Das allerletzte Prof. Winkler Stipendium
Organisiert von Thomas Winkler, Emanuel Seitz und Wolfgang Herzer im Auftrag der Firma Friedens-Siemense & Co in Weiden,
Jubiläumsbier zum 20-jährigen Bestehen des Kunstvereins von der Gambrinus Brauerei Weiden.
22.03.—21.04.13
Info
Eröffnungsrede
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde des Kunstverein Weiden,
20 Jahre gehen wir schon miteinander, einige von Anfang an, durch Dick und Dünn, wie man so sagt, wenn einem zur genaueren Bestimmung der Sachlage die Worte fehlen und bei Kunst gehört das ja praktisch zur Natur.
... die Überreichung des Stipendiums
Wie ich vor zwei Tagen in Bayern II, im des Künstlers geheimen Bildungskanal, gehört habe, erfordert Kunst Ambivalenz-Toleranz, ein Wort sperrig wie ein Burgtor-Schlüssel. Das heißt, der passive Betrachter ebenso wie der partizipatorisch aktive Teilnehmer, muss es aushalten wollen, dass normale Dinge auf einmal etwas anderes bedeuten, als man gewohnt ist, und, um eine solche sinnentleert erscheinende Situation, in der sich keiner mehr auskennt, produktiv zu meistern, bedarf es der: , wie der Philosoph Odo Marquard sagt, jetzt kommt eines meiner Lieblings-Burg-Tor-Schlüssel-Wort: Inkompetenz-Kompensations-Kompetenz.
Mit dieser ausgestattet wird uns das Unterwegssein durch Dick und Dünn zur höchsten Lust.
Diese zähe Dick-Dünnheit, die das Ganze unserer Kunstvereins-Geschichte, das sich im Rückblick runden sollte, leider auch am Festtag nicht aus dem Bruchstückhaften, nicht aus der Zersplittertheit expressionistisch
aufgestoßener Fenster freigibt, war unser treuester Begleiter.
Ich glaube, wir haben uns daher wirklich das Prof-Winkler-Stipendium verdient.
Dass wir in unserem Jubiläumsjahr als Vergabe-Stätte des namhaften Stipendiums firmieren können, ist eines der Glanzlichter, die für uns das Bild unserer 20 jährigen Arbeit vollenden.
Eine Würdigung für das fröhliche Aushalten-Können paradoxer Zustände wie den der Schönheit, die von Innen kommt, ohne dass man weiß wie sie da rein gekommen ist.
Außerdem ist das APWS ein Zertifikat in Sachen Weltoffenheit.
Aus Leipzig, Berlin, Paris, New York, Wien und anderen Weltstädten kamen die Einsendungen zur Begleit-Ausstellung und erfreuten wie Geburtstags-Päckchen den Jubilaren.
Insgesamt stellen mindestens 100 Künstlerinnen und Künstler aus, ich freue mich riesig, dass auch mein alter ewig nicht mehr gesehener Studienkollege aus München, Aribert von Ostrowsky darunter ist, ihnen allen ein Riesen-Dankeschön fürs Dabei-Sein und Mitmachen: Da sind Sie: Bitte Applaus!
