Einer aus Weiden und die Liebe zur Kunst
Friedrich Herlt - Werkschau 1942/43—2009/10
16.04.—09.05.10
Info
Es ist endlich gelungen: Friedrich Herlts Werk, das einen gesicherten Platz in der Sammlung des Kunst-museums Erlangen hat, ist nun auch in Weiden zu sehen. Die Ausstellung des Weideners Herlt trägt einen Titel, der ganz bewusst einem Roman von Henri-Pierre Roché (1879 – 1959) entlehnt ist, dem Schriftsteller, Kunstsammler und Mentor aus den großen Tagen der Moderne. Eine Geistes-Verwandt-schaft. Die Erinnerung an die auch heute noch be-kannten Filme, die François Truffaut nach Rochés Romanen drehte, an „Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent“ und insbesondere an „Jules et Jim“, lässt mit einem Schlag die Atmosphäre jener Zeit in ihrer ganzen himmelhoch-jauchzenden und bestürzenden Zwiespältigkeit aufleben. Südliche Sonne und Götterdämmerung. Ein Zentrum dieser Zeit ist Paris.
Prag, wo Friedrich Herlt in den 30er Jahren an der Deutschen Universität studierte, wurde nicht umsonst das Paris des Ostens genannt. Den damals gängigen geschichts-philosophischen Optimismus, dass mit den technischen Errungenschaften der Moderne das irdische Paradies in Sicht kommt, ergänzt auch dort die Kunst mit ihren Ur-Bildern des Humanen. Sie meint, diese in der Abstraktion, bei den Naturvölkern und in der archaischen Antike gefunden zu haben. Würde sich nun der Kreis schließen?
1914, in Herlts Geburtsjahr, beginnt der 1. Weltkrieg. Das Kräfte-Gleichgewicht, das ein Jahrhundert lang das Verhältnis der Großmächte reguliert hat, bricht zusammen, die Barbarei überrollt den Kulturraum, die Welt der europäischen Werte-Gemeinschaft gehört dem Chauvinismus und dem militärisch-ökonomischen Kalkül.
1939 da capo in noch grauenvollerem Ausmaß.
1945: Schnitt: Demokratie und Wirtschaftswunder. Kultureller Kahlschlag: Wo anknüpfen? Das, was die NS-Doktrin als „Entartete Kunst“ verboten hat, ist dem Sanitätsoffizier Dr. Herlt wie vielen anderen Künstler-Kollegen geistige Lebensrettung, seelische Lichtung, ist Aufscheinen/Durchscheinen einer anderen, unzer-störbaren Welt inmitten des Chaos. Friedrich Herlt versteht sich selber als Traditionalist, er ist ein Reprä-sentant der am Deutschen Idealismus orientierten Auffassung, dass Kulturleistungen ein zeitloses, dauerhaftes Reich des Schönen darstellen, eine Welt ewiger Werte, der Subjektivität entzogen, dem Alltag ebenso wie den Verwerfungen in Politik und Gesellschaft enthoben, der Künstler ihr Medium.
Friedrich Herlt, geboren in Liebau/ Nordmähren, kommt 1950, in einer Zeit des zögernd beginnenden pragmatischen Wiederaufbau-Denkens, nach Weiden, nicht unbedingt eine Stadt großer bürgerlicher Kultur, eine Eisenbahner- und Porzelliner-Stadt, die in musikalischer Hinsicht aber mit Max Reger verbunden ist, in künstlerischer mit Franz Hofstätter und Wilhelm Vierling, die um 1900 mit der Innenausstattung der Josefskirche ein außergewöhnliches, bayernweit einmaliges Jugendstilkunstwerk geschaffen haben. Herlt lebt gegenüber dem offiziellen Weiden zurück-gezogen, bis auf die wenigen Kontakte, da er sich anbietet, wegen einer Großplastik im öffentlichen Raum für die Stadt eine Verbindung zu Henry Moore bzw. Marino Marini herzustellen.
