Pleinair – Heimatmalerei
Prof. Peter Angermann
Einführung: Udo Kittelmann, MMK Frankfurt
19.09.—19.10.03
Info
Während Pleinair-Malerei ein klarer kunsthistorischer Begriff ist, gehört der eher unscharfe Begriff Heimatmalerei mehr einer gesellschaftswissenschaftlichen Sehweise an. Und so friedvoll die Vorstellung auch sein mag, in frischer Luft die Heimat zu malen, beides liegt sich, wie Sie sehen werden, schöpferisch in den Haaren.
Als der Künstler Ende des 18. Jhts das Atelier verlässt, um unmittelbar nach der Natur zu arbeiten, markiert dies auch eine sozialgeschichtliche Entwicklungsstufe. Jede Wahrheit muß durch die Sinne gehen, sagte schon Leonardo da Vinci und meldete damit frühe Zweifel an der kirchlichen Autorität an. Diese Forderung nach vorurteilsfreier Forschung am Objekt, von der schon mal Leonardos anatomische Studien und Dürers Aquarelle zeugen, geht jetzt 200 Jahre später im Freiheitsruf der Revolution auf. Die autonome Bürger-Persönlichkeit, die sich von jeder äusseren Bevormundung befreit, lehnt unüberprüfbare Glaubenssätze ab. Selbstbewusst verlässt sie sich in Kunst, Philosophie und Wissenschaft auf ihr eigenes, kritisches Auge und den gesunden Menschenverstand.
Nix Heimat, wo ist sie? Gleichwohl man nun en pleinair die alltäglichen Dinge malt, sein Daheim abbildet, wie es ist, entstehen keine Heimatbilder. Das impressionistische Auge studiert den unaufhörlichen Wechsel der wetter- und tageszeitlich bedingten Lichtverhältnisse vor Ort. Physik ist sein Motiv. Wie auch immer die Codes, die das Chaos der Erscheinungsfarbigkeit bändigen, in Worte und Begriffe übersetzt werden können, das Bedeutungsfeld, in dem der Begriff Heimat liegt, bleibt davon unberührt. Beständigkeit, Heimweh, Identität, Ruhe, Überschaubarkeit, Idylle und das urdeutsche "heimoti", der Himmel, der alles andere als "ellende", Elend und Fremde ausgrenzt, stehen mit den erkenntnistheoretischen Forschheiten des Pleinair, das zu seiner Zeit der Schrittmacher der Moderne war, in einem unauflöslichen Widerspruch.
Als der 23jährige Peter Angermann und spätere "Pleinair & Heimatmaler" 1968 Nürnberg, der Stadt Dürers und der ältesten deutschen Kunstakademie den Rücken kehrte, um bei Beuys, dem Avantgardisten, der dem toten (Dürer)-Hasen die Kunst erklärt hat, weiterzustudieren, galt Heimat als Unwort. Aber auch der Malerei und erst recht der Plein-air-Malerei schien die Zukunft zu fehlen. Das ästhetische Gebot der Stunde heisst Entregelung. Pop und Fluxus geben den Ton an. Nieder mit dem Establishement!
Das Lebensgefühl zur Zeit des deutschen Wirtschaftswunders gab sich weltoffen, fortschrittlich, modern. Das "Volk ohne Raum", das nach dem arischen Höllensturz, der Trümmerzeit und der Integration von unwillkommenen 12 Millionen Heimatvertriebenen, ein "Volk auf Rädern" geworden war, hatte kein Heimweh, konnte es doch endlich sein Fernweh stillen. Bella Italia. Sollten dabei der Intellektuelle im kosmopolitischen Traum und der Künstler der 50er Jahre in der Weltsprache des Action-Painting bzw des Informel ihre Heimat gehabt haben, so wussten sie davon nichts; wenn damals jemand wusste, wo die Heimat ist, namentlich der sudetendeutsche Landsmannschaftler, dann deshalb, weil er keine mehr hatte. Die anderen brauchten sie nicht. Verlust-Konservierung.
