Engagierte Kunst
Public Art
Social Impact / Linz:
E55 - Zur Situation der Sexarbeiterinnen
POWWOW / Selb:
POWWOW macht Arbeit
Amnesty International / Weiden:
Waffen unter Kontrolle
02.09—25.09.05
Info
PUBLIC ART - KUNST ALS SOZIALARBEIT?
Meine sehr geeehrten Damen und Herren,
ist das noch Kunst? Den Kunstfreund/innen wird es hier nicht leicht gemacht. Irritiertes Stöhnen im Publikum ist schon zu hören, allerdings ganz verhalten, weil es hier ja außer dem Anspruch, Kunst zu machen, auch um menschlich Schwerwiegendes geht, das zu vorurteilsfreier Aufmerksamkeit verpflichtet. Kunsttheoretisches Meinungsgerangel hat da hintanzustehen; hören wir erst, was die Ausstellenden zu sagen haben.
Dazu sind Sie herzlich eingeladen. Wir freuen uns über Ihr Interesse. Für den Kunstverein steht natürlich die Kunst-Frage im allgemeinen und die Problemstellungen zeitgenössischer Kunst im Vordergrund, die heute eher jenseits von Farbe und Form liegen.
An dieser Stelle daher ein kleiner Exkurs über den Begriff Public Art.
Wie war das doch gleich? Will man den Begriff der Kunst, die eine besondere Form ist, die gegebene Wirklichkeit zu reflektieren bzw neue Wirklichkeiten herzustellen, von dem, was nicht Kunst ist, abgrenzen, von den Begriffen der Arbeit, des Alltags, des Lebens, so tritt uns als markanter Unterschied mit Kant auch heute noch gerne der Begriff des „interesselosen Wohlgefallens“ entgegen. Kunst ist im Gegensatz zu allen anderen Formen, mit den Dingen umzugehen, außer denen des Spiels, zweckfrei, unnütz, so der Denker. Sie instrumentalisiert nicht, und auch wenn ihr Grundsatz „Less is more“ heißt, begrenzt sie nicht, sie geht, was die Tradition bis zu den 60er Jahren anbelangt, in Gestalt von Artefakten, von Bildern und Gebilden aufs Ganze. Die spezielle Ordnung einzelner Lebensbereiche tritt gegenüber einer Spielregel zurück, nach der sich möglichst alles miteinander verbinde, verbandele und verwandele. Dabei ist das materielle Bild, die „Flachware“, das die landläufige Auffassung mit Kunst gleichsetzt, immer schon weniger auf Grund seiner handwerklichen Ausführung ein künstlerischer Wertgegenstand gewesen. Der Wert des Kunstwerks liegt in seiner ideellen und ästhetischen Qualität, inmitten der Alltagszwänge Türen in Frei-Räume, in die selbsttätigen Bezugs- und Bedeutungs-Systeme des Geistes aufzustoßen. Die Kunst entsteht erst beim Sprung durch die Leinwand. Dahinter würde der Betrachter, je nachdem, ob er mit Freud oder mit Marx geht, eine Ersatzbefriedigung für die Einschränkungen seines Lebens erfahren bzw sich durch die Vorschau auf eine bessere Welt zum Handeln angeleitet fühlen. So war das bis vor 50 Jahren.
Seitdem hat der künstlerische Weitspringer die Leinwand noch weiter hinter sich gelassen. Der erweiterte Kunstbegriff in der Nachfolge von Dada und Duchamp, die eine Kunst ohne Kunstwerk, ohne Aura und Schöpfer zur Welt brachten, öffnete sich bereichsweise in den 60er und 70er Jahren und dann reanimiert in den 90er Jahren radikal dem Leben.
Leben wird dabei nicht als die alles durchdringende Urkraft des Expressionismus begriffen; Kunst ist selber ein Teil des Lebens, ist Einmischung, Teil eines globalen Geflechtes weitgehend unzusammenhängender Diskurse, unter denen sich dem künstlerischen Diskurs die Rolle als Mediator anbietet. Schließlich ist die Kunst aufgrund ihrer Bild-Bilde-Kompetenz in der Lage, alles mit allem in schlüssiger, wenn auch mehrfach verschlüsselter Form zusammen zu bringen, die immerhin die Option einer diskursübergreifenden Verständigung und neuer und nützlicher Einsichten enthält.
