist nach 1962 aber auch Lehrer an Gymnasien in Altdorf, Hof und Nürnberg, mit einer Strafversetzung wegen Protestes gegen schlechte Kunst am Bau, ist freischaffend und von 1974 bis 2002 selber Dozent an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, hier unterrichtet er Fotografie, Film, Druckgraphik und Zeichnung, als Jugendlicher lernt er aus einem Faible für die mediterrane Welt Italienisch und ist da mit Freunden europaweit unterwegs, er organisiert später grenzüberschreitende Kunst-Projekte und die Studienfahrten mit Student/Innen und Jungen Künstler/Innen nach Sardinien sind heute Institution.
Er ist von 1964 - 1978 (mit Hermann Frauenknecht) Initiator und Veranstalter des Kunststadels Hagenhausen bei Altdorf. Was sich dort bunt und aufregend abspielt, das funktioniert als temporäres freies Kunst-Zentrums, wo alljährlich über vier Herbstwochen eine alle Medien umfassende Veranstaltungs-Reihe durchgeführt wird, besonderer Gast der junge Herbert Achternbusch.
Christoph Gerling ist Unterstützer und künstlerischer Berater des Hirtenmuseum in Hersbruck, den Begegnungen mit der Lebensform des Hirtenwesens in Italien sehr beeindruckt haben, im letzten Herbst bei seiner Ausstellung im kleinen Kunstmuseum Hersbruck treffe ich ihn und spreche ich ihn an.
Ich erkläre ihm mein Konzept.
Wie war es damals, als nach dem Kahlschlag im 3. Reich das alles hier anfing?
Nach dem 2. Welt-Krieg gründen sich in allen Teilen Deutschlands Kunstvereine, Künstlervereinigungen und Künstlergruppen, um gemeinschaftlich einen Neuanfang zu wagen. Bei den Künstler-Vereinigungen, die im Gegensatz zu den Gruppen keiner verbindlichen ästhetischen Idee folgen, sprechen wir zum einen von Zweckgemeinschaften, denen sich die materielle Aufgabe stellt, Ausstellungs- und Verkaufsmöglichkeiten zu finden. Zum anderen stellt sich die Aufgabe, die große Menge unterschiedlicher Kunst- und Stilauffassungen, die sich vor 1933 zum Teil bekämpften, in einen verbindlichen, übergeordneten Zusammenhang zu integrieren. Hier tritt die Idee der Pflege und Verteidigung der künstlerischen Qualität und des Echten aus einheitsstiftende Kraft auf.
Die Neue Gruppe/Haus der Kunst München, öfters schon Gast in Weiden gewesen, die sich zeitgleich mit dem Kreis gegründet hat, formuliert das auf exemplarische Weise so:
„ ... Die Neue Gruppe soll ein lebendiges Gebilde sein, das durch gegenseitige Befruchtung, durch Kritik und Aufgeschlossenheit den Problemen der Zeit gegenüber seine Daseinsberechtigung erweist. Sie ist offen für alle echten, unverfälschten Äußerungen künstlerischen Gestaltens, aber intransigent gegen jede unaufrichtige Mache und bequemes Epigonentum, daher wird sie eher Stammelnde und Sucher aufnehmen, als gewandte Verwerter längst durchexerzierter Experimente.“
Die Idee des Echten also, des idealistisch Wahren, das im Kunstwerk sinnlich fassbar zur Erscheinung kommt, bildet die gemeinsame, unverrückbare geistige Mitte der Kunstwelt, und dies im Ganzen und im Spiel der Elemente des einzelnen Kunstwerks, und zu dieser Sonne hin schließen sich alle echten Kunstwerke und Künstler/innen und solche, die sich anstecken lassen, zum Kreis zusammen.
