Fritz Schwegler
Zeichnungen und Objekte, Mit freundlicher Unterstützung der Stadt Weiden, Ort: Rathaus der Stadt Weiden
4.10.—17.11 02
Info
Der Zeichner, Bildhauer und Aktionskünstler Fritz Schwegler, Jahrgang 1935, dessen Werk und Wirken als Professor an der Düsseldorfer Akademie wichtige, wenn auch unterrepräsentierte kunstgeschichtliche Größen darstellen, war ursprünglich garkein im herkömmlichen Sinn bildender Künstler, sondern Schreiner mit ganz eigenem Witz und Blick auf Leben und Beruf.
Das Fernweh treibt ihn aus der Werkstatt seiner Eltern in dem schwäbischen Breech, wo er heute wieder mit seiner Frau Hildegard wohnt.
Entfernter Verwandter von Heinrich Bölls „Clown“, der Augenblicke sammelt, legt sich Schwegler in vielen Ländern Europas, Kleinasiens und Nordafrikas auf der Walz eine Sammlung Zertifikate als Schreinergeselle an. Bevor er 1959 in das Land Eduard Mörikes zurückkehrt, um seinen Meisterbrief zu machen, entstehen erste Notiz- und Geschichtenbücher.
Bei den Ansammlungen und der Reihen-Bildung bleibt es auch, als der Vielseitige und Weltoffene, der Hornist, der Feuerwehrmann, das Liederkranz-mitglied, der Werklehrer und der Kunststudent in Stuttgart und London 1967 freischaffender Bildhauer geworden ist.
Die buntbemalten Holzskulpturen, die aus dieser Zeit stammen, gehorchen einem stereometrischen Aufbau und verzaubern mit Anspielungen an die menschliche und tierische Formenwelt.
Die Mengen, um die es von jetzt ab gehen soll, bestehen aus den Sprach- und Bild-Einfällen, den Bauelementen eines ausgewachsen-widerborstigen Geistwerkers und mikrologischen Weltenschreiners. In allem, was Schwegler schreibt, malt, nummeriert und in Regale füllenden Ordnern archiviert, befreit er unausgesprochen auch immer das Bodenständige des Handwerks aus dem Korsett der konservativen Ideolgie und des eindimensionalen Fachchinesisch. Dabei bringt er die ganze widersinnige Seins-Fülle, die der vorbegrifflichen Existenz der Dinge eignet, in nüchternster und doch unerhört poetischer Form zur Sprache.
Mit Bleistift und Farbstift, Aquarell und Öl, auf kleinem Papier und großer Rollleinwand, als Buch, ge-sungenes Lied und in 1000 bemalten Miniaturplastiken aus Bronze, den „Notwandlungsstücken“, für die er zehn Jahre Arbeitszeit angesetzt hatte, untergräbt Schwegler die herrschenden zweckra-tionalen Abstraktionen und das Identitäts-Dogma unserer Vernunftwelt. Wenn hier ein Hammer Hammer ist, ein Haus durch und durch Haus, ein Hund nichts als ein Hund und ein X kein U, so belehren
uns die formal schlichten gleichwohl doppelbödigen Text- und Bild-Kombinationen des gebürtigen Schwaben eines Anderen.
Diese sind Moritaten, Comics, Votivtafeln, Baupläne und Gebrauchsanweisungen in einem und Wort-Bild-Karten einer Volkschule, deren Direktor Joachim Ringelnatz heißen könnte.
Bei allem Verwirr-Spiel erfüllt Schweglers Werk ein durchaus rationales Klima. Die kleinen in prototypischer Vereinzelung, etwas hölzern abgebildeten Aus- und Anschnitte von Alltagsdingen, skurillen Mischgegenständen und Szenen der nor-malen, unspektakulären Lebensbewältigung verweisen allerdings auf die andere Seite der Vernunft, auf einen Wissenschaftler, der die Regeln der Ausnahmen von den Regeln studiert. Diese Forschungsrichtung führt zu einer Verdrudelung der gegenständlichen Sicht und treibt Neologismen wie „Schneewiesenwade“, „Effeschiade“, „Abulvenz“ und „Moritafel“ hervor. Dem Betrachter, der sich auf Schweglers zwischen Bild und Gedanken, zwischen Klang und Gewicht verschränktes Zeichengefüge eingelassen hat, fällt es wie Schuppen von den Augen. Die Haushammerhaftigkeit eines Hundes lässt sich jetzt ebenso leicht erkennen wie die Tasache, daß „Losungen tief im Unbeugsamen (EN 6780)“ sitzen. Der BWL-Student an der FH Wei-den/Amberg merke: „Sonderkosten treten ein, wo ein Hauptweg zu Nebenwegen zerfahren wird (EN 6866)“. EN bedeutet Einfallsnummer.
Heute gehört der Teilnehmer der documenta 5, deren Kurator Harald Szeemann 1972 mit seiner Kategorie der „Individuellen Mythologie“ dem zu dieser Zeit noch herrschenden stilbezogenen Kunstbegriff der Nachkriegszeit eine mehr geistesgeschichtlich orientierte Auffassung entgegensetzte, zu den großen Individualisten und Einzelgängern in der deutschen Kunst des 20. Jhts.
Ihr Werk ist Ausdruck couragierter Realitätsbefragung und entspringt außerhalb jeder stilgeschichtlichen Schublade ganz bewußt der eigenen, persönlichen Bildwelt.
Im Falle Schweglers, der sich an der Düsseldorfer Akademie als Lehrer bedeutender überregionaler und internationaler Künstler/innen einen Namen gemacht hat, tritt dabei ein besonderer Charakterzug des Singulären hervor, sein undogmatisches, antischulisches Selbstvertrauen, das in der Bejahung der eigenen Grenzen als Person und Europäer auch dem Anderen sein Anderssein lässt.