Im historischen Rückblick, zu dem diese Ausstellung einladen will, ist Friedrich Herlt in mehrfacher Art als geheimer Botschafter moderner Kunst in Weiden er-kennbar. In seiner Praxis lernen seine Patienten ne-ben seiner fachlichen Kompetenz auch seine Aus-tauschfreudigkeit über kulturelle Themen schätzen, für jugendliche Patienten, die vom Leben als Künstler träumen (dazu gehört auch der Autor dieser Sätze) ist er der Bote aus Utopia und ein Beweis dafür, dass die Innen-Welt der Bücher und Bilder real existiert, Herlt kennt sie, er ist mit ihnen bekannt, ja befreundet: Tapiès, Saura, Villelia, Dalí, Kokoschka, Vasarely, Moore und Beuys. Aber auch auf eigener Altersstufe findet er, wenn auch nur in kleiner Zahl, in seinem Umfeld die verwandte Seele, die Entzündbarkeit für die Freude am Ästhetischen, den Sammler-Trieb. Im Weidener Rathaus herrscht über gut zwanzig Jahre im Zwei-Jahres-Turnus großer Ausstellungs-Betrieb, Herlts Impulse haben den Boden dafür bereitet. Die objektive Betrachtung stellt das nur fest, Herlt selber schätzt die Privatheit.
Über seine Aktivitäten als Künstler bleibt er dem frän-kischen Raum stärker verbunden als der Oberpfalz. Während seiner beruflichen Tätigkeit 1945 bis 1949 in Erlangen wird er Mitglied der Künstlervereinigung „Freie Gruppe“. Hier findet er Freunde: Ernst Haas, Willi Hilpert, Ernst Muss, Hermann Wilhelm. Eine besonders starke Freundschaft verbindet ihn mit dem Bildhauer und Fotografen Helmut Lederer, einem gebürtigen Egerer. Dessen Lebensthema ist auch ein Hauptmotiv des Herltschen Werkes: „Formen, weib-lich“. Die Verkörperung der Vision einer friedvollen Idylle, wie sie von Giorgione über Cezanne bis Matisse und Modigliani bekannt ist. Zusammen bereisen Herlt und Lederer Frankreich und Italien. Italien erleben sie wiederholt als arkadische Stimmungslandschaft, via Automobil: Das greift die abgerissene Tradition vieler Künstlergenerationen vor ihnen auf. Fast zeitgleich mit ihnen versuchen Künstler, die zu Protagonisten der deutschen Nachkriegszeit werden sollen, wie Gilles und Heldt, in deren Werk sich moderne Abstraktion und neo-klassizistische Tendenz der 20er Jahre mit dem geometrischen Stil und dem mythischen Geist der frühen Antike verbinden, ihrem Kriegstrauma durch den Ausstieg in den Archetyp zu entkommen.
Herlt und Lederer lernen auf ihren Wegen Marino Marini kennen; auf dem Rückweg von Neapel be-schließen die beiden Mittdreißiger auf der Höhe von Mailand, am Atelier des zehn Jahre Älteren und Hoch-verehrten zu läuten – Beginn eines langjährigen Sich-Kennens und Schätzens.
Zugleich mit seinem Umzug nach Weiden und seiner Niederlassung als Arzt tritt Herlt der „Neuen Münche-ner Künstlergenossenschaft“ bei. Es folgen Ausstel-lungsbeteiligungen sowie Einzelausstellungen, meist unter dem Pseudonym „Medina“. Er kommt rum: Aschaffenburg, Mailand, München, Barcelona. Studienreisen führen immer wieder nach Italien, Frankreich und Spanien, vor allem Spanien, an die Costa Brava. Nicht nur das Landschafts- und Kunst-Erlebnis fasziniert Herlt, dort lernt er auch seine zu-künftige Ehefrau kennen, die Katalanin Maria Pilar. Sie ist ebenso das Motiv vieler seiner Bilder wie die kata-lanische Küstenlandschaft mit ihren zerklüfteten Buch-ten. 1955 heiraten die Spanierin und der Deutsche. In den folgenden Jahre kommen die Töchter Maria-Luisa, Maria del Mar und der Sohn Guillermo zur Welt .