Das ist 1947 mit starken Worten festgeschrieben und von der Creme de la Creme der einst Entarteten Künstlern unterschrieben worden, aber was besagt diese vermeintlich im Sichtbaren und Handwerklichen verankerte Qualitäts-Gewissheit, die das Auratische großer Malerei und Bildhauerei ausmacht, in ihrer Konsequenz, wenn man weiß, dass der Kunstbetrieb ihrer Zeit heute hoch gehandelte Kunst wie das Nazarenertum und die Präraffaeliten noch als Kitsch abqualifizierte und die künstlerischen gattungssprengenden Darstellungsformen seit den 1960er Jahren den damals noch geltenden material-ästhetischen Kriterien überhaupt nicht mehr folgen.
Da heißt es Fluxus, Aktion, Performance, Enviroment, Objekt-Kunst, Assemblage, Concept-Kunst, Public-Art, Mail-Art, Body Art, Land-Art, Nouveau Realisme, Arte Povera, Minimal, Post-Minimal, etc, etc,etc.
Wie wird hier, jenseits vom Flächenraum der Malerei und ihrer Drei-Dimensionalisierung in der Bildhauerei, Qualität und Werthaftigkeit erfahrbar, wie ist hier in der künstlerischen Organisation gedanklicher, sozialer und körperlicher Räume Qualität zu sichten, zu sehen, zu erleben, zu pflegen, zu fördern und zu erhalten.
Und ist es nicht überhaupt die Frage, ob diese Frage antiquiert und von Gestern ist.
Im Fall der Kunst ist die Antwort darauf und auf ähnliche Fragen eine schwere Aufgabe, ist es immer schon gewesen, fehlt ihrem Qualitäts-Begriff doch das rational verifizierbare Funktions - und Zweck – Moment aller anderen Gegenstände, Kunst funktioniert nicht wie ein Staubsauger beispielsweise, der gute oder schlechte Leistung bringt, auch wenn es sich im Kunstdiskurs eingebürgert hat, zu sagen: ein Kunstwerk funktioniert bzw funktioniert nicht.
Hier im Kunstverein haben wir einen Staubsauger, der ist nicht gut, aber er war billig und Schülerinnen und Schüler von Dorothee von Windheim aus Kassel haben 2009 in diesem Raum eine Staub-Sauger-Selbst-Zerstörungs-Aktion durchgeführt, bei der ein Sauger vom anderen leergesaugt wurde, bis beide nicht mehr funktionierten.
Vielleicht ist es das?
Es gibt keine fertigen Antworten, die man durch die Zeit unbeschadet und unverändert wie Duchamp seine „Boite en Valise“ transportieren kann. Aber es gibt vielleicht einen mental nötigen Zustand der Defunktionalisierung, der herstellbar ist und hergestellt werden muss, um überhaupt der künstlerischen Qualitätsfrage begegnen zu können, so es die unter all den vielen Fragen, die das Leben stellt, überhaupt gibt, oder um eine Antwort zu erjalten, die man nach Erhalt nicht auch gleich wieder vergessen hat.
Der „Kreis“ hat eine Eigenheit, die an dieser Stelle auch hervorgehoben werden sollte. Er schließt darin an den lebenskünstlerischen Aspekt der gerade angesprochenen mentalen De-Funktionalisierung durch Kunst an.Vielleicht erschließt sich künstlerische Qualität mehr über Lebenskunst und Lebensqualität, als wir denken. Der Mitglieder-Kreis des Kreises ist auf 30 Personen beschränkt und man wird berufen. Die Auswahl erfolgt unter dem Gesichtspunkt der bildnerischen Auffassungs-Vielfalt innerhalb des Vereins, der Aufgeschlossenheit gegenüber dem ästhetischen Diskurs und der künstlerischen Qualitätsfrage. Neuaufnahmen, die nach dem Ausscheiden von Mitgliedern stattfinden, verlangen Umsicht und Bedachtsamkeit.
Ob unter 30 oder über 30 ist gleich, nur nie mehr als 30.