Rikke Aamann, Niko Abramidis & NE, Julia Abstaedt, Anne-Katrin Ahrens, Sezin Aksoy, Michelle Alperin, Klaus Auderer, Quirin Bäumler, Daniela Bellm, Anne Bentrop, Olivia Berckemeyer, Michael Biber, Anaïs Bigard, Sarah Bohn, Christophe Boursault, Sonja vom Brocke, Roland Burkhart, André Butzer, Anna McCarthy, Andreas Chwatal, Aleksander Cigale, Ben Cottrell, Robert Crotla, Katharina Daxenberger, Gürsoy Dogtas, Adrian Duceac, Hedwig Eberle, Andrea Eckert, Michaela Eichwald, Peter Engl, Tine Furler, Flesh G, Rita German, Fred Gerner, Andrew Gilbert, Milan Grbovic, Mariola Groener , Thomas Groetz, Philip Grözinger, Hannes Gumpp, Max Gumpp, Michael Hackel , Doris Hahlweg, Ole Hartmann, Matthias Hesselbacher, Brigitte Hese, Lisa Herfeldt, Secundino Hernandez, Bärbel Hornung, Irmelin Hoffer, Andy Hope 1930, Marcel Hueppauff, Leonhard Hurzlmeier, Peter Jacobs, Sven-Åke Johansson, Franka Kaßner, Peter Klare , Simon Kraus, Ludwig Kreutzer, Thomas Knapp, Josef Knoll, Maja Körner, Markus Krug, Isabelle Kurz, Peter Langer, Leo Lencsés, Stefan Lenhart, Tassilo Letzel, Dennis Loesch , René Luckhardt, Silke Markefka, Andreas Mayer, Annabelle Mehraein, Florian Meier , Michele Di Menna,
Zoë Claire Miller, Seda Mimaroglu, Jan Muche, Uwe Müller , Kaori Nakajima, Joe Neave, Annekathrin Norrmann, Aribert von Ostrowski, Julia Pfaller, Julja Pfeiffer, Thomas von Poschinger, Roseline Rannoch, Berthold Reiß Rokke, Anne Rößner , Katrin Rother, Georg Schatz, Ralf Schauff, Hank Schmidt in der Beek , Rouven Schmitt Hersfeld, Fabian Schubert, Emanuel Seitz, Maximilian Seitz, Markus Selg , Marille Singer, Tom Sora, Thomas Splett, Spomenko Skrbic, Dominik Steiner, Lorenz Straßl, Frank Stürmer, Agnieszka Szostek, Clement Tagney, Julian Taupe, Stefan Thater , Hans-Peter Thomas, Alexi Tsioris, Alfred Ullrich, Elina Uschbalis, Nikolai Vogel, Markus Voit, Raul Walch, Johannes Tassilo Walter, Raphael Weilguni, Mo Whiteman, Thomas Winkler, Dominic Wood,Martin Wöhrl, Uli Wulff, Saskia Zimmermann, Jakob Zoche, Uli Zwerenz.
Das Stipendium, in dessen Genuss der Kunstverein und die Seinen heute gelangen, existiert seit Mitte der 2010 - er Jahre, als der KV aus einem ambulant-spaziergängerischen Gefüge diverser Weidener Ausstellungs-Räume in die Ledererstrasse umgezogen war, aus dem Dünnen ins Dicke, könnte man sagen, in ein Haus, das 2005 aus seinem Par-Terre das Neue Linda gebar.
Damals wussten wir noch nicht, dass sich unsere Wege kreuzen sollten, gleichwohl Robert Hammer damals schon eine langjährige, über den Cousin Quirin Bäumler eingefädelte Freundschaft mit Emanuel Seitz verband, den wiederum eine Freundschaft mit Thomas Winkler verband.
Aber zwischen Robert und Emanuel ging es damals mehr um das Savoire-Vivre, die Verbindung von ländlichem Leben und Boheme und um die Leidenschaft für`s Angeln und Jagen. Manuel war mittlerweile ein Schüler von Günter Förg an der Akademie München und wie Thomas Winkler Künstler der Münchener Galerie Christine Mayer. Deren Leiterin, Christine Mayer, möchte ich an dieser Stelle aufs Herzlichste begrüßen.
Der Kunstverein schob sich noch fernab jedweder institutioneller Petrifizierung aber parallel und querbeet zu den lokalen und regionalen Institutionen in die Zeit und ins Ansehen, ein Gemenge unterschiedlichster Individualismen war das, die die Liebe zur Kunst und die Liebe und die Freundschaft und johannisfeuerartige Begeisterungs-Ausbrüche zusammengeführt hatte, auf der Suche nach der sozialen Form und der Gruppen-Identität, die chronische Unterbezahltheit durch Lebensqualität ausgleichen würden : Dass mit einem Mal 20 Jahre um sein sollten, traf uns hammerhart. Dass wir das Tun von also 20 x 365 Tagen zu etwas kompakt Zwanzigjährigem kondensiert, verdichtet, gestaltet, akkumuliert, aufgehäuft haben sollten, traf die Achillesferse des Bewusstseins, die gerne ewig so jung und jugendlich weitergelaufen wäre.
