Zeitgenössische amerikanische Kunst
Aus der Sammlung Goetz / München:Caroll Dunham, Mary Heilmann, Jenny Holzer, Mike Kelley & Tony Oursler, Mike Kelley, Richard Prince, Jessica Stockholder
im Rahmen der 18. Weidener Literaturtage »Amerika - Symbol für Ferne und Freiheit?«
Leitung der Literaturtage: Kulturbüro der Stadt, Herr Bernhard M. Baron, Die Ausstellung wird unterstützt vom MEDIENHAUS DER NEUE TAG und dem Kulturbüro der Stadt Weiden
03.05.—09.06.02
Info
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde des Kunstvereins,
bei der Titelsuche für die kommende Ausstellung, die entsprechend unseren vorjährigen Mai-Aktivitäten im Rahmen der Weidener Literaturtage stattfindet, jetzt den 18ten mit dem Thema "Amerika - Symbol für Freiheit und Ferne?", ist die eigene Findigkeit gerne zurückgetreten. Wir haben die Sache, so wie sie ist, "appropriiert", nämlich als "Amerikanische Kunst aus der Sammlung Goetz".
Dem weltbekannten Namen des Privatmuseums am Rande der bayerischen Hauptstadt, das die Sammlerin Ingvild Goetz seit 1993 mit trendsensiblen Ausstellungen und Publikationen zum Rang einer Art kunstmetereologischen Instituts gebracht hat, empfanden wir, wäre in seiner Beredtheit nichts mehr hinzuzufügen.
Wir erlauben uns aber mit Verweis auf die eigene Rezeptions- und Oberpfälzer Grenzlandgeschichte einen Untertitel:
I like America and America likes me (Joseph Beuys).
Malerei und Zeichnung, Fotografie und Video, Installation und Assemblage, 24 repräsentative, vorwiegend mehrteilige Arbeiten von acht Künstler/innen der USA, die laut Taschen-Verlags-"Art at the Turn of the Century" zum Who is Who der Gegenwartskunst zählen, verlassen ihr Münchener Domizil, ein Meisterwerk des Architekten-Duos Herzog und De Meuron. Sie bringen der Freiheitsstatue, die auf dem Weidener Plakat für die Wortkunst wirbt, auch unter dem bildnerischen Blickwinkel das Licht kritischer Wahrnehmung.
Allerdings hatten wir uns bei den Vorbe-sprechungen, die den 17. Weidener Literaturtagen "Wegfahren-Reisen-Heimkommen" auf dem Fuße gefolgt waren, von dem Thema Amerika wenig angesprochen, besser gesagt, niedergebrüllt gefühlt. Zu gewaltig ist das Stimmengewirr im Schmelztiegel der Neuen Welt. Dabei war uns vor dem 11. September 2001 der Begriff "Amerika" als eine eher akademische Herausforderung entgegen-getreten, die man noch ruhig ablehnen konnte. Zumal der Kopf voll war vom eigenen Programm, das "Hausaufgabe" hieß. Naheliegend daher, daß uns über den Fragen an die Region, Festland an der Grenze nach Tschechien, eher Libussas Gestirn als der friedliche Flieger Charles Lindbergh erschien.
Es müssen Jahrhunderte vergangen gewesen sein, als wir nach dem Einsturz der New Yorker Zwillingstürme sortierten, welche Teile unseres Welt- und Amerika-Bildes berechtigtermaßen den Schock überdauert hätten. Doch die Erfahrung, auch selber unter der Glocke kollektiver und fundamenta-lisierender Denkzwänge zu stecken, sorgte nur für zusätzliche Beklemmung. Gleichzeitig traten unter diesem Druck aber drei verschiedene auch alte, scheinbar musealisierte Einlagerungen unseres geistigen Fettgewebes hervor. Sie ordneten sich zu überraschenden Gegenbildern des authentischen gesellschaftlichen Wesens unserer Tage. Joseph Beuys, Mike Kelley, der Prager Maler Jan Merta.
In diesem Zusammenhang übernimmt die Aus-stellung "American Art from the Goetz Collection", die wir letztes Jahr im frühlingshaften Prag sahen und Ihnen in spannungsvollen Ausschnitten jetzt auch in Weiden vorstellen können, eine Schlüsselrolle.
100 Arbeiten von 14 Künstlerinnen und Künstlern gaben nicht nur der aktuellen Lage ihrer amerikanischen Lebenswelt Ausdruck. Sie ver-mittelten darüber hinaus auch das Bild einer multikulturellen, ethnisch, sexuell und politisch offenen Gesellschaft, mit dem Bill Clinton in seinem Wahlkampf Erfolg gehabt hatte.
In der Prager Präsentation erhielt Kunst die Gelegenheit, Heilige Offenbarung und zugleich Mene-tekel einer Gesellschaft am Neuanfang zu sein, die sich jüngst erst von einer totalitären Verfassung befreit hatte. Möglich, daß wir diese Schau weniger beeindruckt verlassen hätten, hätten wir sie weiter westlich, an einem Ort innerhalb der etablierten Überflussgesellschaft besucht, wo der Warenfetisch die "Gebrauchswert-Zeichen" der Geschichte über-strahlt. Mit ihrer verrußten Erscheinung dagegen sprach die Stadt Prag von Haus aus, wenn auch unfreiwillig in der kritischen Diktion "armer Materialien", wie sie z.B. Jessica Stockholder oder Mike Kelley in ihren Arbeiten verwenden. Alles war alt, repariert, wiederverwertet, wertvoll geworden.