Herlt ist kein Hobby-Maler, seine Formulierungen stammen nicht aus dem Sekundär-Bereich längst vermittelter und etablierter Ausdrucksformen, obwohl der Wiedererkennungs-Effekt: aha die 50er!, überwäl-tigend ist. Die künstlerische Sprache dieser Zeit folgt einer eigenen, unverwechselbar persönlichen Diktion.
Herlt selber sah sich stets vorrangig als Arzt. Das künstlerische Tun, das ihn auch heute noch im hohen Alter ins Atelier treibt, diente ihm als Medium der Lebenssteigerung und Pflege der humanistischen Idee.
Der Kern seines Werkes, das Werk eines Altmitglieds der Erlanger Szene von über 800 Gemälden, Zeich-nungen und zwei Plastiken, ist Bestandteil des Kunst-museums Erlangen. Dieses widmet sich im Verbund mit anderen örtlichen Kunst-Einrichtungen, die den Schwerpunkt Gegenwarts-Kunst haben, ganz speziell den herausragenden regionalen Positionen, die bis in das frühe 20 Jahrhundert führen. Seit die Räume Franken und Oberpfalz zur Metropolregion Nürnberg zusammengeschlossen sind, ist dies dank des enga-gierten Kuratoriums durch Dr. Jürgen Sandweg heute auch eine interessante Option für Oberpfälzer Künstler/innen.
Herlt hat in den 1930er Jahren in Prag parallel zur Medizin Malerei studiert. Die altehrwürdige Univer-sitätsstadt und junge tschechische Republik-Haupt-stadt des Philosophen und Staats-Präsidenten Masaryk hat die Künstlergruppe Manes via Paris mit der Weltkunst vernetzt, und dabei hat sie im Kontext der Moderne ganz eigene Blüten wie z. B. den tsche-chischen Kubo-Expressionismus hervorgebracht. In diesem Klima bewegt sich der junge Herlt und kommt über seinen Lehrer Kurt Halleger mit der École de Paris in Berührung. Dabei bleibt er in seiner Grund-haltung figurativ, einem fassbaren, Antwort gebenden Gegenüber verbunden. Es entstehen Akte, Torsi, Landschaften, Stillleben, mythologische Darstellungen, Portraits. Und auch in den abstrakten Formulierungen der 60er Jahre, den Torsi und Licht-Raum-Bildern, bleibt der Künstler-Arzt dicht am Menschen. Das gilt ganz speziell für die materialbetonten Übermalungen von Röntgen-Bildern: dunkelfarbige, ernst gestimmte Arbeiten, in denen sich seine beiden Professionen verbinden.
Trotz dieser formalen und inhaltlichen Einschränkung innerhalb der eigenen künstlerischen Arbeit ist Herlt dem Neuen gegenüber ausgesprochen offen. Surrealismus und abstrakter Expressionismus werden aufmerksam studiert, die Neue Sachlichkeit gestreift. Kaum zu glauben, dass es dann der Fluxus-Künstler Joseph Beuys ist, der zu einer bestimmenden Größe der weiteren Herltschen Vita wird. Herlt trifft Beuys in den 60er Jahren auf einer Veranstaltung der Nürnber-ger Akademie der Bildenden Künste, einem „event“, das im Zeichen der Studenten-Bewegung steht. Der Künstler des politisch erweiterten Kunstbegriffs aus Düsseldorf, der mit dem dortigen Kultusministerium im Clinch liegt, hält eine Rede, die bei Herlt, wie dieser selber sagt, als eine Art „Bergpredigt der Kunst“ an-kommt, als Liebes-Botschaft, für die formale Grenzen nicht existieren.
