Konkret
Markus Kronberger/Nürnberg, Anna Wheill/Cham, Karl Heinz Adler/Dresden, Angela Grasser/Passau Malerei
19.09.—19.10.03
Info
Auszug aus dem Vereinstagebuch.
Nach dem Supersommer, der in den Bergen die Gletscher verzehrte, weht jetzt ein umso eisigerer Wind ums Haus. Wie im Kirchenkalender stehen auch unsere Zeichen auf Herbergssuche. Mit dem Jahresprogramm 2004 warten wir vor den Sponsorentüren. Im Geiste steigt Ausstellungstechniker Bergler schon wieder auf die Leiter, die neuen Titel in zugiger Höhe an die Hauswand zu hängen. Für die letzte Ausstellung Stillleben wurde unser Ausstellungsraum punktuell zu einer strenglinigen Black-Box umgebaut. Der lichtabweisende Paravent-Eingang in den neuen Beamer-Projektions-Raum lässt an eine U-Bahn-Station denken, an Ausstieg, Umstieg. Unser bisheriges Zuhause verschwindet. Das alte Jahresprogramm ist so gut wie abgewickelt, gleichwohl das gelbe Werbebanner mit den Ausstellungstiteln, groß, daß sie von der Strasse aus lesbar sind, immernoch seinen Posthornton wie am ersten Tag leuchten lässt. In der letzten Zeile, die auf die barocken Reflexionen über das Sein und den Schein im Stillleben folgt, steht „konkret“. Wie bei jeder der vorausgehenden 8 Ausstellungen fokus-siert auch hierbei die Wahrnehmung des Kurators reizwort-gemäß und filtert diesmal das Gesichtsfeld unter den Vor-zeichen der „Guten Form“. Dieses Welt-Label, das die dem Nazi-Deutschland in die Schweiz entkommenen Bauhaus-künstler aus dem Konstruktivismus entwickelten, wird in der Tiefe des vornehmen Blicks wieder wirksam. Es er-muntert den Kurator auf seiner Wanderung durch den Weidener Max-Reger-Park zur Hommage an das Quadrat, wo andere erst eine unbenutzbare Fußballplatzhälfte sehen. Es wirbt für ein kulturelles Selbstverständnis, dem die Nullform, Malewitschs Ikone des 20.Jhts, vollauf genügt, um den oikos, seinen Platz in, mit und in Abgrenzung zu der Natur deutlich zu machen. Die aufklärerische Pathos-formel von ehedem ist im Kern frisch geblieben. Sie hat das Zeug zum Sinnzeichen einer ökologischen Haushalts-führung, die mehr ist als nur zu sparen, sinniert der Kura-tor. Vor ihm taucht der klare Betonkubus der Sporthalle der Geschwister-Scholl-Realschule auf. Ermunterung und Augentrost seit Jahrzehnten. Trotz seiner Bunkerform, die bis heute zu unzähligen Spray-Bombing-Angriffen heraus-gefordert hat, wirkt das Bauwerk schwerelos und weist den pompösen „Willen zur Macht“ soweit zurück, daß hier das Gras grüner als anderswo grünt. Wie auf´s Stichwort schlendert Pan über ein Hügelchen. Es ist aber ein Arbei-ter des städtischen Bauhofes, der einen Laubbläser bedient. Funktionell betrachtet erscheint das Gerät als Mi-schung aus Flöte und Rechen. Nein, dieses land-art-artige Bild hatte Bauhausgründer Gropius gewiß nicht vor Augen, als er unter dem Motto „Kunst und Technik - eine neue Einheit“ in Weimar das „Laboratorium“ einer humanen, klassenlosen Gesellschaft konzipierte. Im Park wird es eine Spur kälter, unwirtlicher. Die Enttäuschung der Götter, die Philemon und Baucis wiederfinden wollten, weht über das Land. Wir aber durften diese in der Gestalt des Ehepaares Teuscher treffen, den beispielhaften Pflegern der Gastfreundschaft aus unserem Kunstfreundekreis, als am 31.10. der längst fällige Nachbarschafts-Besuch im nahen Kunsthaus Rehau stattfand. In dem sanierten alten Schul-haus, seit 01 Sitz des „instituts für konstruktive kunst und konkrete poesie“, eröffnete Stefan Gomringer eine Werk-schau von Kurt Teuscher. Die Namen der Künstler/innen, die wir einen Mont später in Weiden zeigen würden, mach-ten, daß wir wie alte Bekannte aufgenommen wurden. Diese Willkommens-Geste möchte ich bei der Eröffnung un-serer Ausstellung „konkret“ mit Karl-Heinz Adler, Angela Grasser, Markus Kronberger und Anna Wheill, an Sie, meine sehr geehrte Damen und Herren, weitergeben.