Von einer Aktion zur anderen, von Ausstellung zu Ausstellung, von Anfang zu Anfang, von Idee zu Idee, von Begegnung zu Begegnung, von Geschichten zu Geschichten, plötzlich stand die Achillesferse am Ende der Geschichten, vor etwas ganz Anderem, machen Sie keine Geschichten, Hände hoch, Ausweiskontrolle, hier beginnt die Geschichte, die Histoire! Wie geht es weiter?
Dass da den Kunstverein ein Angebot aus
der Kunstwelt erreichte, über Manuel Seitz und Robert Hammer, in Weiden die Verleihung des allerletzten Prof-Winkler-Stipendiums durchzuführen, hatte den Charakter einer himmlischen Fügung, so kann man es empfinden, als etwas aus dem Nichts Hereingeschneites und vielleicht taut es nicht gleich wieder weg.
Das Prof. Winkler-Stipendium ist eine außer-institutionelle Würdigung von Leistungen des Geisteslebens, die wie keine zweite die Kategorie der Dick-Dünnheit und das Augenblicks-Ketten-Hafte des Lebens mit dem Bleiben-Wollen und dem Ewigkeits-Anspruch etablierter, aber kalter, ja tiefgekühlter Einrichtungen des öffentlichen Lebens verbindet, letztere bestehen aus Rädchen und Rädern, die ständig neue Räder und Rädchen produzieren, wie man weiß, während es sich bei den Einrichtungen der Dick-Dünnheit um Fäden und Fädchen handelt, aus denen sich Patchworks und Netzwerke weben. Warme Sachen also, die Wolle dazu stammt von Ariadne, der Mutter des Labyrinths. Der Rote Faden fehlt.
Oder anders gesagt und das müssen Sie sich jetzt kursiv gedruckt vorstellen: Das Prof. Winkler Stipendium ist Kunst, die auch den sozialen Verbund, die Mechanik der gesellschaftlichen Status -
Produktion thematisiert, diese Orientierung im zeitgenössischen künstlerischen Geschehen, die im Du-Mont Begriffs-Lexikon in die Kategorien Teamwork und Selbstorganisation und Institutions-Kritik sortiert wird, schafft ein Vorstellungsbild, in dem der metallisch harte Apparat, der unsere Rollen und Muster nach Maßgabe ökonomischer Effizienz-Steigerungs-Maßstäben fabriziert, schmuseweich wird, es entsteht die Vorstellung von einem Gemeinschafts-Leben, das auch seine Hard-Faktoren, das geordnete rational-rationelle Funktionieren in die Prozesse spontaner zwischenmenschlicher Selbst-Organisation eingebettet sieht.
Als ich den Programmablauf las, den mir Prof-Winkler zusandte, und auf die Stelle: „Festrede: Doppelpunkt: Wolfgang Herzer“ stieß, erschrak ich, der Geschichten-Erzähler, wie oben schon angedeutet. Ist es also soweit? Dass man Festreden hält! Muss das sein? Wir sind doch erst mittendrin, ist denn schon Land in Sicht? Mein Gott!
Oh Kon Tiki! Eine Festrede, was ist das überhaupt für ein Wort? Ich kann mich nicht erinnern, in meinem ganzen Leben dieses Wort einmal verwendet zu haben, dieser Wort-Hinweis auf eine Sache, die mit all den fest im öffentlichen Leben verankerten Institutionen essentiell verbunden zu sein scheint, fehlte in meinem Wortschatz. Jetzt ist es drin, treibt sein Unwesen, passt offenbar rein und will wissen, wie. Wie ein Stein im Schuh.