Auf die kunstvermittlerische Beziehung, die zwischen beiden entsteht, nahm die Ausstellung „JOSEPH BEUYS UND FRIEDRICH HERLT: BEGEGNUNGEN 1975 – 1985“ Bezug, die der Kunstverein Weiden in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Erlangen im Rahmen des Projektes „Standpunkte-Landeplätze & Kunsträume Bayern 2008“ durchgeführt hat. Es war eine fertige Ausstellung, die Dr. Jürgen Sandweg be-reits zwei Jahre vorher im Kunstmuseum Erlangen präsentiert hat. Gezeigt wurden aus dem druckgra-phischen Spätwerk von Beuys Zustands-, Widmungs- und „Epreuve d’Artiste“- Blätter der Serien „Schwur-hand“, „Zirkulationszeit“ und „Tränen“.
Neben dieser Such-Verbindung aus Weiden, die für Herlt zehn Jahre lang Kurierdienst zwischen einem renommierten Drucker in Barcelona und Beuys’ Atelier in Düsseldorf bedeuten, belohnt von persönlichen Widmungen auf vielen Blättern, besteht noch eine ungesuchte Zufalls-Verbindung des Welt-Künstlers Beuys nach Weiden. Beuys war 1942 als Stuka-Flie-ger auf dem heute nicht mehr existierenden Militär-flugplatz Maierhof bei Weiden stationiert – eine Hügel-plastik, die 2008 im Rahmen des Projektes „Stand-punkte -Landeplätze“ entstanden ist, erinnert daran.
Mit Friedrich Herlt kam, wie eingangs schon erwähnt, ein Botschafter der modernen Kunst nach Weiden. Es kam aber auch, wie der Blick in die Vita zeigt, ein Grenz-Landschicksal dicht an seine Ursprünge zurück, das sich zum Kosmo-Polit-Sein befreit hatte.1950: Das war fünf Jahre vor der documenta I in Kassel und der damit verbundenen Rückkehr Deutschlands in die Weltkunst-Liga – das „Wunder von Bern“ hatte 1954 stattgefunden. Es ist sicher interessant, mit dem Licht, das Herlts ekstatische südländische Landschaften er-füllt, sich in die kunstgeschichtliche Dunkelheit unserer Stadt und unserer Gegend aufzumachen. Die Qualität von Herlts eigener Arbeit macht Lust, vor Ort die ande-ren Talente seiner Zeit zu suchen und zusammen zu führen.
In der Talentpflege von damals bis heute hat der Kunstverein Weiden im Rahmen seiner eher beschei-denen Mittel bereits mehrfach wichtige Projekte ange-schoben. Herlts Arbeit setzt nun Maßstäbe, sein aus-geprägtes Traditionsbewusstsein und sein künstleri-sches Ethos als Vermittler haben (1) die exempla- rische Größe, die öffentliche Resonanz einfordert, auch wenn Herlt selber ein Mensch ist, der die öffent-liche Bühne lieber meidet. Aus dieser schwierigen vom Kalten Krieg und der deutschen Vergangenheits-Be-wältigung geprägten Zeit, kennt man vielleicht nur noch die Distel von Herbert Mollwitz (1901 – 1970), welche die Optik vieler öffentlicher und privater Räume regierte. Eine Zusammenschau des damaligen, von hiesigen Künstler/innen getragenen Kunstraumes existiert nur ansatzweise.
Der Kunstverein Weiden dankt der Familie Herlt, namentlich der Tochter Maria-Luisa, die sich durch die Archivierung des väterlichen Werkes verdient macht, dankt dem Kunstmuseum Erlangen, namentlich dem Kurator Dr. Jürgen Sandweg, der dafür Sorge trägt, dass Friedrich Herlts Name in der fränkisch-oberpfälzischen Kunstwelt seinen angemessenen Platz findet, als Faktor eines Bewusstseins, in dem sich das Verlangen nach Identität und Inspiration mit einem Gefühl für zeit- und geistesgeschichtliche Zusammenhänge verbindet, das über den Tag hinaus wirkt.