Die Exponate, die in Weiden zu sehen sind, haben vorwiegend zeichnerischen Charakter und stehen unter dem Pri-mat der Linie. Linien sind keine Striche, wie schon Leibl sagt, es sind sichtbar gewordene Richtungsentscheidun-gen, die zwischen der unendlichen Weite der Horizontalen und der unergründlichen Tiefe der Vertikalen vermitteln. Auch in den Gemälden, mit denen Markus Kronberger antritt, spielt die Linie eine wesentliche Rolle. Es handelt sich dabei um virtuelle Geraden, die in unserer Wahrnehmung unter dem Diktat des Gestaltgesetzes von selber entstehen. Ihr Ziel ist es, komplizierte Strukturen, die in Kronbergers Fall die Kanten unregelmäßig angeordneter Farbflä-chen herstellen, zu komplexen, ökonomischen Großein-heiten zu verschmelzen, oder, wie es Albers nannte, aus Eins und Eins Drei zu machen. Kronberger, Jahrgang 64, studierte in Nürnberg bei Reuter, Knaupp und Hölzinger und ist jetzt ebenda Assistent von Diet Sayler. Er stellt auch architekturbezogene und in den Raum eingreifende Wandarbeiten her. Dazu gehören „Shaped-Canvas“, Reliefs und Schichtungen u.a. aus farbigen Aluminiumplat-ten, die sich im Gleichmaß bzw in der vom Schmal-Breit-Kontrast bestimmten Folge entwickeln.
Anna Wheill. 51 geb. Die Chamerin, die in Florenz und bei Fruhtrunk in München studierte, tritt auch mit literarischen Arbeiten, d.h. Artikeln, Texten, Opernlibretti vor. In Weid- en zeigt sie Formate, deren Größen sich an den Versand-mitteln der 99 gegründeten mailart-edition bemessen. Die mit dem Tintenstrahldrucker farbig ausgeführten Comput-errealisationen bilden horizontal, vertikal, orthogonal und im Falle der „böhm. Fakturen“ jetzt auch diagonal geglied-erte Strich-Strukturen von rhytmisch wechselnder Elementstärke. Die „Fakturen“ enthalten Kleinstausschnitte al-ter Gemälde und wollen vielleicht auch in den Fluchten ih-rer schräglaufenden Lineamente der kriegerischen Geschichte Böhmens eine Referenz erweisen.
Angela Grasser, 51 in Rotthalmünster geboren, lebt in Passau. Die Arbeiten der Schülerin von Zimmermann und Tröger an der Akademie München, kleine bis mittelgroße Federzeichnungen, sind sensible, labyrinthische Gewebe von unterschiedlicher Dichte bzw Lichte. Sie veranlassen zu Meditationen über die Dialektik von Kette und Schuß, von Geborgenheit und Aufbruch. Das ihnen innewohnende Kreuzmotiv liegt in unterschiedlich komplexen ornamentalen Verbindungen vor und führt die Expressivität der Handzeichnung in einen Zustand beständiger Entschleunigung über.
Karl-Heinz Adler, ein Grandseigneur der konkreten Kunst, zeigt Arbeiten aus der Werkgruppe der seriellen Lineaturen. Bei diesen dient dem 1927 geborenen Dresdener, dem Forscher, Erfinder und Pädagogen auf dem Feld der Bau-kultur, dessen freies Werk jedoch im Widerspruch zur Re-alismusdoktrin der DDR stand und daher in künstlerischer Isolation reifen mußte, als Baustein eine paradoxe Dreiecksstruktur. Sie besteht aus der konstruktivistischen Flächenform und ihrer räumlichen Interpretation als Reihe von Parallelen, die sich im Unendlichen schneiden. Adler arbeitet hier mit Bleistift. In teils großen weißgrundierten, oft im Preßspanton belassenen Formaten verzahnen sich mehrere dieser Einheiten zu hochdynamischen flächenräumlichen Gefügen. In ihrer Anmutung scheinen die Relativitätstheorie und das Gesetz von der edlen Einfalt und der stillen Größe kompatibel zu sein.
