Stillleben
Mirja Lang, Anne Wodtke, Sonja Weber, München
Multimedia-Installation
07.11.—30.11.03
Info
Was bisher geschah. Schwager Zeit pflückt auch schon wieder unser Ausstellungskleeblatt zu den drei Klassik-Themen Akt, Landschaft und Stilleben. Und im Handum-drehen sind zehn Jahre um. Am 3. 11. steht dem Kunst-verein der erste runde Geburtstag ins Haus.
Wegen der Akte war katholische Zögerlichkeit beim Ziel-publikum Schulklasse; durch die Attraktion von Peter An-germanns solitär-zeitgenössischer Umsetzung der Plein-air-Tradition ist es dann über jede Zahl hinaus zum Glücks-bringer geworden; nimmt sich doch MMK-Chef Udo Kittel-mann mitten im verzwickten Ausstellungsaufbau von An-dy Warhols Time Capsules eine Auszeit, um nach Weiden zu fahren, wo er noch nie war; am langen Band der Freundschaft mit Peter Angermann geht er der Frage nach, was Heimat und Heimatmalerei heute sein könnten.
Es muß sich rumgesprochen haben, daß der Kunstverein unter dem Gewicht der Prominenz, die mit der Stipvisite von Lucius Grisebach, Leiter des Neuen Museum Nürn-berg, und dem 7000-Hasen-Künstler Otmar Hörl am Eröff-nungsabend noch tüchtig zugelegt hatte, stehengeblieben war. Weitere Besuche vor allem von Kennern und Samm-lern aus dem fränkischen Raum, die wieder mal die Au-gen- und Gaumenfreuden der Oberpfalz kosten wollten, ließen sich vom „weichen Standortfaktor“ locken.
Da lacht das Herz des Kunstvereins-Vorsitzenden und Stadt- und Regional-Marketing-Mitmachers. Wie sagt doch ein alter Slogan: Kunst ist nicht umsonst. Jetzt regt sich das Stillleben. Wir danken Mirja Lang, Son-ja Weber und Anne Wodtcke für ihren Beitrag.
„Stillleben“, eine Gattung, die nur in ihren Bildgegenstän-den bewegungslos ist, darüberhinaus aber für ora et labo-ra eintritt und Reflexe wirtschaftlicher Emsigkeit und Pros-perität aus dem republikanischen Holland des Barock in die Gegenwart wirft, passt ja im Sinne einer kontextuellen Kunst und -Kunstvermittlungs-Praxis nur zu gut ans Ende dieser Austellungsfolge, auf die Schwelle des neuen Ver-eins-Dezenniums und als Glanzlicht ins Auge der düste-ren Frage, wer die Zukunft zahlt. Also eine Ausstellung wie eine Geburtstagstorte mit vielen Kerzen, das richtige Ge-schenk für den langen Atem.
Antwort auf die Frage „leere Kassen, wie geht‘s?“ gibt das zweite Hoch der Stilllebenkunst, der Kubismus, Bahnbre-cher der Moderne, dem es in der Krise neuzeitlichen Wis-sens und Wirtschaftens nicht mehr gegeben ist, wie da-mals Habensglück und Seinssehnsucht zu einem calvini-stisch-kapitalistischen Amalgam zu verschmelzen. Der Reichtum der Pariser Boheme, die nichts hat, sind dem-gegenüber bloß Schall und Rauch, Ideen, wie‘s weiter-geht, der Mut, diese auszudrücken, und das Geschick, darin im Einklang mit Einstein und Freud alte Vorstellungen von Raum und Zeit, von Traum und Wirklichkeit ins Wachs der modernen Vierdimensionalität umzugiessen. In ihrem Umbruch des Bildbegriffes, der die Grenzen zwischen dem Bildraum und der wirklichen Dingwelt aufhebt, erneuern Pi-casso und Braque die Grundlagen der abendländischen Kunst. Das Denken des 20. Jhts erhält in „Stillleben mit Rohrstuhlgeflecht“ sein optisches Pendant.
Die drei Münchener Künstlerinnen geben sich auf unsere Bitte hin, das Vereins-Emblem mit ihrem Bild als „Weiter-geherinnen“ zu aktualisieren, themagemäß ganz kunst-geschichtlich. In der Pose der Demoiselles d‘Avignon be-setzen sie Tatlins Parlament der III. Internationale. Hört ihr die Signale! Ihre Arbeiten aber führen den Betrachter in die kybernetische Einsamkeit des neuen Pygmalion, zwi-schen die Glieder der Raum-Zeit-Kette, wo sich Wahrneh-mung und Wirklichkeit in einem ständigen Annäherungs-und Entfernungsprozeß verbinden.
