Mecki und Kollegen: von deutscher (Un-)gemythlichkeit
Thomas Hausmanninger »Dr. Tom«, Volker Reiche »Mecki, Strizz«, Reinhold Escher »Mecki«, Peter Engl »Die Fünf-Minuten-Terrine«
09.03.—01.04.12
Info
Eröffnungsrede
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
besten Dank für Ihr Kommen, besten Dank für Ihr Interesse an unserem Programm, einige von Ihnen haben ja bei uns angerufen, so weiß ich, dass man auch von weiter her angereist ist, wir fühlen uns dadurch in unserer Eigenart als Ansteckungsherd für den lebensnotwendigen Kunst-Virus bestätigt, ein Virus, der unter der zunehmende Alltags - Verbuntung aussterben könnte. Aber keine Angst, er ist nicht unterzukriegen, vielleicht sind jetzt schon wieder Medien- und Lebens-Bereiche von ihm infiziert, die, wie vor 40 Jahren der Comic, als ziemlich kunstfern gelten.
An dieser Stelle Gruß und Dank. Gruß an die Politik, die sich mit uns ehrenamtlichen Kulturleuten verbunden fühlt:
Gruß an: etc etc etc
Dank an die guten Geister vom Hänge-Team: Die Künstler Uwe Müller, Wolfgang Roy, die wieder einmal Wunder vollbracht haben.
Dank an den Künstler Axel T Schmidt, der uns Dr. Tom empfohlen hat, die fantastische Raum bestimmende Installation ist sein Werk.
Dank an Stefan Voit, von ihm stammt die Mecki Seite im NT. Weiden - Zürich: an einem Tag Hin und Zurück, um die Escher-Zeichnungen abzuholen, das schaffte er mit Links, er fuhr meist mit nur einer Hand. Mit der anderen Hand zeichnete er die Zukunft der Kulturstadt Weiden.
Dank an die Catering-Leute Maria Weber und Hansbauer, denen wir es verdanken, dass uns der ideell - künstlerische Geschmack nicht vom Körper fällt.
Dank an Herrn Jurgeit vom Comic-Magazin Comixene und Dank an Frau Mosimann und ihren Mann in der Schweiz, die uns geholfen und herzlich aufgenommen haben.
Liebe Freundinnen und Freunde, seit 19 Jahren machen wir hier nun Programm, aber bei keiner Ausstellung zuvor war für mich persönlich die Historie so gegenwärtig und geradezu körperlich spürbar wie bei dieser. Das liegt an dem Erlebnis Escher, das ich im Zusammenhang dieser Ausstellung erleben durfte, meine Eltern schenkten mir Eschers „ Mecki im Schlaraffenland“ 1952 zu Weihnachten, da war ich vier und Rosine Mosimann, die Tochter von Grete und Reinhold Escher, die sich den Lebensunterhalt ihrer Familie mit Zeichnen und Texten 30 Jahre lang gemeinsam erkämpften, war 6 und wir wohnten beide in Hamburg.
Heute lebt sie am Züricher-See in der Schweiz, sie verwaltet den Nachlass ihres Vaters, und Stefan Voit, Kulturredakteur vom NT, und ich sind vor drei Wochen zu ihr gefahren.
Als wir uns nach so langer Zeit zum ersten Mal real gegenüber standen, war es doch so, als wären wir in der Vergangenheit, die nun 60 Jahre zurück liegt, auch schon Nachbarskinder gewesen.
Mit 7 bin ich in die Oberpfalz gekommen, auch die Oberpfalz war bis in die Tiefe der Wälder hinein, wo mein Wohnort Wöllershof lag, Hörzu – und Mecki - Land und Mecki verhalf mir jede Woche zur Flucht aus der Verbannung, es gab bald eine ganze Fluchthelfer-Mannschaft: Nick Knatterton, Jimmy das Gummipferd, Reinhold das Nashorn, Akim, Tibor, Sigurd, Lurchi, Micky Maus etc.
Aber vor allem hinter den igel-geleiteten Fluchten stand die Frage, welcher Zauber ist das, der die kindlich sehnsuchtsvolle Verzauberung hervor ruft und ihr über den Augenblick hinaus diese Dauer gibt?
Frag den Zauberer, raunte es aus dem Wöllershofer Waldes-Dunkel. Und das durfte ich jetzt. Das Nachbarskind ließ mich ins Atelier seiner Eltern ein, ich sah die Original-Zeichnungen von Reinhold Escher, durfte endlich dem Zauberer über die Schulter sehen, sah Blatt für Blatt das elegante, klare, sensible Lineament der Hand-Zeichnung, das beim Druck verloren geht, aber durch glückliche Umstände war es für uns als Eschers Nachwelt und als Vorleben für andere nicht verloren gegangen.
