Franz Kochseder
Malerei, Zeichnung,
Kooperation: Kunst-Museum Schweinfurt
18.11.05—08.01.06
Info
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der Kunstverein Weiden zeigt vom 18.11.05 bis zum 08.01.06 neue Arbeiten von Franz Kochseder. Diese „Dual“ betitelte Ausstell-ung gibt Ihnen Gelegenheit, sich mit der Ideen- und Bilderwelt der Gegenwart im Kontext Malerei und Zeichnung beispielhaft auseinanderzusetzen. Der andere Grund für die Kooperation mit dem Künstler liegt in dem Selbstbild des Kunstvereins als Ort der „Entschleunigung“. Im letzten Jahr hat der Kunstverein vor seinem Haus ein eigenes Verkehrsschild aufgestellt und das Areal Ledererstrasse in Weiden zur „Entschleunigten Zone“ erklärt. Auf der efeuüberrankten Gartenmauer gegenüber dem im Erdgeschoß neueröffneten Cafe kann auch schon mal das Nachbild Yves Kleins erscheinen, der sich wieder und wieder ins Leere stürzt.
Die Absicht des Kunstvereins ist es, mit Kunstwerken Oasen in der Wüste verplanter Zeit anzulegen. Als uns Kochseder seine Arbeiten gezeigt hat, wurde nicht gezögert.
Es sind Mittel gegen die Suggestionen des Terminkalenders, der dem Erfolgreichen die Leidensfreiheit der Mechanik und das ewige Licht des Cyber-Space verspricht.
„Zahl und Zeit“ ist das Thema, mit dem sich Franz Kochseder seit langem befasst.
Der 1947 in Altmannshausen/ Mittelfranken geborene Künstler bewegt sich dabei auf den Spuren der großen Zeit-Denker von Au-gustinus bis Einstein und Heidegger, die das Unfassbare der Zeit fasziniert hat. Die Existenzphilosophie, in deren Ära Kochseders Jahrgang fällt, ergründet den Zeicharakter des Mensch-Seins.
Künstlerisch sind die 60er und 70er Jahre seine Zeit, als sich der klassische Stilbegriff auflöst und wie speziell in Kochseders Fall Verbindungen aus informellen und konzeptuellen Vorstellungen möglich werden.
Ästhetisches Kennzeichen der Exponate, die innerhalb verschiedener Themenkreise mit Titeln wie „Jetzt und nicht nur Jetzt“, „Große Gefühle“ oder „Dual“ in Mischtechnik während der letzten drei Jahre enstanden sind, ist die dichte, an den Rändern offene All-Over-Struktur, die in meist gedämpfter, zwischen Kalt und Warm changierender Farbgebung vorliegt. Sie versetzt die Fläche in Zustände zwischen sanftem Leuchten und flackerndem Lichtwechsel. Aus der vielschichtigen, transparenten Textur, deren Bestandteile als ineinander verwobene Zahlen und Buchstaben-Zeilen zu erkennen sind, treten zwei oder drei meist schwarze Linien an die Oberfläche. In feingliederiger, ruckartiger Strichelierung bzw enger Parallelführung erweitert sich der Duktus des Einzelzeichens zur flächenübergreifenden Bewegung.
Der Betrachter steht vor Passagen, die in langgestreckten Windungen von Bildkante zu Bildkante führen. Ihr Verlauf, der sich dem Tastsinn überlassen zu haben scheint, schwebt dabei mit schlafwandlerischer Sicherheit über die visuellen Markierungen des Untergrundes hinweg. Im Erscheinungsbild der Linien halten zwei Grund-Typen die Balance. Zum einen ist das die virtuelle geometrische Struktur des For-mats mit ihren Waagrechten, Senkrechten und Diagonalen, die gleichzeitig die Matrix des Alphabets bilden.
Zum anderen ist es die expressive, ebenfalls bipolar angelegte Gebärde, in der sich längliche, spindelförmige Verdichtungen mit langen dünnen, teils hauchdünnen Ausläufern verbinden. Diese Gebilde, die an Nervenfasern erinnern, haben einen drahtartigen, sich dem abrupten Richtungswechsel entgegensetzenden Charakter. Was begründet den Kraftaufwand, der dem schnellen Dahingleiten auf einem scheinbar übersichtlichen Weg widerspricht und die Langsamkeit entdeckt? Warum dieses Zögern, das für das klassische Informel a la Mathieu atypisch ist.