Hans Georg Gadamer, der große Hermeneutiker, der viel über das Sagen über und durch Kunst gesagt hat, beschreibt Kunst als Triade aus Symbol, Spiel und Fest, und sagt dabei nichts über die Festrede, wenn ich mich richtig erinnere, er sagt viel über Rhetorik, das freie und angemessene Sprechen, Cicero lernte sprechen mit einem Stein unter der Zunge.
Und Anderes ähnlicher Art scheint auch keinen festen Platz zu finden, scheint in meiner Denkungs-Art einen dekonstruktivistischen Wanderplatz bekommen zu haben, gleichwohl es aus ganz nachhaltigen Berührungen mit dem Fest-Eingerichteten entstanden war und in der Berührung mit der Institution wächst und gedeiht, die ganze bunte Mischung, wenn man genau hinsieht:
Mitgliedschaft und früher auch Vorstandschaft im Stadtmarketing-Verein, Einrichtung der Weidener Galerie-Nacht „Kunstgenuss“ bis Mitternacht, Gründung der Kulturkooperative Oberpfalz KoOpf, den Jugend-Kultur-Preis des Bezirks 2005, den bayerischen Kulturpreis 2011, Christ-Kindl-Stand auf dem Christkindl-Markt 2012, und dank meiner Staatsdienerschaft hatte die Oberpfälzer WAA-Widerstands-Szene der 1980er Jahre - und die Kultur- Szene der 1990er Jahre in mir eine Stimme, die der Bürgerpflicht zur Unruhe und dem Hang zur schöpferischen Unruhe gelassener als andere nachkommen konnte, da ließ sich leicht Fels und Sockel spielen, ohne Angst vor Kündigung und allzu großer Repression.
In all dem ist vieles beinhaltet, das zum Fest-Akt-Haften und Fest-Reden-Halten animieren könnte, doch dem gegenüber manifestiert sich seit jeher eine hartnäckige Resistenz. Seit Jahren versuchen wir, vor allem Robert und ich, ein Straßen-Fest zu organisieren, ein Akt der Anwohner-Gemeinschaft, der Mitglieder und Besucher-Gemeinschaft, die Ledererstrasse sperren lassen, fluten, damit Gondeln verkehren können, am Ende der Strasse Bühne und Band, die Miniatur eines Haight-Ashbury 1968, dem Summer of Love in San Franzisko.
Eine Menge Fantasien animieren immer wieder, locken zum Darüber-Hinwegsehen durch das Schaufenster auf die Strasse, der Fußboden in der Kneipe müsste gewischt werden, die Tage vergehen, das Wort Festrede war mir noch nie über die Lippen gekommen, was bringt das Morgen, Festrede klingt so endgültig, klingt wie Festnehmen, Hände hoch, Ausweiskontrolle, Arbeitsdienst!
Das am Schaufenster Geträumte passiert nicht, wie auch, wenn`s im Linda fast jede Nacht aufs Ganze geht, das ist harte Unter-Bewusst-Seins-Welt-Arbeit, die dadurch um so deutlicher ins Bewusstsein tritt, dass sie in unmittelbarer räumlicher Verbindung mit den nachts offenen, hell erleuchteten Ausstellungsräumen und den in ihnen enthaltenen Sublimationen durchgeführt wird.
Es ist trotzdem oder vielleicht gerade deswegen viel los, in dem Sinne haben wir uns bei der Gambrinus-Brauerei, Weidens letzt-verbliebenen Brauerei, ein Jubiläums-Zoigl abfüllen lassen, ein lang gehegter Wunsch geht in Erfüllung, Prof. Winkler hat die Flaschen etikettiert, vielleicht steckt in all dem und in der Art, wie wir es machen, ein anderes Prinzip, ein Prinzip, dem das Große im Kleinen genügt, das die Ewigkeit im perfekten, vollendeten Augenblick weiß.
