Landschaft – Mannschaft
Werner Alt, Jan Eric Hauber, Jockel Heenes, Ralf Schmidt
22.10.—22.11.04
Info
Der Drang, herauszufinden, was Raum ist, ist so uralt wie die Zeitfrage. Beides wird auch morgen noch Arbeit machen. Dabei sind beide Wissenschaftsgegenstände, das raumzeitliche Neben bzw. Nacheinander der Dinge, eigentlich das Einfachste und Alleralltäglichste. Aber eben auch das Geheimnisvollste.
Was ist ein Landschafts-Mannschafts-Raum?
Was man nicht weiß, macht einen heiß.
So ist „Raum“ auch eine Leitgröße der Kunstgeschichte von Anfang an. Hier verbinden sich in der Auseinandersetzung mit der Tatsache, daß der WeltenraumInsasse Mensch ein vergängliches Volumen hat, ganz verschiedene Auffassungen zu einem raumgeschichtlichen Korridor; der Ideeraum des MA mit der Zentral und Aug-Punkt-Perspektive des Humanismus, der Pluralismus des Kubismus mit den soziologisch und sozialhelferisch gestimmten Aktionen der Public-Art unserer Tage.
Ein Negativtitel der deutschen BestsellerListe hieß „Volk ohne Raum“.
Der soziologische Raum ist in Verbindung mit den Neuen Medien und dem Internet zu einem herausragenden Gegenstand der zeitgenössischen Kunst geworden. Er ist auch das Bindeglied der vier verschiedenen künstlerischen Konzepte, die auf unserer Ausstellung „Landschaft-Mannschaft“ vorstellig werden.
Was man landläufig unter Raum versteht, funktioniert wie Schachteln, Verbretterungen, Mauerumfriedungen, die mit allem möglichen gefüllt sein können, mit Landschaften z.B., die aus verschlossenen Wäldern und offenen Feldern bestehen, worin sich Hoch und Tiefbauten wie Häuser, Strassen und Plätze öffnen und ihrerseits kleinere Behälter, nämlich Zimmer, Hallen, Fahrer & Fahrzeuge enthalten.
Schachtel in Schachtel in Schachtel.
Mannschaft in Landschaft in Mannschaft.
Letztendlich aber handelt es sich bei dieser Vorstellung um eine Projektion der Geometrie, die sich ebenso weit von der RaumWirklichkeit entfernt wie das Symptom von der Krankheit, den unsichtbaren Vorgängen auf einer Matrix ausgedehntester zellulärer Vernetzungs-Möglichkeiten.
Der wahre Raum geht durch die Wand.
Seine Bausteine sind keine wie auch immer gearteten Behälter. Vielmehr sind es die Mobilien und Immobilien selber, die man sich als deren Inhalte denkt, die Menschen, Örtlichkeiten und aller Art Güter, deren Dasein ein interaktives,vielschichtiges Gewucher platzbestimmender und wegzeichensetzender Prozesse entspringt. Die Bauherren, die sich dieses schlüpfrigen Materials bedienen, sind Schwager Zeit und seine Geschwister Handlung & Wandlung.
Die Exponate von Ralf Schmidt und Jockel Heenes, Foto-Arbeiten, die sich mit der alltäglichen VerkehrsraumOrdnung bzw mit Bebauungsplänen aus dem zerstörten Beirut befassen, sind in dem Zusammenhang zu sehen.
In diesem Sinne machte das althochdeutsche „Landschaft“ zwischen der Natur und ihren Insassen, zwischen der Landschaft und der Mannschaft, noch keinen Unterschied. Das soziale Handlungsgeflecht und sein Regelwerk, deren raumbildende Kräfte uns z.B. beim Aufeinandertreffen zweier Fußballmannschaften auch heute noch ausgesprochen sinnfällig vors Auge treten, verbanden sich mit dem örtlich festgelegten Ereignisfeld zu einer idellen Einheit. Einst hatte dieser Begriff das Ineinander von Raum, Sein und Zeit, das auf der emotionalen Ebene nach wie vor die GrundForm menschlichen Erlebens ist, mühelos zur Sprache gebracht. Heute fehlen dem abendländischen Denken dafür die Worte. Nicht der Kunst. Ihre Bilder haben ein Elefantengedächtnis.
