HEIMS
PIEL
Im Sündikat, Weiden
16.12.22
Quirin Bäumler, Ludwig Kreutzer
QUIRIN BÄUMLER
Quirin Bäumler ist Oberpfälzer, er wuchs in
Oberköblitz als Kind einer großen in einem
historischen Gebäude lebenden
Künstlerfamilie auf, er wurde1965, in dem
Jahr, in dem die Beatles ihr Album Help
herausbrachten und die USA beginnt,
Nordvietnam mit Napalm zu bombardieren, in
Weiden, Germany, nahe dem Eisernen
Vorhang geboren, sein Vater war der
Bildhauer Leo Bäumler, einer der drei
Bildhauer in der nördlichen Oberpfalz, die in
der Nachkriegs- und Wirtschaftswunder-Zeit
der Gegend das künstlerische Gesicht
gegeben haben.
Quirin studierte in München an der Akademie
der bildenden Künste bei den
amerikanischen Professoren James
Reineking und Robin Page.
Die Ausstellungsreihe ist lang.
1999 stellte er im Rahmen des Junge-Kunst-
Projektes der Galerie Hammer& Herzer
Relate-Junge Kunst auch in der Weidener
Max-Reger-Halle aus. In den Nuller Jahren
gab es außerdem eine bemerkenswerte
Vater- und- Sohn- Ausstellung in der Kanzlei
Wanninger, in der Flachreliefs vom Alten
Bäumler-Leo und Zeichnungen des jüngeren
Sohnes die Aura tiefer Verbundenheit
verströmten.
Quirin lebt und arbeitet heute in Berlin.
Seiner handwerklichen Bewandertheit, die
auch der väterlichen Grundausbildung
geschuldet ist, verdankt er ein hohes Maß an
Flexibilität, die es ihm ermöglicht, außer dem,
dass er Schöpfer eines eigenen Werkes ist,
auch bei Kolleg:innen im Bereich
unterschiedlichster Basisarbeiten als
wertgeschätzter Zuarbeiter in die Dienste
genommen zu werden.
Auffallend in Quirins zeichnerischer Arbeit,
die meist in der Beiläufigkeit auf Papieren,
die grad da sind, entsteht und über die Jahre
einen beeindruckenden Umfang erreicht hat,
ist die Zurückhaltung in der Linienführung, ist
der ephemere flüchtige, offene Charakter der
meist szenischen Darstellungen.
Das Lineament erscheint wie einige Mikado-
oder I-Ging Stäbe ausgestreut, in denen der
Wurf noch nachschwingt und alles noch in
der Schwebe ist, es nimmt das Format nicht
im kompositorischen Sinn in Besitz, es bleibt
mit seinen Hell-Dunkel und linearen
Kontrasten skizzenhaft unter der
Reizschwelle, ab der die Wahrnehmung aus
den graphischen Vorgaben ein Bild zu
machen beginnen würde, im Hin und her der
Wirklichkeit, die aus den Zwischenräumen
herein weht. Die Zeichnung kommt wie ein
eiliger Bote auf Zehenspitzen, der eine
Nachricht zu übermitteln hat, aber gleich
wieder verschwinden möchte, bevor er stört,
bevor er Unruhe in das Schattenreich bringt.
Stille, Zurückhaltung, schweigendes In –
Kontakt - Treten, Unterwegssein, Klerikales,
Mythologisches – krabatt-artig märchenhafte
Figuration, geheimnisvolle Zeichen Geben,
das sind motivische Ausrichtungen, die die
Arbeiten in ihren Entrücktheits-Atmosphären
und manchmal fast filmisch anmutenden
Bild-Entfernungs-Einstellungen bestimmen.
Ich meine, in ihnen eine Verwandtschaft mit
dem klassizistischen Doppeltalent als
Bildhauer und Zeichner John Flaxman sehen
zu können, 18. Jht., der durch seine Umriss-
und Leer-Flächen-betonten Ilias- und
Odysseus – Illustrationen berühmt wurde.
