Land am Rand
Eine Ausstellung der FAMU Prag, Abteilung Fotografie
12.03—09.04.06
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Beginnen wir mit den Bildern! Lichtbilder!
Der Kunstverein Weiden freut sich, Ihnen die Ausstellung "Land am Rand" zeigen zu können. Zum einen sehen Sie dabei eine realistische, dokumentarische und auf die charakteristisch tschechische Weise intime und so tröstlich menschliche Fotografie, ihre Autoren sind eine große Anzahl junger Menschen, die an der FAMU Prag Fotografie studieren.
Landschaftliche und soziale Studien von unserem östlichen Nachbarland und unserem europäischen Partner. Heranreifende Talente suchen nach Maßgabe der Standards, für die die FAMU berühmt ist, ihre eigenständige Richtung. Die Betrachter sehen mit den hier ausgestellten Bildern Darstellungen, die einer Wahrnehmungsschule von hohem künstlerischem Anspruch entspringen.
Als Vermittler dieser Wahrnehmungsschule sind heute bei uns zu Gast drei Künstler, Professoren an der FAMU/ Prag Abteilung Fotografie, die Herren Jaroslav Barta, Bohumir Prokupek und Josef Ptacek. Herr Barta ist außerdem der Leiter der besagten Abteilung Fotografie. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich für die freundschaftliche Zusammenarbeit und Ihr Entgegenkommen auch unter schwierigen Umständen bedanken. Dank auch allen Freunden des Kunstvereins, die sich beim Ausstellungsaufbau engagiert haben.
Sehen wir uns im Rundblick an, was unter Ihrer Leitung Herr Barta, Herr Prokupek und Herr Ptacek entstanden ist. Über das oben Genannte, die Landschaften, die sozialen Situationen hinaus treten dann Ausschnitte, Details, Mosaiksteine in Erscheinung, die sich im dichten Takt der Hängung zu einem Panorama zusammenschließen. Aus Einzelnem beginnt sich ein Ganzes zu bilden.
Dabei sind gerade die Lücken wichtig, die unsere Fantasie auf eine Reise jenseits der interessanten ästhetischen Reize schicken. Es geht auf eine Zeitreise in die Vergangenheit und ebenso in die Zukunft. Und dies nicht nur im tschechischen Kontext.
Meine Damen und Herren,machen Sie doch mit mir eine kleine hypnotische Übung... Sie befinden sich also inmitten dieses Panoramas ... Es sind Bilder - genauer gesagt - aus Böhmen und Mähren, sie zeigen den Rand der tschechischen Republik ... nehmen Sie die Bildeindrücke tief in sich hinein ... schließen Sie, während Sie mit dem inneren Auge diese Bilder festhalten, Ihr äußeres Auge, mit dem man, wie C.D. Friedrich sagt, eben nicht so gut sieht ... nehmen Sie Ihre innere Warte wahr und blicken Sie sich um ... was können Sie erkennen? ... sehen Sie genau hin ... warmes Licht fällt durch die Zweige ... jetzt sehen Sie es ganz klar ... hier und jetzt, in diesem Weidener Ratssaal, sind Sie auch Tschechien, die junge Republik, die in diesen Bilder durch den böhmisch-mährischen Grenzstreifen nach Außen schaut ... Sie blicken mit den Augen des Nachbarn nach Deutschland herüber, durch ein Zeit-Dickicht, in dem sich die Zukunft noch an manchem Dorn reisst.
Die Ausstellung erscheint uns unter mehreren Gesichtpunkten als Glücksfall.
Zum einen. Ein besonderer Schwerpunkt des Kunstverein Weiden ist die Nachwuchs-Förderung unter den Bedingungen des oberpfälzisch-tschechischen Grenz-Raumes. In diesem Zusammenhang haben schon eine Reihe Projekte und Workshops mit deutschen und tschechischen Jugendlichen und Kunststudent/innen stattgefunden und ist auch der diesjährige Ausstellungs-Beitrag zu den bayerisch-böhmischen Kulturtagen zu sehen.
„Land am Rand“ ist ein ganz spezielles Projekt der FAMU Prag, das in den Jahren 2003 bis 2005 entwickelt wurde und hervorragend in die Zeit passt. Es vereint mehr als 100 Arbeiten von 55 Studentinnen und Studenten verschiedener Jahrgänge aus den Landschaften Böhmen und Mähren, dem geschichtsträchtigen tschechischen Grenzgebiet. Mein Vater stammt von dort. Aufgabe dieses Projektes war es, den Atmosphären einer Landschaft aus dem Bewußtsein ihrer historischen Prägung nahezukommen. Die Ausstellung und der Katalog, der dazu erschienen ist, zeigen die höchst sensiblen Ergebnisse einer fotografischen Spurensuche. Diese wurde von jungen Menschen, den Nachgeborenen der Kriegs - und der Nachkriegsgeneration auf langen Wanderungen und Fahrten an den melancholischen Stätten einer bis heute nachwirkenden Ära inhumaner Politik durchgeführt. Dieser Umstand ist an sich eine Botschaft. Kultur ist Sich-Erinnern-Können, über den eigenen Lebenshorizont hinaus.