Konkret
Markus Kronberger/Nürnberg, Anna Wheill/Cham, Karl Heinz Adler/Dresden, Angela Grasser/Passau Malerei
19.09.—19.10.03
Info
Auszug aus dem Vereinstagebuch.
Nach dem Supersommer, der in den Bergen die Gletscher verzehrte, weht jetzt ein umso eisigerer Wind ums Haus. Wie im Kirchenkalender stehen auch unsere Zeichen auf Herbergssuche. Mit dem Jahresprogramm 2004 warten wir vor den Sponsorentüren. Im Geiste steigt Ausstellungstechniker Bergler schon wieder auf die Leiter, die neuen Titel in zugiger Höhe an die Hauswand zu hängen. Für die letzte Ausstellung Stillleben wurde unser Ausstellungsraum punktuell zu einer strenglinigen Black-Box umgebaut. Der lichtabweisende Paravent-Eingang in den neuen Beamer-Projektions-Raum lässt an eine U-Bahn-Station denken, an Ausstieg, Umstieg. Unser bisheriges Zuhause verschwindet. Das alte Jahresprogramm ist so gut wie abgewickelt, gleichwohl das gelbe Werbebanner mit den Ausstellungstiteln, groß, daß sie von der Strasse aus lesbar sind, immernoch seinen Posthornton wie am ersten Tag leuchten lässt. In der letzten Zeile, die auf die barocken Reflexionen über das Sein und den Schein im Stillleben folgt, steht „konkret“. Wie bei jeder der vorausgehenden 8 Ausstellungen fokus-siert auch hierbei die Wahrnehmung des Kurators reizwort-gemäß und filtert diesmal das Gesichtsfeld unter den Vor-zeichen der „Guten Form“. Dieses Welt-Label, das die dem Nazi-Deutschland in die Schweiz entkommenen Bauhaus-künstler aus dem Konstruktivismus entwickelten, wird in der Tiefe des vornehmen Blicks wieder wirksam. Es er-muntert den Kurator auf seiner Wanderung durch den Weidener Max-Reger-Park zur Hommage an das Quadrat, wo andere erst eine unbenutzbare Fußballplatzhälfte sehen. Es wirbt für ein kulturelles Selbstverständnis, dem die Nullform, Malewitschs Ikone des 20.Jhts, vollauf genügt, um den oikos, seinen Platz in, mit und in Abgrenzung zu der Natur deutlich zu machen. Die aufklärerische Pathos-formel von ehedem ist im Kern frisch geblieben. Sie hat das Zeug zum Sinnzeichen einer ökologischen Haushalts-führung, die mehr ist als nur zu sparen, sinniert der Kura-tor. Vor ihm taucht der klare Betonkubus der Sporthalle der Geschwister-Scholl-Realschule auf. Ermunterung und Augentrost seit Jahrzehnten. Trotz seiner Bunkerform, die bis heute zu unzähligen Spray-Bombing-Angriffen heraus-gefordert hat, wirkt das Bauwerk schwerelos und weist den pompösen „Willen zur Macht“ soweit zurück, daß hier das Gras grüner als anderswo grünt. Wie auf´s Stichwort schlendert Pan über ein Hügelchen. Es ist aber ein Arbei-ter des städtischen Bauhofes, der einen Laubbläser bedient. Funktionell betrachtet erscheint das Gerät als Mi-schung aus Flöte und Rechen. Nein, dieses land-art-artige Bild hatte Bauhausgründer Gropius gewiß nicht vor Augen, als er unter dem Motto „Kunst und Technik - eine neue Einheit“ in Weimar das „Laboratorium“ einer humanen, klassenlosen Gesellschaft konzipierte. Im Park wird es eine Spur kälter, unwirtlicher. Die Enttäuschung der Götter, die Philemon und Baucis wiederfinden wollten, weht über das Land. Wir aber durften diese in der Gestalt des Ehepaares Teuscher treffen, den beispielhaften Pflegern der Gastfreundschaft aus unserem Kunstfreundekreis, als am 31.10. der längst fällige Nachbarschafts-Besuch im nahen Kunsthaus Rehau stattfand. In dem sanierten alten Schul-haus, seit 01 Sitz des „instituts für konstruktive kunst und konkrete poesie“, eröffnete Stefan Gomringer eine Werk-schau von Kurt Teuscher. Die Namen der Künstler/innen, die wir einen Mont später in Weiden zeigen würden, mach-ten, daß wir wie alte Bekannte aufgenommen wurden. Diese Willkommens-Geste möchte ich bei der Eröffnung un-serer Ausstellung „konkret“ mit Karl-Heinz Adler, Angela Grasser, Markus Kronberger und Anna Wheill, an Sie, meine sehr geehrte Damen und Herren, weitergeben.
