Positionen 2
Magdalena Drebber, Martin Kreim, Petra Ottkowski, Jürgen Strege
10.07.—20.09.15
Info
Mit der Präsentation der Leipziger Künstler/innen Magdalena Drebber, Martin Kreim, Petra Ottkowski, Jürgen Strege, erneuert der Kunstverein Weiden einen Kontakt mit der Leipziger Szene, der 2008 in der Hochzeit der Neuen Leipziger Schule begonnen hatte. Der Hype der Baumwoll-Spinnerei hatte auch neugierig gemacht, wie sich die Übertragung des Leipziger Modells auf das AEG-Gelände in Nürnberg auswirken würde.
In diesem Sinne soll nun auch die Ausstellung Positionen 2 wieder das Interesse in zwei Richtungen fokussieren.
Wie bei ihrer Vorläuferin Positionen 1, die künstlerische Positionen aus der Metropol-Region Nürnberg gezeigt hat, wird es auch hier betont unterschiedlicher künstlerischer Auffassungen zu sehen geben. Darüber hinaus soll die Ausstellung aber auch eine Reflexion über den regional-kulturellen und wirtschaftlichen Kontext von Kunst anstoßen.
Bei Positionen 2 handelt sich um die Maler/innen Magdalena Drebber, Martin Kreim, Petra Ottkowski, Jürgen Strege, die, geboren in den 1950er und 60er Jahren, seit den 1990er Jahren in Leipzig tätig sind.
In den Exponaten im Kunstverein Weiden befassen sie sich mit dem Thema des historischen und gesellschaftlichen Vorzeichen-Wechsels, die das menschliche Erkennen zur Frage der Relation, zur Standpunkt-Sache machen. Besonderes Interesse verdient in diesem Zusammenhang die technisch ungewöhnliche Arbeit Magdalena Drebber, die aus Münster stammt und Meisterschülerin von Tim Ulrichs war.
Drebber verwendet als malerisches Medium gläserne Steckperlen, deren Materialität sich gegen den Illusion der Abbildung sperrt, ebenso irritiert das Verhältnis, das zwischen der Trivialität der Bildmotive und der erhabenen Farb-Aura besteht, das gewohnheitsmäßige Sehen und macht den physiologisch-psychologischen Prozess der Erkenntnis selber zum Erkenntnisgegenstand.
Als der Kunstverein Weiden 2008 unter dem Titel „Ausflug - Drei aus Leipzig“ Jan Dörre, Jörg Ernert und Petra Ottkowski ausstellte, geschah das noch mitten im World-Wide-Hype der Leipziger Baumwollspinnerei, die der englische Guardian zum Beginn des Neuen Jahrtausends sogar als deutsches Reiseziel Nr.1 ausgewiesen hatte. 2002 hatte die MIB Investitions-Gesellschaft das marode, zukunftslose Areal, in dem sich seit Beginn der 1990er Jahre Künstler einnisteten, gekauft und nach dem Besuch der Armory-Show in New York exakt gewusst, was man zur Nutznießung von Kultur und Kommerz wollte. 2007 wurde versucht, mit dem Kauf des AEG-Geländes in Nürnberg das Erfolgsrezept zu wiederholen..
Geschichtlich und strukturell ähneln sich beide Areale, beides sind Ruinen einst florierender Wirtschaftlichkeit, in Leipzig meint das die europa-weit größte, über ein Jahrhundert lang existierende, 240 000 Spindeln bewegende Baumwollspinnerei, die ein für die Ewigkeit gebautes Backstein-Ensemble, eine in sich geschlossene Fabrikstadt hinterlässt, damit hatte sich der gründerzeitliche Fortschritts-Glaube des 19. Jahrhunderts ein Denkmal gesetzt. In Nürnberg ist einer der weltweit ältesten und größten Konzerne für Elektro-Haushaltsgeräte gemeint, die AEG, die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft, die 2005 ihren seit Anfang des 20. Jahrhunderts bestehenden Standort in der fränkischen Metropole aufgeben musste. Wir waren neugierig auf die Neue Leipziger Schule und das Künstlertum, das in der Stadt der Montagsdemonstrationen, in freigeistiger deutsch-deutscher Aura entstanden war, und wünschten uns vielleicht in Vorahnung auf Kommendes eine Infektion mit dem Baumwoll-Virus und seiner Heilkraft. Im September desselben Jahres würde die Lehman-Brothers-Bank mit weltweiten Folgen Insolvenz anmelden, auch mit Folgen für uns, so weit ab vom Schuß: die große Investitions-Lust in Kunst und Kultur, die selbst uns Oberpfälzer und Weidener Adresse in den 1990er Jahren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs getragen hatte, würde versiegen, wichtige Sponsoren würden abfallen, der Kunstkauf im sozialen Mittelbau würde ausfallen.