Odysseus der Listenreiche. Ihm bleibt keine
existentielle Erfahrung auf dem Weg in die
Heimat Ithaka erspart. Seine Reise geht über
die Unterwelt, das Schattenreich, die Todes-
Nähe. Hier lässt sich explizit bei Quirin eine
harte biographische Parallele ziehen, ohne
jetzt weiter ins Detail gehen zu wollen.
Unter einer Reihe von meist turmartig, wald-
kapellenähnlich aufgebauten Plastiken, die
aus „armem Material“, aus OSB-Platten und
tarnfarbig bemaltem Gips hergestellt sind und
entfernt die konstruktivistische Orthogonal-
Struktur des De Stijl spiegeln, sticht der Fisch
hervor.
Er verkörpert pessimistisch betrachtet die
heroisch ertragene Ausweglosigkeit, die
existentielle Steißlage, in die jedes
Lebewesen mit dem biologischen Eintritt aus
dem urstofflichen Nichts in die zeitliche Enge
und Endlichkeit des Daseins gerät ...
Er bietet aber auch in der - Umkehrsicht
betrachtet, ein vom plastischen Positiv ins
flächige Negativ gewendete Bild der
Körperlichkeit, die sich dicht wie das Leben
selber, an das Dasein schmiegt.
Die Retter sind am Werk, sie graben Tunnels
und bauen Eisen- Konstruktionen und setzen
auf eine quasi religiöse Hoffnung, auf die
Dauer und Weite, die im abstrakten Quader-
Format der Plastik - man denke an
Malewitschs Quadrate - die sogenannten
Ikonen des 20. Jhts, ihre metaphysisch
stützende Verkörperung finden.
LUDWIG KREUTZER
Ludwig Kreutzer, ebenfalls Oberpfälzer,
erblickte das Licht der Welt 1986 in Neustadt
an der Waldnaab, in der Endphase des
Oberpfälzer Aufstandes gegen die
bayerische Atom-Politik in Gestalt der WAA
Wackersdorf, das war drei Jahre vor der
Wende, im Todesjahr von Joseph Beuys, ist
aufgewachsen in Weiden und kam früh zur
Kunst,
nicht zuletzt durch seinen Kunsterzieher Axel
T Schmidt und den Kunstverein Weiden, wo
er, der Künstler als noch ganz, ganz junger
Mann mich mit folgender Überlegung
beeindruckte: Meinen Sie nicht auch, Herr
Herzer, dass Joseph Beuys in seiner
Bedeutung ein bisschen überschätzt wird.
Der Mann dürfte 16 gewesen sein.
2005 wurde er im Zusammenhang mit
unserem deutsch - tschechischen JUNGE
KUNST Projekt „Baumraum“ von der
Münchener Abendzeitung qua Bildbericht
baumerklimmenderweise zum Bayern der
Woche gekürt.
Ludwig studierte 2006- 2012 an der
Universität der Künste Berlin, wurde
Meisterschüler von Thomas Zipp, den Ludwig
2010 animierte, mit der Klasse Zipp nach
Weiden zu kommen, die Ausstellung im KV
hatte den Namen Farkt, was Programm war
und soviel versprechen wollte wie, dass es
hier auf gezielt knackige Art, Thomas Zipp
war ja auch Punk-Musiker, zum
Zusammenbruch überlieferter
Wahrnehmungs-Muster und deren geistige
Neubeleuchtung kommen würde. Ludwig liebt
die musikalische Grätsche zwischen Wagner
und Grateful Dead.
Seit 2008 reger Ausstellungsbetrieb.
