Hans-Jürgen Bröckl
Malerei
15.11.—08.12.02
Info
Auf der A 93 nach Berlin trifft der Durchreisende in der Mitte zwischen der Donau- und Domstadt Regensburg, dem einstigen »Immerwährenden Reichstag«, und Hof auf eine dieser Legion Hinweistafeln, Stücke gediegenen Designs. Sie signalisieren gesamtdeutschen Stolz, auch ein Zusammenschluß besonderer Natur- und Kulturräume zu sein. In diesem Sinne verweist das ausgewogen ausgestreckte Rechteck, das mit der Ruhe des Horizonts geht, in sepiafarbenen Signets nahe Weiden auf den Oberpfälzer Wald.
Feingeschliffenes Bleikristallglas funkelt aus der Dunkelheit; über allem thront auf hervorspringender Klippe die Silhouette der Burgruine Flossenbürg, bisher ein rein oberpfälzisches Logo, ein Totemzeichen rauhen, abgelegenen Grenzlandlebens am Eisernen Vorhang, das nun im schattenlosen Schaufensterlicht nationaler Werthaltung steht.
Eine Tatsache aber wird wohl über diesen Fortschritt hinaus ähnlich trutzig wie die Hohenstaufen-Veste überdauern. Regionale Authentizität lässt sich nicht in der Retorte herstellen. Ein Musterbeispiel dafür, dass sie im Off der geistigen Flurbereinigung und neben den Neukartierungen des Regionalmarketings heranwächst, begegnet dem Oberpfalzbesucher in Werk und Person des Flossenbürger Malers und Bildhauers Hans-Jürgen Bröckl.
Mitglied einer Assoziation Kunstbesessener innerhalb der damals punk-intonierten Weidener Jugendszene, die schrieben, filmten, malten und intermediale Aktionen veranstalteten, war es für den Maurer-Sohn Bröckl Anfang der 80er Jahre, in der Zeit, als die Neuen Wilden boomten und Georg Baselitz sein Pandämonisches Manifest veröffentlichte, klar: es musste das harte Brot der Kunst sein!
Der Malteufel entführte den bis dato Zeichner in sich verschlossener, mikroskopisch feiner Bleistift-Geflechte an die Hochschule der Bildenden Künste Kassel. Hier und an anderen Zeitgeiststätten, die sich für Bröckl wie in Grimms Märchen zur Initiations-Stationen-Flucht auswuchsen, sollte dieses Steinpfalzgewächs das »Fürchten« lernen. Vergebens.
Am neoexpressionistischen German Wild Style, der mittlerweile zum internationalen Marktschlager aufgestiegen war, überzeugte den Liebhaber gehobener Kunst- und Kultur-Lektüre die kahlschlagartige Aussetzung der akademischen Regel, die »Kultur« des Bad Painting. Analog zur Punk-Musik, die jedem Gitarristen mit mehr als drei Akkorden im Gepäck misstraute, wurde hier das abendländische Malerei-Potential hinter das Sagen-Wollen des individuellen Hier und Jetzt gestellt. Bröckl ging konsequenterweise auch räumlich an den Nullpunkt zurück, unter die kulturelle Kruste, nach Flossenbürg, Stätte unsagbarer deutscher Vergangenheit, aber auch der einst als unschuldig genossenen Kinderspiele. Hier hatte sich die Lebensstartlinie des 1956 Geborenen unauflösbar mit den Wegen von der Burg über die Granitbrüche zum nationalsozialistischen Vernichtungslager verknotet. Nirgendwo sonst könnte der Platz seiner menschlichen und künstlerischen Wahrheit sein.
Die Ausstellung, die nun eine 1997 begonnene Reihe kleinerer Präsentationen des Kunstvereins mit Radierungen, Linolschnitten und Gemälden von Hans Jürgen Bröckl rundet, ist mit Bildern, die auch mal 2 auf 7 Meter messen, nicht nur in den Ausmassen groß. Auch in Form und Thematik scheint sich aus der Material-Masse, die der bildnerische Esperantist auf Hunderten von Leinwänden zu kleineren und größeren »Sehschlachten« zwischen Einflüssen Ensors, Corinths, Picassos, Constables, Kitajs, Rogier van der Weydens u.a. zusammengetragen hat, eine rahmensprengende Qualität herausgebildet zu haben.