Was in Leipzig geschah, der mit Anfang der 1990er Jahre beginnende Staffellauf des harten Standort-Faktors Faden-Fabrik und seiner Umwidmung mit dem weichen Standort-Faktor Kultur und seiner gewinnenden Buntheit, lässt sich unterschiedlich interpretieren. Da liegt die kulturelle Problematik, die mit dem Thema „Kunst als Ware“ und – speziell hier – „Kunst als Werbung“ einhergeht, auf der Hand. Die „Second Chance“, die Schultze für Kunst und Wirtschaft gleichermaßen sieht und seiner schöpferischen „Verrücktheit“ zuschreibt, lässt sich aber auch alles in allem als Titel einer stimulierenden Erfolgsgeschichte lesen. Hier fand unter den Mottos „From Cotton to Culture“ und „Konservieren statt Sanieren“ und später in dem Ruf „Auf AEG“ vielleicht nicht Revolutionäres aber doch Umwerfendes statt. Mit den Schlüssel-Personen des Investors Bertram Schultze und des Galeristen Judy Lybke gelang eine überwältigende Demonstration offenen Unternehmer-Geistes, der nicht nur eine interessante Neu-Nutzung alter Industrie-Brachen bewerkstelligte, sondern auch ein Denkbild schuf, das heute unter dem Begriff der Kreativwirtschaft auf dem Weg ist, bei der Betrachtung der Wachstumsraten im Kreativ-Bereich zu wirtschaftstheoretischem Allgemeingut zu werden. Dass für die Zentrifuge und das Atelierhaus, zwei Herzstücke des Kunst-Lebens auf dem AEG-Geländes mittlerweile gezählt zu sein scheinen – der Freistaat kauft und baut Uni – und der Vergleich mit Leipzig hinkt, und das Quelle-Areal gleich daneben qua Zwangsversteigerung an den Investor Sonnae Sierra gegangen ist, der das Einkaufszentrum in Weiden bauen wollte, dann aber doch davon abließ, ist schade, begräbt aber die Einsicht in die Kunst-Notwendigkeit der Gesellschaft nicht. Das Quell-Kollektiv, die Koordinations-Gruppe der langjährigen Besiedler und der bunten Kreativ-Szene des Quelle-Geländes, rüstet zum Widerstand, die Stadt bekennt sich dazu, dass das Artotop-Mäßige, das hier entstanden war, erhalten bleiben soll. Das sind Geschehnisse, die nicht weit von hier ablaufen.
Ob es der Baumwoll-Virus war, der uns selber stark gemacht hatte, die harten Jahre nach 2008 zu bewältigen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Wie auch immer, wir freuen uns auf unseren Besuch und das Wiedersehen.
PETRA OTTKOWSKI
Die Meisterschülerin von Arno Gille, einem der Wegbereiter der Neuen Leipziger Schule, wurde 1967 in Münster geboren und lebt seit 1995 in Leipzig, wo sie an zahlreichen Projekten initiativ und aktiv teilgenommen hat.
Das Thema, das ihren Lehrer Gille bekannt gemacht hat, ist das „Atelier“, das Atelier in der Behauptung, der Raum, die Sphäre wahrhaftig ganzheitlicher, Kopf, Herz und Bauch integrierender Wirklichkeits-Aneignung zu sein. Es gehört in eine lange Tradition, die von Velasquez, über Courbet und Picasso reicht und zum festen Bestand unseres geistigen Bildspeichers gehört.
Petra Ottkowski hat zu dieser Vorgabe einen eigenen, überraschenden Bezug entwickelt. Sie hat das barocke Spiel von Enthüllung und Verhüllung, von Licht und Schatten und das Drama der Erkenntnis, dass die ganze Wahrheit, die wahre Wahrheit nur im Paradox vorliegt, dem nämlich, dass man sie hat, wenn man sie nicht hat, von der realistischen Stil-Bühne entführt.
