Comic-Welt in Weiden
Hendrik Dorgathen & im Zwischenraum StudentInnen der Klasse Hendrik Dorgathen / Kunsthochschule Kassel
18.03.—24.04.11
Info
Hendrik Dorgathen (* 1957 in Mülheim an der Ruhr) ist ein deutscher Illustrator und Zeichner und gehört zu der die deutschsprachigen Comic-Avantgarde der 90er Jahre. Die speziell deutschsprachige Comic-Kultur wurzelt u.a. mit Wilhelm Busch und den Münchener Bilderbogen im Biedermeier des 19. Jahrhunderts, in den Nachkriegs-Dekaden, dem so genannten Wirtschaftswunder der Bonner Republik, erlebte so mancher Heranwachsende wie auch der Autor dieser Zeilen und die Vertreter der hiesigen Heftchen-Sammler-Szene, die 2010 der kleine Weidener Comic-Markt im Kunstverein zusammenführte, ihre Sozialisation mittels des deutschsprachigen Comics in einem relativ klar geordneten Spannungsfeld. Das lag zwischen den proletarischen Schund-und Schmutz-Leitbildern Akim, Sigurd, Robinson, Silberpfeil, Nick und den Sauber-Mann-Totems Mecki, Jimmy das Gummipferd, Nick Knatterton, Fix und Foxi und Lurchi. 2010 der kleine Weidener Comic-Markt im Kunstverein, ja, das war ein Schwelgen in Erinnerungen, ans Lesen mit der Taschenlampe, im verborgenen Pausen-Hof-Winkel, hastiger Tausch im überfüllten Schulbus, an Heftchen kassierende Erziehungsberechtigte, die dann die Heftchen selber lasen und bereuten, jemals mit solchen Kostbarkeiten den Ofen angeschürt zu haben. Comic avanciert in den 70er Jahren zur 9. Kunst, er wird als erstes Mixed Medium, als darstellerischer Bild&Wort+Raum&Zeit-Hybrid mit unendlichen Anschlussmöglichkeiten global so etwas wie die verborgene künstlerische Leit-Kategorie unserer multi-medialen Tage, die heutige Comic-Avantgarde gilt auf jeden Fall als die aufregendste Brutstätte authentischer und unabhängiger Pop-Kultur zu Beginn des 21. Jahts. In den 90er Jahren weckt der deutschsprachige Comic erstmals in seiner Geschichte internationale Aufmerksamkeit. Künstlerinnen und Künstler wie Atak, Jim Avignon, M.S. Bastian, Martin Tom Dieck, Hendrik Dorgathen, Christian Farner, Anke Feuchtenberger, Holger Fickelscherer, Markus Huber, Christian Huth, Thomas Ott , Anna Sommer, Henning Wagenbreth publizieren in den USA, Frankreich, Belgien, Spanien, Italien, Finnland, Griechenland. Das Buch „ Heute ist der letzte Tag vom Rest Deines Lebens“ von Ulli Lust, dem Gast und Star unserer Passt IV - Ausstellung 2009, ist soeben auf Französisch erschienen.
Hendrick Dorgathen studierte nach dem Abitur in Duisburg Kunstpädagogik und Evangelische Theologie, ehe er 1983 für ein Studium in Kommunikationsdesign an die Gesamthochschule Essen wechselte. Als Illustrator lieferte er Arbeiten für Geo, Die Zeit, Bild der Wissenschaft, SZ-Magazin, FAZ, die New York Times und zahlreiche andere Publikationen. Seit 2003 ist er Professor für Illustration an der Kunsthochschule Kassel, wobei er angesichts des Aufstiegs des Internets und anderer Medien dem Comic einen besonderen Stellenwert gibt: „Die Einbeziehung von Comics in das Studium der Illustration erscheint mir als das sinnvollste und ökonomischste Mittel, um die Student/innen auf die neue multimediale Situation vorzubereiten.“ Etliche seiner Stundent/innen haben mittlerweile ihre Strecke auf dem Weg der Professionalität als Ilustrator/innen, Zeichner/innen, Autor/innen zurückgelegt, den Wettbewerb um die Sonderbriefmarke „Für uns Kinder“ des Bundesministeriums der Finanzen in den Jahren 2008/09 haben Studierende der Klasse Dorgathen gewonnen.
Dorgathen selber schuf neben seinen illustratorischen Arbeiten auch Comic-Bücher und Animationsfilme, für den Musiksender MTV, für Theater-Inszenierungen, für internationale Spielfilme, für die Expo 2000 in Hannover und für das Smithsonian Institute in Washington. Performances erarbeitete er in Zusammenarbeit mit dem ZKM Karlsruhe für die Transmediale in Berlin, sowie für den Kunstverein Kassel. Dorgathens Imaginationen entstammen der Wirklichkeit der Städte. Inspiriert vom Formen- und- Farben- Boogie-Woogie der urbanen Dingwelt und der Seele der MTV-Roboter gilt er als Gradwanderer zwischen Comic und Bildender Kunst und als deutschen Erfinder des Comics ohne Sprechblase. Das Erzählerisch-Illustrative von Bild und Bildsequenz und die Eigenständigkeit der Einzelkompositionen in ihren rein ästhetischen Sprachstrukturen halten sich in den Veröffentlichungen des Max-und-Moritz-Preisträgers die Waage, die Herrschaft des Plots tritt zurück, das Auge bricht zur Expeditionen ins Land der visuellen Freiheit auf.
Größeren Kreisen ist Hendrik Dorgathen durch „Space Dog“ bekannt, die Geschichte des kleinen roten Hundes, der ins All geschossen wird. „Space Dog“ erschien 1993 in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien und ist mittlerweile weltweit bekannt. Hendrik Dorgathens Debüt markiert laut des Zürcher Verlags edition moderne eine wegweisende “Annäherung von Comic und Kunst“. Auf dem Comicfestival 2008 in Erlangen wurde sein Schaffen mit einer großen Werkschau geehrt und mit dem großformatigen „Slow“ waren bei „Edition Moderne“ zeitgleich seine neusten grafischen Novellen erschienen. Aktuell arbeitet Hendrik Dorgathen an einer Science Fiction Geschichte. Die Ausstellung im Kunstverein zeigt Ausschnitte der Ausstellung in Erlangen 2008 und Arbeiten aus der Klasse für Illustration an der Kunsthochschule Kassel; sie setzt damit die Programm-Linie des Kunstvereins „Kunstübungsplatz“ fort, die seit 1999 den Fokus auch auf den künstlerischen Nachwuchs richtet.