Bleibe im Lande und wehre dich täglich oder Das Fahrzeug Fernweh
Kooperation Weidener Literaturtage, Thema Romantik
Walter Egeter, Weiden, München:Afrikanische Spielzeug-Autos
Konrad Kalb, Iffelsdorf: Leiterwagen-Modelle
Peter Frese, München: Tanz, gewaltiger, Fotoarbeit
Verschiedene Autoren: Das WAA-Hüttendorf, Fotodokumentation
Die Abenteuer des Ballonfahrers Mecki - Kooperation HÖR ZU CD-Bildschirmpräsentation
Die Bildergeschichten der Kinderseite 1956 - 62 von Reinhold Escher u. Wilhelm Petersen, Hamburg
08.05.—08.06.03
Info
Wenn dem deutschen Romantiker“ nach Wandern und Auswandern war, sind Fernweh und Sehnsucht, Motive der Abenteuer- und Jugendliteratur bis heute, nicht die einzigen Gründe gewesen. Unterziehen wir die Rauchgespinste solcher und anderer Märchen, die jetzt 2003, dem RomantikJahr des Tourismusverbandes Ostbayern, wieder über die Lehnen geliebter Biedermeier-Erbstücke aufsteigen, einer genaueren Farbanalyse, so erhalten wir darin mehr als nur das verheißungsvolle Blumen-Blau von Novalis. Von 1815 bis zur Revolution 1848 verbinden sich die Farbfelder bürgerlicher Intimität und Empfindsamkeit nämlich nahtlos mit dem Trauerrand der „Gescheiterten Hoffnung“. Die Bürger, die nach dem Sieg über Napoleons Herrschaft republikanische Freiheit erwartet hatten, waren bitter enttäuscht worden. Das sind die Männer auf C.D. Friedrichs Gemälden, die altdeutsche Tracht tragen und darin der Sehnsucht nach politischer Mitsprache und ihrer vaterländischen Identität Ausdruck geben. Von Metternichs Polizeispitzeln als „Demagogen“ verfolgt gehen viele nach Amerika oder in die innere Emigration und werden Privatperson. Versenken sie sich wie auf der berühmten Nachtansicht, die das Plakat der Weidener Literaturtage ziert, in die Betrachtung des Mondes, geschieht dies auch aus Mangel an wirklicher Perspektive.
Während nun die Mitveranstalter des ostbayerischen Themenjahres die Romantik mehrheitlich unter zeitloseren Blickwinkeln wie denen von Traum und Idylle behandeln, entnimmt der Kunstverein seine Beiträge vor allem sozialgeschichtlichen Parallelen der Oberpfälzer Gegenwart zu der Epoche zwischen den Revolutionen 1789 und 1848: Empörung, Migration und die Kindheit als Schutzraum.
Reflexe davon im regionalen Kreativpool, deren Zusammenstellung zu drei miteinander korrespondierenden Environments selber schon ausgesprochenen Kunstcharakter besitzt, lassen in angemessenem Abstand auch Muster einer noch verdrängten Oberpfälzer Identität erkennen. Spot on!
Dokumente und Traumbilder kreuzen sich.
Der Erkenntnis romantischer Weltenbauer, dass die Wirklichkeit letztendlich im Kopf existiert, wird dabei in einem fest installierten Kinderworkshop zum Thema „Wunschpunsch“, der die Austellungsvorlagen umformt, Rechnung getragen. Die vorwegnehmende Kraft des Bildes wird betont. So können Bilder Fahrzeuge nach Anderswo werden.