Hatte ich vielleicht schon einmal Festreden-Artiges von mir gegeben, en miniature, aus Versehen, reingestolpert, zur Ehre des unbekannten Sandkorns am Strand der Ewigkeit?, der Stein im Schuh drückt die Achillesferse, bin ich früher schon einmal 65 gewesen?
Dasselbe Problem mit dem Fest, ohne dass dabei der Begriff Festrede in der hier so penetranten Art aufgetaucht wäre, hatten wir 2003 zum Zehnjährigen, da hatten wir gerade die erste Staffel unseres Nachwuchs-Förder-Programmes durch, statt der Ankunft- und Gelingens-Signale der Blasmusik gab es eine ausstellungsraum-große Dokumentation über alles, was bisher geschehen war, im Gewölbe in der Spitalgasse und in der hier von Robert und Claus ausgebauten Halle, sehr vernünftig, sozusagen waren die zehn abgestoßenen Treibstoff-Stufen einer Rakete zu sehen, und wir trommelten den Start der nächsten Nachwuchs-Staffel an, setzten auf die Jugend, vielleicht weiß die dann mehr, wenn es soweit ist. Eine Festrede braucht System, das fehlt hier weitgehend, auch wenn die Raketen-Metapher ein solches suggerieren mag.
Muss das bekümmern, muss es besser werden, fragen wir Professor Winkler!
Im Rückblick sieht man, dass aus dem unsystematischen, von Verlangen und Sehnsucht getriebenen Zusammenfinden bestimmter Fäden und Fädchen, den Existenz-Spuren bestimmter Personen, dem Wirken soziologischer Strings, sieht man, so man sehen kann, dass aus dem etwas geworden ist, das vor 20 Jahren noch nicht vorstellbar war, gleichwohl es damals schon als geistiger Gegenstand spürbare Präsenz hatte,
und das, auch wenn die Außensicht anderes sagt, in seinem Kern absolut unsystematisch ist und dem entsprechend unvorstellbar bleibt.
Umfragen nach weiß gut die Hälfte der Weidener nichts von der Existenz dieses Kunstvereins und von der Kennerhälfte hat die Hälfte den kolossalen Starenkobel im Hausgiebel noch nicht wahrgenommen.
Dieses Phänomen Kunstverein zu nennen, oder Stadt-Galerie, wie wir es eine Zeit lang taten, Leit-Einrichtung 200-jähriger deutscher Bildungstradition, reale soziale Institution und Ort in der Welt der geistigen Gegenstände, trifft die Essenz nur zum Teil, es ist unvorstellbar viel passiert, uns passiert, mit uns passiert, unvorstellbar viel und reich ist gelebt und erlebt worden, lenkt man den Fokus aufs Leben, aber etwas Genaues, Abschließendes weiß man nicht,
das ist seine Natur, wir sind immer noch unterwegs, auf dem dünnen, unfesten Boden des Flüchtigen, der für das Gewicht von Festreden nicht ausgelegt und fest genug ist, dem Nährboden der Kunst.
Es bleibt bei Geschichten wie dieser, der Geschichte vom Stein auf der Suche nach seinem Platz im Schuh.
Und wie Seine Wanderung unterbrochen wird:
Hände hoch, weg vom Schnürsenkel,
Ausweiskontrolle,
Festnehmen, Festreden,
und wie der Stein plötzlich begriffen hatte, was zu erwidern ist:
was soll das, wo sind wir denn, doch wohl im Land der künstlerischen Freiheit, da gibt es kein Festreden, da gibt es Freireden.
Von dieser Art gibt es im Kunstverein Weiden viele Geschichten, jeder könnte eine Geschichte mit Stein im Schuh erzählen, eine Geschichte, die gegen den universellen Satteldruck der Festrede bockt, und dass sie das tut, ist gut.
Darauf ist das APWS eingerichtet und hat die Rubrik Lesung ins Programm aufgenommen, so können Festreden durch das Vorlesen von Geschichten ersetzt werden. Sehr flexibel!
Und nachdem das Problem mit der Festrede geklärt ist, könnten wir eigentlich aufhören.
