Glas-Kunst-Orte
Schönheit & Scharfsinn
Sechs Künstlerinnen
Loni Liebermann, Ulrike Häßler
Veranstalter: Regionalbibliothek Weiden.
Bayerisch-Böhmische Kultur- und Wirtschaftstage
16.03.—16.04.03
Info
Zum zwölften Mal organisiert die Regionalbibliothek Weiden die Bayerisch-Böhmischen Kultur- und Wirtschaftstage, Wegzeichen der Völkerverständigung. Schirmherr ist Dr. Boris Lazar, der Botschafter der Tschechischen Republik in Berlin. Insgesamt zehn Veranstaltungen, die sich aus politischem, literarischem, musikalischem Blickwinkel der deutschtschechischen Zukunft und Vergangenheit stellen, wechseln über drei Wochen lang einander ab. Mit dabei der Kunstverein.
Das Ganze verbindet während dieser Zeit ein Ausstellungsrundgang durch verschiedene Glas-KunstOrte, die über die Innenstadt verteilt sind.
Den Auftakt dieser Ereignisse, die die bekannte Vielzahl an Seelen in der deutsch-tschechischen Brust über die Klangfülle des zerbrechlichen Glases aufeinander abstimmen wollen, bildet traditionsgemäß die Eröffnung der Kunst- und vor allem Glaskunst-Ausstellung im Neuen Rathaus.
Hier hat der freie, künstlerisch-experimentelle Umgang mit dem frühen Luxus- und heutigen Allerweltsartikel Glas sein mittlerweile überregional renommiertes Forum bekommen. Für die Konzeption zeichnet die Veranstaltungsleiterin und Chefin der Regionalbibliothek Karin Holl. Dabei kann sich der Betrachter nicht nur von den Vertreter/innen einer Schönheitskultur und „Metaphysik“ faszinieren lassen, die bis in die farbigen Lichtwände der Gotik zurückführen; der historische Kontext, der durch die immernoch junge Grenzöffnung nach Osten vorliegt, gibt der Verbindung aus altbayerisch-böhmischem Glashütten-Erbe und der Kraft der modernen Studioglasbewegung seit den 60er Jahren auch die Wahrsage-Qualität der Kristallkugel: Wie schön könnte die gemeinsame nachbarschaftliche Zukunft werden. Grossen Scharfsinn aber erfordert die Bruchgefahr.
Die 1957 im nordböhmischen Jablonac geborene Ivana Houserova, Sproß einer Glasmacherfamilie und Schülerin von Stanislav Libensky, arbeitete bis in die 90er Jahre mit minimalistisch reinem Kristallglas. Zum zweiten Mal in Weiden zeigt sie jetzt eine Reihe monolithischer Setzungen mittleren und groBen Formats, in denen sich die unverschnörkeltelementare Geometrie von mittig durchbrochenen Kreisscheiben, Pyramiden und einer Spirale mit dem raumbildenden Atem kalter und warmer Farben die Waage hält.
Isgard Moje-Wohlgemuth wurde 1941 in Gumbinnen (Ostpreußen) geboren, studierte an der Glasfachschule Hadamer/Ww und revolutionierte die Glaskunstszene Ende der 60er Jahre durch die Neueinführung der böhmischen Metallsalzmalerei aus dem 19. Jahrhundert. Die weltweit ausstellende Künstlerin, die ihr Arbeitsfeld gleichermassen erfolgreich auf das Hohl- und Flachglas, den Schmuck und die Kunst am Bau ausgedehnt hat, präsentiert im Ausstellungsbereich des Rathauses grosse Ausschnitte aus ihrem Werk. Dabei treten ihre fest getakteten Reihen aus schlichten, acht Zentimeter hohen Hohlgläsern besonders hervor. Gegenüber der zurückhaltenden plastischen Form entfaltete sich hier der Kosmos aller nur möglichen malerischen Variationen.