Ihr Transfer der Thematik auf die Welt-Bretter der konkreten Kunst und der Interaction Of Colour ist gelungen, auch wenn der Eintritt ihrer farb-magischen Psychologie in die Domäne einer teils sehr puristischen Auffassung irritierende Akzente setzt. Nach der ursprünglichen Auffassung konkreter Kunst hätte die Realisation reiner Farb-Beziehungen auch bedeutet, in der Farb-Natur die Natur bzw den Weltgeist selber zur Sprache kommen zu lassen. Für die undogmatische Sicht kann Ottkowskis Farbigkeit, die nicht nur von sich selber erzählt, ohne weiteres als Bereicherung erfahren werden.
Ottkowski organisiert unter den Vorzeichen der Dialektik von „Aufhellung und Finsternis“ die raumbildenden Flächenachsen zu freien architektonischen Fantasien, zu einem kristallin geordneten Gewucher von Wänden, Öffnungen, Pfeilern, Decken und Böden, ebenso wie sie die Analyse des strukturellen Innenlebens von Würfel und Quader zum Thema macht, was alles zusammen nicht zufällig die Geister von Escher und Feininger, von Piranesi und Kafka auf den Plan ruft.
Dabei ist Ottkowskis Malerei den kulturellen Zeugnissen der hier Genannten gegenüber, die einer kecken, strengen und klaustrophobischen Ratio angehören, eine ausgesprochene emotionale Stimmungs-Kunst, die den Betrachter im Herz- und Bauch-Bereich anspricht.
Der Unterschied liegt in dem organische Geborgenheit vermittelnden Eindruck, den die Gesamterscheinung auf den Betrachter macht, in der vor allem die warme Farbwahl und die zarten, schleierartigen Transparenzen wirksam werden; sie lassen an Blätter denken, die das Licht durchscheint. Ebenso organ-spezifisch und sich mit der menschlichen Leib-Natur verbindend kann einem die Dunkelheit in Ottkowkis weicher Stereometrie entgegentreten.
Da ist keine Schreckens-Finsternis der Carceri, da ist dann eine in die Tiefe dringende Geerdetheit aus dem Geiste eines Philipp Otto Runge, wie sie in Runges Gemälde „Der Morgen“ beispielhaft zur Darstellung kommt. Ottkowkis „Las Meninas“ sind so gesehen Einrichtungen der Angst-Bewältigung und der Entdecker-Lust, dementsprechend sprießen und wuchern die Raumzellen in rhizomatischer Unvorhersehbarkeit unendlich weiter.
Im Laufe ihrer bald zwanzig-jährigen künstlerischen Arbeit gliedert sich Petra Ottkowskis Werk in Auseinandersetzung mit der genannten zentralen Idee, die sich von der Atelier-Thematik herleiten lässt, aber dies nicht muss, in verschiedene Phasen, die seriellen Charakter haben und die Verwandtschaft zur konkreten Kunst verdeutlichen können.
Gleichzeitig, spätestens seit 2012, bilden sich Entwicklungslinien, die in Verbindung mit der altmeisterlichen Malweise in Öl auf Leinwand in die Räume der klassischen Genres führen, wo im kleinen Format menschliche Gestik und das Gefältel von Gewändern angesagt sind.
Der Hauptstrom von Ottkowskis Oeuvre aber ist nach wie vor architektur-bezogen und gliedert sich in Abschnitte mit Titeln wie „Schichtungen“, „Fenster“, „Leuchttreppen“, wo die Künstlerin einzelne bauwerkartige Strukturen als arbeitstechnische Vorgaben für ihre künstlerische Verbindung aus Konstruktion und Farbfeld verwendet.
Was in der Weidener Ausstellung vor allem gezeigt wird, sind „Häuser“, es geht meist um kleinformatige Einzelgebäude oder kleine Gruppen, betrachtet aus Vogel- und Normal-Perspektive, vor meist nachtdunklen Gründen. Ottkowskis spannungsvolles Licht-und Schattenspiel, das wir gut kennen, ist im Sinne einer barocken Pittura Metaphysika aus den stereometrischen Körpern ins Freie getreten. Es sind mathematisch streng geschnittene Gebäude, die das Urmuster aus Dreieck und Quadrat oder Rechteck verwenden, sie heißen „Haus des Piloten“, „Haus der Psychologin“, „Haus des Detektivs“, „Haus des Magiers“. Über allem steht in unsichtbaren Lettern: Es war einmal. Eine geisterhafte, eine märchenhafte Atmosphäre, die zu den Begriffen Spukhaus und Spukschloss führt.
