Die ganze Stadt 2
Ergebnisse des deutsch-tschechischen Fotoworkshop-Doppel Plauen - Karlsbad
21.03.—30.04.03
Info
Die alte Strassenbahn rattert durch Plauen. Der Waggon ist von müden, aber immernoch hochkonzentrierten, jetzt nach innen gekehrten Gesichtern gefüllt.
Es ist Abend.
Die vorwiegend jungen Leute haben eine Art ,,Ersten Schöpfungstag" hinter sich. Sie gehören zu einer zwanzigköpfigen Gruppe Fotograf/innen aus der böhmischen und sächsischen Euregio Egrensis, die in gewisser Hinsicht an einem Workshop „der dritten Art“ teilnehmen.
2001 war diese Gruppe eine Woche lang in Karlovy Vary (Karlsbad) unterwegs. 2002 durchkreuzte sie in teilweise anderer Besetzung ebenfalls eine Woche Plauen (Plavno), um die andere und die eigene Stadt in ihrer Ganzheit aus Fremd- und Selbstwahrnehmung zu entdecken.
Künstlerisch zur Seite standen ihnen dabei renommierte Fotograf/innen; in Karlsbad Jindrich Streit und Horst Herz (heute eher als Dokumentarfilmer bekannt), in Plauen Andrea Seppi und Lukas Kliment. Vom 21. März bis zum 30. April sind die fotografischen Ergebnisse jetzt zum ersten Mal in Weiden zu besichtigen. Lageberichte, die in experimenteller Offenheit ebensowie in der Ästhetik großer Fotokunstklassiker gehalten sind.
Warum startet die Ausstellungsserie in Weiden? Nun, Sie erinnern sich vielleicht noch? Hier hatte es vor drei Jahren angefangen. Unter dem Titel „Interface WEN“ pirschten im Sommer 2000 vierzehn deutsche und tschechische Jugendliche mit schwerer Kamerabewaffnung durch die Max-Reger-Stadt. Die Tutoren Rose Heuberger (Regensburg) und Jindrich Streit standen Fortgeschrittenen und blutigen Anfängern gleichgermassen zur Verfügung.
Das erste deutsch-tschechische WorkshopDoppel hieß "Weiden-Cheb" und entsprang der Kooperation der Fotogalerie G4 in Cheb, der grenzüberschreitenden Initiative Blue Bike aus Selb und des oberpfälzischen Kunstverein Weiden. Geplant war in den kommenden Jahren unter dem Arbeitstitel "Jetzt und Hier!" noch eine ganze Reihe von Städten in der Euregio Egrensis zu besuchen und fotografisch "vermessen" zu lassen. Am Ende könnte eine große Ausstellung die ganze Fülle euregionaler Bilder-Welten zugänglich machen, die jetzt zum Teil noch im Off überkommener Sehgewohnheiten liegen.
Worum es dabei im einzelnen geht? Die fotografische Entdeckungsreise hat wenigstens zwei Ziele im Auge.
Zum einen sollen - jenseits der bunten Werbefotografie - die ebenso unbekannten wie widersprüchlichen Ansichten der Euregio Egrensis gefunden werden. Spannende Nachbarschaften. Das regt zum Kennenlernen an.
Zum anderen ermöglicht das Projekt den einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, sich auf ganz persönliche Art einer Stadt anzunähern und dabei nicht nur im fremden, sondern auch im eigenen Lebensraum Neuland zu entdecken. Außerdem bieten die Workshops jungen Fotografen die selten gewordene Möglichkeit, sich einmal länger auf ein frei gewähltes Thema einzulassen. Eine interessante Frage ist dabei immer, ob die Workshop-Teilnehmerinnen aus Böhmen und Sachsen unterschiedliche Zugänge wählen, die jenseits individueller Neigungen vielleicht auch die wahrnehmungsbildenden Kräfte der Geschichte bestätigen.
Die Workshop-Lektoren unterzogen sich - nicht anders als ihre "SchülerInnen" - ebenfalls der Prüfung durch die sächsisch-böhmische Mixtur vor den ganz unterschiedlichen Kulissen, einmal der verblichenen und neuen Villenpracht des einstigen K&K-Kur-Ortes und zum anderen der von Abwanderung bedrohten Textil- und Metallerstadt im Vogtland-Zentrum.
Jindrich Streit muss Lichtbildfreunden nicht vorgestellt werden. Er ist eine Ikone der dokumentarischen Fotografie. Horst Herz wiederum kam über die Bild-Kamera zum Dokumentarfilm und kümmert sich in NRW vor allem um den Nachwuchs. Lukas Kliment trat an der FAMU, der Prager Film- und Foto-Hochschule, in den achtziger Jahren mit seiner "Das subjektive Dokument" betitelten Abschlussarbeit, einem Affront gegen die sozialistisch-realistische Kulturdoktrin, an die Offentlichkeit. Heute blickt er auf fünfzehn Jahre selbstständiger Berufspraxis und eine Reihe internationaler Ausstellungen zurück. Die Fotografin Andrea Seppi studierte u.a. Architektur, neuere deutsche Literatur und zuletzt Fotografie in Leipzig. In verschiedenen Ausstellungen und Buchpublikationen ist eine unverkennbar klare, fast schon kühle Handschrift belegt.
In diesem Sinne! „Le style c'est l'homme", sagt der französische Naturforscher Georges Buffon. Hoffen wir, daß nicht zuletzt auch diese Botschaft unserer Bilderschau die Menschen erreicht.
Ihre
Georg Schatz und Wolfgang Herzer