Gregor Samsa
Aus der Reihe „Institutionen des Kunstbetriebs“ mit Peter Angermann,
Reiner Bergmann, Kevin Coyne, Matthias Egersdörfer, Annette Hähnlein,
Blalla W. Hallmann, Peter Hammer, Gerlinde Pistner, Dan Reeder,
Harri Schemm und Reiner Zitta
02.10.—08.11.15
Info
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Kunst und des kreativen Lebens,
ganz herzlichen Dank, dass Sie gekommen sind, als unser treues Publikum und als Ausstellerinnen und Aussteller, liebe Künstlerinnen und Künstler, Euch vor allem vielen Dank, dass Ihr den Weg hierher, in die Oberpfalz, auf Euch genommen habt.
Wir sehen Arbeiten von:
Peter Angermann (,1945, malte mit Farbe aus dem Dreckkübel das Eingangsbild unserer Ausstellung: fröhliches Treiben am Stadtpark-Kiosk, nahe dem Gregor Samsa, schwupps!, steigt da nicht Dracula aus der Gruft)
Reiner Bergmann (,1950, macht arte povera, kombiniert Fundstücke, Fertiges, Abgehalftertes, präsentiert hier Fenster, die den Blick aus der abstrakten Ferne an den Tastsinn zurückholen und das Sehen als Geschehen unserer Körper- Existenz spürbar werden lassen)
Kevin Coyne (,1944/2004, zeichnet Cartoons nach Kants Diktum, dass der Mensch aus krummem Holz gemacht sei, eine animalisch-menschliche Freak-Parade entspringt
Matthias Egersdörfer (,1969, ist Kabarettist, Komiker und Schauspieler und nahm 2006 an der Ausstellung der Klasse Angermann im Kunstverein teil, hier erzählt er mit springlebendigem Strich, was Swift in seinen Gulliver-Geschichten ausgelassen hat),
Annette Hähnlein (,1968, Holz, Metall, Stein, back to the roots, pflanzlicher Schwung und ornamentale Magie in Stele und Medaillon als natürlich-kultürliche Brückenzeichen)
Blalla W. Hallmann (,1941/97, Meister der skalpell –scharf gestrichelten analytisch-inqusitorischen Daseins-Beschreibung als Staats-Angehöriger und Kirchen-Mitglied in Form einer künstlerischen Vivisektion an sich selber und durch die Gesellschaft in der Nachfolge des großen James Ensor)
Peter Hammer (,1941, baut seinen Wohnort, den Nürnberger Frauentor-Mauer-Turm, zum Gesamtkunstwerk aus, ein riesiges Pendel schwingt taktschlagend durch alle Stockwerke, Hammer malt in altmeisterlicher Orientierung, baut musizierende kinetische Objekte, ist ein Troubadour der Stunde zwischen Gitarre und Frau, Gebete an Maria Magdalena)
Gerlinde Pistner (,1954, malt Blumen, kraftvoll Schönes, das sich nichts schenken lässt, schon allemal nicht Rosen, da ist sie sich selber Dorn genug, um selbst zu bestimmen, was frau als Frau braucht)
Dan Reeder (,1954, ist ein selbstgenügsamer, selbst-ironischer Flaneuer der alltäglichen Strecke an kleinen Schrecken und Freuden, die alle irgendwie kennen und worum es dabei geht, das bringt Reeder auf eine Art auf den Punkt, die süchtig machen kann, süchtig nach den kleinen Freuden und Schrecken).
