Idiot
Franz Pröbster Kunzel Installation und Performance im Rahmen »EigenSinnLeben« der PSAG
23.03.—20.04.01
Info
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wie Sie bei unserem letzten, größeren Projekt 10:10 wieder feststellen konnten, ist es uns zur Regel geworden, Ausstellungen im thematischen Zusammenhang zu entwickeln, aber auch der Trend, die Zusammenarbeit mit Veranstaltern aus Sozialem, Wirtschaft und anderen Kultursparten zu suchen, hält an. Im Kampf um ein Publikum, dem die Tiefe zum Kick, der Ort zur Passage geworden sind, scheinen solche interdisziplinären Fusionen ähnlich Sinn zu machen wie die Zusammenschlüsse in der Wirtschaftswelt. Der Glaube an das Wunder fruchtbarer Synergieeffekte versetzt Berge.
Manche Kunstvermittler aber sehen hier nur eine Verwässerung der Kunst. Was von diesem Standpunkt aus, der seine Maßstäbe häufig aus der Ideenwelt der Fünfziger Jahre bezieht und die Vorstellung von Kunst als Ewigkeitswert und als auratischen Gegenpol zum Alltag und zur Politik pflegt, übersehen wird, ist der Umstand, daß sich Kunst ja schon seit gut hundert Jahren zunehmend
als eine Sache des künstlerischen Bewußtseins und der Struktur und weniger als Sache des teueren Artefaktes etabliert, das in seinem Wert auch ein Stück Unvergänglichkeit zu beinhalten vorgibt.
An dieser Stelle schon mal ein Verweis auf die Arbeiten von Franz Pröbster-Kunzel, der seine Assem-blagen, Schreine, Stelen aus Naturmaterialien herstellt. Dabei belässt er diese auch in ihrer ursprünglichen Verbindung mit den natürlichen Wandlungsvorgängen. Das Holz wird morsch, das Metall verrostet, die Steine verwittern. Manifestationen einer zyklischen Zeitordnung, die in FPKs Kunst mit den Linien geschichtlich - aufklärerischer Horizonte korrespondiert.
Dieses „nachabsolutistische“ Bewußtsein, das gerne Ready Mades und Objet trouvees verwendet und grundsätzlich von keiner Form der Materialisation abhängig ist, nimmt sich die Freiheit, jenseits seiner eigenen Kategorien wie das Wetter immerwieder ganz anders zu sein. Als sein aktuelles Feldzeichen leuchte die Lavalampe!
Die Erfahrung lehrt, daß der Vereinigungsfleiß, der uns ein zweites Mal schon mit der PSAG (Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft) zusammenarbeiten lässt, worin aber andere nur faule Kompromisse sehen können, auch Optionen erschließt, die sich im Brennpunkt verschiedener Perspektiven und bereichsferner Ideen, mitunter als eine künstlerische Brache entpuppen. Eine Frage von Ausdauer, Offenheit und innerem Kunstkompaß. In den 90er Jahren wurde dort, im toten Winkel der Diskurse, das gesellschaftliche Leben selber und eben nicht mehr Marmor oder Bronze und ebensowenig Fett von praxis- und prozeßorientierten Gruppen wie WochenKlausuren, LPG Florian Geyer, Group Material, Freie Klasse zum Werkstoff erkoren.
Aber auch die Beiträge des Kunsthereins zum kommunal organisierten Kulturleben der Mittelstadt Weiden haben in diesem
Zusammenhang Projektcharakter, der über die Dienstleistung, eine Ausstellung zu kuratieren, ein ganzes Stück hinausgeht. War doch in allem auch immer das Anliegen eingeschlossen, mit Hilfe der ausstellerischen Intervention in geistiges Neuland vorzudringen, gesellschaftliches Gelände zu vermessen, ortsspezifische Eigenheiten kennenzulernen und aus vielfältig dosierter Kunstvermittlung eine Art bodenständiger Vermittlungskunst zu machen.