Das könnte die alte Weisheit der Hopi-Indianer, wie sie auf Postern durch die Alternativ-Szene der 1970/80er Jahren verbreitet wurde, bestätigen: In einem Gemeinwesen, das über eine bestimmte Bewohner-Zahl hinaus geht, kann der Mensch nicht mehr Mensch sein, ein Vernunftwesen, das mit sich und den anderen in seiner Umwelt im Einklang lebt.
Qualität wäre in diesem Zusammenhang analog zur Vernunft ein ästhetischer Vernunft-Begriff, der gedanklich unerschließbar ist, ohne den aber keine sinnvollen, vom Verstand verifizierbaren Einsichten und Entschlüsse möglich wären.
Die Rigorosität hinter den starken Eingangsworte aus dem Manifest, die das Kind mit dem Bad auszuschütten droht, relativiert sich, mit Blick auf die Vereins - Entwicklung - und hier speziell mit der Entwicklung im Kreis - sagen sie, dass sie nicht als Ausdruck des Absoluten, sondern als Ausdruck der Abgrenzung gegen die triviale Ästhetik der faschistischen Unmenschlichkeit zu verstehen sind, der sie gerade entkommen waren.
Sie markieren die Phase eines kollektiven, von Toleranz geprägten Lern- und Wahrnehmungs-Prozesses, der durch viele Schulen geht, man denke an die Semiotiker Max Bense und Umberto Eco. Es ist ein Prozess, der den evolutionären Wandel, der das Alte bewahrt, vor den revolutionären Wandel stellt, der mit dem Alten bricht.
Dieser Anpassungs-Prozess an das Neue läuft da mit Rücksicht auf den Zusammenhalt der Gruppe langsamer ab als die Aktivitäten des internationalen Kunstmarktes und seiner Stars, die unter dem großen, dem moderne-typischen Innovations- und Konkurrenz - Druck stehen.
Folgt man dem Katalog zum 50 - jährigen Bestehen des „Kreises“, der 1997 erschienen ist, und vertieft sich in den Text von Birgit Suk und Michaela Unterdörfer, so ist das hier beschriebene, eher gemächliche Anpassungs-Tempo in den 1950er bis 1970er Jahre augenscheinlich.
Wenn man den Stand der Mitglieder-Arbeiten aber, die unsere Ausstellung zeigt, betrachtet, erkennt man, dass das nichts mit Stagnation und Rückwärtsgewandtheit zu tun hatte. Wir haben im Zusammenhang der Exponate einen Spiegel vor uns, der die ganze Heterogenität, die sich im Allgemeinen heutiger Kunstwelt ereignet, im regionalen Rahmen wiedergibt.
Ja, und was gibt es noch dazu zu sagen?:
Es ist einfach gute Kunst!
Nun zu Christoph Gerling. Künstler-Portrait im zeit- und regionalgeschichtlichen Zusammenhang.
Christoph Gerling, Jahrgang 1937, ist gebürtiger Würzburger, er wächst in einer Familie am bekannten Gerling-Stammbaum auf, das bildungsbürgerlich liberale und weltoffene geistige Klima, das er hier privilegiert erfahren darf, gibt der Lebenseinstellung des jugendlichen Protestanten in der fürstbischöflichen Metropole einen simultanen Sinn für das Gemeinschaftliche im Verschiedenen, wägende Wachheit gegenüber dem Anderssein macht bereits den 15/16-Jähringen zum Moderator, der einen Weinstuben-Diskussions-Kreis aus Gymnasiasten gründet, man übt sich in einer kritischen Wahrnehmung des weingärten-bekränzten Lebensraums. Im Erleben von barockem Katholizismus und rationalem Wissens-Wesen der Universitäts- und Bischofs-Stadt verbanden sich lokalpatriotische Innigkeit und forschende Distanz eines Leonhard Frank.
Christoph malt und zeichnet von früh auf. Bei den Großeltern in Marburg gewinnt er den 3. Platz beim Malwettbewerb der Sparkasse Marburg, der Junge reicht ein Aquarell ein, das die Spiegelung der Häuser auf dem Wasser der Lahn zeigt, die Auseinandersetzung mit dem flüchtigen Motiv wird ihm zum Ur-Erlebnis, in dem er die Medialität und Eigengesetzlichkeit jedweder Wahrnehmung begreift.