Es sind auch Einrichtungen von Dienstleistungs-Anbietern, von Entdeckern und Herstellern, von Spezialisten der Überraschung, die sich nicht in die Karten sehen lassen. Dass sie aber ihr Metier beherrschen, scheint gegeben. Der Hinweis dafür liegt in der betonten Geometrie der Häuser, hier ist die Vernunft – und Kopf-Welt zu Hause, zu Hause gewesen. Außerdem erinnert sie an das bekannte Zeichen-Spiel und Rätsel “Das Haus vom Nikolaus“.
„Das Haus vom Nikolaus“ soll in einem Linienzug gezeichnet werden, es gibt 44 Lösungsvarianten, Ottkowskis Bilder lassen den Eindruck entstehen, dass es noch weitere gibt. Ist da Jemand zu Hause?! Es ist zu spät, um noch an die Türe zu klopfen. Die Vernunft schläft.
Die koloristischen Grundlagen sind im Vergleich mit Früherem fast unverändert, doch statt seinem früheren Erkundungs-Optimismus zu folgen, geht der Betrachter gegenüber der geisterhaften Szenerie, die vor ihm auftaucht, lieber auf Distanz. Das Grundstück ist erfüllt von Melancholie und Einsamkeit.
Der Betrachter steht draußen vor der Tür. Ist das Haus, an dem er ankommt, überhaupt wirklich betretbar? Weder von vorne noch von hinten, scheint es, alles nur Fassade? der Bau beschränkt sich im Wesentlichen auf Schau- und Rückseite und ist im Großen und Ganzen bar aller Funktions- und Aufenthaltsräume, eine architektonische Chimäre.
Der Atelier-Innenraum ist mit seinen vielen abstrakten Variationen einem undefinierbaren Außenraum gewichen, wobei es das Wesen der Undefinierbarkeit selber zu sein scheint, das hier spukt, das hier eingezogen zu sein scheint und die vorherigen Bewohner vertrieben zu haben scheint.
Die Spezialisten.
Die scheinen hier nichts mehr zu sagen zu haben. Es gibt Zeichen, die darauf hinweisen könnten. Es sind die perspektivischen Lineamente, die sich materialisiert und von den Gebäude-Kanten gelöst haben. Nun stehen und schweben sie frei im Raum, wie die Stützen von Glashäusern, wie Zerebral-Korsetts, die den Blick auf Fluchtpunkt und Zentralperspektive trimmen. Ruinen der Rationalität.
Mit der Zentralperspektive, die auch als wissenschaftliche Perspektive bezeichnet wird, war dem europäischen Kulturkreis ein Fortschritts-Symbol gelungen, in dem Mensch, Schöpfung und Vernunft unter den Zeichen der Naturwissenschaft zu einer segensreichen, strahlenden Einheit finden. Petra Ottkowskis Arbeiten können als Metapher wahrgenommen werden, die uns die Schattenseite zeigt.
Die Verbindung aus labyrinthischer bzw undurchschaubarer Architektur und einer Linie, die mit der Architektur geht, sich aber auch von ihr entfernen kann, erst mal in starrem Schritt, dann zu luftiger Leichtbauweise unter den gleißenden Sternbildern des nächtlichen Himmels, mag den Betrachter zum Mythos vom Ariadne-Faden führen. Und sie mögen uns auch zu den Seilen der ägyptischen Landvermesser bringen, diese Seile wurden vor der segensreichen und gleichzeitig Verderben bringenden geometrischen Geraden am Schreibtisch-Tatort im direkten Erdkontakt verwendet.
Die Spezialisten, bei denen wir vergebens anklopfen, haben uns zum Mond gebracht. Aber der Mond ist nur a nackerte Kugel, oder wie die Großmutter in Woyzeck sagt: „... A Stück faul Holz“. Am wieder wendig gewordenen Ariadne-Faden seilen wir uns schnell wieder ab, um zu sehen, was aus der Erde geworden ist.
MAGDALENA DREBBER
Die 1956 in Soest/ Westfalen geborene Malerin und Installations-Künstlerin studierte an der Kunstakademie Münster und schloss dort als Meisterschülerin von Timm Ulrichs ab, die Verbindung zur Leipziger Szene entstand über mehrere Lehraufträge in Halle-und Leipzig. Sie lebt heute in einem Vorort von Leipzig.