Und so können wir nun die Ausstellung MECKI UND KOLLEGEN : VON DEUTSCHER (UN -)GEMYTHLICHKEIT zeigen.
Als Reinhold Eschers Kollegen darf ich begrüßen:
Thomas Hausmanninger/ München, er ist der Schöpfer des Comics „ Dr. Tom“, und Peter Engl/ Berlin, sein Comic-Roman „ Die Fünf-Minuten-Terrine“ beschreibt nicht nur den Mauerfall 1989, was seinen Umfang anbelangt, ist er die Mauer und nachdem wir lange Zeit vor unseren alten Ausstellungs-Räumen in der Spitalgasse Original-Mauerteile stehen hatten, erzeugt Peter Engels Präsentation bei uns einen Anflug von Heimatgefühlen.
Beide Künstler verbindet das hohe reflektorische Niveau, die Ent-Mystifizierung bezüglich Kunst- und Künstlerleben ist da Programm, was der Gemütlichkeit aber keinen Abbruch tut.
Im Gegenteil.
Testen Sie mal den Sessel.
Da lässt sich hervorragend reflektieren.
Und wenn Sie die Steh-Lampe einschalten, noch besser.
Volker Reiche, der mit einem frühen und seinem späteren Mecki und mit Strizz und seinem Anhang vertreten ist, grüßt uns aus der Ferne.
Zu dieser Ausstellung gibt es eine ganze Reihe von Zugängen. Einiges ist darüber bereits in der Einladungskarte und in der NT-Seite gesagt worden. Beides können Sie auch hier im KV nachlesen.
Ich will mich kurz fassen und eine Synthese von all dem liefern.
Alle Arbeiten, die dabei auch bundesdeutsche Zeitgeschichte von 1950 bis 1989 illustrieren, verbindet das vielfältig modifizierte Motiv des Traums von einer besseren Welt, das im bürgerlichen Deutschland in der Biedermeier-Idylle und den Märchen und Fabeln der Spätromantik seinen Ursprung hat, die Zeit der Gebrüder Grimm und die Vormärz-Zeit, die politisch ziemlich ungemütlich war.
Der Leitcharakter, an dem diese Sehnsuchtsprojektionen zu ihrer reinsten Form finden, ist der listenreiche Igel Mecki, das Maskottchen von Hörzu.
Die abenteuerlichen Reisen dieses westdeutsch-widerborstigen Odysseus beginnen mit den HÖRZU-Kinderseiten Reinhold Eschers (1905 – 1994), der schon 1952 mit „Mecki im Schlaraffenland“ Bleibendes geschaffen hat.
Im Jahr 1952, der Mitte des deutschen Wirtschaftswunder, als 5 Mark für ein Kinderbuch trotzdem eine Menge Geld waren, erschien „ Mecki im Schlaraffenland“. Das Panorama-Bild, das der Zeichner Reinhold Escher über die Deckel-Innenseiten und die Vorsatzblätter entwickelt, zeigt die Mecki-Gang in bester Biedermeier-Art, wie sie der Stadt mit ihren Fabrikschloten und Kilometer langem Autostau 15 Jahre vor Godards Weekend den Rücken kehrt und im Grün der Natur verschwindet. Dort stoßen sie jenseits einer Hirsebrei-Mauer, durch die sie sich gefressen haben, auf eine Kehr- und Gegenwelt der bundesdeutschen Bürger-Natur, die nicht den Fleiß sondern Faulheit und Müßiggang als Lebensprinzip verabsolutiert.
Mit rund 50 Mecki-Bild-Druck-Vorlagen aus dem Nachlass, die in unserer Ausstellung zu sehen sind und einen Schaffens-Querschnitt des Künstlers zeigen, - alles noch ohne die Texte von Grete Escher - kann der Kunstverein einen außergewöhnlichen Einblick in das Atelier eines der rezeptionsgeschichtlich sicher bedeutsamsten deutschen Populärkünstler der 2. Hälfte des 20 Jahrhunderts bieten.
Volker Reiches (1944, Königstein/ Taunus) Mecki-Adaption zieht den international agierenden Bösewichter-Schreck und seine Freunde von den Schauplätzen ab, die vor allem in Natur und Exotik liegen, sein Mecki agiert im gut gefegten Großstadt-Dschungel der 1980er Jahre, und, was sich hier abspielt, erhält später in der Figur des Strizz die forsche Gestalt der gezeichneten Kolumne, die das Tagesereignis aus dem unmittelbaren Erleben heraus kommentiert.
Zeitlose Linie verewigt sich auf Yesterdays Paper.
Die Fantasie-Abenteuer exportierten beim Vorgänger-Mecki unsere Problem-Kisten in die Ferne und Fremde. Dann kehrte man wieder ins geordnete Zuhause nach Hamburg zurück, jetzt sind Meckis Abenteuer auf`s nackte Abenteuer Alltag reduziert, verschoben.
