Konkret
Neue Gruppe München
21.01.—27.02.2005
Info
Die Zahl der künstlerischen Richtungen und Ausdrucksformen ist unübersehbar geworden. Was waren das doch für Zeiten, als Kunst einfach das Herstellen von Kunstwerken war! Dass statt dessen einmal interkontextuelle Kompetenz gefordert sein könnte, Virtualität vorgeht und der Nagel an der Wand leer bleiben muss, ahnten nicht viele. Die Gemälde und Plastiken besagter Zeit, die mit der 60er Jahren endete, aber bis heute nicht um ist, ließen sich analog zu den 2 Haupt-Kräften der Psyche, dem Verstand und dem Gefühl, schlicht in solche, die mal mehr von expressiven, mal mehr vom konstruktiv-konkreten Geist erfüllt wären, gliedern. Manchmal spannten beide Seelen die Brust und rangen ums Rechthaben. Die Zeit vergeht. Bedeutet derlei heute noch etwas?
Dass Konkrete Kunst, die auch in ihrer heutigen Erscheinung das Bild der klareren Verhältnisse von früher enthält, immer noch ideelle, erneuernde, anstiftende Kraft besitzt, gleichwohl die erhoffte Bewegung zur Menschheits-Vernünftigung qua „vernünftige Kunst“ ein Trugbild geblieben ist, zeigen in der Situation Weiden vielleicht nicht nur die Exponate. Als in der Münchener Szene bekannt wurde, dass die KONKRETEN über die Vermittlung das zweiten Vorsitzenden der Neuen Gruppe Reinhard Fritz „auf Land gehen“, beim „Herzer“ in der Oberpfalz ausstellen, sollen sich die GESTISCHEN zu einem Gegenzug „beim Lerche“ animiert gefühlt haben.
Das Ausstellungspendant, das im September stattfinden soll; wäre einmal Folge der seit 1999 bestehenden Kunst- und Kulturkooperative KoOpf, der u.a. auch Achim Lerche, der Inhaber der Galerie im Woferlhof bei Kötzting, und der Kunstverein Weiden angehören. Zusehens haben sich hier die Verbindungen zwischen elf Regionalen Kunst-Einrichtungen der Oberpfalz, einer für die Kunstwelt eher toten Regionen, zum reagierenden Nervensystem entwickelt. Zum anderen läge es vielleicht an der erstaunlichen Haltbarkeit der konkreten Kunst, was die mittlerweilen 80jährige Beschäftigung mit einer begrenzten Thematik ebenso wie die Corporate Identity ihrer Interpreten anbelangt, die in einer Zeit zunehmender Haltlosigkeit Signale gibt. Vor dem Hintergrund einer weißen Fläche auf der Kunstlandkarte gut sichtbar haben sie Neugier und Interresse geweckt.
Die Neue Gruppe, die bedeutendste deutsche Künstlervereinigung mit Sitz in München, wurde 1946 gegründet. Blättert man im Who-is-Who der Kunst, die dem Deutschland des 20. Jhts das originäre Profil gegeben hat, so befindet man sich unversehens in der Mitgliederliste der Neuen Gruppe, die wie die beiden anderen großen Münchener Künstler-Körperschaften, die Secession und die Neue Münchener Künstlergenossenschaft, ihre Wurzeln im 19. Jht hat und dem Wandel der Ständegesellschaft in Sache des liberalen Bürgertums entspringt.
Ihre Gründungsmitglieder ein Jahr nach Ende des 2. Weltkrieges buchstabieren sich von Baumeister über Dix und Nay bis Schmitt-Rottluff ua. Die Künstler & KünstlerInnen-Vereinigung, die im 3. Reich verboten wurde, sind Produkte des neuen und nötigen Selbsbehauptungswillens der KünstlerInnen auf dem rasanten sich weitenden und differenzierenden Markt gewesen. Ebenso schnell haben sie sich als Spaltprodukte des Kräftemessens zwischen dem konservativ gründerzeitlichen Symbolismus und der Avantgarde vervielfältigt, die in Münchener Szene durch Lembach und Kandinsky personalisiert wurden. Dabei entstanden Strukturen und Auffassungen, die bis in das heutige Betriebssystem Kunst hinein grundlegend sind, auch wenn die Künstlervereinigungen nur ihre einst richtungsweisende Rollen an andere Einrichtungen abgegeben haben.