Harri Schemm (,1958, von ihm stammen Stil-Begriff und Philosophie des „radikalen Provinzialismus“, der Maler reist viel, Indien, Portugal, Griechenland, was er an farb-stark gemalten Impressionen zurückbringt, dokumentiert ein vitales zu Sich-Selber-Stehen in der Begegnung mit dem ubiquitären elan vital, der sich auch nicht vom Frankenwein, äh Frankenstein verschrecken lässt)
Reiner Zitta (,1944, hat eine Liebe zum Für-Wertlos-Erklärten, das aus der Dienstpflicht entlassene Material erwacht unter Zittas Sägen, Zeichnen, Malen, Formen, Montieren, Verknüpfen, Kleben zu magischem Leben, in dem alles mit allem gemeinschaftlich verbunden ist, hier sind es u.a. die Rückseiten von Papp-Behältern und Briefcouverts, deren Faltenwerk der Ausgang für fabulierende Architekturen der Tiefenpsychologie wird)
und begrüßen darf ich dabei:
Mit 11 Teilnehmer/innen ist das eine umfassende Ausstellung, das ist ein Risiko, das bei allen Themen-Ausstellungen besteht. Der einzelne Beitrag schrumpft da leicht zum Mosaik-Stein im Gesamt-Bild, die Einzel-Werk-Inhalte treten in den Hintergrund und - im positiven Fall - da verlieren sie sich gemeinsam in der Unwirklichkeit, in einer Idee, in einem Traum.
Letzteres ist hier unsere Absicht. Der Traum bzw die Idee, um die es in dieser Ausstellung gehen soll, ist keines der mehr oder weniger geläufigen künstlerischen Themen, es ist in bestimmter Hinsicht die Kunst selber, eine Manifestation der Fähigkeit, das Widersprüchliche, das Verschiedene, das Sich-Fremde zusammenzuführen und zu versöhnen.
Die Aura des Verbundenseins im Unterschiedlichen und die höchste Kunst, dies zu bewerkstelligen, die Über-Kunst und das, was ihr glückt, sind der eigentliche Ausstellungs-Gegenstand, der hier Form bekommen soll. Ein schönes Ziel, das es vielleicht annehmbar macht, dass in meiner nun folgenden Besprechung die künstlerischen Einzel-Positionen weitgehend unberücksichtigt bleiben zugunsten des Magneten, der das Ganze im Kraftstrom zusammenhält. Die orts- und zeitspezifische Eigenart der magnetischen Kraft, die hier das Thema ist, werden wir im Laufe meiner Darstellung näher kennenlernen.
Kommen wir zur Sache: Mit dieser Ausstellung beziehen wir uns auf Aktivitäten, die neben dem schöpferischen Akt unabdingbar für den Kunstbetrieb sind und die wir im letzten Jahr schließlich auch selber zum Thema gemacht haben.
Es geht um den Kunstbetrieb und seine Organe selber, um das Netzwerk seiner Institutionen, aus deren Zusammenwirken das Ding hervorgeht, das Kunst genannt wird. Ein Ding mit einer erstaunlichen Zauberkraft, die z.B. aus einem Urinal das wichtigste künstlerische Objekt des 20 Jahrhunderts gemacht hat.
Dem Strömen dieser Zauberkraft und einigen ihrer Transformator-Einrichtungen sind wir bereits nachgegangen, diesmal vermischt sich besagte Zauberkraft mit dem Strömen alkoholischer Getränke.
Unter Institutionen des Kunstbetriebs versteht man landläufig Dinge wie die Galerie, die Kunstkritik, den Sammler. Und das Informieren über Beispiele dieser Art aus dem oberpfälzisch-fränkischen Raum gehört seit längerem ins Programm des Kunstverein Weiden.
Mit seiner aktuellen Ausstellung „Das Gregor Samsa und die fränkische Boheme aus dem Geist der 1960er Jahre“ aber warten wir mit einer Einrichtung auf, die kein Essential des Kunstbetriebs ist. Aber wenn es dieses Un-Essential gibt, dann kann es absolut essentiell werden. In Nürnberg gibt es so eines.
Gemeint ist die Künstlerkneipe. Und hier ist speziell das Gregor Samsa im Norden Nürnbergs ein Fall, der unserer Ansicht nach besondere Aufmerksamkeit verdient.
Anfang der 1970er Jahre wurde es gegründet. Die Gründer-Väter waren: Franz Gregor Hiltner, Lionel van der Meylen und Klaus Schlesinger.
Makrokosmisch war das unter den Zeichen des gesellschaftlichen Umbruchs durch die weltweite Studenten- und Jugendbewegung, in der Endphase des Stellvertreter-Krieges, den die Supermächte Russland und Amerika in Vietnam führten, er dauerte bis 1975 und war einer der Gründe, die in Deutschland zur Gründung einer außerparlamentarischen Opposition führten
Das Gregor Samsa, dessen Name sich auf die Erzählung „ Die Verwandlung“ von Franz Kafka bezieht, wurde als literarisches Cafe gegründet, das sich dann über drei Jahrzehnte zum Mikrokosmos einer fränkischen Boheme entwickelte, die von Nah und Fern Freigeister aus allen sozialen Schichten anlockte und integrierte.
