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Den geistigen Denk-Raum, in dem Objekte zu Kunstwerken werden und das Licht neuer Sichtweisen scheint, muss der Betrachter selber herstellen, dabei ist er das berühmte Rädchen im Getriebe, hier im Kunstbetrieb, nutzt mehr oder weniger dessen Vorgaben, wandelt sie und reicht sie weiter. Die Art und Weise, wie das, was Thomas Wulffen 1994 im Kunstforum International als „Betriebssystem Kunst“ beschreibt, bei uns, im oberpfälzisch-fränkischen Raum funktioniert, ist ein Thema, das wir öfters schon berührt haben.
Wir wollen bei unserem Publikum durch mehr Informiertheit über die Zusammenhänge auch mehr Lust und innere Notwendigkeit zum Mitwirken wecken, nach dem Motto Beleben durch Erleben.
So ist es interessant, neben dem Berufstand des Künstlers und einigen Werk-Präsentationen auch die Tätigkeiten der Galerien, Museen, Vereinigungen und Vereinen, der Hochschulen, der Kunstkritik, der Medien, der Kuratoren und nicht zuletzt das Wirken der Käufer und Sammler in den Fokus zu rücken, die ja vielleicht den entscheidendsten Beitrag zum Thema „die Brotlosigkeit in der Kunst“ liefern.
In diesem Sinne präsentieren wir 2014 die Sammlung Appelt und das „Kunstpartner-Kaalender-Projekt“ aus dem „Kartenhaus-Kollektiv“.
Hört man das Stichwort Kunst-Sammlung denkt man als Kunstfreund und normaler Sterblicher gewöhnlich an Namen in der Größenordnung von Würth, Brandhorst und Defet und die damit verbundene soziale Grenzziehung und Exklusivität. Dass bei kleinem Budget große Qualität und außerdem schwellen-freie Exklusivität möglich sind, beweist das Beispiel Renate und Wilfried Appelt.
Die gelernte Chemie-Laborantin, Jahrgang 1948, stammt aus Waldsassen, der Gymnasial-Lehrer für Mathematik und Physik erblickte im Kriegs-End-Jahr 1945 in Reichenberg das Licht der Welt und wuchs im Raum Neustadt an der Waldnaab auf. Als Student an der TU München erlebte er die Anfänge der Informatik mit und erlag der Faszination einer Vision, die damals Science Fiktion war und heute als Internet längst schlichter Alltag geworden ist.
Für die Außenseiter ihrer Berufsstände, die sich an den harten Welten der Kristalle und der exakten Messungen eine magische und alchimistisch weiche Seite bewahrt hatten, war es das philosophische Gespräch, das sie ihre Zusammengehörigkeit entdecken ließ und zusammenführte. Als sie 1980 den Raum Tirschenreuth in der Oberpfalz verließen und sich in Leinburg im Nürnberger Land ein Haus bauten, mit einem Raum für Wilfried Appelts gesammelte Rechenmaschinen und einer kleinen Klapptür für die Katze, ahnten sie nichts von dem, was ihr Lebensplan werden sollte. Undenkbar, dass im Vorgarten einmal dieses nach den Peter-Behrens-Vorgaben gebildete rote Original-AEG-A stehen würde, direkt vom Dach eines Nürnberger AEG-Betriebs-Gebäudes.
Jetzt, rund 25 Jahre nach Beginn der gemeinsamen Sammler-Tätigkeit, die 1990 auf einer Ausstellung im Nürnberger Rathaus einsetzte, kündet es der Welt von ihrer Liebe und der Liebe zur Kunst.
Renate Appelt erlag 2005 einem Krebsleiden.
Der Titel unserer Ausstellung „Paar in Betrachtung des Mondes“ klingt stark nach Caspar David Friedrich, der Symbol-Figur der deutschen Romantik, das ist gewollt und nicht zu waghalsig. Denn mit diesem Titel ist nicht nur eine anrührende Referenz an die Appelts hergestellt, ebenso zutreffend bezeichnet er das besondere, romantische Sammler-Prinzip, ein Prinzip der Brechung, das die Sammlung Appelt einzigartig macht.