Reiche zeichnete für mehr als acht Jahre in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Comic Strip Strizz, der den Familienmenschen Strizz und den Normalverbraucher in unserem Informations-Zeitalter zu Wort kommen lässt. Zuvor war er Jahre für Disney als Zeichner von Donald-Duck-Geschichten tätig. Unter den Neu-Vätern des Mecki in der Hörzu nach Petersen und Escher nimmt Reiche eine herausragende Stellung als Modernisierer ein, er beamte den Ur-Stachelkopf aus der Wirtschaftswunder-Welt der 1950er in die 1980er Jahre, in die Zeit der Anti-AKW und -Umweltbewegung, in die Zeit des T-Shirts, des Nato-Doppelbeschlusses, in die Zeit, als „Birne“ Kanzler wird und bleibt, in die Zeit von Glasnost und dem Ende des Kalten Krieges.
Thomas Hausmanninger (1958, München), der im Comixene, dem ältesten deutschen Fachmagazin zum Thema Comics, die Kolumne „Dr. Tom“ zeichnet und textet, ist vor allem Wissenschaftler im Bereich Medientheorie. Zu seinen Forschungs-Schwerpunkten zählen Medienethik und Informationsethik („Ethik des Digitalen“). Die Abenteuer seines „ Dr. Tom“, ein Alter Ego des Professors für Christliche Sozialethik an der Universität Augsburg, spielen sich so gut wie nur noch auf der Meta-Ebene ab. Der Familienkreis ist die Welt. Hier werden die Diskurse Sammler-Tips, Medientheorie, Comic-Welt und Hausfrieden abgehandelt. Einen Schritt vor die Haustüre zu setzen, ist eigentlich nicht mehr nötig. Die Welt ist medialisiert.
Die Dr. Tom - Abteilung in der Ausstellung, die der Weidener Künstler Axel T Schmidt kuratiert, ist auch als Do-It-Yourself-Stätte, als Ort zum Comic-Lernen und Selber-Zeichnen, angelegt, und dabei darf dem ungemythlichen Anarchismus das Wort gesprochen werden, Zeichnen auf Tischen und Stühlen ist angesagt.
Die Verbindung der Einzelseiten-Blöcke, des Mauerwerks aus Panelen, qua schwarzem Klebeband zu wandgroßen Flächen, der Dreh in die Schieflage, der nicht ohne Einfluss auf den Gleichgewichtssinn des Betrachters bleibt, all das drückt Oben gesagtes sozusagen in Großbuchstaben aus und erhebt Comic-Zeichnen zur Denk – und Lebensform.
Reinhold Eschers Hirsebrei-Mauer aus „Mecki im Schlaraffen-Land“ wandelt sich in Peter Engl`s „Die 5-Minuten-Terrine. Biographie des Mauerfalls“ in den grauen Beton des anti-imperialistischen
Schutzwalls, der 1989 unter dem gemeinsamen Druck von politischer Freiheits-Sehnsucht und hedonistischem Lust-Prinzip zu Fall kam. Der Weg in die Bessere Welt, von der wir bisher nur träumen konnten, der Weg zu den lieben Verwandten und Künstlerkolleg/innen ist frei, was zusammen gehört, wächst zusammen, der Kreis schließt sich wieder. Aber alles Illusion. Der sozialistische Arbeiter - und Bauernstaat sowieso. Das Land, in dem Milch und Honig fließen, das Schlaraffenland im Westen, auch. Denn die Vereinigung von Ost- und West, wie sie sich in Peter Engels autobiographischem Comic-Künstler-Roman zeigt, in den Reise-Erlebnissen von einem Habenichts bei den Habenichtsen, ist vor allem in einer Hinsicht als runde Sache zu bewerten, als De-Mark- runde Sache derer, die haben. Wer hat, der hat.
Der 1949 in Nürnberg geborene Künstler und gelernte Koch, der schon seit 1986 in Berlin lebt, ist Maler, Graphiker, Objekt-Künstler, Produzent von Merchandising- Produkten und war Kopf der Punkband „Staubsauger“. Inhaltlich bewegt er sich auf den basal-parterren Bedürfnis-Ebenen der Masse, sein formales Kennzeichen ist das Gewimmel unzähliger, aber bei aller Stereotypie prägnant unterscheidbarer Figuren, die von einem aufs Elementare reduzierten popigen Comic-Stil ins Leben gerufen werden, allesamt sind sie Kinder des Runden, ihre Väter und Mütter könnten Viele-Bunte-Smarties, Verkehrsampel, oder das gute alte Mark-Stück heißen.
Schluchz.
Das gute alte Markstück.
Wo ist es hin?
Dahin!
Jaja.
Schluchz.
Beim letzten Schluchz-Zeichen ziehen wir den Redner aus dem Verkehr.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.