Die Verbindung, die wir vor zwei Jahren mit der PSAG Weiden / Neustadt / Tirschenreuth eingingen, hatte uns weniger wegen des Mythos interessiert, der, wie das Beispiel Gugging nahezulegen scheint, besagt, daß die seelische Krankheit nur die äußere Schale ist, die in sich einen wertvollen, meist verkannten Kunstkern verbirgt.
Das Herausragende an Gugging, genauer gesagt an dem wildbemalten "Haus der Künstler" in der Landesnervenklinik Niederösterreich, wo wir 1998 die Großen der Aussenseiterkunst Walla und Tschirtner besucht und von ihnen Arbeiten für unsere Ausstellung SonneAstro in Weiden mitgenommen hatten, war die spannungsvolle Strukturverschiebung des normalen Kranken- hausbetriebes, der kunterbunte Freiraum, den sich das international hochgeschätzte Talent der Wenigen mit Hilfe der inspirierten Ärzte Leo Navratil und Johann Feilacher herausgenommen hatte. Mit dem farbigen Fetisch auf der Fassade, einem Symbol nicht nur der künstlerischen Freiheit, tritt aber auch die Frage in den Raum, wieweit die Qualitätskriterien der psychiatrischen Versorgung insgesamt von den Lebensentwürfen der Patienten bestimmt werden müssen. Und so ist es die analog offene Situation der PSAG, ihr Versuch, sich unter dem Titel "Psychiatrie und Kultur" 1998 neu zu verorten, und heuer die Selbstbefragung der Psychiatrie "Lebensqualität in der Sozialpsychiatrie!?- Lebens(t)räume gemein-sam gestalten", die uns zum Mitmachen animiert.
Die Tatsache, daß weltweit jeder Dritte wenigstens einmal in seinem Leben krankheitsbedingt von geistiger Umnachtung heimgesucht wird, verleiht dem sogenannten "Abnormalen" eine Normaliät, der das Selbstbild der geordneten Welt noch längst nicht entspricht.
Daher ist der Umstand, daß der gelernte Ökolandwirt Franz Pröbster - Kunzel als 25-Jähriger an einer schweren seelischen Verstimmung litt, die alle Zeichen einer Persönlichkeitsauflösung enthielt, nur wenig spektakulär - im Vergleich zu den geistigen Kontinenten, die er seit den Kursstörungen seines Lebensschiffes wieder im Vollbesitz aller geistigen Kräfte angelaufen hat und als Kunstwerke auch seiner Umwelt zugänglich machen konnte.
Das Landkind wurde 1950 in dem Oberpfälzer 200 - Seelendorf Forch-heim / LKrs Neumarkt auf einem Bauernhof mit 15 Hektar Betriebs-fläche geboren, der in den letzten zwanzig Jahren zu einer von weither besuchten Art Walhalla des L‘Art Brut umgerüstet wurde.
Hier sammeln sich verschiedenste Gebrauchs- und Naturgegenstände der ländlichen Sphäre an, Erde, Eimer, Stangen, Steine, Rinde, Weidenringe, Wasser, und bilden in einem noma-disierend- architektonischen Bezug zu den immobilen Berufsrudimenten Scheune und Hof eigenwillige Konfigurationen. Darin scheinen sich die Begriffe aus der Arbeitswelt des einstigen Familienbetriebes in magische Beschwörungsmittel, in vorgeschichtlich archaische Fetische einer naturnahen und artgerechten Land- und Lebenswirtschaft rückverwandelt zu haben.
Im "Garten des Heiligen Irrsinns", einem 33000 Quadratmeter großen Stück "Flächenstillegung" bestaunen statt der EU - Überschuß-Rüben und Kartoffeln viele Hundert "Feldbe-geher" jährlich "Kunzels" hochaufragende Feldobjekte. Klingende, wehende, sich wiegende, den Besucher umzingelnde weitmaschige Gerüste aus Stämmchen und Ästen, Tränenpfähle, Geisterfallen, Haus der versteinerten Seelen, Sonnenweg.
Doch zuvor hatte der Jungbauer Lehre und Fachschulabschluß gemacht, hatte die ökologische
Umstellung des elterlichen Hofes in Angriff genommen. Mitte der 70er Jahre geriet er in eine schwere Identitätskrise, in der sich die marxistische These zu bewahrheiten schien, die die Geisteskrankheiten als Reaktionen auf die gesellschaftliche Entfremdung deutet.