Ludwig Kreutzer ist auf faszinierende Art
altmodisch, ohne dabei von Gestern zu sein,
er entdeckt in einem atemberaubenden
Wiederbelebungsakt antiquierter
kanonisierter Formen, Farben und Verfahren
das Heute im Gestern und das Gestern im
Heute und dreht den Regler der Zeitmaschine
so auf, dass uns das vergessene Licht
Utopias wieder zu leuchten scheint.
Wie schafft er das?
Ludwig reduziert die Formenwelt der Realität
im Sinne der geometrischen Abstraktion in
synthetische Kompartimente meist mittlerer
Größe, wie sie von den Klassikern der
Moderne im Banne des Kubismus,
namentlich vielleicht Kandinsky und
Malewitsch, durchgeführt wurde, bevor dieser
das weiße Quadrat auf weißem Grund malte,
die Ikone des 20. Jhts., das Grundpotenzial
jedweder individueller Erscheinung.
In dem Kultur- Technik- und Natur- Verhältnis
der damaligen Avantegarde- Künstler: innen,
explizit Sonja und Robert Delauney, die auch
bezüglich ihrer Bildmotive Eisenbahn - und
Flugzeug-Fans waren, herrschte dieselbe
Ambivalenz und Balance-Suche wie heute,
derselbe Verlust des inneren Klangs, an dem
sich Kandinsky und später der Philosoph der
Seinsvergessenheit Heidegger abarbeiteten,
und es herrschte dieselbe Fortschritts-
Euphorie, die die Futuristen um Umberto
Boccioni den maschinellen Krieg als
höchstes Kunstwerk bejubeln ließen.
Wie heute, das ist gut hundert Jahre danach.
Die entseelte Technik! Da dockt Ludwig an.
In seinem Revival, in seiner Aktualisierung
steuert Ludwig feinnervig gegen die
regressive Strömung, die durch diese
Referenzen geht, und führt die formale
Reduktion, die seine Arbeit gepaart mit einer
melancholischen Stimmungs-Lage
kennzeichnet, an einen Rand, der in der
Moderne, die sich vom Abbild her in das
Sinnbild entfernte, noch nicht gegeben war.
Ludwig setzt am Schematismus der Symbole
an, dort, wo sich das Zeichen beginnt, in ein
modernes Ikon, in ein nüchternes Element
der Sprachwissenschaft, der visuellen
Kommunikation, in einen Wegweiser zu
verschieben. Nicht gerade so streng wie bei
Otl Aicher, aber vielleicht in der Intention
ähnlich.
Es entsteht ein geometrisierendes System
aus Füll-Feldern in einer versponnen
rationalen Aura.
Auch der Vergleich mit der Umriss-Vorlage in
einem Ausmal-Buch für Kinder wäre da nicht
despektierlich, bedenkt man die Funktion
eines solchen. Sie besteht ja unter anderem
darin, partizipative Weltleselernhilfe für die
Kleinen zu sein, die müssen auslöffeln, was
die Großen eingebrockt haben, sie müssen
die bessere Flaggen-Farbwahl treffen unter
der sinnvoll weiter zu segeln wäre,
kapiert es, sie haben auch etwas zu sagen,
eigentlich ist ja alles gesagt, und so kleben
sich einige auf der Straße bzw an den
allgemein unverrückbar angesagten
Standpunkten fest, werden deren lebende
Bilder. Das richtige Bild bzw der richtige Film
könnte sehr lehrreich sein, the man in die
High Castle lässt grüßen.
Ludwigs Arrangement der
Gegenstandsformen, die sich nahe am
Piktogrammatischen bewegen, also nicht
unbedingt an Ausdruck und Abbild
festmachen, sind, weiterführend in der
Bildgesamtheit, so arrangiert, dass der
Hauptteil von Fläche und Bildgeschehen der
Farbe vorbehalten ist. Das ergibt ein
multiperspektivisches Farbfelder-Ensemble.