Die Exponate, die in Weiden zu sehen sind, haben vorwiegend zeichnerischen Charakter und stehen unter dem Pri-mat der Linie. Linien sind keine Striche, wie schon Leibl sagt, es sind sichtbar gewordene Richtungsentscheidun-gen, die zwischen der unendlichen Weite der Horizontalen und der unergründlichen Tiefe der Vertikalen vermitteln. Auch in den Gemälden, mit denen Markus Kronberger antritt, spielt die Linie eine wesentliche Rolle. Es handelt sich dabei um virtuelle Geraden, die in unserer Wahrnehmung unter dem Diktat des Gestaltgesetzes von selber entstehen. Ihr Ziel ist es, komplizierte Strukturen, die in Kronbergers Fall die Kanten unregelmäßig angeordneter Farbflä-chen herstellen, zu komplexen, ökonomischen Großein-heiten zu verschmelzen, oder, wie es Albers nannte, aus Eins und Eins Drei zu machen. Kronberger, Jahrgang 64, studierte in Nürnberg bei Reuter, Knaupp und Hölzinger und ist jetzt ebenda Assistent von Diet Sayler. Er stellt auch architekturbezogene und in den Raum eingreifende Wandarbeiten her. Dazu gehören „Shaped-Canvas“, Reliefs und Schichtungen u.a. aus farbigen Aluminiumplat-ten, die sich im Gleichmaß bzw in der vom Schmal-Breit-Kontrast bestimmten Folge entwickeln.
Anna Wheill. 51 geb. Die Chamerin, die in Florenz und bei Fruhtrunk in München studierte, tritt auch mit literarischen Arbeiten, d.h. Artikeln, Texten, Opernlibretti vor. In Weid- en zeigt sie Formate, deren Größen sich an den Versand-mitteln der 99 gegründeten mailart-edition bemessen. Die mit dem Tintenstrahldrucker farbig ausgeführten Comput-errealisationen bilden horizontal, vertikal, orthogonal und im Falle der „böhm. Fakturen“ jetzt auch diagonal geglied-erte Strich-Strukturen von rhytmisch wechselnder Elementstärke. Die „Fakturen“ enthalten Kleinstausschnitte al-ter Gemälde und wollen vielleicht auch in den Fluchten ih-rer schräglaufenden Lineamente der kriegerischen Geschichte Böhmens eine Referenz erweisen.
Angela Grasser, 51 in Rotthalmünster geboren, lebt in Passau. Die Arbeiten der Schülerin von Zimmermann und Tröger an der Akademie München, kleine bis mittelgroße Federzeichnungen, sind sensible, labyrinthische Gewebe von unterschiedlicher Dichte bzw Lichte. Sie veranlassen zu Meditationen über die Dialektik von Kette und Schuß, von Geborgenheit und Aufbruch. Das ihnen innewohnende Kreuzmotiv liegt in unterschiedlich komplexen ornamentalen Verbindungen vor und führt die Expressivität der Handzeichnung in einen Zustand beständiger Entschleunigung über.
Karl-Heinz Adler, ein Grandseigneur der konkreten Kunst, zeigt Arbeiten aus der Werkgruppe der seriellen Lineaturen. Bei diesen dient dem 1927 geborenen Dresdener, dem Forscher, Erfinder und Pädagogen auf dem Feld der Bau-kultur, dessen freies Werk jedoch im Widerspruch zur Re-alismusdoktrin der DDR stand und daher in künstlerischer Isolation reifen mußte, als Baustein eine paradoxe Dreiecksstruktur. Sie besteht aus der konstruktivistischen Flächenform und ihrer räumlichen Interpretation als Reihe von Parallelen, die sich im Unendlichen schneiden. Adler arbeitet hier mit Bleistift. In teils großen weißgrundierten, oft im Preßspanton belassenen Formaten verzahnen sich mehrere dieser Einheiten zu hochdynamischen flächenräumlichen Gefügen. In ihrer Anmutung scheinen die Relativitätstheorie und das Gesetz von der edlen Einfalt und der stillen Größe kompatibel zu sein.