Der Zug zum Eigentlichen der Kunst findet auch darin seinen sinnfälligen Ausdruck, daß im Zentrum der künstlerischen Produktion nicht mehr der ästhetische Verkaufs-Gegenstand steht. Hier geht es jetzt um Konzepte, Projekte und Prozesse. Die sozialen Vorgänge Kommunikation, Kooperation und Partizipation selber werden in ihrer unmittelbaren Wirklichkeit zum künstlerischen Baustoff. Dasselbe gilt für wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Denk- & Hand-lungsmuster. An die Stelle des einzigartigen, schöpferischen Individuums treten multiple Autorenschaften.
Jeder Mensch ist ein Künstler, sagt Beuys.
Fühlen Sie sich also herzlich eingeladen. Kommen Sie, machen Sie mit. Jetzt haben die Künstler das Wort:
E55 / ZUR SITUATION AM DEUTSCH- TSCHECHISCH - ÖSTERREICHISCHEN STRASSENSTRICH
social impact / linz
Nach ausführlichen Interviews mit Sex-Arbeiterinnen, die an der Europastrasse 55 nahe der österreichischen und deutschen Grenze arbeiten, wird gemeinsam mit den Sexarbeiterinnen und Kriminalpsychologinnen ein Sprachkurs mit Selbstschutzphrasen für die Prostituierten am Straßenstrich erarbeitet. Der Sprachkurs erscheint als Broschüre und als CD und wird kostenlos an die Sexarbeiterinnen verteilt.
Social Impact, ein Kunstlabel mit Sitz in Linz, ist seit einigen Jahren in der Bearbeitung soziopolitischer Reibungsflächen wirksam. Eigens konzipierte Produkte und Inter-ventionen sorgen nicht nur für Öffentlichkeit und mediales Interesse und initiieren Debatten zum Thema - sie tragen zusätzlich zur Verbesserung der Rahmenbedingungen im ausgewählten Aktionsfeld bei. Das Projekt „E55“ steht exemplarisch für die Arbeitsweise von Social Impact. Es untersucht die Auswirkungen von Wohlstandsgrenzen und setzt sich mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen in den tschechischen Grenzbezirken auseinander. Das globale Thema Sextourismus wird auf regionaler Ebene bearbeitet.
Am grenznahen Straßenstrich arbeiten hauptsächlich tschechische Frauen und Mädchen. Ihre Kundschaft besteht großteils aus Öster-reichern und Deutschen, die über die Grenze anreisen. Eine beim Institut für Entwicklungssoziologie der Kepler-Universität Linz in Auftrag gegebene Studie untersucht anhand von Interviews mit Prostituierten, Streetworkerinnen und Polizisten die Situation der Prostitu-ierten in Grenznähe. Eines der wesentlichen Ergebnisse ist, dass zusätzlich zum Wohlstandsgefälle die Sprachbarriere zwischen Kunden und Sexarbeiterinnen die Freier in ihrem Machtbewusstsein bestärkt. Gleichzeitig erschwert die Sprachbarriere den Sexarbeiterinnen ihre eigenen Interessen zu schützen, sich gegen die auftretenden Gewaltübergriffe zu wehren & Konflikte zu deeskalieren.
In Zusammenarbeit mit Streetworkerinnen, Sexarbeiterinnen und Experten von AIDS-Hilfe und Kriminalpsychologen wird ein Sprachkurs für die Prostituierten produziert, betreut von einer Sprachwissenschaftlerin der Universität Budweis, die sich vor allem mit Gender- und Machtfragen in der Sprache beschäftigt. Der Sprachkurs beinhaltet neben entsprechendem Fachvokabular auch spezifische Phrasen, die bei Gewaltübergriffen zum Selbstschutz und zur Deeskalation eingesetzt werden können. Gleichzeitig wird Aufklärung in Bezug auf AIDS/HIV, Gesundheitsvorsorge und Gewaltprävention geleistet und die Standards der Verhandlungen und Dienstleistungen beeinflusst.
Der Kurs wird als Buch und CD/MC publiziert und an die Prostituierten nahe der österreichisch-deutschen Grenze verschenkt. Damit wird nicht nur ein Anlass zur Debatte geschaffen sondern auch eine Beitrag zur Entschärfung der Gewaltübergriffe und zum Empowerment der Prostituierten geleistet.
Anlässlich der Erstpräsentation des Projektes im Kunstverein Weiden startet die Vertei-lung in Grenzraum Bayern.