Oh, Nein, rufen da die Kinder, erzähl uns doch noch eine Geschichte. Na gut. Ich erzähle Euch viermal was Kurzes, für jede Himmelrichtung eines, damit Ihr wisst, was für mich eine Geschichte ist und vielleicht bekommt Ihr dann selber Spaß am Erzählen.
Geschichten sind emotionale Energiespeicher, Fett, das die Seele braucht, und das Erzählte bleibt im Sinne einer sinnlichen Vernunft oder ästhetischen Rationalität, wie der Philosoph Wolfgang Welsh sagt, dicht an den Dingen, wahrt ihre Würde, die in der Verallgemeinerungen des Erkenntnishimmels gerne verloren geht, denkt aus ihrer Einzigartigkeit und Erdgebundenheit heraus über sie nach.
Die ersten zwei Short-Stories haben historischen Charakter und werden von meiner Inneren Stimme memoriert, wenn der Wille zum Weitermachen schwächelt.
Die zwei anderen sind von programmatischer Art und helfen beim Zweifel am Kulturbetrieb.
Die erste Geschichte ist die, in der es darum geht, wie das war, damals, als Robert und ich der Frage nachgingen, wir kannten uns gar nicht richtig, kamen uns wie zwei in Zeitlupe fallende Fischli-Weiß-Objekte näher, ob es eine erforschte Oberpfälzer Kunstgeschichte gäbe, ich war zu dieser Zeit der Ausstellungsmacher der Futura 87 in Windischeschenbach und hatte irgendwie regionalgeschichtliches Kultur-Gut-Blut gerochen, seit zwei Jahren war der Eiserne Vorhang gefallen, und da saßen wir nun im Eismosena in der Schulgasse, das es auch nicht mehr gibt, vorausgegangen war die schicksalshafte Begegnung mit seiner Schwester bei einem Jeff-Beer Konzert in Tirschenreuth, Jeff sprang zwischen seinen Klang-Objekten herum, was mich wahnsinnig vom Klang-Erlebnis ablenkte, und als ich meine Augen schloss, um den gefeierten Künstler zu erleben, sah ich auch nur wieder, allerdings in wesentlich anziehenderer Gestalt, Menschlich-allzu-Menschliches: meine ehemalige Schülerin, die Kunstgeschichte studiert hatte und am Erlanger Kulturamt tätig war, wertvolles Know How, wie sich herausstellen sollte, ohne das in Weiden alles anders gekommen wäre...
Die zweite Geschichte ist die, in der es darum geht, wie Anastasia meine Bitte, nicht zu schreiben ignorierte und im NT die Peinlichkeit öffentlich machte, dass der KV diesmal keinen ersten Vorsitzenden hätte wählen können, der hätte in der immer wieder an ihm beobachteten autoritär- hierarchischen Art sauer den Saal verlassen, und darauf hin war ein Anruf gekommen, beim Heimkommen blinkte der AB im dunklen Büro festlich wie ein Weihnachtsbaum, da würde jemand sehr gerne diesen Posten übernehmen, sympathische Frauen-Stimme, aber für mehr war kein Platz auf dem AB-Speicher gewesen, da war dann banges Warten gewesen, und es war Silke gewesen, die endlich noch einmal anrief und seitdem das Kunstvereins-Schiff durch das Meer unserer Geschichten manövriert und selber viele Geschichten erzählen könnte, wie all die vielen vielen vielen anderen seit 1993, die wie die fleißigen Bienen den Honig ihr Know How in die heterotopen Funktions-Waben des Kunst-Honig-Bienen-Stocks in der Ledererstrasse 6 eingebracht haben.
Die dritte Geschichte ist die, in der es darum geht, wie der 1954 mit sechs Jahren aus dem Hohen Norden Zugereiste, ich, die Oberpfalz und ihr Institutionswesen kennen und an ihm teilnehmen und teilhaben lernte.