Die Suche nach neuen Mustern der Selbstvergewisserung, nach einem tragbaren Denken und Verhalten, in denen der tiefverwurzelte bäuerliche Arbeitsgestus, zB. das reihenlange, rhytmische „BetBücken“ und Schreiten im Ornament einer zweckbezogenen Land-Art, wieder Sinn machen konnte, fand Anfang der 80er Jahre mit ersten Austellungen und Auftritten als Künstler ihren Abschluß. Nachdem sich FPK als Vogelscheuche auf den Acker gestellt hatte, ließ sich zu seiner bisherigen Lebenswelt soweit innerlicher Abstand gewinnen, daß ihm diese als Fundus für ein ausgesprochen eigenständiges bildnerisches Werk verfügbar wurde.
Der archaische Symbolismus seiner Aktionen und Objekte, Feldzeichen und Bilder, der Tänze zum Metronom fließenden Wassers und dem "Storchgeklapper" der Baumrindenröhrentrommel, der Erdbilder, Zeitschreine, Lebens- blätter und Lebensbretter, in denen das erlebnispralle Tagwerk in der Demutsgeste einer einzelnen Kerbe oder eines einzelnen Striches aufgeht, trägt ethnologische Akzente. Außerdem enthält sie Elemente von "Individueller Mythologie" und "Spurensicherung", Positionen der jungen Kunstgeschichte, die mit Joseph Beuys und Nikolaus Lang bekannt wurden. Doch die Nähe der Vita Pröbster-Kunzels zur psychologischen Biographie des Kunsthistorikers und Privatgelehrten Aby Warburg, der sich durch die Auseinandersetzung mit primitiver Kunst, namentlich den Schlangenritualen der Puebloindianer aus dem Gefängnis seiner Psychose befreite, legt nahe, die Herkunft der formalen Vorgaben seiner Kunst jenseits der Strömungen der 70er Jahre zu suchen. Sie liegen in der eigenen Authentizität und der nachhaltigen körperlichen Beanspruchung und
Formung durch das Landleben, die in Pröbster Kunzel auf einen eigensinnig musikalischen Widerspruchsgeist treffen. Warburg beklagt in seinem Kreuzlinger Vortrag über das Schlangenritual 1923, die mythisch-magische Zähmung der Übermächte Giftzahn und Blitzschlag, daß die technologische Herrschaft des Menschen den Andachtsraum des Mythos ebenso wie den Denk- und Nachdenk-Raum der Naturwissenschaft zerstört hätte. Pröbster-Kunzel, der in diesem Zusammenhang als spirituelles Opfer der industrialisierten Landwirtschaft ange-sehen werden kann, hat bereits Ende der 70er Jahre in ersten Kunst-"Schweinereien" unsere heutige BSE und MKS - Apokalypse vorweg-genommen.
Im Kunstverein Weiden wird der Oberpfälzer EigensinnWeltenbauer neben einer Fotodokumentation seiner Entwicklungsgeschichte Objekte und Bilder zeigen. Die Aufnahmen hängen im Bürobereich unserer Einrichtung. Dort wird man auch eine Informationswand von Dr. Michael Ziereis, dem stellvertretenden Direktor des Bezirkskrankenhauses Wöllershof, über bereits klassisch gewordene „Lebens(t)räumer“ finden. Besonderes Interesse jedoch verdient Pröbster-Kunzels Tanz- und Klangperformance mit Instrumenten aus Baumrinde. Diese wird Teil einer interaktiven Veranstaltung sein, die auch Formen schamanischer Heilrituale verwendet. In ihrem Zentrum fungiert FPK als Taktgeber. Das Publikum hat im Ausstellungsraum, der zum Großteil mit linierten Feldsteinen ausgefüllt sein wird, "Grenzsteine" eines verlorenen Ordnungsgefüges zu setzen und tritt selber als Stücke eines kosmologischen Bildganzen auf.
Wolfgang Herzer