Auf einen Begriff gebracht heißt das die Festigung der Kunstwelt als autonome Spezialisten-Sphäre; eine IG „Künstler für Künstler“ folgte dem Zug der Zeit; sie regelte das Ausstellungswesen, das für die Selbstrepräsentation der Künstler wichtigste Medium, richtete Rechtsschutzstellen, Sammlungen und Archive ein, schuf Qualitäts-Kriterien und Kontrollen für die Produkte der freien, keiner Zweckrationalität unterworfenen Fantasie; zu jurieren, was Kunst ist, obliegt bis heute dem Künstler bzw. einer anerkannten Fachkraft, keineswegs dem Kunden bzw. Auftaggeber per se. Seine Rolle, in der sich wahre, d.h. geistige Aristokratie verkörpert, ist allerdings antiquiert. Der ablegereiche Mythos vom Hohen und Hehren gegenüber im Leben, das der materialistische Mammon zerstückelt, greift im Zeitalter der Globalisierung und der multiplen Individualität ins Leere.
Als sich im ersten Nachkriegsjahr im Kahlschlag diktatorischer Intoleranz wieder Leben regte, war es die Neue Gruppe, in der sich große Teile der bis dato in Deutschland verfemten Künstlerschaft, versprengte Teile der unter Hitler aufgelösten Künstlerorganisationen formierten, um an die pluralistischen Ideen des Blauen Reiters anknüpfend und im Gedenken an den einstigen Glanz der Weltkulturstadt München eine Brücke in die Zukunft zu schlagen. Die Neue Gruppe bildet mit den Neugründungen der Münchener Secession und der Neuen Münchener Künstlergenossenschaft ein Aktionsbündnis. mit aller moralischen Macht versehen könne die, die den Ungeist überlebt hatten, von 1949 bis in die 90er Jahre die Ausstellungsleitung der Haus der Kunst übernehmen, wo neben der Großen Kunstausstellung (GKA), die einen Querschnitt des zeitgenössischen Schaffens vermittelt, alljährlich umfassende Retrospektiven der klassischen Moderne aber auch alte und außereuropäischen Kunst gezeigt werden. Den Anfang macht eine Hommage an Kandinsky, Ikone der „Inneren Notwendigkeit“.
Von den 90 KünstlerInnen der Neuen Gruppe, die 2004 an der GKA teilgenommen haben, arbeiten knapp 1/3 im engeren & weiteren Kreis Konkreter Kunst. Unverkennbar die Reduktion auf die Bildnerei-Bausteine Farben & Form im Stadium ihrer Gegenstandslosigkeit, deren Eigen-Natur ebenso wie die kommunikative Kraft ihrer Kontraste programmatisch-prägnant die Mutterform aller konkreten Gestaltung, das Quadrat, vermittelt. Aus allen vom Konzept der Rechtwinkligkeit abgehenden Neuerungen, die, wie wir sehen, Kontakte mit dem Seriellen, der Monochromie, der kinetischen Kunst, Op-Minimal- und Concept-Art herstellen, spricht immer noch der Geist von Theo Van Dosenburgs „Manifeste sur l`art concret“, der 1931 in Paris wichtige Geometrische-Konstruktivistisch-Abstrakte aller Herren Länder, vor allem Russlands und Hollands, zur Gruppe „Abstracion - Creation“ verband. Diese Vorstellungen waren von Anfang an, in Deutschland über das Bauhaus, mit dem sozial-romantischen und demokratischen Gedanken einer Kunst verbunden, die für jedermann zugänglich, erschwinglich und von moralisch-geistiger Erbauung wäre. Handwerk und Hohe Kunst die in der Lebenswelt der Oberen Stände keinen essentiellen Unterschied gemacht hatten, und die Volkskunst würden sich im Kontext der Architektur und in Symbiose mit der Industriellen Fertigung zu einer säkularen „Kathedrale des Fortschritts“ neu verbinden.
Wie man weiß, kam es nach dem (Flach-) „Dach-Krieg“ und dem Boom der 20ger Jahre anders. Gleichwohl begründeten die KünstlerInnen, die aus dem faschistischen Europa in die Schweiz und die USA gingen, eine Schule von internationaler, bis heute anhaltender Wirksamkeit. Diese lässt annehmen, dass die Konkrete Kunst als Ausdruck einer Praxis, die sich selber reflektiert und in der Begrenztheit ihrer Mittel die Fülle entdeckt, auch noch in Zukunft Modellcharakter besitzt, der über den ästhetischen Tellerrand hinausweist. In diesem Sinne grüßen wir Eugen Gomringer, unsern Nachbarn in Rehau, der im Jahre des Bauhaus-Umzugs nach Dessau, in schlimmer Zeit zu Welt kam, mit 30 Max Bills Sekretär an der Hochschule für Gestaltung in Ulm war. Dem charismatischen Förderer der Konkreten Sache, der in diesem Jahr 80 wird, alles Gute!
W.H.