Damals waren es vor allem Kirche und Schule, die das kindliche Gemüt prägten und nach ihrer Maßgabe bildete sich ein Stückweit mein Festbegriff, und vielleicht ist das ja auch ein bisschen Ihre Geschichte, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde.
Ich wuchs in Wöllershof auf, einem Oberpfälzer Extra, dem Lungensanatorium, das eine Welt für sich war, die Kirche war im Wöllershofer Festsaal untergebracht, dem zentralen Kuppelbau, dessen Anblick mich von Weitem jedes Mal Jerusalem denken ließ und in dessen Innerem der Schmuck des liturgischen Jahres und der Oberpfälzer Flora mit einem zwei Stockwerke hohen Glasfenster zur ästhetisch-ökumenischen Einheit verschmolz, da war eine antike, feingliederige Person mit Flöte abgebildet, in diesem Glas-Fenster-Bild, das mit seiner imponierenden Darstellung alle andere Symbolik im Raum übertraf, wurde Messe für Messe in glühenden Farben die heidnisch-traurige Liebes-Geschichte von Orpheus und Eurydike miterzählt, zuzusagen in einer Stumm-Film-Version, der die weiter führenden Worte aus den katholischen Gottes-Dienst-Texten in den Mund gelegt wurden.
Ist das nicht schön!
Die vierte Geschichte ist die, in der es darum geht, dass ich in den 1960er Jahren Fahrschüler war und jeden Tag mit dem Omnibus nach Weiden fuhr, wo das hirnhungrige Augustinus-Gymnasium auf mich wartete, mein Gott, ich war so schlecht in der Schule, und ich hatte auf all diesen Fahrten nur den einen Wunsch, es möge etwas Außergewöhnliches passieren, während die anderen in den Bus gepferchten Kinder und Jugendlichen herumtobten und den Busfahrer und den Kassierer auf die Palme brachten, wünschte ich, und es half, auf diese Weise lernte ich die Volksweisheit zu begreifen, dass man die Feste feiern solle, wie sie fallen.
In der letzten Sitzreihe war ein so fester Druck auf einen Schüler ausgeübt worden, dass das seitliche Fenster, gegen das der Schüler gedrückt worden war, heraus fiel, die Böschung hinunter sprang und im Gras verschwand. Fest und Fallen.
Als der Bus unter den Rufen „Fenster raus!“ stoppte, hatten der Fahrer, der wegen seines roten Kopfes Weihnachtsmann gerufen wurde, und der Kassierer, der immer Quark sagte, wenn ein Schüler was sagte, viel zu tun, der Bus stand, die beiden Männer eilten davon, die Zeit verging und aus Fahrzeit wurde Festzeit, die Schülerinnen und Schüler kletterten aus dem Fenster, weil auch in ihren Köpfen Fenster aufgestoßen worden waren.
Und jetzt wollen Sie vielleicht auch wissen, wer dieser Prof. Winkler ist, der aus unserem Kunstverein mit seinen vielen mitgebrachten Bildern einen Omnibus macht, und welche Bewandtnis es mit dem Stipendium hat, nachdem Sie bis hierher mitgespielt haben.
Der 1972 in Ostfildern
geborene Thomas Winkler lebt und arbeitet in Berlin, er studierte Visuelle Kommunikation, wandte sich nach dem Studium der Werbung zu, wo er einige Jahre lang erfolgreich tätig war, ohne dabei seine künstlerischen Absichten zu vernachlässigen, sein Gambrinus-Etikett kam in der Brauerei sehr gut an, Respekt!, Werbung und Kunst verbinden sich für ihn in der Formel „Kritik durch Affirmation“, eine Einstellung, die seit der Pop-Art ein bestimmender Bestandteil westlicher Kunst ist, in der Kunsttheorie ist sie auch unter dem Begriff der Institutions-Kritik auffindbar, hier werden der Betrieb des Kunstbetriebs und seine besondere Formen der Sinnstiftung selber zum Gegenstand künstlerischer Darstellung gemacht.
In seinem Studium befreundete sich Thomas Winkler mit dem Künstler Andre Wutzer, mit dem er auch heute noch zusammenarbeitet.