Wo gibt es in dieser Realität, die unsere Zeit als Kon-struktion nichtendender Blickwinkelwechsel zu akzeptie-ren lernt, überhaupt noch eine einheitsstiftende und Ge-stalt gebende Kraft? Dem nachzugehen richtet die gebür-tige Bremerin Mirja Lang (*73), die 93-99 in Paderborn stu-dierte, eine Art Multimedia-Lounge ein. Dabei wird der klei-ne Tapp-und-Tast-Garten im Zentrum, dessen Inhalt Natu-ralien mit markanten Texturen sind, das Tor zu einer Odys-see im Weltraum der Wahrnehmung. Mittels einer im Prizzip fortwährenden Rückkoppelung von Bildern, auf denen sich Dia- bzw. Beamer-Projektionen der rauhen, glatten, faserigen Oberflächen in die sensorischen Anverwand-lungsakte von Auge, Haut und Tanzbewegung mischen, erzeugt die Künstlerin vierdimensionale Collagen, farb-trunkene Fluchten komplexer Sein- und Scheinzustände, die zuletzt wieder im Hafen der Tafelmalerei anlegen
Anne Wodtcke, geb. Berlin 1954, Studium München 74-79, Aufenthalte in Amerika, Asien und Afrika 73-79; dem zen-tralen Stilllebenmotiv „Zeit“, das im Barock als Mahnung gegenüber der Endlichkeit der Genußfreude vorliegt und in der Moderne wertfrei Simultaneität heißt, begegnet die Künstlerin mit einer poesievollen, keineswegs unsinnli-chen Reduktion auf das Elementare. Dabei verbindet sie oft die minimalistische Form, die jeder Haushalt in Gestalt von Topf, Kehrschaufel, Strick, Tüte, Ei bereithält, mit den kunstgeschichtlich als „armes Material“ geadelten Stoffen Wachs, Asche, Blut. In einer der ausgestellten Arbeiten „Halbheiten“, die ein Dutzend hauchzarter, weißer Papier-zylinder-Hälften auf Abstand hält, ist es der unschein-barste aller Stoffe, die Luft. Als Äquivalent ausfließenden Äthers, als schöpferische Leere erschließt diese zwi-schen den Gehäuseschalen einen geistigen Raum. Hier bildet sich das Fluidum öffentlicher Plätze, auf denen Innen und Aussen eins sind.
Sonja Weber, geboren im Jahr der Mondlandung, von der manche sagen, die Bilder stammten aus dem Filmstudio. Mit ihren Bildern, hier einer Reihe Hochformate, die in Form und Inhalt die kaminartigen Aufrisse der venezianischen Gassenlandschaft wiedergeben, tritt auch Sonja Weber in die Arena des uralten Künstlerwettstreits. Schon Parrha-sios hatte dort sein erwartungsvolles Publikum mit einem Vorhang genarrt, der sich nicht zur Seite schieben ließ. Er war das Gemälde. Die Künstlerin, die 94-2002 in Nürnberg bei Hanns Herpich studierte und in München als Meist-erschülerin von Gerd Winner abschloß, setzt dem trompe l‘oeil noch eins drauf. Dank der Jacquardtechnik, die der europäischen Kulturgeschichte seit dem 19. Jht figürlich gemusterte Webware, Damast-Wäsche & Brokat-Polster-ungen schenkt, ist schon mal die materielle Differenz zwi-schen dem Tuch über bzw unter der Malschicht & dem Ge-malten verschwunden. Plato, der die Kunst hasste, weil sie nicht wie das Handwerk Ideen realisere, sondern Real-es nur abkupfere, würde Bauklötze staunen. Im Moiree der schwarzen & weissen Fäden leuchtet das Bildnis Venezi-as, einer Perle, die ihren Glanz zwischen den Stürmen der See und der Völkerwanderung angelegt hat, aus der Tiefe des Webwerks. Von der Seite besehen geht diese in den Hebungen der Oberflächenstruktur analog zu den Folgen der Wellen, der gestörten Ökologie und der Zeit verloren.