1990 begann es zufällig, mit dem Einer-Ansicht-über-Gott-und-die-Welt-Sein, wenn Renate und Wilfried kulturell unterwegs waren, hier auf einer Ausstellung in Nürnberg, und der überraschenden Entdeckung der Verkörperung ihrer Einmütigkeit durch ein Kunstwerk, es war eine kleine Papierarbeit von Peter Angermann, Titel „Federballspiel“, eine rasch hingeworfene Gouache, die nicht billig war, aber nichts konnte Renate und Wilfried Appelt trefflicher die zustimmende Gunst des Augenblicks und ihr eigenes glückhaftes Zusammenspiel spiegeln.„Das ist es!“ wurde gesagt, ein weiter Sprung von den Landschafts-Impressionen des Oberpfälzer Malers Hans Ringholz, auf die der Jugendliche Appelt in Neustadt in den 1960er Jahren hingespart hatte, und dieses Das-ist-es sollte im Laufe der folgenden 15 Jahre noch mehr als 1000 Mal gesagt werden.
Und wenn gesagt wurde, dass die Appelts da gewesen waren, auf den Jahres-Ausstellungen der Akademie Nürnberg, an der Wilfried Appelt jetzt seit sieben Jahren einen Lehrauftrag für das Seminar „ Umwelt und Produkt-Gestaltung“ innehat, in den Galerien, in den Ateliers der jungen, mittleren und älteren fränkischen Szene, dann war das in mehrerer Hinsicht eine gute Nachricht, ja ein Wunderbericht, da damit unabhängig von der Möglichkeit eines Ankaufs vor allem gesagt wurde, dass das für die Junge Kunst so wesentliche Prinzip Hoffnung eine dauerhafte, verlässliche Gestalt besitzt.
Der Innere Wert, der im ersten Kunstkauf 1990 anfühlbar geworden war, war die Ausgabe allemal wert gewesen, er hatte dem Vorgang auch einen bekenntnishaften Charakter gegeben. Dies und das hier erfahrene Erlebnis geistiger Anfühlbarkeit, die dem Qualitätvollen jenseits jedweder Analyse und Messbarkeit eignet, war es dann auch gewesen, das ein Verlangen nach mehr geweckt und ein Mehr notwendig gemacht hatte.
Dabei trifft der nun folgende Input in den Wohnsitz unter Leinburgs Einfamilienhäusern auf keine Tabula Rasa.
Man war schon am Einholen, Mitbringen, Sammeln, die Rechenmaschinen als Körper der kosmologischen Seele, die Katzen-Natur der vierbeinigen Lebensgefährtin macht neugierig auf ihre Wiedergabe in Porzellan, das sind Reminiszenz der Waldsassenerin an ihre Herkunft aus der traditionsreichen Porzelliner-Gegend und immer wieder findet der Trödel-Markt-Mehrwert von Unnützem und Zwecklosgewordenen bei den Appelts Asyl.
Mit den Neuzugängen aus der Welt kontemporärer Kunst beißt sich das nicht. Ganz im Gegenteil! Unter dem Motto „Alles, was schön ist!“ entwickelt sich die Sammlung zu einem ästhetischen Forschungsprojekt, zu einer Soziologie des Schönen, die die erkenntnistheoretische Meta-Ebene im dekonstruktivistischen Neben – und Miteinander von Kitsch und Kunst und Technik zum Gegenstand hat.
Harte Weltgrenzen werden weich.