Die Malerei, die Magdalena Drebber herstellt, ist im weitesten Sinn Glas-Malerei. Auch eine Art Licht-Bildnerei, die strukturell mit der Fotografie verwandt ist und an Refotographs vom Bildschirm – und Zeitschriften-Bildern a la Richard Prince erinnert. Der Blick des Betrachters fällt auf eine dicht gerasterte Oberfläche, die an Körnung, Pixel und den Pointillismus denken lässt, der das Fotografische in die Malerei übertragen hat.
Was ist das? Allein die Wirklichkeit des künstlerischen Mediums, das die Künstlerin verwendet, in eine adäquate Begrifflichkeit zu übertragen, ist schwierig und stellt grundlegende Fragen bezüglich der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Das ist bereits Teil der Aussage.
In Drebbers Arbeiten, die im Zeitalter des schnell geschossenen Selfies und der digitalen Bilderflut als anachronistische Zeitfresser auftreten, kommen in Handarbeit Tausende von gläsernen Steckperlen zur Anwendung. Sie werden auf dem Bildträger, in der Regel stabile Sperrholzplatten, nach den Gesetzen der optischen Mischung organisiert und gelangen dabei zu höchster, aus der Tiefe hervorstrahlender, manchmal glühender Leuchtkraft. Doch wer hat heute, da man qua Smart-Phon in einem ständigen visuellen Telefon-Gespräch mit der Wirklichkeit über die Wirklichkeit zu stehen hat, Zeit, sich erlebnishaft sehend in solche Phänomene zu vertiefen?
Solche Pathos-Momente sind aus dem breiten Feld angewandter und freier Glaskunst bekannt und triggern schon in einfacher dekorativer Form tiefer gehende Emotionen. Bereits sie lassen den Eindruck ahnen, den die Diaphanie der gotischen Glasfenster als höchste Steigerung hinterlässt und im geschichtlichen Gedächtnis Europas hinterlassen hat.
Etwas trivialer ist der Link zur volkstümlichen Gobelinstickerei mit gefärbter Wolle,
die ähnliche Leuchteffekte erzeugt und zu ihren vielfältigen Anleihen aus der Genre-Malerei mit Sinnsprüchen wie „Träume süß“ und „Handwerk hat goldenen Boden“ Lebensbejahung verbreitet.
Bemerkenswert nun sind in diesem Zusammenhang die Motive, die bei Drebber in einer Aura des Ergreifenden und Wertvollen zur Darstellung kommen, sie folgen letzterem Link: Es sind Gegenstände aus der ländlichen, weltanschaulich konservativ orientierten, hoch-kunst-fernen Lebenswelt, denen aber der besondere, weiterführende Bezug zu den eingeführten, allgemein kommunizierbaren Sinn-Zusammenhängen bzw Klischees besagter Lebenswelt abzugehen scheint.
Sie wirken fremd. Ephemere Spiegelungen aus einer anderen Welt. Da und dort blitzt mit dem Titel Ironie auf, wenn Drebber eine Anspielung auf die ferne Hohe Kunst, z.B. auf Caspar David Friedrich macht, da lässt Drebber eine (hier nicht ausgestellt) Bauersfrau mit dem Feldstecher dem Titel nach am Meer zwei Männer in der Betrachtung des Mondes betrachten.
Die semantische Unschärfe und das Missverhältnis der Denotationen zum erhabenen Glanz des gläsernen Mediums macht den Betrachter befangen. Seine augenscheinliche Feststellung von Banalitäten oder Bizarrerien wie: „Auto parkt auf der Wiese unter einem Baum“, „Die Hand der Bäuerin in der Schürzen-Tasche“, oder „Terrier kopuliert mit Ente“ führen nicht weiter.
Doch zu diesem Schwanken im inhaltlich Unbestimmten findet sich ein Pendant im physiologischen Seh-Vorgang.
Durch die grobe Rasterung bedingt ist die Bildschärfe, die Genauigkeit der gegenständlichen Wahrnehmung von der Bild-Distanz des Betrachters abhängig.
Die Illusion, reale Gegenstände zu sehen, wird mit der Entfernung überzeugender.
Mit zunehmender Nähe lässt die Bild-Illusion nach und tritt die mediale Wirklichkeit selber, die schimmernde Steckperlen-Fläche, in den Fokus. Dieser Vorgang wir in seiner bewussten Wahrnehmung zum Spiegel der Wahrnehmung selber. Verbindlich gegeben ist nur eine Insel relativer Bestimmtheit, an der die verschiedenen am Wahrnehmungsakt beteiligten Wirklichkeits-Ebenen anlanden und ergänzen.
Sie liegt in der Mitte. Wirklichkeit ist Standpunkt-Sache.