Kochseders Lineamente treten dem Betrachter in den verschiedenen Zustandsformen einer dauernden Metamorphose entgegen. Sie geben den Blick auf paläograhische Schichten frei, wo die Entwicklung der liniengestützten Wirklichkeitsbeschreibung im Zeitraffer abläuft. Die Tachistische Magie der Schatten und Risse an den eiszeitlichen Höhlenwänden findet sich dort ebenso wie das Zeichen der Bilderschrift und seine Nachfolger, die schon genannten Buchstaben, Worte und Zahlen des abendländischen Kulturkreises. Die Aura geistiger Klarheit tritt hinter der Anmutung der sinnlichen Faßbarkeit, die das Wechselspiel der Farben herstellt, zurück. Hier handelt es sich nicht um die Art von Panoramen oder Palimpsesten, in denen ein Weltgeist die Zeitmünze in Ewigkeitswerte wechselt.
Das alte, das heutige Bewußtsein aber immernoch bestimmende Bild, demnach alle Zeitpunkte eine Kursbuch-Gerade zum Jüngsten Tag bilden würden, ist hier selber nur mehr als eine abgelegte Option unter anderen gemeint. Der dahinterstehende Zeitbegriff, den die Mechanik der mittelalterlichen Kirchturm-Uhren geprägt hat, hatte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinen objektiven Charakter eingebüßt. Vorläufig haben die Zeit-Raum-Vorstellung der Relativitätstheorie und die Multiperspektivität des Kubismus seinen Platz in der Geistesgeschichte eingenommen. Die Welt ist unberechenbar geworden. Die identitätsstiftende Kraft der Zahl verblasst. Hastig breiten sich die 0-1-Kolonnen der Informations-Kultur aus.
In diesem Spannungsfeld, in dem Künstler wie On Kawara und Roman Opalka maßstäbliche Formen der individuellen Seins-Verge-wisserung in Raum und Zeit geschaffen haben, legt Kochseder Blatt für Blatt Längsschnitt-Bilder durch das kollektive Bewußt-sein an. Das Auge wandert durch Labyrinthe aus Zahlen, Formeln, Diagrammen, Buchstaben, Worten, Gedichten, in denen der menscheitliche Fundus ideeller Vergangenheits- und Zukunftsbausteine symbolhaft eingeschlossen ist. Kochseders Arbeiten stellen, um einen Fachbegriff Cesars aus den 60er Jahren zu ver-wenden, enzyklopädische Kompressions-Blöcke dar. Ereignis-Kennzeichen, die die Welt bedeuten, verbinden sich darin in einer Mischung aus Ordnung und Zufall. Wissen der Bereiche der Kosmologie, der Planetenbahnen, der Geschichte, der Weltwirtschaft, der Philosphie und der persönlichen Biographie blitzt aus der Tiefe der Notations-Dickichte auf. Sternenstaub. Dann befindet sich alles wieder in der unanschaulichen Abstrak-tion eines flechtwerkartigen Strich-Codes. Im Wellengang von Erinnerung und Vergessen sprechen die Farben und Formen über ihre eigenen Dinge.
Die Ariadne-Fäden, denen Kochseder in diesem wissensdurchmischten Areal folgt, suchen nicht den Ausgang sondern die Mitte. Es gibt viele Mitten. Sie liegen zwischen neuen, verborgenen Sinnverbindungen, die aus der bildnerischen Tätigkeit, dem Instinkt der Gestalt gebenden Kraft selber, hervorgehen. Kochseder arbeitet langsam. Seine Arbeiten sind Meditationen über das Verhältnis von Handeln und Wahrnehmen, von Oberfläche und Tiefe. Jeder Ruck, in dem sich die zeichnende Hand vorwärtsbewegt, ist auch ein Signal der Berührung mit großen Fernen, aus denen das Wiedererkennen der Wegzeichen erst zurückkehren muß.
Daher die Verzögerung.
Wolfgang Herzer