Auch heute noch hat es ein ähnlich gelagertes Publikum, das außerdem gutes, erfinderisch bereitetes Gulasch und ein Ambiente mit starker, eigener Atmosphäre zu schätzen weiß.
Die Künstlerschaft, die hier ihr Zuhause fand, teilweise in den Dachräumen wohnte, musikalisch vor allem dem Blues huldigte, umfasste alle künstlerischen Sparten und war aber, als alles anfing, ein gutes Jahrzehnt lang vor allem damit beschäftigt, die Grenzen des herkömmlichen comme-il-faut zu sprengen bzw im Zeichen des Saturn „Die Sau rauszulassen“ und einem außerparlamentarischen Hedonismus zu frönen.
Es gab in schneller Folge bis 1975 eine Reihe von Wirten, Nonkonformisten, Verweigerer, Suchende, Gestrandete, die den rettenden Zapfhahn ergriffen und mit der Länge der Abende dem etablierten Begriff von Wirt und Wirtshaus außerordentliche Dehnbarkeit verliehen. Das hatte seinen theoretischen Überbau, das bezog sich auf Sätze und Titel wie „Anarchie ist machbar Herr Nachbar“, „Triebstruktur der Gesellschaft“, „Ton Steine Scherben“, „Die Funktion des Orgasmus“ und Summerhill.
Unter Reiner Zitta kam es zur inneren Konsolidierung, die vorkapitalistische Tausch- und Naturalwirtschaft erlebte eine Renaissance, sie kam all denen zugute, die kein Geld, aber gesanglich, deklamatorisch, darstellerisch, tänzerisch oder bildnerisch etwas zu bieten hatten.
Im Gregor musste Niemand verdursten. So kam man monatlich auf gute 50 Hektoliter Bier.
Noch etwas in diesem Zusammenhang:
Den Szene-Protagonisten war es in ihren brotlosen Anfängen und auch später noch gestattet, die Zeche mit Malerei zu begleichen, was bis in die 1980er Jahre aus den zwei kleinen Gasträumen privat Großes Museum machte, das auch heute noch bestaunt werden kann.
Was die bildende Kunst betrifft, da trat man gegen den damaligen konzept-künstlerischen Zeitgeist mit facettenreicher Eigenständigkeit an, die es verdienen würde, dass man ihr endlich einen auch historisch haltbaren Namen gibt.
Diese noch namenlose Eigenheit ist vielleicht als Spiel der Spielarten eines „Radikalen Provinzialismus“ zu bezeichnen.
So jedenfalls bringt Harri Schemm, einer der Szene- und Gregor-Stars, das auf den Nenner, was bei ihm qua Leinwand und Performance die burlesk-ironische Form findet.
Hier war das Refugium einer fränkischen Boheme und der Quellpunkt einer Art Neuer Fränkischer Schule. Im Kern ist das ein kleiner Künstler-Kreis des kecken und intelligenten Strichs, der auch provozierend rabaukenhaft und deftig gegen den Mainstream strichelt und stichelt. Man hatte sich über die Jahre zusammengefunden, war meist männlichen Geschlechts, machte den Bürgerschreck und genoss es, eine Wellenlänge zu haben, auf der alle, aber auch alle Niederungen und Höhen der Ideenfindung erreichbar waren, die Bandbreite reichte vom Kalauer bis zum Haiku, vom Trieb zur Lieb, und dass Peter Hammer einen Turm in der Frauentor-Mauer bewohnt, im Rotlichtmilieu, mit Logenblick vom Wehrgang aus auf die käufliche Liebe, bestätigt zusätzlich das Klischee vom Künstlerleben in der Nachfolge von Van Gogh und Toulouse Lautrec.