Harald Schmutzhard
POWWOW MACHT ARBEIT
powwow/Selb
POWWOW zeigt Interventionen im Öffentlichen Raum seit 1998, darunter SOCKEN FÜR SACHSEN und OHNMACHT. LUST. POWWOW. 2001 hat POWWOW die Intervention MÄNNER-PARKPLATZ in Weiden durchgeführt. Nun wollen wir die Stadt Weiden zu einem neuen POWWOW einladen. Es heißt POWWOW MACHT ARBEIT und greift künstlerisch das wachsende Unbehagen über die sich wandelnde Arbeitswelt auf. Der Clou dabei ist: Es wird von uns nicht im stillen Kämmerlein, sondern zusammen mit den Weidenern in einem offenen Workshop erfunden. Wir setzen unser Vertrauen in den floatenden Ideenreichtum und die wilde Kraft der Öffentlichkeit.
POWWOW schüttelt die Arbeit. Dankbarkeit für die Arbeitsschaffer heute hin oder her, der gängige Spruch, jede Arbeit sei besser als keine, kann so nicht gelten. Die Erfahrungen mit dem blinden Glauben an die Heilskraft der Erwerbsarbeit warnen. Die bösartige Pervertierung der Arbeit durch den Nationalsozialismus, der Arbeit mit Mord und Einschwörung auf Krieg belegte, klagt an. POWWOW stellt deshalb gerade jetzt die Frage: Arbeit wofür?
Zum Schütteln der Arbeit, zum kooperativen (Er-)Finden der Zeichen, Bilder und Aktionen für das kommende POWWOW gibt es am dritten September einen Qualifizierungsworkshop zur künstlerischen Intervention im Öffentlichen Raum. Die Teilnahmegebühr ist in Gestalt einer Idee vor Kursbeginn zu ent-richten. Am Ende des Kurses erhalten TeilnehmerInnen das POWWOW-Zertifikat. Anmeldungen sind erbeten im Kunstverein Weiden, Tel. 0961-46308, oder im POWWOW-Sekretariat, Tel. 09287-77587.
Wir sind besorgt, wie sich our fair POW-WOW ausgestellt macht. Das echte POW-WOW entsteht und vergeht ja im Augenblick der Begegnung mit Passanten, Beobachtern und Mitmachern. Die präsentierten Exponate sind geronnene Kunst. Das Spektrum reicht von POWWOW-Fossilien über nachgebaute Videoinstallationen bis hin zu Zeichen wie die „Ü-Schiffchen“ (Ü steht für Überleben). Wir sind gespannt, was davon in neuer Umgebung ein neues Leben beginnt.
Heike Arndt, Georg Schatz
WAFFEN UNTER KONTROLLE
amnesty international
Gruppe 1648, Weiden
Machen Sie mit! Amnesty International führt seit Okt 2003 unter dem Titel „Waffen unter Kontrolle“ eine Kampagne durch, die eine wirksamere Waffenkontrolle auf den Weg bringen soll. Bei der Eröffnung der Ausstel-lung „Engagierte Kunst-Public Art“ haben Sie im Kunstverein Weiden auch Gelegenheit bei der Foto-„Aktion der 1 Million Gesichter“ teilzunehmen, mit der ai/Weiden den Anti-Waffen-Feldzug unterstützt.
Zeigen Sie Gesicht.
Treten Sie dem Terror, der auf Grund von laxen Gesetzen, fehlendem politischen Wil-len und unkontrolliertem Waffenhandel, jede Minute weltweit ein Menschenleben kostet, ganz persönlich, mit Ihrem Bild entgegen. Die Foto-Petition, für die seit ihrem Beginn in London auch viele deutsche Prominente wie die Sportlerin Ulrike Folkerts, die Schauspielerin Senta Berger oder der TV-Kommissar Alex Prahl die Waffe-Nein-Danke-Haltung annehmen, verspricht der größte Massenpro-test aller Zeiten zu werden.
Entsprechende Portraits der Weidener/innen können in einer speziell eingerichteten ai-Foto-Abteilung im KV abgelichtet und im Internet Teil eines elektronischen Fahndungsplakates werden. Dieses enthält dann keine Fo-tos von Gesuchten sondern die Bilder von Menschenrechts-Verfechtern aus mehr als 60 Ländern, die sich nicht verstecken wollen.
Hugo Braun-Meierhöfer
Wenn Sie noch mehr wissen wollen: www. social-impact.at, www.powwow-art.de, www.controlarms.org.
Ihr Wolfgang Herzer