Liebe, Lust und Leidenschaft
Uta Zaumseil, Peter Mell
Holschnitt, Malerei
Kooperation: Weidener Literaturtage
01.05.—05.06.05
Info
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
spätestens dann, wenn Sie von den Ekstasen, die der Titel der diesjährigen Weidener Literaturtage „Liebe, Lust und Leidenschaft“ verspricht, ermattet sind, sollten Sie zu uns kommen. In den Arbeiten von Uta Zaumseil und Peter Mell, die der Kunstverein zeigt, tritt Ihnen das Thema in sublimierter, beruhigter Form entgegen. Wer das aufreißerische „Wer mit wem!" sucht, „Die gefährlichen Liebschaften“, wird enttäuscht. Pan, der große Unruhestifter, ruft aus dem Off.
Don Juans Liebe zur Liebe hat die Geometrie entdeckt und gelernt, die Dauer schlüssiger Beziehungen zu schätzen. Das Künstlerpaar, wie es das Selbstporträt auf einem der Holz- und Linolschnitte von Uta Zaumseil zeigt, streckt die Beine in Fernsehpose von sich und betrachtet den Wald.
Meditation über die ewige Wiederkehr der Dinge ist angesagt. Mann und Frau, die Jahrgänge 1939, Weimar, und 1962, Greiz, „sind in die Jahre gekommen“. Es gibt ein Wiedersehen im Anblick des Heranwachsenden mit sich selber. Sohn Oskar, 15, hält nach dem Kommenden, der „Liebe, Lust und dem ganzen verdammten Kram“ ahnungsvoll Ausschau. Ein unbeschriebenes Blatt. Die dreiköpfige Familie lebt in dem kleinen thüringischen Dorf Mehla.
Uta Zaumseil hatte bereits 1998 in Weiden anläßlich der 14. Weidener Literaturtage eine Zusammenstellung von Holzschnitten und Künstlerbüchern gezeigt. „Schlecker“, die monströse, lustwillige Zunge durchdringt Häuserschluchten; halluzinatorische Verschmelzung von Nah- und Fernsichten; der barocke Takt der Hochdruckstege fesselt den Tastsinn; Ausdruck, der im Wortsinn unter die Haut geht. Eine Maiwoche lang war damals unter dem Titel „Die 60er“ an die Umbrüche im nachkriegsdeutschen Geistes-Leben erinnert worden, die wie für viele auch für den Lebensgefährten der Künstlerin, Peter Mell, bis heute in künstlerischer und politischer Hinsicht Bedeutung haben.
Peter Mell studierte 1959 - 64 an der Akademie der Bildenden Künste in Müchen. Es war die Zeit der Münchener Krawalle, der Spaß-Guerillero-Attacken der Gruppe Spur gegen die „Verklemmtheit“ der bürgerlichen Wohlstands- und Konsum-Gesellschaft. Seit 1969 hat Mell als freischaffender Künstler im In- und Ausland an renommierten Adressen ausgestellt. Im Kunstverein Weiden zeigt er eine Reihe großformatiger Fotoarbeiten von menschenleeren Innen- und Aussen-Räumen der eigenen Lebenswelt, die vor allem seit 2000 entstanden sind.
Ihre Auswahl wurde unter dem Gesichtspunkt atmosphärischer Werte getroffen. Es ging dabei um abstrakte samtigwarme Dunkelheiten, die auf Mells frühe kubinesken Kohlezeichnungen verweisen und sich mit dem Motiv der „Liebesflucht“ verbinden lassen, wie sie das Gedicht ,,En una noche oscura“ von Juan de la Cruz darstellt. Peter Mell hat es in das Gemälde „Tibet 30.9.98“, eine ungegenständliche Farb-FeldMeditation, eingearbeitet. Bild und Begriff entspringen einander. Sie erkennen einander. Sie mischen sich.
In einer dunklen Nacht
entflammt von Liebessehnen,
o seliges Geschick!
entfloh ich unbemerkt,
da nun mein Haus in Ruhe lag
Formal schafft Mell mit diesem Ensemble ein visuelles Gedicht. Es besteht aus besagten teilweise übermalten und refotografierten Digitaldrucken von Aufnahmen der persönlichen Umgebung, alles Farbklang-Konzentrate, die sich zu freischwebenden Atmosphären und Stimmungsräumen verbinden, aus einigen Fotocollagen und einer gegenstandsfreien Komposition. Diese enthält drei Farbfelder, jeweils eins in Rot, Blau und Gelb, die unterschiedlich verschattet sind. Insgesamt wiederholt sich im Großen die plurale Struktur der Einzelarbeiten im Kleinen.