Im Vordergrund stand und steht bis heute die für tot erklärte Malerei, die unter anderem mit dem Witz-Mix von Wilhelm Busch und Pardon, dem großen Satire-Magazin der 1960/70er Jahre, dem „Normal-Verbraucher“ „aufs Maul schaut“. „Die schweigenden Mehrheit“, die sich nicht traut, ihre Sehnsucht nach prallem, triebhaftem Aus- Leben und Heiler Welt zu gestehen, darf sich hier angesprochen fühlen.
Eine humorig-satirische Welt-Einstellung aus dem antiautoritären Geist der 1960er Jahre fand Sprache und Sprecher, die sich in den 1970er Jahren um den Beuys-Schüler und Beuys-Renegaten Peter Angermann und andere formierten.
Was über die sich hier manifestierende künstlerische Haltung, die dem kritischen Geist ihrer Zeit folgend im Bereich der bildenden Kunst selbst gegen diesen und seine minimalistisch-konzeptuellen Ausdrucksformen wirksam wurde, außerdem zu sagen wäre, findet sich u.a. in der Dumont-Stilgeschichte von Karin Thomas, auf Seite 359 erhält man ausführlich Auskunft.
Die Ausstellung umfasst zwei Bereiche, einen dokumentarischen, der sich mit der Geschichte unseres Objektes befasst, und eine Präsentation etlicher der Künstler, die diese Geschichte mehr oder weniger unmittelbar mitgeschrieben bzw erlebt haben. Zwar lässt sich damit die Chemie des künstlerischen Geistes, der vor allem in den 1960/70er Jahren wirksam war, nicht auf eine Formel bringen. Aber eine stimulierende Ansicht ihrer Bestandteile und Kraftfelder dürfte allemal gelungen sein.
Wir finden es in Hinblick auf den Umstand, dass sich der herkömmliche, am materiellen Kunstwerk fixierte Kunstbegriff erweitert hat und sich weiterhin verändert, nicht nur interessant, neben Werk und Berufstand des Künstlers auch über die Institutionen des Kunstbetriebs und ihr Zusammenwirken zu berichten.
Der institutionskritische Blick, der den Kunstbetrieb selber zum Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung und Darstellung macht, gehört seit den 1960er Jahren zur künstlerischen Praxis und mittlerweile auch zur Grundausstattung eines Bewusstseins, das auf der Höhe der Zeit sein will.
Unter diesem Blickwinkel sind Galerien, Museen, Vereinigungen und Vereine ebenso wie Kunst-Geschichte, Theorie und Kritik Kraftwerke, die nicht nur Kraft erzeugen bzw leiten und transformieren sondern ihrerseits Kraft-Erzeugnisse und Kraftformungen sind.
So haben wir im Laufe unserer 22-jährigen Vermittlungs-Arbeit ebenso bei Hochschulen, der Kunstkritik in den Medien, bei Kuratoren und nicht zuletzt den Sammlern angedockt und nicht alltägliche Einblicke gewonnen.
Und zum Teil sind diese Einblicke auch gerade deswegen wert mitgeteilt zu werden, weil sie aus dem regionalen Rahmen stammen, aus unserer unmittelbaren Lebenswirklichkeit, in der wir selber, jede und jeder einzelne, Kraftwerke sind.
Innerhalb dieses Rahmens sind wir selber eine kunstbetriebliche Größe, die, dadurch, dass sie Einfluss nehmen und mitgestalten kann, vom Augen-Reiben am Morgen bis zum Augen-Reiben am Abend mit dem hier genannten Thema zu tun hat: Das Publikum!
Gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an die letztjährigen Ausstellungen mit Weidener Schulen, die unter dem Gesichtspunkt Bildung stattgefunden haben, und an die Ausstellungen mit der Sammlung Appelt und dem Kunst-Partner-Kalender-Projekt aus dem Kartenhaus-Kollektiv in Regensburg, es sind kleine dezentrale Kunst-Kraftwerke, die im Zusammenhang betrachtet ein rudimentäres Netz und versteckte Spielräume für kreative Netzwerker erkennbar machen.
Mit der Ausstellung „Gregor Samsa“ können wir auf einen Betriebs-System-Topos aufmerksam machen, der trotz hoher Bedeutsamkeit eher übersehen wird: Die Szene-Kneipe, das Kultlokal, wo Künstler die Zeche auch mal mit Kunst bezahlten und dementsprechend jeder Gast ein Künstler sein konnte.