Dieses Spiel mit den optischen Gesetzen und den Gestalt-Gesetzen, die für die Wahrnehmung von kohärenten Ganzheiten und unterschiedlichen Wirklichkeits-Ebenen verantwortlich sind, veranschaulicht im Kontext des Kunstwerks aber auch einen philosophischen Grundgedanke, der über die gegenständlich erzählerische und medial-faktische Bild-Ebene hinausweist.
Dort geht es um die Frage nach dem Wesen von Wirklichkeit und Wahrheit und den Weg dorthin, es ist ein Weg, auf dem es letztendlich kein dauerhaftes Ankommen gibt.
Auf außerordentlich spannende und bis heute exemplarische Art wird dieses Ankommen im Nichts bzw in ständiger Vorläufigkeit in dem Film „Blow up“ von Michelangelo Antonio inszeniert, einem Kultfilm der 1960er Jahre, der den Wertewandel seiner Zeit reflektiert.
In Antonionis Film wird wie im Stierkampf die Wahrheit mit der Eindeutigkeit des Todes gleichgesetzt. Die Kamera ist ein Degen.
Es geht um eine Mord-Vermutung, um die Möglichkeit eines Mordes, den der Schnappschuss eines Mode-Fotografen zufälligerweise aufgenommen haben könnte.
Von diesem Gedanken ist der Fotograf besessen. Doch die Körnungs-Punkte der Fotografie verselbstständigen sich im Blow up, in der Vergrößerung der Aufnahme soweit, dass sich im Schattenspiel des Buschwerks am angenommenen Tatort keine eindeutig identifizierbare Gestalt mehr wiederfindet.
Antonionis Fotograf kann die Begrenztheit, die sich damit seinem Wahrheits-Drang entgegenstellt, nicht akzeptieren, er erlebt hier an sich selber, am eigenen Leibe die existentielle Metapher der menschlichen Endlichkeit. Darüber hinaus zeigt sich in diesem real gewordenen Sinn-Bild die unvorhersehbare Offenheit der Geschichte überhaupt, vor der jede Sichtweise und jede Gewissheit, bis auf die eine als noch nicht falsifiziert erscheint.
Hier nun bekommt der Blick seine Schärfe für das konkret Naheliegende zurück und im Schimmern der Arbeiten von Magdalena Dregger scheint auch der Glanz der Kristall-Kugel auf, die uns Zeichen zeigt und die Zukunft vorhersagt.
Sex and Crime! Gibt es das auf dem Hühnerhof? Ich sehe eine Faust in der Schürzentasche. Sagt die Wahrsagerin. Etwas Langes, Buntes im Gras, ein Kinderspielzeug, eine Maschinenpistole. Ahnungslose Hühner picken Körner auf. Alles ist Chiffre. Alles ist Lid, Lid auf dem Auge des sich selber sehenden Sehens.
MARTIN KREIM
Martin Kreim, Jahrgang 1963, geboren in Kladno/CZ, seit 1987 in Leipzig, Gille-Schüler, weist in seiner Malerei seit 2004 die Infrastruktur der Konsumgesellschaft als eine Kette von Unorten aus, an denen sich das Menschsein in der Veräußerlichung auflöst.
Bis dahin war es in der Malerei des 1963 in Kladno/ CZ geborenen Künstlers u.a. um Fragen der sozialen Begegnung, im privaten ebenso wie im öffentlichen Zusammenhang, gegangen, realisiert in einer expressiv gehaltenen, gestischen, wilden Malweise, die an die 1980er Jahre erinnert. Sie entwickelt ihre Figuration aus dem Spannungs-Raum grund-farbiger Kontraste und des Hell-Dunkels.
Jetzt konzentriert sich Kreim aus einem konstruktivistischen Blickwinkel, der die harte Kante betont, auf Orte der Alltags-Abwickelung wie den Frisör-Laden und den Supermarkt, und das Fotoatelier, die Zoohandlung und den Baumarkt, die Rolltreppe und das Treppenhaus, die Telefonzelle und das Foyer. Auch die Party gehört dazu.
Er beschreibt sie als Durchgangsstationen eines rastlosen, funktionellen Lebens, das in der Vereinzelung abläuft, aber einen effektiven Betrieb in Gang hält, der den Menschen mit einer strahlenden Farbigkeit von nahezu transzendentaler Suggestivität beschenkt.