Für die Verbindung zwischen den kategorial eher ungleich gearteten Bereichen der sehr jungen Glaskunst, die durch ihr Material festgelegt ist, und der allgemeineren Gegenwartskunst, die im Cross-Over jede Grenze negiert, ist der Kunstverein zuständig. Er stellt diese über mal näher, mal ferner liegende Begleitideen der Kulturtage her.
So bot der zweite Ausstellungsteil in erstem Stock und Sitzungssaal des Rathauses schlichtweg weitere Möglichkeiten, den tschechischen Nachbarn näher kennenzulernen. Über die Prager Galerie MXM, das leider nicht mehr bestehende Post-ModerneLabel der ersten Wende-Stunde, holte der Kunstverein die internationalen Shooting Stars der Neuen tschechischen Kunstszene herbei: Strizek, Cisarovsky, Merta, David u.a. Einmal schlug das LichtMoment eine Brücke zwischen Malerei & Glas. Im letzten Jahr war es das Generalthema der Kulturtage „Glas und Architektur und es gab Bauhaus-Konstruktivismus und „gotisches“ Licht im modernen Leuchtkasten. Heuer regte der Umstand, daß sich nur Frauen unter dem Zeichen des „Schönen Scheins“ versammeln würden, zu einem gender-thematischen, konzeptuellen Ausstellungs-Akzent an.
In diesem Sinne lassen sich die Arbeiten der Konzeptkünstlerin Ute Bernhard aus Selb (geb. 1966) und der Aachener Kooperation Loni Liebermann (geb. 1949, Fotografie) und Ulrike Häßler (Computer) auch als Reflexionen über den Schönheitsmythos und das Weiblichkeitsklischee betrachten.
Künstlerisch stehen sie dabei in der Tradition des „Grossen Glases“, des epochalen Glas-KunstSolitärs von Marcel Duchamp, der gebannt von der Farblosigkeit und Immaterialität des Glases die Erscheinungswelt hinter sich ließ und der Kunst das unsichtbare oder besser das „glasklare“ Wissen um ihre kulturellen Bedingungen als Material erschloß. Entsprechend reduziert arbeitet Ute Bernhard. Endlose handschriftliche Felder, unzählige Wiederholungen gleicher Sätze über das Aufgabenfeld der Künstlerin. Die monotonen, mittel- und kleinformatigen Festlegungen auf Papier und auf Leinwand bilden eine Mischung aus Tagebuch und Strafarbeit und werden zu Chiffren, in denen sich die Dialektik von gesellschaftlicher Rolle und künstlerischer Freiheit konkrete Form gibt.
Die Ausstellerinnen aus Aachen sind mit einer zwölfteiligen Folge computerbearbeiteter Fotocollagen vertreten, die aus jeweils drei teils farbigen, teils schwarz-weißen, einander überlappenden Abschnitten bestehen. Darin korrespondieren das Stück für Stück veränderte Bildnis der MadonnenStatuette aus Lourdes mit bekannten Repräsentantinnen des öffentlichen Lebens, des emanzipatorischen Geistes und der Frauenbewegung (Alice Schwarzer) ebensowie mit der Normalbürgerin. Sie stellen dabei die Grenzverläufe religiöser und säkularer Normen des Frauseins symbolisch zur Disposition.
Sandra Huber (geb. 1968 Passau) fertigt malerische Akkumulationen und ausufernde Bestandsaufnahmen der alltäglichen Dingwelt, der großen Meister der Streichholzschachtel, der Kinokarte, der Ansichtskarte, der Flasche und Nippesfigur und gibt verwirrende Einblicke in farbe- und form-überfüllte Innen- und Außenräume. In unbeschwert vitaler Art verbinden sich dabei die Reihung, die das durchgehende Klischee bzw die Idee visualisiert, und die Polarität von heißer Schmelze und kalter Dichte miteinander, Grundzüge eines Materialwesens, das in der Glaskunst zur Form gelangt. In der Art, wie Sandra Huber Farbe in Dynamit verwandelt, findet dieses sein malerisches Äquivalent.