Da gibt es große Namen, die in die allgemeine Kulturgeschichte gelangt sind. Das Cafe de Flor in Paris, wo sich die Protagonisten von Existentialismus und klassischer Moderne trafen, die Palette in Hamburg, der Hubert Fichte ein literarisches Denkmal setzte, das 1968 von Daniel Spoerri eröffnete „Restaurant der Sieben Sinne“ in Düsseldorf oder das 1984 von Jörg Immendorff in Hamburg gegründete La Paloma.
Vor allem aber denke ich da an das Restaurant „Food“, das im Oktober 1971 von Gordon Matta-Clark in SoHo (Manhattan) aus dem Gedanken zwischenmenschlicher Solidarität gegründet wurde und den Rahmen bildete, in dem schon das soziale Geschehen selber Kunstwerk-Charakter bekommt.
Sicher gibt es andere entsprechende Lokalitäten, die teils als Nachbild der Vorbilder funktionieren, sich aber auch als Urbild ihrer selbst, als geistige Verdichter-Stationen, gegen den Wandel der Zeit behaupten können.
Das Nürnberger Gregor Samsa war und ist bis heute so eine Stätte. Nach den turbulenten 1960er und 70er Jahren, den Jahren der Selbstfindung, in denen Reiner und Gisela Zitta bezüglich der sozialen Wertes, den die Wirtsrolle beinhaltet, mit ihren Leberwurst- und Eier-Broten Maßstäbe gesetzt haben, ist sie unter der gastro-betrieblichen Regie des böhmisch-stämmigen Peter Hoyer und seinem Sohn Marcel zur Kultstätte geworden, auch nach 40 Jahren scheint sie nichts von ihrer Attraktivität verloren zu haben.
Dass dies in der Ägide des Nürnberger Kulturdezernenten Hermann Glaser seinen Anfang nahm, der gegen den etablierten hochkulturellen Kultur-Begriff den Bereich des Soziokulturellen und des kulturellen „Volksvermögens“ der normalen Leute ins Feld führte und mit der KOMM-Gründung richtungsweisende Zeichen setzte, ist vielleicht kein Zufall. Es mag – auch wenn es zwischen Glaser und den Gregorianern keine Berührung gegeben hat - auf einen besonderen geistigen Klima-Faktor der Stadt Dürers und des Reichsparteitages verweisen, der noch näher zu untersuchen wäre.
Die Geschichte des Gregor Samsa ist ebenso wie überhaupt die Geschichte der Künstlerkneipen noch nicht geschrieben.
Ein spannendes sozio-kulturelles Thema, das einen interessanten Beitrag zur Erdung der Hoch-Kunst bringen dürfte, die ja vielen immer wieder zu hoch ist.
Diesbezüglich hat in der Porzelliner -, Bahnerer - und Ackerbürgerstadt Weiden qua Kunstverein mit einigen Aktionen, Ausstellungen und Projekten auch schon Erdungs-Arbeit stattgefunden, man denke an die Bodenarbeit von Raffael Rheinsberg „In alle Richtungen“ an das Projekt „Vereint“ oder an das Erinnerungs-Projekt in St. Augustin.
In Weiden bestehen dabei speziell zu Herrmann Glaser und seinem Denken und Wirken über die Weidener Literaturtage Kontakte. Für den Katalog zu dem Zeichnungen-Zyklus „Aus dem Bierzelt“ von Brigitte Konrad, schrieb Hermann Glaser den Einführungstext.
Aber die umfassendste und geglückteste Materialisierung des soziokulturellen Gedankens in der Kunst, ist das Cafe Neues Linda. Robert Hammer, der das Linda im Kunstvereins-Haus 2005 eingerichtet hat, gehört zur Gründergruppe des Kunstvereins und hat den Werdegang des Kunstvereins bis heute begleitet.
Bevor er das Linda mit dem bemerkenswerten Ulmen-Theken-Blatt schuf, haben er und unser Freund Claus Bergler hier im Ausstellungsraum und auf dem Weg hierher und drumherum Tausende von Spaxen beim Bau von Ausstellungs-Mobiliar und Hänge-und Zwischen-Wänden verschraubt und dafür gesorgt, dass der Kunstverein Weiden und sein kunstbegriffliches Denken schon mal einen physikalisch festen, erdgebundenen Stand hat.