So erschliessen uns 55 verschiedene Blickwinkel die Sprachkraft von Bildern, deren Pflege eine kulturelle Aufgabe erster Güte ist. Diese Bilder machen uns hier den Atem der Geschichte erlebbar. Wir spüren diesen Atem zwischen den Zeichen unseres deutsch-tschechischen Jetzt, das die tschechischen Nachbarn als Alltag und die deutschen Nachbarn als Abstecher, Ausflug, Reise, Suche oder als ein neu gewonnenes Stück Europa der Regionen erleben. Alle Spielformen menschlichen Umgangs mit der Natur und Seinesgleichen werden sichtbar oder tauchen sozusagen zwischen den Zeilen auf, als Schemen aus dem kollektiven ebenso wie dem privaten Gedächtnis.
Manche Betrachter schrecken vielleicht zurück. Sie haben vielleicht das bekannte pittoreske Motiv erwartet, die gelackte Harmonie, die repräsentative Komposition, Fast-Food für den Wunsch nach Sicherheit, das brilliant Definierte und Eindeutige, Erste Hilfe für das verletzte Schönheitsempfinden gegenüber einer rauhen Wirklichkeit. Auf all diese Künste aber, auf das Artifizielle, das aus dem Unheilen die Heile-Welt-Droge mixt, wird hier verzichtet. Daran haben wir uns auch in der Zusammenstellung der Bildfolge gehalten. Die Bestandteile einer festgelegten Topografie werden nach dem Zufallsprinzip wieder zusammengesetzt. Es gibt dabei keine Ordnung nach besonderen Motiven. Die Bilder setzen sich zu Reise-Stationen des Ungeahnten, der ständigen Überraschung, der abrupten Wechsel und Widersprüche zusammen. Ein langes Band alter Weltbausteine, deren freigesetzte Poesie und Bindekraft vielleicht für den Bau einer neuen, ganz anderen Welt verwenden werden kann. Als die Bilder gehängt wurden, machte es die Hässlichkeit und die Tristesse mancher Motive dem Hängeteam schwer. Soll dieses eine Bild, das ein Gebäude von abgrundtiefer Unattraktivität zeigt, den grossen Sitzungssaal des Weidener Rathauses schmücken? wurde da einmal diskutiert. Aber wie Adalbert Stifter, Altbewohner der hier gezeigten und verletzten Landschaft, sagt: „ Es gibt nichts Hässliches, man muß nur lang genug hinsehen!“ Dann tritt aus dem Unbedeutendsten und Kleinsten die innere Schönheit, das Es-Könnte-Sein, das Verborgene, das Verbannte mit der unbeugsamen Kraft des sanften Gesetzes zu Tage, ein Zauber beginnt zu wirken, der nur im Zustand der Entschleunigung, des Aushaltens und Verharrens zu erleben ist.
Diese Ausstellung ist in weiterer Hinsicht ein Glücksfall: Schließen wir mit einem Blick auf die Quelle.
Der Kunstverein Weiden beteiligt sich seit 1997 an den bayerisch-böhmischen Kulturtagen in Weiden. Hier wird die Schwellenlage im ostbayerischen Grenzland genutzt, Weiden zu einem Ort des lebendigen tschechisch-deutschen Dialoges auszubauen.
In Korrespondenz mit dem zentralen, für die Region spezifischen Ausstellungsthema dieser Kulturtage, dem Glas und seiner Verarbeitung im künstlerischen und architektonischen Kontext, liefert der Kunstverein Weiden Beiträge aus anderen Sparten der bildenden Gegenwarts-Kunst.
Seit 2003 steht dabei die Fotografie im Vordergrund, die ebenso wie der tschechische Film ein unverwechselbar eigenständiges Charakteristikum der tschechischen Kultur darstellt.
Die langjährige Zusammenarbeit des Kunstvereins mit der tschechischen Fotogalerie G4 aus Cheb/Eger wird hierbei wirksam.
Mit dem neuen Kontakt zur Film- und Fernseh-Hochschule FAMU/ Abteilung Fotografie in Prag öffnet sich eine Quelle weiterer Möglichkeiten. Wir befinden uns – wenn mans genau betrachtet - in einer Herzkammer der tschechischen Kunst und Kultur.
Die FAMU wurde 1947 als Teil der Hochschule für Darstellende Künste in Prag gegründet und ist eine der ältesten Film- und Fernseh - Schulen Europas. Aus ihr sind viele auch international renommierte Künstler, Regisseure und Drehbuchautoren, hervorgegangen, beispielsweise Milos Forman(Einer flog übers Kukuksnest). Die Abteilung für Still-Fotografie ist eine von 9 Unterabteilungen.
Von dort kommt also diese Austellung, ein Geschenk, mit den freundlichen Gebern und ihren Schützlingen wird der Kunstverein im kommenden Winter ein weiteres Projekt durchführen.
Lieber Jaroslav Barta,lieber Bohumir Prokupek und lieber Josef Ptacek, ich bin begeistert, dass wir zusammengefunden haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.