Werner Alt (67 Bamberg, Studium Akademie Nürnberg, Meisterschüler bei D. Say ler, lebt in München). Alts fotografisches, installatorisches und objekthaftes Werk weist mit Abwechslungsreichtum und spielerischer Fröhlichkeit auf Fluxus und die klassische Konzeptkunst. Dabei materialisiert der Künstler auch die unverpackbare Immaterialität des Raumes, indem er der Orts-Fixiertheit bzw der kulturkreisbedingten Raumblindheit unserer Alltagswahrnehmungen ironisch und pointiert Gestalt gibt. Kann man es schlüssiger ausdrücken als mit einem Zelt, das aus lauter Reißverschlüssen besteht oder einem Kleiderbügel an der Wand, dessen eines Bogenende sich mit dem rechten Winkel der Zimmerecke knickt. Die Fotoarbeit „Poem Of Total Distance“ führt in die Autobahnlandschaft, wo der Raum unter die Räder kommt. Da! Blaue Anzeigentafel? Zweimal hinsehen bringt`s zu Tage: Der unterste der vier Kilometerwerte, der die Summe der darüberstehenden bildet, öffnet ein Bewußtseinstor. Das Raumerleben jenseits der numerischen Abstraktionen tritt wieder ein.
Ralf Schmidt (68 Bamberg, Studium Akademie Nbg, Ecole des BeauxArts Lyon, Meisterschüler bei D. Sayler, lebt in Heiligenstadt). Schmidt ist Maler. Von Anfang an sucht er seinen Bildern eine Objekthaftigkeit zu geben, die parallel zur Scheinräumlichkeit ihrer transparenten, irregulären Rechteck-Kompositionen den Umraum als Gestaltungsbereich mit einbezieht. Lackarbeiten auf Holztafeln. Mit deren starker Materialpräsenz sind erste und weiterführende Schritte gemacht. Die Entdeckung der Kreisform, deren Figur-Grund-Dominanz, unregulierbaren Kommunikationskraft, Tanzfreudigkeit und Quadratierungsresistenz, lenkt Schmidt aus der abgeschlossenen Architektur in den offenen Schilderwald der Stadt. Hier entsteht die Fotofolge von RohrBogenBarrieren zum Schutz von Kanaldeckeln etc. Ihre Rechtskraft widersetzt sich ebensowenig wie die starren Bodenverbindungen der Tanzaufforderung durch die kleinen farbigen Kreisscheiben, die Schmid Klick! vor sie stellt.
Jan Eric Hauber (66 Nbg, Studium Akademie Nbg bei H.P. Reuter, lebt in Zirndorf). Haubers Arbeiten sind z.T. Fotografien von Fotografien, Rephotographs. Die gestalterische Leistung beruht vor allem auf dem Wandel der bedeutungsstiftenden Kontexte. So erhält Hauber in der Serie „Historische Arbeiten“, deren Motive einem Katalog für medizinischen Zubehör entstammen, eine Fundstätte bis dato unerforschter Alltagsmythologien. Die Präsentation von OPUtensilien durch Models erscheint als Treffen eines missionarischen Geheimbundes, der Mannschaftsgeist zeigt. Der Ruf erreicht die Landsmannschaft: Ziehet in alle Lande! Zum Anderen liegen Fotografien vor, die Hauber in die Tradition der „heroischen Landschaftstellen. Dort ist Natur Utopia, Projektionsfläche der bürgerlichen Individualität, Liberalität und (Wert) Schöpfungskraft. Die Erkenntnis, daß die stimmungsvollen BildAusschnitte nicht stimmen, sondern ideologische Reizmuster befördern, braucht Zeit. Aha! Auch Sandhaufen und Pfützen können das Gewand alpiner und ozeanischer Erhabenheit tragen.
Jockel Heenes (47 Langen 04, Studium Akademie München bei K.F. Dahmen, 87/88 Gastprofessur Städelschule F/M, 93 Förderpreis Friedrich Alexander Universität ErlangenNbg. Kurz vor Redaktionsschluß erreicht uns die Nachricht vom Tod des Künstlers. Die Vorderseite zeigt Jockel Heenes die Ateliertreppe hinabsteigend. In Trauer und in Verbundenheit mit seiner Partnerin Felicitas Gerstner haben wir beschlossen, daß er repräsentiert durch sein Werk in der Ausstellungsmannschaft bleibt). Seit Ende der 70er Jahre entwickelte Heenes seine Ideen im architektonischen Zusammenhang: 1982 Fallout Bleitapete. In dieser Zeit der ästhetischen Grenzüberschreitungen, der „Armen Materialien“ ebenso wie der Konzeptkunst und im Klima der Hausbesetzerszene und der Antiatombewegung arbeitete er häufig in Abbruchhäusern und stellt mit malerischen und skulpturalen Eingriffen antiästhetische Gegenräume her. Um 84 hat sich das charakteristische, viele der weiteren Realisationen tragende Ausdrucksmuster etabliert: Meditative Verschachtelungen und Stapel einer variabel proportionierbaren Figur. Ihre Form arrangiert assoziationsreich die 5eckige Silhouette des NormHauses zu Knotenpunkten neuer, raumbewußter Landvermessung um. Knotenpunkte.