In seinen Bildfindungen, die sich mit den Archetypen des individuellen Werdens, namentlich der Geschlechtlichkeit und der Gesellschaft, mit dem menschlichen Leib-Sein im europäischen, christlich verfassten Kulturkreis auseinandersetzen, folgt er den libertinen Auffassungen der Transavantgarde. Diese hebt Ende der 70er Jahre die Grenzen zwischen Kunstgattungen und Kulturen auf und nimmt den modernistischen Innovationsdruck von der Kunst. Die bis dato geschaffenen Stil- und Darstellungsmittel werden als Baustoff hybrider IndividualWelten freigegeben.
Mells Techniken sind vielfältig, er malt, zeichnet, übermalt, fotografiert, arbeitet plastisch, installatorisch, collagiert und mischt diese Verfahren miteinander. Immer geht es dabei um medienspezifisch verschiedene malerische Ausdrucksqualitäten, um Nuancen, die Mell als Äquivalente und Speicher eigener Erinnerungen an Augenblicke erfüllter Existenz erfährt.
Daß Peter Mell seit 1984 seine Arbeiten einheitlich „Nelson Mandela“ und seit dessen Freilassung „Tibet“, betitelt, 2 Synonyme für Freiheit bzw Unterdrückung, hat damit zu tun, daß Mell die Kunst und ihre vielbeschworene Freiheit vor allem als Sache einer kritischen Geisteshaltung sieht. Die Leitfigur seiner Einstellung ist der Liebes-Dämon. Grundsätzlich messe dieser in seinem Freiheits-Zauber die Welt am Einzelnen, am Empfindsamen, Verletzlichen und Hilfsbedürftigen. Das künstlerische Schaffen begreift Mell daher vorrangig als Pflege eines Frei- und Schutz- Raumes, der nicht selbstverständlich ist. Beim weltpolitischen Ist-Stand könne dieser auch gegenwärtig nur Fragment und Utopie der Freiheit & des Glücks aller sein.
Seit 1998 hat sich in der Arbeit von Uta Zaumseil inhaltlich & formal ein grundlegender Wandel vollzogen. Waren es häufig literarische Vorgaben gewesen, denen die mehrfach ausgezeichnete Künstlerin ihren Bildstoff entnahm, Deftiges und Heftiges wie Charles Bukowsky, Arno Schmidt, Kurt Schwitters, so ist es jetzt der fotografische Blick auf die eigene Lebens- und Liebes-Geschichte, speziell das Kapitel Mehla, Peter, Oskar, was interessiert. Das „Foto-Album“ liefert die Vorlagen. Statt dem Wechselspiel verschiedener architektonischer Texturfelder, die Raum-Fluchten aufrissen, wieder verriegelten und den Blick ins N-Dimensionale trieben, treiben dem Betrachter jetzt in warmer Farbgebung die „Inseln geordneter Häuslichkeit“ entgegen. Das Welt-Getriebe steht im Augenblick des kleinen Glücks still.
Der Betrachter widmet sich auf den in den Hochdruck übertragenen Schnappschüssen Szenerien sommerlicher und herbstlicher Freizeit. Er sieht junge Mädchen, die auf einem Reifen im Bad dahintreiben, Spaziergänger am fernen Waldrand, vor allem aber gibt es das frappierende Wiedererkennen der Drei aus dem Künstler-Mikrokosmos in Mehla. Zwar entziehen sich diese in der Regel als Rückenfigur bzw im Halbprofil dem Blick und der Verzicht auf Luftperspektive und raum-ordnende Schattierungen schränkt den Abbild-Charakter der Darstellungen zugunsten farbornamentaler Qualitäten ein, doch die Linie von Frisur, von Kopf- und Körperhaltung ist unverwechselbar. Sie gibt den in der kurzen Belichtungszeit eingefrorenen Bewegungen das volle Leben zurück.
Das Leben hält sich im Dazwischen auf, im „Nahfernen“, das formal in der Monatge widersprüchlicher Perspektiven und der Verwendung des unbedruckten Fonds als Über-Raum seinen Ausdruck findet. Hier ist man den Zwängen des Realitätsprinzips entkommen.
Die Gliedmaßen der Sitzenden, Stehenden, Schreitenden, Liegenden entknoten sich in der Leere der japanpapierenen Querformate. Das tragende Element der asymmetrisch aufgebauten Arbeiten sind die Blicke, die ihre Geraden ins Unendliche richten und dort mit der Welt ihren Welt-Entwurf abgleichen.
Wolfgang Herzer