Kreim entwickelt diesen Gedanken formal in der Form eines Schematisierungs-Vorgangs, der die menschliche Figuration zum einen in eine summative, scherenschnittartige Umrisshaftigkeit zwingt.
Zum anderen werden die Ausstattung und die architektonische Struktur der Handlungs-Räume in abstrakte, Flächengefüge eigenwertiger Farb-Interaktion entdifferenziert. Das lässt inhaltlich an die Visionen des klassischen Konstruktivismus denken und können an dessen Technik-Träume vom planbaren gesellschaftlichen Fortschritt erinnern.
Genauer gesagt baut Kreim durch die Aufspaltung der Hell-Dunkel-Übergänge und Farbverläufe des natürlichen Erscheinungsbildes seine Bildräume in Systeme unterschiedlich stark getrennter, eigenständiger Tonstufen um, die den Charakter von multiperspektivischen Spiegel-Labyrinthen quer zur Real-Räumlichkeit haben.
Im Spiel der Spiegelungen und Gegenspiegelungen löst sich der reale Objekt-und Raum-Zusammenhang zugunsten integrativer farb-und form-rationaler Bezüge auf. Sie schließen sich zu neuen synthetischen Flächen-Formen zusammen, die auch als Ikons und Bauanleitungen gelesen werden können.
Der geometrisierende Zug der Zeichnung enthält zwar eine stark technoide Anmutung, doch zweckhaft werktägliche Nüchternheit und Sachlichkeit, die der rechte Gebrauch der Güter voraussetzt, weichen einer festlich sonntäglichen Stimmung, in der die auftretenden Figuren eine fast sakrale Statuarik erhalten.
Die häufig meditativ schwebende Farbigkeit der Formen, die feierlichen Glanz und metaphysische Transparenz suggeriert, kann zur Auffassung führen, dass hier der Künstler die Frage nach Sein und Schein im cleanen Unschulds-Gewand kommerzieller Erlebnis-Welten stellen will. Was ist die Antwort?
Das feine Licht und Schattenspiel, der zarte spinettartige An-Schlag der Farb-Klaviatur, der beim Titel „Garten-Markt“ und nicht nur da anklingt, kann auch an sommerliche Rokoko-Gärten denken lassen, in denen man sich in freundschaftlicher Runde zur Einschiffung nach Kythera fertigmacht.
Was erwartet den Verbraucher dort? Glück oder Happiness! Es ist, um mit dem Jesuiten Michel de Certeau zu sprechen, die Produktions-Stätte des eigenen Lebens, wo der Certeaus Analyse nach wahre Konsument, der aktive Konsument die Glaubens-Regeln des Konsum-Tempels Supermarkt kreativ unterläuft.
JÜRGEN STREGE
Die Malerei des 1956 in Leipzig geborenen Malers und Bildhauers( Studium bei Brockhage) Jürgen Strege, der von 1999 – 2008 Vorsitzender des Bundes Bildender Künstler Leipzig war, bezieht sich inhaltlich in enger Koppelung mit der Sphäre von Historie und Gesellschaft auf die verschiedensten Innen- und Außenräume des öffentlichen und privaten Lebens.
Formal kombiniert Strege monochrome a-perspektivische Farbräume mit den Fluchten baulicher und landschaftlicher Architekturen. Dass die regelmäßig auftretenden leeren Farbflächen mit Caput mortuum gemalt sind, ist schlüssig, dieser Farbstoff aus der Alchemie des 15. Jahrhunderts enthält viele zeit - und macht-symbolische Konnotationen, die an Eisen, Rost, Blut denken, aber auch die Sauerkirschen im biedermeierlichen Garten schmecken lassen.
Dabei spielt - in Polarisierung zum, in wilder Manier gemalten, Wald - das Museum als Leitmotiv eine herausragende Rolle.
Das Museum zeigt sich in Streges farbig gedämpften, tonigen Darstellungen, die voller Ausbrüche in die lebhafte Lokalfarbigkeit sind, als kollektive Gedenkstätte und Ort geistiger Regeneration. Hier hat, im Gegensatz zur zyklischen Natur-Zeit des Waldes - die geschichtlich zielgerichtete Zeit im ihren Wohnsitz und bietet den Zeugnissen der Menschheits-Entwicklung Raum. In vielen Arbeiten erweitert Strege Naturraum und Kulturraum durch die Beifügung des Laptops und des Postwertzeichens um den Faktor Internet und seinen material-gestützten Vorgänger.