Das Cafe Neues Linda aber machte aus vielen der bildformulierten Kern-Ideen soziale, praktische Realität, das Linda ist zu einem stadtkulturellen und kunstbetrieblichen Lebensorgan geworden, ihm verdankt der Kunstverein, als er vor drei Jahren in der Krise war, einen Gutteil der hundert rettenden Neumitglieder. Die gewachsene Koexistenz von Linda und Kunstverein, die räumlich nur durch eine Glastüre getrennt sind, macht die Grenzen zwischen Kunst und Leben immer wieder fließend.
Hoch die Gläser!
So besteht zum Gregor Samsa, gleichwohl es für den Kurator persönlich eine Spät-Entdeckung war, bewirkt durch die Eigenart des eigenen Hauses seit jeher eine innere Verbindung.
Besonderen Dank für das Zustandekommen der Ausstellung schulde ich Peter Angermann, der mich auf die Idee gebracht hat und mir seine Adressen-Liste bereit stellte, weiterhin sehr geholfen hat Christian Mückl, Journalist bei der Nürnberger Zeitung, der eine Reihe Zeitungs-Artikel stiftete, ebenso Frau Dr. Eva Zeltner, die den Nachlass von Blalla Hallmann verwaltet und in einem Privatmuseum der Öffentlichkeit zugänglich macht, ein Traum, den wir mit unserem Max-Bresele-Nachlass nur träumen können, Gerlinde Pistner hat ihre Adresse in Nürnberg als Sammelstelle angeboten und den Fragebogen ausgefüllt, und last but not least sei Reiner Zitta gedankt, der ein wunderbarer Erzähler ist und mich bei meinem Besuch in der Alten Mühle Zeit und Raum vergessen ließ.
Und es gäbe noch viel zu erzählen.
Von den Leuten, von den Zeiten, von den Ideen, von Tragischem, Komödiantischem, Schicksalshaftem, von all dem ist in unserer Dokumentation zu erfahren, es ist der Versuch einer Dokumentation, eine Stoffsammlung, die die Fantasie bewegt, und bevor sie all zu sehr ins Kraut schießt und sich am gelebten Leben, das anderen gehört, vergreift, sollte man Schluss, sollte der Kurator Schluss machen.
Die kubistische Raum und Zeit fältelnde Art des Portraits, das wir aus verschiedenen Gregor-Ansichten collagiert haben, auf der Einladungskarte, im Foyer des Ausstellungsraumes, soll darauf verweisen, dass es noch viele, viele Ecken und Winkel gibt, die den Insidern gehören, die der Outsider aus Mangel an Zeit und aufgrund der Problematik der Umstände nicht alle aufsuchen konnte.
So ist es kaum möglich, das Thema „Gregor Samsa und seine Zeit und Gäste“ auf eine Art abzuhandeln, die allen gerecht wird. Es ist ein waghalsiger Versuch, der skizzenhaft bleiben muss, ein Fragment, das den Blick schärft und hofft, hoffen zu dürfen, dass uns die Ungenauigkeiten beim Zusammenfügen der Teile verziehen werden.
Die Chronologie und Beschreibung des Gregor-Samsa-Daseins, die wir im Doku-Bereich vorstellen, ist wie schon gesagt, eine Sammlung von Bruchstücken, eine Reihung von Hinweisen, ein Feld voller Lücken und Wiederholungen, die nach professionellerem Handling ruft.
Vielleicht sind heute Personen unter unseren Gästen, die noch passende Erinnerungs-Scherben hätten, oder es kommen noch Zeitzeugen, die mehr wissen würden, die damals dabei waren, aber wie!, aber jetzt nicht dabei sind. Sorry.
Und Hurra!
Es gibt einen Fragebogen, der im Vorfeld der Ausstellung erstellt und verteilt wurde, er ist jetzt noch zu haben und ermöglicht dem unerkannten Kenner, auch während der Ausstellung einen Beitrag zu liefern und dann doch noch dabei zu sein.
Wolfgang Herzer