Für ihn selber Richtung weisende Künstler sind On Kawara, Dan Graham und der Situationismus-Begründer Guy Debord, die sich mit den Aspekten des Labyrinthischen der Lebenswelt und der unwiederholbaren Zeitpunkthaftigkeit des Daseins befassen.
Winkler ist ein Multitalent: dabei treten aber die unterschiedlichen Medien, die er verwendet, Performance, Malerei, Fotografie und seine Singer - Songwriter - Musik letztendlich in den Dienst am Augenblickhaft-Atmosphärischen zurück, das bei Winkler ausdrücklich dem Wertebereich des Sozialen und Gemeinschaftlichen entspringt.
Da geht es um das Festhalten von besonderen Augenblicken vor allem in ihrer Eigenart als Zeitpunkte, weniger in der als Ereignisse, Winkler verwendet tagebuchartige Fotografien, die er nach dem Zufalls-Prinzip ausgewählt, er fügt sie in ein besonderes Posterschema aus 7 einzelnen Querformaten und 1 aus der Reihe springenden Hochformat ein und kommentiert sie dort vorrangig als Zeit - und Orts-Kennzeichen einer allumfassenden Daseins-Bewegung.
Diese Foto-Poster dienen weiterführend als Vorlagen für Farb-Feldmalereien, hier wird die fotografische Ausdifferenzierung des Films, den man Realität nennt, in acht Standbildern durch analog acht farbräumliche Darstellungen ersetzt, die als Bilder der Synthese einer Fülle gleichwertiger Ereignis-Möglichkeiten zu lesen sind.
Winkler schreibt dazu selber:
„Obwohl diese Gemälde für mich eine Art Zusammenfassung und Endpunkt aller existierender Farbfeldmalerei darstellen, geht es nicht ausschließlich um das Medium Malerei selbst, sondern um soziale Dokumentation, Leben, Freiheit etc. Um Momente also, in denen sich das Leben aus sich selbst heraus erneuert. Meine Kunst soll eine Art universelle Werbekampagne für diese schönen Momente sein, die hoffentlich immer zahlreicher werden.“
In diesem Sinne organisiert er seine Ausstellungen häufig als Performances, vielleicht aus dem Geiste Marcel Broodthears, die sozialen Bezüge der Kunst werden in der Kunst mit bedacht, hier als Werbeveranstaltung für den schönen Moment, dabei weitet er den Wesenszug der Kunst als ständige Transformation von Wirklichkeit in Spiel auf den ganzen Lebens-Bereich Kunst aus. Das anthropologische Modell, das hier wirksam wird, verwendete explizit auch schon der Internationale Situationismus, es ist der Homo Ludens, der Mensch als ein in seiner Grundbestimmung spielendes Wesen, das die Entwicklung seiner Fähigkeiten nur über das Spiel vorantreiben kann.
Die Galerie, eine der Wohnstätten von Freigeist und Homo Ludens, füllt sich mit dem Schauspiel eines unakademischen Akademismus, bei dem es Stipendien, Proklamationen und Titel gibt, und ein bemerkenswertes Ausschluss - bzw Einschluss – Kriterium: die Betriebs - und Ausstellungs-Teilnehmer müssen lediglich dem ständig größer werdenden Kreis seiner Freunde und Bekannten entstammen.
Sie gehören jetzt dazu.
Künstlerinnen und Künstler aller Länder vereinigt Euch.
Machen wir uns an die Arbeit
Die Schönheit kommt von Innen.
Nur wie kommt sie da hinein.
Das wollen wir heute herausbekommen.
Ich denke, es liegt an ihrer Dick-Dünnheit,
die dank Gambrinus in diesem Behältnis
– der Festredner hebt die Halsflasche mit dem Weidener Zoigl von Gambrinus –
seine ideale Sinn-Form erhalten hat.
Fröhliche Wissenschaft, so macht sie Spaß.
Wolfgang Herzer