Miteinander / Spospolu
Studenten des Instituts für Fotografie an der FAMU, Prag
24.11.—15.1.07
Info
Der Titel, unter dem der Kunstverein Weiden das Ausstellungs-und WorkshopProjekt 2006 mit den Professoren und Studenten der FAMU/Prag Abteilung Fotografie stellt, heißt „WENT I czeck l'optique". Der Titel ist das Ergebnis eines feucht-fröhlichen Brainstorming nach der Sperrstunde. Dieser Katalog . ist ein weiteres Ergebnis. Der Titel signalisiert mit dem Autokennzeichen WEN für Weiden grenzüberschreitende Mobilität, ist viersprachig und spiegelt europäisches Bewusstsein. „L'optique" ist der Name des autonomen Weidener Szene-Blattes, das Kontakte zur tschechischen Jugend herstellen will und mit dem der Kunstverein Weiden zusammenarbeitet. Und „l'optique" meint eine europäische Jugend, eine deutsche Jugend, eine tschechische Jugend und eine Foto-Kunst, die ,,es checkt,"die kritisch ist, Klischees bekämpft, dem schönen Schein misstraut. Seiner Form nach bildet der Titel eine dadaistische Wortreihe, das Fragment eines „poetistischen Bildgedichtes". Kurz, ein Sampling unvereinbarer Bestandteile, die doch ein Ganzes ergeben und in dem hier vorliegenden Zusammenhang eine Referenz an die tschechische Avantgarde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellen, die bis heute wirksam ist.In seiner ganzen Komplexität aber ist dieser Titel selbst schon ein Kunstwerk en miniature, klein wie ein Schneckenhaus, ein Zufallsfund und zugleich die Welt- Formel für Kunst. Nicht zuletzt verspricht er in seiner zwanglosen Art, das Modell unserer tschechisch-deutschen Kooperation zu werden. Deep in the Heart of Europe.
Der Kunstverein Weiden arbeitet seit 1999 mit der Fotogalerie G4 aus Cheb/Eger zusammen und hat dadurch aus erster Hand Einblicke in den Kosmos der tschechischen Fotografie erhalten. Seit 2005/06 pflegen wir Kontakte zur FAMU/ Prag Abteilung Fotografie. Unter dem Gesichtspunkt der künstlerischen Nachwuchspflege und der Jugendförderung in Hinblick auf ästhetische und kulturelle Kompetenz ist damit das Weidener Kunst-Team an einem weiteren Quellpunkt tschechischer Bildkultur angekommen. Außerdem bestehen Verbindungen mit der Akademie Prag. Wir wollen das Interesse tschechischer und deutscher Student/innen, die ihr bildnerisches Talent an der Hochschule zum Ausdrucksmittel ihrer Zeit ausbilden, auf Land und Leute des tschechisch-oberpfälzischen Grenzraumes lenken. Diese jungen Künstler/innen können dazu beitragen, dass die Leitgedanken einer offenen, flexiblen und kreativen Gesellschaft, die abstrakt durch die Köpfe hier geistern, sinnlich fassbare Bilder zur Seite gestellt bekommen und sich mit menschlichem Leben füllen. Ihre fotografischen Interpretationen können Diskussionen auslösen, die beweisen, dass die Arbeit an regional-spezifisch schöpferischen Leitbildern, die emotional beflügeln und gegenüber der massenmedialen Fremdbestimmung standfest sind, eine ernstzunehmende Aufgabe ist.
Der Satz, dass die Jugend das Grundkapital einer Gesellschaft ist, und dies nicht nur in ,,kapitalistischer" Hinsicht, gilt überall und auch für die Kunst. Insgesamt aber ganz besonders für unseren Standort, für die deutschtschechische Grenz-Region, die von den Umbrüchen seit 89 im Innersten ihrer Struktur und ihres Selbstbildes berührt ist. Auf einmal müssen, dürfen, können wir alle sehr jung sein. Dem Miteinander einer Aufbruchssituation, ihrer Improvisationsfähigkeit, die kein Tabu kennt, ist in der Regel selber schon soviel künstlerische Qualität immanent, dass ihren ökonomischen Protagonisten meist kein Gedanke an Kunst und Kultur kommt. Konzentriert darauf, quantitativ Kurs zu halten und ihre ökonomischen Erfolgsmuster dementsprechend zu modifizieren, würden Blickwinkel und Denkhaltung des Künstlers, der nach der ganzheitlichen Qualität konkurrierender Muster fragt, nur irritieren. Doch die Kraft der Kunst, die, wenn sie uns den Spiegel vorhält, die Wirklichkeit immerwieder vom Grund unserer Wahrnehmung auf durchmischt und keinen Blickwinkel bevorzugt, bleibt unverzichtbar. Kunst bricht Klischees, die behaupten, schon das Ganze zu sein. Sie ist die Matrix jeder Art von Schlüsselqualifikation, die eine offene Leistungsgesellschaft ihren Mitgliedern abverlangt. In ihrer Essenz aber will sie, dies alles relativierend, dass uns unser Menschsein glückt. Sie will Menschsein im ökologischen Kontext als oberstes Lern-Lebens- und ProduktionsZiel zu seinem Recht kommen sehen. Sie ermutigt das Jungsein in uns.