Auch die fränkischen Kriegs- und Nachkriegskinder begrüßen die Rückkehr der europäischen Moderne in die deutschen Museen, Galerien und Kunstvereine, die Künstler der Abstraktion, des Expressionismus, Kubismus und Surrealismus faszinieren. Auch in Würzburg fordern sie mit den internationalen Vorreitern wie Van Gogh, Picasso, Mondrian, Henry Moore und der anderen, die im faschistischen Kahlschlag als „Entartet“ diffamiert waren, zum Streit der Geschmäcker und Meinungen heraus, und nicht zuletzt sind es regionale Künstler wie z.B. der 1924 geborene Curt Lessig, der nach Kriegsdienst und Gefangenschaft, 1947 Gründungsmitglied des BBK Ober- und Unterfranken wurde, die den Fortgang der europäischen Kunstgeschichte in Deutschland mit Verspätung vorantreiben. Mit dem 2002 von den Oberpfälzer Architekten Brückner&Brückner gebauten Kulturspeicher, der die Städtische Sammlung mit Kunst vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart enthält, nun auch im Bereich Kunst ein herausragendes Standort-Kennzeichen gesetzt worden, in dem sich Tradition und Moderne zur visionären Geste vereinen.
Gerlings Mutter Hanna ist französisch sprechende Konferenz-Dolmetscherin, nach dem Krieg stellt sie animiert vom Talent ihres13 jährigen Sohnes eine Verbindung zu dem namhaften, in der impressionistischen Liebermann-Tradition stehenden Würzburger Maler Josef Versl her.
Zwischen dem Landschafter, der sich vor allem dem Licht der fränkischen Mainlandschaft rund um Würzburg widmet, das jetzt in Trümmern liegt, und dem jungen Talent entwickelt sich eine Schüler- und Kollegen-Freundschaft, die zu gemeinsamen Plein-Air-Ausflügen bewegt. Der Vater Walter ist Wissenschaftler, Leiter des Würzburger Instituts für Amerikaforschung, Dozent für Geographie und Wirtschaftsgeographie, der viel im Arbeitszimmer und auf Forschungsreisen ist und die Neigung seines Sprösslings in interessierter und wohlwollender Distanz wahrnimmt.
Christoph Gerling studiert 1957 – 62 an der Akademie der Bildenden Künste bei Erich Glette, einem Vertreter des expressiven Realismus, der im dritten Reich mit Arbeitsverbot belegt war. Mit Christoph Gerling sind wir zeitgeschichtlich nah dran am Re-Animations-Prozess der Freiheit der Kunst nach dem 3. Reich und stoßen auf Themen und Daten, die der Kunstverein Weiden schon in früheren Ausstellungs-Projekten berührt und reflektiert hat.
Nämlich 1947 die vorhin bereits angesprochene Gründung der Künstler-Vereinigungen Neue Gruppe/ Haus der Kunst München, 1957 die Gründung der Gruppe SPUR ebenda, und nochmal 1947, da wird im zerbombten Nachkriegs-Nürnberg der wachstumsbegrenzte Künstlervereinigungs-Bonsai „Der Kreis“ gegründet, dessen Leitung in späteren Jahren wie gesagt auch Christoph Gerling innehaben soll. Neue-Gruppe-Gründungsväter-Namen, die längst im kunsthistorischen Olymp schweben und der heute agierenden Generation weitgehend unbekannt sind, Max Beckmann, Karl Schmidt-Rottluff, Karl Hofer, Willi Baumeister, Erich Heckel, Ernst Wilhelm Nay, Max Pechstein oder Emil Schumacher, sind für den heutigen Zeitzeugen Gerling und damaligen Debutanten zeitgenossenschaftliche, richtungsgebende Realität zum Anfassen.