Da sind Wandvasen seit den 1950er Jahren, keramische Glücks- und Exotik-Rhetorik in Tüten-, Horn-, Kelch-, Blüten- und Herz-Form, Wandmasken nicht nur mit dem Zigeunerinnen-Motiv, Rosenthalserien, Teller und Tassen verschiedenster Povenienz, Wald-und Wiese in Öl, Idyllen mit Heile-Welt-Kücken und Mädchen aus der Gartenlauben-Welt, gestickte Segenssprüche und Devotionalien, Schlafzimmer-Bilder und die brennenden Herzen Jesu, sie stoßen auf Malerei von Kevin Coyne, Peter Angermann, Dan Reeder, Harry Schem, Hans Peter Reuter und Werner Knaup und vereinen das Gemenge mit ausgesuchten Exemplaren aus den Höhen und Tiefen des deutschen Produkt-Designs, mit einem Ensemble von Lampen, Herden, Tischen, Stühlen, in das sich nahtlos und kunstgeschichtlich korrekt das Toiletten-Porzellan zu integrieren scheint.
Das ist vor der Eindruck, den ein Besuch im Zimmermuseum in Lauf vermittelt, in dem 2003 ein großer Teil der Sammlung untergebracht wurde. Gerne machten Studenten aus dem im Laufer Wenzelschloss bis 2012 untergebrachten Teil der Nürnberger Kunstakademie hierher, in die Matthes-Villa, einen Abstecher. 2014 ist die Besuchszeit insgesamt um, dem Sammler wurde gekündigt.
Was der Betrachter hier Lehrreiches antrifft, ist mehr als die Präsentation trivialer und komplexer Ästhetiken auf engstem Raum, die Vermischung fällt auf, sie ist nicht zufällig, sie ist experimentell und kreativ und wider das Vorurteil. Sie führt dem Betrachter eine in der Tradition der Romantik liegende Betrachtungsweise vor, in der sich unsere alltägliche Lebenswelt qua Kontext-Verschiebung und Ironie in eine Flucht von Wunderkammern und überraschenden Ein- und Aussichten verwandelt. Oder um es mit Novalis zu sagen: Hier erhält das Gemeine einen hohen Sinn, hier kommt dem Bekannten die Würde des Unbekannten zu, das Leichte gewinnt Gewicht, das Seichte findet Tiefe.
2000 kaufte das Ehepaar Appelt im Kunstverein Weiden eine Reihe Zeichnungen von Brigitte Konrad, die dem Zyklus „ Aus dem Bierzelt“ angehörten.
Um die Jahrtausendwende stößt diese ungewöhnliche Manifestation kreativer Kunstsinnigkeit auch auf öffentliches Interesse. Die Nürnberger Autorengalerie „Bernsteinzimmer“ lädt das Sammler-Ehepaar 2002 zu einer Ausstellung seiner Sammlung ein, deren Vorbereitung zur systematischen Bestands-Sichtung führt.
Die Einsicht ins Eigentliche, die im Ausstellungs-Erlebnis stattfindet, führt 2003 zur Anmietung einer Acht-Zimmer-Wohnung in Lauf.
Man wollte nicht mehr zurück, zurück hinter das Erlebnis, dass die innerbildliche Interaktion über den Rahmen bzw den Rand des Einzel-Objektes hinaus zur interbildlichen Interaktion in den Raum drängt und erst dort die Kunst zu ihrem Kunstsein kommt, im bewegten Mix und Wechsel der Ästhetik-Ebenen und Motivkreise entsteht Atmosphäre.
Der Raum wird zum ideellen Generator und Ideen-Transformator.
Eine weitere Dependance war die elterliche Wohnung von Renate Appelt in Waldsassen.