Der klassische Bestand an Kunstwerken, an Gemälden und Plastiken, die im musealen Rahmen normalerweise anzutreffen sind, wird dabei in Streges Bildern häufig gegen monumentale Briefmarken ausgetauscht oder durch Briefmarken ergänzt. Inhaltlich lässt sich diese bildnerische Intervention als deutliche Unterstreichung des kommunikativen Wesens von Kunst verstehen. Sie will eine Brücke von den Bildungs-Gütern der Hochkultur zur Volks-und Alltags-Ästhetik schlagen und soziale und kulturelle Grenzen überwinden.
Im Museum erhält der Mensch als Wesen, das trotz der Einsicht in seine Begrenztheit, durch Zeit und Wissen nach Ganzheit und Vollkommenheit strebt, sein institutionelles, bauliches Äquivalent. Hier akkumuliert gesellschaftliches Wissen um die Herkunft des Menschen aus Natur und Geschichte und die dadurch bedingte Zukunft. Die Lücke, das Scio Nescio, erhält in der gedämpft roten Leer-Fläche ihr bildnerisches Symbol.
Strege reflektiert vorrangig deutsche Geschichte der vergangenen 150 Jahre, es tauchen Motive aus dem Kaiserreich im bürgerlichen 19. Jahrhundert auf, ebenso wird Kontakt mit der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit im geteilten Deutschland aufgenommen. Es geht um politische Sternstunden. Auf dem Weg zur Einheit des Landes, auf dem Weg der Demokratie.
Doch der persönlichen Sammlung an Erinnerungsstücken, den Privat-Museen, die es in jedem Haushalt gibt, wird ebenfalls Beachtung geschenkt.
Auch bei der privaten Reliquie gilt, dass ihre Bedeutung verblasst, wenn sie keine interpretatorische Auffrischung erhält. Man erzählt sich Geschichten.
Die formalen Mittel, in denen Streges Betrachtungen zur Anschauung kommen, sind eine collage-artige Bestückung der gemalten Präsentations-Räume mit visuellen Bedeutungsträgern aller Art, dabei treten die Personen, Bilder, Objekte, Abzeichen, Fahnen und sonstige Devotionalien, die alle frisch vom Flohmarkt der Historie kommen, dem Collage-Prinzip entsprechend in keinen unmittelbaren Kontakt miteinander. Die Aussage, die diese Darstellung in der Betonung des Offenen und Unfertigen nahelegt, könnte folgende sein: Geschichte muss stets neu angeeignet und erzählt werden. Man erzählt sich immer wieder die gleichen Geschichten, aber es sind niemals dieselben.
Mit diesem Aneignungsprozess, der dem Vergessen entgegentritt, beschäftigt sich eine eigene aus den USA kommende Kunstform aus den 1970er Jahren, die Appropriation Art, die sich auf vorgefundenes ästhetisches Material stützt. Wenn Strege Jacques Louis Davids „Schwur der Horatier“ zitiert, das Schlüsselbild der vorrevolutionären Zeit vor 1789, das eine leitbildliche, heute nicht mehr ermessbare Wertstellung hatte, oder Bilder von Hopper, Courbet, Piloty unter dem Vermerk „Reloaded“ in seinen Kompositionen aufnimmt, dann verfährt er ähnlich, mit einem bedeutsamen Unterschied:
Elaine Sturtevant malt die Originale von Rauschenberg und Warhol so „original“ ab, dass sie vom Original nicht zu unterscheiden sind, und macht damit die mythische, historisch bedingte Struktur des Originalitäts-Prinzips kenntlich.
Strege dagegen adaptiert das Original, das heißt, er kopiert es nicht 1:1, er malt es in seine eigene Malweise ein und macht die Differenz zwischen dem Original und dessen bildnerischen Wiederholung augenfällig. Diese Differenz wird hier zum Hauptmerkmal des kulturellen Vermittlungs-Betriebs und der Hermeneutik, die Zukunft mit Herkunft verbindet.
In Streges Arbeit verbildlicht somit schon der Akt des Malens selber den Umstand, dass die Wahrheit stets über jedwede Perfektion hinausgeht, über die stilistische Vollkommenheit der Wirklichkeits-Widergabe allemal. Was Suchern der Wahrheit gewährt wird, ist eine tastende Annäherung. Das ist das Bleibende. Die Metapher dafür ist der stilistisch heterogene Schwebezustand, eine Irritation, mit der uns Streges Arbeit immer wieder aufs Neue herausfordert.
Besten Dank
Wolfgang Herzer