Dass hier in wirtschaftlich desolater Lage weniger der markt-pragmatische Nutzen, der in der Gemeinschaft liegt, den Antrieb gibt, ist erwähnenswert, es sind ethische Vorstellungen, die das kämpferische Individualistentum der davon gekommenen Künstler auf Linie bringen, diese Ideen, die im Kern die Verpflichtung und Verantwortung gegenüber dem menschlich Echten meinen, finden im vorhin zitierten Neue-Gruppe-Gründungs-Manifest vor der Ruinen-Kulisse technologisch antihumaner Barbarei in exemplarischer Prägnanz und Klarheit Form; Kunst ist nun nicht mehr die Frage des stilistisch Neuen und vermeintlich Fortschrittlichen, es ist eine Frage des unverrückbar Guten, Wahren und Schönen in der unterschiedlichsten Facon.
Mut und Zumutung sind hier am Werk, wahres, leidensfähiges Künstlertum sichere Qualität, der Künstler träte als Garant unverbogenen Menschseins auf, die Suche nach einer letztendlich gültigen Positionierung des Künstlers im gesellschaftlichen Raum aber ist eine bis heute nicht abgeschlossene Odyssee. Wie lange die schon währt und welche Irrungen und Wirrungen noch warten, erkennt man, wenn man die Strecke deutscher Kulturgeschichte betrachtet, die zwischen der IG Farben 1937, deren Stab-Brand-Bomben Guernica zerstörten, und der Kultur-und Kreativ-Wirtschaft unserer Gegenwart liegt, die heute das schöpferische Querdenkertum als Speer-Spitze des Fortschritts denkt.
In diesem Zusammenhang hat Erich Glette mit Akademie-Kollegen wie Franz Xaver Fuhr, Toni Stadler, Georg Meistermann und Sep Ruf nicht nur eine künstlerische Aufgabe zu erfüllen, sie haben den Schnitt mit der Vergangenheit zu repräsentieren, der aber politischer und administrativer Ebene mit der Anstellung des Nazi-Künstlers und Speer-Freundes Hermann Kaspar nur halbherzig mit vollzogen wird. Aber nicht nur im Lehrkörper und zwischen Lehrköper und Regierung gibt es zu dieser Zeit Spannungen.
Gerlings Studium und die wesentlichen Momente seiner geistigen Prägung fallen in die Vorzeit der Studenten-Unruhen, in die Zeit der Münchener Krawalle und der antibürgerlichen Spaß-Guerilla der Gruppe SPUR (1957 – 65). Die meist aus der Oberpfalz stammenden SPUR-Kollegen studieren unweit im Korridor nebenan bei Asger Jorn, dem dänischen Cobra-Künstler und Vertreter des Internationalen Situationismus, einer europaweiten Vereinigung, wo die Kunst gerade noch als Stimulanz zur Überwindung von Kunst etwas gilt, als Weg-Entwurf zu einem befreiten Bewusstsein und einer befreiten Gesellschaft, und machen mit ihrer Ablehnung der akademischen Regeln Kunstgeschichte.
Gerling steht in Verbindung mit dem Rodinger Heimrad Prem, der ihm ein Selbstportrait zum Geschenk macht, ein kleines, toniges Format, stilistisch noch in der realistischen, bald darauf überholten Tradition, das heute einen Ehrenplatz an Gerlings Wohnsitz in Deckersberg/ Happurg hat und Erinnerungen wachhält, Gerling ist mittendrin dabei, folgt dem Gaudi-Manifest der Gruppe, die mit Dada-Aktionen den Kulturbetrieb verstören erlebt auch den anarchistischen Prem-Biss ins „Wadel“ eines Palasthotel-Kellners im Fasching 58 aus nächster Nähe. Was ist das? Kunst oder Körperverletzung?