An diesem Tag hatten wir einem unserer tschechi-schen Freunde, Jan Merta, die Bilder seiner Weidener Ausstellung ins Atelier zurückgebracht. Eines, das die Silhouetten von drei Kojoten in leuchtendem Orange zeigte, war eine Hommage an Joseph Beuys. I like Amerika and Amerika likes me. Es ist auch im Mai gewesen, als der ehemalige Stuka-Flieger Joseph Beuys 1973 zu einer Mischung aus Staatsbesuch und schamanischem Ritual nach New York reiste. In seiner spektakulären "Tatsachensprache", den bekannten Formulierungen aus Filz und Fett, war es ihm gelungen, auf deutschem Boden ein trans-nationales Komplement zur Gesellschafts- und Historienkunst des 19. Jahrhunderts entstehen zu lassen. 1995 hatte der Bus der "Organisation für Direkte Demokratie und Volksabstimmung", die er gegründet hatte, für einige Tage auch auf dem Weidener Marktplatz Station gemacht.
Während sich weiter moldauabwärts "Ginger und Fred", die beiden Türme eines niederländischen Geschäftshauses, das Frank O. Gehry 1995 hier errichtet hatte, noch ahnungslos im Tanz vereinten, standen wir vor dem Ausstellunggebäude, das nach dem österreichischen Kronprinzen Rudolph benannt war, und pflanzten im Geiste von Luther und Beuys ein Apfelbäumchen. Sich wieder an "Mann in der Filzhülle und Kojote" erinnern. Dieses Bild des Verstehens, das gleichzeitig die Tugend der Geduld verkörpert und gegen die Herrschaft starrer Sprachspiele und Denkschablonen antritt, haben wir uns in der letzten Zeit immer wieder vor Augen geführt.
Vorerst bildete unsere Ikone, die Beuys'sche Idee der "Sozialen Plastik", aber nur einen herausfordernden Kontrapunkt gegenüber dem Gesellschaftsbegriff, der in der nonverbalen Form der amerikanischen Kunstwerke seinen beredten Ausdruck fand. Dort, wo die optimistische Utopie von Joseph Beuys, der einen Flugzeugabsturz überlebte, im Allgemeinen endet, beginnt die American Art. Nicht minder vital, nicht minder sozial, aber unmittelbar im Clinch des Körpers mit den Formierungsmechanismen der Mediengesellschaft. Wie schmerzhaft der "Widerhaken" in Mike Kelleys Kuscheltieren, Köder, mit denen das kapitalistische Über-Ich die Kinderseele angelt. Das Bild heutiger conditio humana wird hier ohne den Airbag universeller Archetypen auf den Weg gebracht. Die Haut-Gevierte unter der Beschriftung eines Lustmörders, die Jenny Holzer als Zeitungsbeilage veröffentlichte, versetzen den Betrachter, der dabei Leser und Schreiber, Opfer und Täter zugleich wird, in Kafkas Strafkolonie. Ein Text ihrer elektronischen Wortlaufbänder, Viren in der Konditionierungs-Optik der Werbung und der Nachrichten-Agenturen, könnte auch "Zeige Deine Wunde!" lauten.
Als wir innerhalb einer langen Warteschlange in das Rudolphinum gelangt waren, in die verblichene, weiträumige K&K-Pracht, die 1919 Mazaryks Regierungssitz gewesen war und heute als Haus der Künste aufwartet, sahen wir alles außerdem mit der "eurasischen" Assimilisationskraft von Jans Mertas Augen. Für seine künstlerischen Verschmelzungen allerdings, in die das böhmische Gemüt Gesellschaft, Nation und lyrisches Ich gleichermaßen einzuschließen versteht, hatte der konzeptuelle Geist der 70er Jahre, der uns geprägt hat, bislang keine Begriffe gehabt. Wie sollte er auch, wenn zu den Schauplätzen seiner Gesellschaft mittlerweile wieder der Kriegsschauplatz zählt. Wir betrachten die auf Leinwand gemalten Witzerzählungen und Re-Photographs von halbnackten Motorradbräuten. Durch den Umstand, daß Richard Prince diese in einer Art ästhetisch "abgekühlten", geschmacksneutralen Weise, wie nach verpatzter Pointe präsentiert, erscheint das Eigentliche, die Oase Sehnsucht, wo sich alle Bewohner der Lebenswüste treffen können.
Ich kann es nicht verhehlen.
In unserem Bekanntenkreis wollte seit dem 11. September und dem "Aufruf zum Gerechten Krieg" keinem mehr "I like America" über die Lippen kommen.
Konjunktur der Klischees.
Klischees auch der Stoff, den die Künstler aus der Sammlung Götz verarbeiten.
Das "Apfelbäumchen" blüht.
Das Prager Erlebnis, das andere, vitale und subversive Amerika, das unser postmodernes Ich erst letztes Jahr den zähen Umklammerungen der fleischfressenden Massenseele entrissen hatte, war wieder virulent geworden.
Vorsicht Ansteckungsgefahr!
Kommen Sie zahlreich!