Anfang der 90er Jahre noch hatte in Bröckls Stilmontagen und exzentrischen Adaptionen von Genrebild und Allegorie das Herstellungsprinzip eines frei ornamentalisierenden Manierismus geherrscht. Das Themenpanorama, das sich hier über zahlenstarken Serien von Türmen, Dickichten, Tauchern, Zäunen, Teichen, Kindern, Toren, Säulen, Torsi, Seestücken, Stilleben etc entfaltet hatte, bildete dabei an den Ränder andauernd neue chaotische Knospen. Jetzt aber hatte sich den Einfällen gegenüber, die wetterwendisch mit Dammbruch bzw Versiegen drohen, eine tragfähige, in der Malfläche begründete Struktur geformt.
Ein rasterförmiger Zusammenschluß von Bild-Parzellen wechselnder Größen und Trennschärfen war entstanden. Die Senkrechten und Waagrechten seines inneren Gerüstes entstammen einer organischen Entwicklung, einer Reihe im Gedächtnis auskristallisierter Flossenbürger Motive und Erfindungen, die Bröckl - im Kern Mondrians Kompositionsart nicht unähnlich - über Jahre immer wieder kaleidoskopartig zusammengestellt und formal wie inhaltlich transformiert hat.
Das Stehen des Burgtores, das sich zu menschengetümmel-inkrustierten Trajanssäulen bzw Stone-Henge-Stelen umformt, kreuzt Horizonte von Hügel-, Fels und Meereslandschaften, die zuletzt kurz nach dem Urknall in der Oberpfalz zu sehen waren. Wände aus dem Granit, der den Flossenbürgern bis heute Brot und Arbeit gibt, aber auch deutsche Nazivermessenheit symbolisiert und »dir nie aus dem Kopf geht«, wie Bröckl sagt, verschmälern sich im Gegensinn von Zahnreihen, den letzten menschlichen Identifikationsmerkmalen, die hier die Größe von Denkmälern haben. Endlose Simse, Zeilen, Kanten, Katakomben, Massengräber spreizen die Bildfläche. In Gestalt kleinteilig gespachtelter, geduckter und dabei ewig breiter Architekturgesichter brechen sie durch die Erdrinde, kommen bunker- und barackenförmig mit Seiten, die an die Horizonte des Nirgendwo fluchten, hoch oben ins Freie; in Blöcke gepresstes, bleiches Erinnerungsgewimmel; die im Blockhausstil errichteten SSVillen, die Bröckl »Knochenbrecher« nennt, sind unverkennbar; sie haben jetzt violette Dächer, stehen wie die plumpen Körper einer Rinderherde herum. Bergwiesen, deren Neigungen der Besucher in der Flossenbürger Kulisse ebenso leicht wiedererkennt, haben sich ihrerseits vom Erdinneren, braunen wie poliert leuchtenden Hell-Dunkel-Verläufen, gelöst.
All diese Bewegungsimpulse kumulieren sinnfällig im Aktions-Muster des Vorhangs, der in der Breite auf- und zugeht und in der Höhe schließt. Mitunter glättet sich sein voluminöser Faltenwurf im Kreuz mit geologischen Schichtungen, die aus den in die Fläche projezierten Säulen hervorgehen, zum bunten Streifenfeld konkreter Kunst.
Das Ergebnis ist ein simultanes Bühnensystem, eine bildübergreifende Gedächtnis und Welten-Fabrik. In unterschiedlichst dosierter Zumutung werden dort Gebilde des politischen Nachlasses, der Weltkunstgeschichte und Bröckls persönlicher Mythologie wieder und wieder zum Wagnis menschlicher Nähe bewegt. An vielen Stellen öffnet sich im gelben Posaunenton der »Höll-Himmel«, Bröckls Umkehrung des barocken Jüngsten Gerichtes in die Himmelfahrtsschau. Wieder das fast undurchdringliche Menschen-Körper-Getümmel, mit dem Pinselstiel skizzenhaft in die feuchte Ölfarbe gekratzt. Augenblicke lang schlagen die Bilder des Grauens in das Nachbild selbstvergessener Mutterschaft um.