Für Angermann, der sich insgeheim immer als Bürger von Entenhausen gefühlt hatte, öffnete der Stilbruch in Roy Lichtensteins Comic-Gemälden die Tür zur künstlerischen Freiheit. Sweet dreams, Baby! Brainstorming. Collagetechnik. Nichts mehr und alles ist heilig. über Angermann gelangt im Juni 68 die Studentenrevolte nach Nürnberg. Eine Kunstaktion, die er im 4. Semester initiiert, springt von der Leinwand auf die Mensa-Wand über und löst eine bundesweit beachtete Malorgie aus. Beuys und Hundertwasser kommen zu Hilfe. Der junge Franke schreibt sich in Düsseldorf ein.
Der einstige Leitbegriff kam gerade noch in Wortverbindungen wie Heimatkunde vor. Wegen seiner nachhaltigen Blut- und Bodenhaftung waren ihm die Höhen der westdeutschen Kulturlandschaft off limits. Das konservative Ideal, in dem viele Deutsche gegenüber den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüchen des 19.Jhts und frühen 20. Jhts ihre Identität gefunden hatten, besaß keine Größe mehr. Es existierte nur mehr in den Niederungen der Unterhaltung, des Kitsch, des Schund. Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies zu stillen, oblag dem Heimatfilm, dem Groschenroman, dem Schlager, dem schönen Schein von Ware und Werbung.
Sweet dreams, Baby! Mit einem Schlag war die Trivial-Ästhetik hoffähig geworden. Angermann, inzwischen Aktionskünstler und Mitbegründer der Gruppe Yiup, die schon wieder die Künstlichkeit am Fluxus-Rummel karikiert und darüber selber zur Karikatur wird, nimmt sich eine Auszeit und studiert Physik.
Vilem Flusser, Prager Jude Jahrgang 20, ein Meister der Heimatlosigkeit, betrachtet Heimat als Reminiszenz, als Netzwerk unbewusster Bindungen, Fesselungen und Marionettenfäden, die dazu bewegen, aus etwas Banalem etwas Heiliges zu machen. Der Informationsrevolution mit ihren Möglichkeiten, sich, ohne seine Erbschaft zu verleugnen, als Anderer unter Anderen frei zu verbinden, gilt seine Hoffnung. In diesem Sinne entwickelt sich in den 70er Jahren unter dem Einfluss von Kybernetik, Psychoanalyse, Ökologie und Regionalgeschichte ein neuer, offener Heimatbegriff, dessen Wappen der Nestbeschmutzer ziert. Dieser ist einerseits Teil eines funktionalen, sich ständig wandelnden Gebildes aus Individuuen, Familien, Verbänden, Vereinen, Milieus, des ganz normalen Lebens halt, und andererseits weiß er davon, dh. scheisst er politisch, wissenschaftlich und künstlerisch auf das Tabu. Ich bin so frei.
Ende der 70er Jahre entpuppt sich der Trendsetter Avantgarde als Schloßgespenst, dessen Zeit um ist, die Malerei kehrt in die offizielle Kunstwelt zurück, Angermann seinerseits gründet 79 mit seinen tschechischen Freunden Milan Kunc und Jan Knap die Gruppe "Normal" und kehrt mit dem gereiften Heimatbewußtsein des Nomaden, Surfers, Samplers in die Malerei zurück. Er legt jetzt (siehe Foto, Vorderseite) alle Hemmungen ab, schlüpft in das Federkleid seiner frühen mentalen Wahlheimatbewohner aus Entenhausen und gibt das moderne bundesrepublikanische und ländlich fränkische Image in der Art wieder, wie es Vincent van Duck erscheinen mag. Normal.
Anfang der 90er Jahre lässt Angermann die Staffage seiner Gemälde weg. Dafür wird das wirkliche Leben ein Stück weit zum Wilhelm-Busch-Bild, in dem er die Rolle des Pleinairisten Klecksel übernimmt. Menschenleere Wiesen und Wälder, Dörfer und Felder, Kläranlagen und plastikverpackte Heuballen zeigen jenseits des anekdotisch-kabarettistischen Getümmels vor allem malerische Tragfähigkeit. Da sind Farbfelder, die sich in der physikalischen Kühnheit von Autobahn-Brücken fügen. Unsere Synapsen erfahren Heimat als das Möglichkeitsfeld unbegrenzten Erkennens.
Wolfgang Herzer