In einer Situation, in der die Entwicklung der Massenmedien Film, Fernsehen, Video, Fotografie, illustrierte Magazine und ihre Handhabung durch ökonomische Interessensgruppen in punkto Produktionsmasse und Empfangsdichte unsere Vorstellungskraft übersteigen, scheint die Frage, was die Aufgabe heutiger Fotokunst wäre, naiv und überflüssig zu sein. So überflüssig, wie der Überfluß an täglich auf uns einströmenden Bildern alle Maßstäbe sprengt.
David gegen Goliath.
Im Spiegellabyrinth. Bilder und Echtwelt-Szenen lassen sich nicht mehr unterscheiden. Die globale Sehweise ist dabei ein Zerrspiegel, der dem Riesen Tsunami-Größe gibt und David zum Sandkorn verkleinert. Hat man sich aber mit einer so großartigen Ausstellung wie Land am Rand, dem Beitrag der Fotografie-Professoren und Studenten der FAMU Prag, die während der 15. Weidener bayerisch-böhmischen Kulturtagen im Weidener Rathaus gezeigt wurde, auseinandersetzen können, pendeln sich die Verhältnissse wieder ein. Man weiß, dass auch der kleine David im zeitgemäßen Sinn sein Ziel nicht verfehlt und die Köpfe erreicht. Unsere Köpfe.
Der Charakter der Stadt Weiden in der Oberpfalz hat sich an ihrer Randlage geformt, an wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnissen, die nach WestMaßstäben schwierig waren, Weiden ist eine Stadt mit Charakterkopf geworden. Kunst und Kultur, die anderenorts die Liebhaberei einiger Idealisten geblieben wäre, wurden hier Chefsache, Sache des Bewusstseins darüber, dass die praktische Vernunft ohne ihre provozierende und beunruhigende ,, Andere Seite" verliert. Die Bilder der Ausstellung Land am Rand tauchen vor dem geistigen Auge des Betrachters wie ein neuer Kontinent auf.
Im Verhältnis zu den globalen Dimensionen, in denen wir heute denken müssen, liegen Weiden in der Oberpfalz und Prag nur einen Katzensprung voneinander entfernt. 1968, als ich 20 Jahre alt war, wollte ich diesen Katzensprung wagen. Die Freunde aus der Weidener und aus der Prager Kunstwelt, Freunde, die wir heute sind, hätten nur ihre Hand ausstrecken müssen. Aber es kam anders. Bis 1989, bis zum Zeitpunkt der sanften Revolution im Land unserer Partner, waren Abgründe zwischen diesen Welten. Aber auch nach Beendigung des Kalten Krieges, hat noch lange nicht alles Fremde und Unterschiedliche zwischen uns zu seiner „Einheit im Verschiedenen" gefunden, und mancher mag sich auch in Anbetracht der hier angesprochenen Größenverhältnisse über die Rolle der kleinen Stadt Weiden wundern. Zwar ist Weiden mittlerweile zusammen mit seiner Nachbarstadt Amberg ein Doppelstandort für einen Fachhochschule mit den Studiengängen Betriebswirtschaft und Technik. Vor einer Stadt wie Prag aber kann sie sich nur verneigen. Und das macht diese Stadt auch, voller Respekt und Selbstbewusstsein, und an dieser Stelle verneigt sich der Kunstverein vor der tschechischen Kunst, ohne sich klein zu fühlen. Denn der oben geforderte Blick, der über den lokalen Tellerand hinausführt, oder etwas schärfer formuliert, den ubiquitären provinziellen Denkrahmen sprengt, zeigt uns, dass es keine absoluten Größen gibt. Im großen Zusammenhang hat alles bzw kann alles seinen Platz finden und Weiden hat das Spiel der geopolitischen Geometrie in den Mittelpunkt Europas gesetzt, in die Mitte zwischen Nürnberg und Prag. Ihre Rolle als einstige Zollstation an der Goldenen Strasse des Mittelalters nimmt der Kunstverein Weiden (ebenso wie andere Einrichtungen der Stadt und der Region schon vor ihm und mit ihm) mit dem produktiven Auge des Zöllners aus dem Gedicht von Bertold Brecht wahr, der den Weisen Laotse anhielt, als dieser die Menschen verlassen und die Grenze in das Gebirge des Schweigens überschreiten wollte.