Mit ihrem bildnerischen Sturm- und Drang aus Happening, Action-Painting, kollektivem Malen, Anti-Kunst und Intervention ist die Gruppe Spur deutscher Vorreiter. Die Grenzen fließen, Multi Media, der gesellschaftliche, universitäre, und kunstgeschichtliche Umbruch ist nicht aufzuhalten, kühne Gesten wie Duchamps Flaschentrockner 1917 oder die Zertrümmerung aller Kunst-Formen auf der Bühne des Cabaret Voltaire 1914 zu bewusstseins-atomaren Splittern und Scherben werden jetzt 50 Jahre später Programm.
Mit den bildnerischen Gattungs-Grenzen aber verflüchtigen sich die Qualitäts-Kriterien, die am ästhetisch basierten Ausdruck festmachen und für Malerei und Bildhauerei gelten. In ihrer bis dato gültigen General-Verbindlichkeit für Kunst überhaupt lösen sie sich just in dem Augenblick schon wieder in Luft auf, in dem sich die Künstler-Vereinigungen der Stunde Null auf sie einschwören.
Der akademische ästhetisch- retinal fundierte Kanon bezüglich der Qualitäts-Frage verliert unter den Wogen der Ecole de Paris, des abstrakten Expressionismus, Jackson Pollocks Widergängertum, und unter der Konzeptualität von Dadaismus und Fluxus seine Verbindlichkeit.
Malerei geht ihrer Jahrhunderte alte Leitfunktion und Universalität verlustig, sie macht dem postmodernen Anything Goes Platz, gewöhnt sich in der Nische an pluralistische Koexistenz und kollegiales Nebeneinander und dekliniert sich alt-vital und re-vital in Rein- und Hybrid-Form auf und nieder durch alle Ismen von Abstraktion, Informel, Neue Figuration, Pop, Analytische Malerei, Transavantgarde bis zum Boom der Neuen Wilden der 1980er Jahre und so weiter und so weiter.
Ob Kunst oder Nicht- Kunst, das obliegt der Fall- zu Fall-Entscheidung.
Bringen wir es auf den Punkt, auf den Kreis-Punkt: Es braucht da Leute, die sagen können: Das ist einfach gute Kunst!
Christoph Gerling kann das. Als Mediator, der in seiner Art der Kunst-Vermittlung nach Maßgabe der klassischen Symposien das kulinarisch Gemeinschaftliche hochhält, und als Künstler mit einer Vita bestehend aus zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland über 5 Jahrzehnte, kann er das.
Werfen wir abschließend einen Blick auf das Ambiente, das mit dieser Ausstellung geschaffen wurde, es ist der Vorhof zum Reich der ästhetischen Logik, bewacht von Kugel, Quader und Zylinder. Das Werk, das in seiner Vielgestaltigkeit fasziniert, ist Ausschnitt vom Kursbuch aller nur möglichen Verbindungen und Sachverhalte, die zwischen Punkt, Linie, Fläche, Farbe, Licht und Material möglich sind, und Ausdruck einer großen Reise-Leidenschaft, die das Kennenlernen von Land und Leuten ebenso liebt wie die Kunst.
Als Künstler geht er nah ran, er liebt den bildnerischen Body-Check, der die intellektuelle Distanz schaffende Ding-Bedeutung der Motive, der Hecken, Felsen, Blumen, Tische, Köpfe an den Lid- und Bild-Rand schiebt und die Gesetzmäßigkeiten der bildnerischen Elemente bei ihrem jongleurhaften Ringen um`s dynamische Gleichgewicht in den Blick schickt, voll ins Auge, bis sich des Drudels Kern zeigt. Die Tisch-Segmente an der Mittel-Raum-Wand sind paradigmatisch.
Nicht zu nah ran!
Der Reflexions-Kreis unserer kleinen Abhandlung schließt sich.
Lieber Christoph, liebe Kreis-Leute vielen Dank für Dein und Euer Kommen.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Kunst und des kreativen Lebens: Besten Dank für Ihre/ Eure Aufmerksamkeit. Der Kreis darf sich wieder öffnen, Richtung Bar.
Wolfgang Herzer