Eurolines: Riga – Nürnberg
Conny Effner / Nürnberg, Karlis Vitols / Riga, Lauris Milbrets / Riga Riga Chamber Choir
03.12.04—05.01.05
Info
Es klingt wie eine Episode aus W.A. Hansbauers Zyklus „Sisyphos im Cafe Oberpfalz“.
Zwei waagrecht verlaufende latvianrote Streifen, in der Mitte von einem halb so breiten weißen Streifen durchzogen. Unter der Landesfahne, die die lettische Botschaft in Weiden hisst, begrüßt der Kunstverein Weiden zwei junge Maler aus Riga.
Dazu singt der weltbekannte Riga Choris, 30 Mädchen und Frauen zwischen 7 und 33, Adventslieder und Dainas, den Blues der Letten.
Das sind poetisch kraftvolle Vierzeiler, in denen das baltische Völkchen unter den Jahrhunderten fremdkultureller Tonangabe durch Deutsche, Schweden, Polen und Russen seine ideelle Eigenständigkeit bewahrt hatte. Heute gibt es 1,2 Mio teils tausendjährige Texte, ein Lied auf jeden Letten, singende Revolutionäre sind das, die 1989 in einem 300-tausendstimmigen Chor ihre politische Unabhängigkeit erklärten; Weidens Serenaden-Stätte, der Max-Reger-Park, und der Meza-Park, Rigas Sängertreff, verschmelzen im Bild.
Zu ähnlichen Bildern und Visionen hatten der einstige Chef-student Jörg Immendorffs aus Etzenricht und der Kunstverein die vergangenen drei Wochen lang in einem Aktions-bündnis mit dem Round Table Club und schulischen Einrichtungen, in denen sich künstlerischer Nachwuchs regt, Fantasie und Wirklichkeit vermischt. Auf rund 20 Leinwänden, die Jung und Alt zum guten Zweck, nämlich der Finanzierung von Clowns für die Kinderklinik, zum malerischen Teamwork vereinte, war im Zentrum der Steinpfalz die Humor-Revolution ausgebrochen. Sie hatte den unbeweglichen Granit in einer so gewinnenden Art zum Kichern und Kollern gebracht, daß auf der Auktion, die in der Weidener Open-Galerie und Kunstgenuß-Nacht die Aktion abschloß, kein Lachwerk war, das nicht zum turbulenten Steigerer-Wettstreit gereizt hätte. Wie selbstironisch und keck ist doch diese Stadt! Da durfte Weiden am Unteren Tor ein St. Pauli haben, wurde Weltstadt an der See. Brecher schlagen gegen die Beckenmauern an der Max-Reger-Halle, die das Zeug haben, den musikalischen Nachwuchs zu einem Fliegenden Holländer zu inspirieren.
Daß wir quer durch den Park in der Unteren Bachgasse auf die lettische Botschaft und ihre reizende Botschafterin aus Riga treffen, ist allerdings nicht mehr nur Wunschtraum.
Die 1979 geborene Elina Märtin, Sproß einer letti-schen Künstlerfamilie, ist Keramikerin, Diplomatin einer heidnisch-heiteren, an der Volkskunst orientierten Welt, in der sich menschlichtierische Mischwesen tummeln. Sie lebt seit 95 in Weiden; ihr Werkstattladen namens Lettische Botschaft ist längst ein Stück des Weidener Alltags geworden, das sich durch tätige Pflege den Lockglanz der Träume erhält.
Dazu gehört auch die Kooperation mit dem Kunstverein, der für den 3. Dezember eine Werkbegegnung und Zeitreise des 1979 verstorbenen Vertreters der Neuen Sachlichkeit Karl Hubbuch aus Karlsruhe mit der 1955 in Heiligenstadt/DDR geborenen Nachfahrin im kritischen Geiste Cornelia Effner geplant hatte.
Haushaltsgründe ließen den Groß-Namen streichen. Doch mit Hilfe der lettischen Botschaft durfte es beim Reisen bleiben. Eurolines! Eurolines heißt die Buslinie Riga-Nürnberg. Anfang Dezember werden Lauris Milbred und Karlis Vitals, beide Jahrgang 79, am Termi-nal in der fränkischen Metropole ankommen und der ebenda wohnhaften, der 1984 aus dem kommunistischen Bruderland Lettlands, der DDR entkommenen Cornelia Effner begegnen.
Die frischen Abgänger der Latvias Akademie, die in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts das Paris des Nordens und die europäische Jugendstil-hauptstadt Riga bis zur sowjetischen Okkupation zur Mitte des Kunstlebens und zum Avantgardetreff gemacht hatte, kommen mit großen Formaten (3x5m).
Als Animationsfilmer (Vitols) bzw Ausstatter (Milbret) mit der Welt der mobilen Bilder verbandelt, entfesseln die beiden Maler, gestützt auf perfekte akademische Handwerklichkeit und sich in der postmodernen Sampling-Technik historistischer Traditionslinien bedienend, auch auf ihren Malleinwänden die totale action.
Dabei setzen sie sich auf jeweils eigene Art mit dem Thema „Mauer und Mensch“ auseinander. Gleichermaßen ordnen sie ihre Elemente in der symmetrischen Form eines Emblems an und schaffen gefühlsstarke Sinnbilder menschlicher Kontaktsuche.
In diesem Sinne korrespondiert in Milbreds ge-dämpften, rotbraun- und ockerfarbigen Gemälden meist eine zentrale Halb- oder Dreiviertelfigur in klassizistischem Stil und in steinerner bzw. metallischer Anmutung mit freischwebenden Profil- und Halbprofil-Portraits, wie sie auf Münzen zu sehen sind. Den Hintergrund der sprachlosen Szenerien bilden mauerartig bzw als Durchbruch angelegte Rechtecke, derem realistischen Eindruck ein inhaltlich widersprüchliches, struktural stimmiges Gefüge aus abstrakten Streifen und Kreisflächen entgegenwirkt. Alles ist von altem, bernsteinfarbenem Licht erfüllt.
Der Titel „The Victory of Pop-Culture“, den eine aus 10 Leinwänden zusammengesetzte Arbeit von 2003 trägt, ist nicht nur Vitols Programm. Der „Amerikanismus“, der sich in der gewalttätigen Verwendung schrillster Comic-Motive darstellt, markiert auch die gegenwärtige Lage Lettlands und ihrer Multikulturalität zwischen sowjetischer Besetzung und Turbokapitalimus. Meditative konkretfarbige Flächen, die sich als Malewitschs spirituelle Quadrate lesen lassen, wechseln mit Sex&Crime-Ergüssen aus Pandorras Manga- und Gomorrha-Büchse. In mythischer Ferne scheinen diese ihren lettischen Urahnen, den bärenohrigen Helden Lacplesis zu grüßen, der schon die deutschen Kreuzritter in Furcht und Schrecken versetzt hatte.
Hi Conny! Der Mädchenchor aus Riga singt nur für Dich! Tanz, Miteinander, das geschlechtliche Er-wachen, die Mode, die Maske, das sind immerwieder-kehrende Themen bei C.E.
Der disziplinierte Strich der gelernten „Schaugewerbegestalterin“ weiß wie das Kostüm geschnitten sein muß und gibt dabei der Enttäuschung, Ohnmacht und Vergewaltigung subtile und wehe Gestalt. Die modeheiteren Farbakkorde ihrer Gemälde, in denen sich das Wünschen der jungen Herzen verbildlicht, berichten von Neugier, tapferem Sich-Langeweilen, und davon wie schnell eine Saite reißt. Terra ubique. Überall auf der Welt. Hi!