Ein Grenzort markiert nicht nur das Ende zweier Hoheitsgebiete, die Schwelle und den Übergang von einer Welt in die andere. Grenze lässt sich nicht nur als Trenn-Stelle verstehen, an der materielle Güter umgemünzt werden, sondern auch als Treffpunkt unterschiedlicher Kulturen, an dem sich Identität im Unterschiedlichen bildet. Hier vermischen sich Süß-und Salzwasser und gedeihen eine außerordentlich überlebenstüchtige Flora und Fauna. In diesem Sinne lädt der Kunstverein Weiden seit einigen Jahren Künstler/innen aus beiden Ländern zu Projekten ein, die verschiedenste Formen der Grenzüberschreitung beinhalten. Diese Projekte thematisieren damit im künstlerischen Kontext die besondere Lage, die Chancen, Herausforderungen und Risiken des Grenzstandortes und der Grenzlandschaft. Der Kunstverein Weiden hat sich mit vierzehn weiteren tragenden kulturellen Einrichtungen der Region zu der Kooperative KoOpf zusammengeschlossen, um ein oberpfälzischtschechisches Kulturnetzwerk aufzubauen. Die Kolleg/innen der deutsch-tschechischen KoOpf und den Kunstverein Weiden verbindet der Wunsch, auch mit den Mitteln der Gegenwartskunst dazu beizutragen, dass sich das Bewusstsein für die besondere Kultur der Schwelle und der Grenzüberschreitung fortpflanzt.
Nachwort:
Der Katalog zur Ausstellung MITEINANDER erscheint im Rahmen des grenzüberschreitenden Projektes „MITEINANDER oder WENI Czeck L'optique"das der Kunstverein Weiden, der Lehrstuhl. für Fotografie an der FAMU Prag und die Galerie 4 Eger konzipiert haben und vom 17. 11. 2006 bis zum 15.01.2007 durchführen. Dabei bietet die Ausstellung MITEINANDER in Weiden nicht nur eine Übersicht über das fotografische Werk der FAMU-Professoren, renommierten Vertretern der aktuellen tschechischen Fotografie, und ihrer Studenten, dem kommenden Nachwuchs einer eigenwilligen und international herausragenden Lichtbild-Kultur. Gleichermaßen erweitert sie unseren Blick auf die Wirklichkeit um eine Reihe inspirierender Einstellungen, die den menschlichen Gewinn ankündigen, den das Sich-Aufeinander-Einlassen beider Völker zu versprechen scheint. Veranstalter ist der Kunstverein Weiden, der seine Lage an ehemaligem Eisernen Vorhang und historischer Achse Nürnberg - Prag zum Programm gemacht hat. Zusammen mit der grenzübergreifenden Kulturkooperative Oberpfalz KoOpf arbeitet er daran, die Brückenfunktion zu entwickeln, die die Region in der Mitte Europas auch im Bereich Kunst ausüben könnte.
Die Ausstellung wird von dem Workshop Magical Mystery Tour ergänzt, den FAMU-Studenten und jugendliche Foto-Freaks aus der Oberpfalz vom 17. bis zum 19.11. durchgeführt haben. Gegenstand dieses Projektes sind die Grenzstationen entlang der oberpfälzisch-tschechischen Grenze, die jetzt vor allem in zeitgeschichtlicher Hinsicht als Symbole des Übergangs in Erscheinung treten.
Die historische Trennlinie, der die jungen Fotografen aus beiden Ländern nachgegegangen sind, wohl ebenso bald aus unserer Wahrnehmung verschwunden sein wie ihre variantenreiche Verkörperung, die Zollstationen, noch Kern einer Mikrokultur zwischen den Kulturen. Die Bilder dazu werden in einer tschechisch-deutschen Extra-Ausgabe der Weidener Szene-Zeitschrift L'optique veröffentlicht. Zum Gelingen des Projektes haben viele beigetragen. Besonderer Dank ergeht an die deutschen und tschechischen Grenzbeamt/innen.