Auf Wiedererkennbarkeit wird freilich nicht
unbedingt verzichtet. Da treten im abstrakten
Schema signifikant strukturale Wesenszüge
biographisch bekannter Örtlichkeiten auf, so
die Straßen-Überquerung der Porzellanfirma
Bauscher, die Glaskathedrale in Amberg.
Der biographische Bezug ist Ludwig wichtig.
Aber auch hier geht es um die Realisation
der chromatischen Autonomie, die sich vom
Darstellungswert unserer retinal realistischen
Normalität trennt und dabei neue Wege sucht.
Die Betrachter: innen begegnen einem
Phänomen, das der Kunsthistoriker Schöne
als transzendentales inwendiges Leuchtlicht
bezeichnet.
Diese neuen Wege, die uns die Farbe
leuchtet, sind, den historizierenden Rückgriff
umgehend, einmal in der individuellen
Autonomie des Künstlers verortet, können
zum anderen aber auch zu Positionen führen,
die z.B. mit der reformkulturellen
Anthroposophie Steiners in Verbindung
stehen.
Steiners Farbenlehre verspricht Herz – und
Verstand, also den ganzen Menschen
zusammen zu bringen, das Leben zum
Kunstwerk und den Menschen zum Künstler
zu machen, Beuys äußert sich ähnlich.
Auch wenn die Gegenstände der
bildnerischen Narration in ihrem Sachwert
hinter der Farbe zurücktreten, so sind sie,
wenn man die Titel liest bezüglich ihrer
Bedeutungs-Haftigkeit, wie vorne schon
angedeutet, keineswegs unerheblich.
In Verbindung mit einer wunderbaren,
mystisch poetischen und schattenlosen
Farbgebung, die die hohe Schule der
„Interaction of Colour“ verrät und mich an
Goethe und Runge, den romantischen Maler
der Hülsbeckschen Kinder und der
Morgenröte erinnert, erzählen sie die
Geschichte anders, besser, was wäre
gewesen wenn ...
Ludwig rückt zu dieser Frage komplementäre
Motive in den Fokus, die nach dem Muster
Mensch zwischen Natur und Technik, Krieg
und Versöhnung funktionieren.
Wir stoßen auf zyklische Zeitmotive mit
starkem emotional- allegorischen Potenzial:
Vorabend - Abendrot – Morgenrot –
Morgengruß-karger Sonntag. Kann heißen:
Kein Feiertag, trotzdem die Feier der Farbe.
Steigen wie Ikarus in den Luftraum, der
Sonne entgegen:
Vögel – Berge – Flugzeug- Wolken -
rauchende Fabrikschornsteine,
Begegnen dem sinnenden Menschen in
Betrachtung der Natur, der uns in den
Gestalten von C D Friedrichs „Wanderer über
dem Wolkenmeer“ und Heideggers Holzweg-
Wanderer erscheint.
Stoßen zuletzt auf die Alternative Gropius
oder Hitler,
die wir mittelbar entdecken, wenn wir hinter
die Bildtitel Gleiwitz oder Gliwice und Amberg
sehen.
Durch den Überfall auf den Sender Gleiwitz
wurde 1939 der zweite Weltkrieg vom Zaun
gebrochen.
30 Jahre später errichtete der
Bauhausgründer Walter Gropius, sozusagen
im Namen der als Entartet diskriminierten
Kunst im Dritten Reich, sein letztes Bauwerk,
das als Glas-Kathedrale bekannte Glaswerk,
in der Vilsstadt Amberg, dem nahen Ort des
Luftmuseums, es hat annähernd Prisma-
Form, die Form visualisierter Mathematik und
ganzheitlicher Wissenschaft und lässt sich
bis heute als modellhafte Verkörperung einer
lebensweltlichen Vision bestaunen, in der
Kunst und Leben harmonisch zueinander
finden könnten.
Eine Vision. Könnte es mehr sein?
Findet die Farben ihrer Flagge, hisst die
Segel, sündigt tapfer, gründet mehr Galerien.
Wolfgang Herzer