2009 folgt eine Ausstellung in einem der kulturellen Zentren der Stadt Nürnberg, der Halle 14 auf dem ehemaligen AEG-Gelände,
das 2007 mit seiner Schließung zur Industrie-Brache geworden war, die Initiative zum Verkauf und zur Neunutzung der Gebäude schloss analog zum Modell der Leipziger Baumwoll-Spinnerei den Faktor Kunst und Kultur als Werbe-Zug-Pferd ins Marketing-Konzept ein. „Auf AEG“, wie es nun seit 6 Jahren heißt, wurde so etwas wie ein Siegel, ein Markenzeichen für gewitzte kommunale Kulturpolitik, kreativen Unternehmer-Geist und innovative Grenz-Überschreitung, ein vielstöckiges Büro-Gebäude wird zum Atelierhaus umgewidmet, eine Fertigungshalle überholt in Verbindung mit weiteren Leer-Ständen an Größe alle anderen Ausstellungs-Räumlichkeiten der Dürer Stadt.
Die Halle 14 ist das Domizil der „Zentrifuge“, des rührigen Vereins für „Kunst Kultur Kommunikation“, dessen charismatischer Gründer Michaels Schels in der örtlichen Nähe von Kunst und Wirtschaft Chancen für Näherungen in Richtung Kommunikation und Kooperation sieht.
2009 liest man im Programm der Zentrifuge;
Halle 14, Astronauten zur Venus, Werke der Kunst & Technik aus der Sammlung Appelt
Zentrifuge, Halle 14 Auf AEG
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Die Ausstellung Appelt erweist sich als Kristall-Spiegel oben genannter Intention. Die in fünf Themenkreisen geordneten Exponate und das facettenreiche Beiprogramm mit Diskussionen, Führungen und Darbietungen gibt dem Veranstalter-Wunsch nach mehr Interaktion zwischen Politik, Wirtschaft und Kunst ein markantes Gesicht und die dazu passende Verkörperung.
Die Themenkreise, die die Kunsthistorikerin Dr. phil Amelie Himmel im dazu erscheinenden Katalog Appelts Vorarbeiten folgend herausfiltert und beschreibt, bringen das ganze emotionale und gedankliche Potenzial, das die Sammlung enthält, in eine blick-lenkende Zusammenschau. Sie bilden außerdem ein Material-Lager für künftige ausstellerische Glasperlen-Spiele, für die postmoderne Haltung, die die Dinge unter dem Gesichtspunkt ihrer Anschlussmöglichkeiten sichtet und wertet.
Im einzelnen geht es um:
1. das Verhältnis von Mensch und Natur, um die menschliche Eigennatur und die natürlichen Lebensgrundlagen,
2. das Thema Ecce Homo, die Ironie, die Betrachtung des Menschlichen, des gesellschaftlichen Miteinanders, seiner Zeitlichkeit und seiner Bizarrerien,
3. die Sehnsucht nach den Wonnen des Gewöhnlichen, Harmlosen, Lebendigen,
4. der Clash: Technik, Wissenschaft, Vernunft, Logik gegen das Unvorhersehbare, Zufällige, Unvernünftige, Irrationale
5. die Frau, das Gender, der Mythos, Wunsch und Wirklichkeit.
Ende des Jahres erwarb Wildfried Appelt das A aus der AEG-Buchstabengruppe, die während seines Aufenthalts auf AEG weithin sichtbar auf dem Flachdach eines der Betriebs-Gebäude gestanden hatte. Heute steht es vor seinem Haus in Leinburg, Namens-Zeichen und ein Stück deutscher Design-Geschichte.
Die von Peter Behrens, einem der deutschen Design-Pioniere, gestalteten Antiqua-Buchstaben mit den aerodynamisch weichen Seriphen, hatten hier vom Werden und Vergehen erzählt, dem alles, auch jahrhundertstarke Unternehmer-Dynastien anheim fallen, und vom Bleibenden, der Guten Form.
„Astronauten zur Venus“ war der Titel der Ausstellung, in dem die Momente Technik, Ferne und Liebe in eine romantische und auch ganz persönliche Verbindung kommen. Nachts über den Lichtern der Stadt wurde das A aus seiner Halterung geschweißt. Die Funken des Schweiß-Vorgangs, der den Großteil des Geschehens im Dunklen ließ, ließen an den Start einer Rakete denken.
Wolfgang Herzer