Fahrzeuge aus anderen Welten, Mekkis Fesselballon, Spielzeugautos aus Abfällen, die afrikanische Kinder nach Fernsehbildern hergestellt haben, und detailgetreue Miniaturen von Pferdefuhrwerken aus der Holzlege des Altlandwirts Konrad Kalb bilden in einem dreißig Meter langen Sandkasten, der an die Wände montiert ist, den roten Faden durch die Ausstellung:
1. In den 80er Jahren feiert das Motiv der Bürger-Revolte rund um die Ortschaft Wackersdorf Urständ. Der Bau einer Atomanlage vom Typ WAA, der dort gegen den Willen der Bevölkerung durchgeführt wird, zeitigt bürgerkriegsartige Szenen. Der Fotograf Gerhard Götz lebt in Wackersdorf. Im Zentrum seiner Dokumentation stehen Bilder einer Scheinidylle, das verschneite Hüttendorf der Bauplatzbesetzer Dez/Jan 85/86, fast auf den Tag genau 280 Jahre nach dem Oberpfälzer Volksaufstand unter Pfarrer von Miller aus Oberviechtach. Es herrscht die Ruhe vor dem Sturm. Der Traum eines ganzheitlichen Lebens im Einklang mit der Natur hat Gestalt angenommen. Der Münchener Peter Frese dagegen fokussiert unter dem Titel ,,Tanz, gewaltiger“ die Gewalttätigkeit dieser Tage. In einer Art Moritatentafel, die aus überzeichneten dpa - Aufnahmen und provokanten Texten besteht, entlarvt er den inneren Totalitarismus von Schillers Vision einer ästhetisch formierten, wie im Tanz vereinten Gesellschaft. Beide Themenlinien werden in Videos des „Recycling-Artisten“ & „Idylleforschers“ Max Bresele weitergeführt.
2. In der Rubrik „Fernwehheld trifft Edlen Wilden“, wartet der 1947 in Weiden geborene „Bahnerer“ und Afrikafreak Walter Egeter mit Exponaten aus 20-jähriger Sammlertätigkeit auf. Auf seinen Sahara-Touren, die den Oberpfälzer jenseits aller gängigen Klischees auch psychologisch ins Herz des krisengeschüttelten Kontinents brachten, betrieb der Französischsprechende mit den Kindern der Ärmsten auch einen umfangreichen Tauschhandel, Schulsachen gegen Mini-Fahrräder und Motorfahrzeuge jeder Marke, Abfallgebastel, das die um den Dorffernseher Versammelten als Weltmeister in Fingerfertigkeit und Einbildungskraft auszeichnet. Neben diesen Better-WorldFetischen plaziert der bewanderte Kenner, den sensibel verfasste und vitale mündliche Reiseberichte leicht an die Seite eines Louis Trenker stellen, als Repräsentanten Ur-Afrikas eine Auswahl von Totemfiguren und Tanzmasken.
Auch Thomas May, der mit seinem Grashalmprojekt nonkolonialistische Kontakte knüpft, tritt als Kunstbotschafter auf. Der China-Stipendiat stellt seinen gutgewordenen Katalog und Leuchtkästen mit überkontinentalen Gebirgsimpressionen vor.
3. Die Projektion vom unverdorbenen Naturmenschen wirkt wie sein zivilisatorisches Pendant das „Kind“, Roussaus „Emil“, bis heute fort. Nach dem Rückzug de's Spätromantikers aus der politischen Öffentlichkeit waren Wohnung und Freundeskreis die Mitten des geselligen Lebens geworden. Kern der Kleinfamilie ist das Kind. Es gilt als Verheißung eines ursprünglichen, noch ungebrochenen Glückszustandes. Im 3. Ausstelungssektor gelangt dieses Motiv, das schon in Omar Sheriffs WAAComic „Vater der Fahrzeuge“ und im Afrika-Spielzeug angeklungen war, zum Vollbild.
Bezugspunkte sind eine Oberpfälzer Künstlerkindheit im pittoresken Wöllershof, ehemaliges Lungensanatorium und Endstation vieler Kriegsversehrter, und die 50er-Jahre-Neo-Biedermeier-Figur Mecki, Redaktionsigel von HÖRZU. In seiner Mischung aus Abenteuerertum und Häuslichkeit, die im Verein mit Nick Knatterton und Jimmy, das Gummipferd, die Seelen der deutschen Nachkriegskinder prägte, ist Mecki insgeheim auch die Gallionsfigur der ersten VW-Karawanen ins südliche Urlaubsland gewesen.
Seb Schwarzmeier hat im HÖRZU-Archiv 200 Kinderseiten aus den Jahren 1956-70 auf CD gebrannt. Aufnahmen von Wöllershofer Kinderzimmerfenstern, hinter denen vor mehr als 30 Jahren Mecki geschmökert wurde, und Mecki-Comics, die lange verschollen gewesen waren, werden in einer Installation aus Computermonitor und wandgroßem Tableau gegenübergestellt.
Der „heimweh-kranke“ Mitt-50er von Heute und das Kind, das er gewesen war, blicken sich an.