Störfaktor Kunst
Abiturienten der FOSBOS Weiden / Gestaltung zeigen ihre Arbeiten
Eröffnung
Mittwoch, 9. Mai 2018, 19.30 Uhr
Ausstellungsdauer
10. Mai – 16. Mai 2018
Geöffnet
So 14 – 18 Uhr, Do bis Sa 21 – 24 Uhr
Eingang durch das Vereins-Lokal Neues Linda
Eröffnungsrede
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Absolventinnen und Absolventen am FOS/ BOS-Zweig Gestaltung
Liebe Frau Gabriele Dill, liebes Gestaltungs-Pädagogen-Team, als Stellvertreter begrüße ich namentlich Herrn Jochen Lüftl,
Glückwunsch, schon als ich nach dem Antransport der Exponate in die KV-Räume die Lage sondierte, war ich angetan und neugierig, wie das alles zusammengehen wird, und als ich dann am Nachmittag des nächsten Tages wieder zurückkam nach meiner Flucht aus dem Haus, weil ich befürchtete von wild drauflos werkelnden, hämmernden, hängenden und aufstellenden jungen Menschen erdrückt zu werden, war ich hingerissen,
Glückwunsch, ein inhaltlich schwieriges Thema, glänzend bearbeitet, bestens präsentiert, die FOS/BOS-Leute kennen halt den Raum und man weiß um seine Potenziale, eine spannende Ausstellung insgesamt, super der Einsatz der elektronischen Medien, der Medien unserer Tage, tolle Installationen, eine pädagogische Leistung ist das und Realisationen aus Schülerinnen - und Schüler-Hand sind das, die sich sehen lassen können.
Was sieht man, was erlebt man? Auch wenn man den Titel nicht weiß, den Zusatz-Text nicht gelesen hat oder nicht weiter beachtet, fühlt man sich rasch von einer besonderen Aura ergriffen, da schwebt etwas im Raum, das Fülle erzeugt, gleichwohl die gegebenen Kubikmeter alles andere als proppvoll sind, es bilden sich Ketten und Netze von kleineren und größeren Aha-Erlebnissen, die das Zielversprechen beinhalteten, dass einen die genaue Betrachtung der einzelnen Arbeiten mit weiteren Ahas belohnen wird. Es tröpfeln die Ahas vom Ideenhimmel. Welche Idee aber hat sich hier so spürbar verwirklicht?
Aha, da stimmt was nicht, aber das stört nicht, wir haben es hier mit einer Ausstellung von Suchbildern zu tun, die in uns den Homo ludens und den Such-Spieltrieb wecken, der such-spielende Mensch, der in uns erwacht, will nun all die auch unterhaltsamen Unstimmigkeiten entdecken, die in den Werken stecken, z.B. die surfbrettharten, vielleicht gefrorenen Handtücher, die zu sperrig sind, um in die Waschmaschine zu passen, so spart man hier Wasser, während anderswo die Polkappen schmelzen: gedankliche Assoziations-Hagel füllen die Räume und schlagen erhellend und entzündend in die Hirnwindungen ein, der suchspielende Homo ludens, er sucht zu begreifen, was uns die Werke sagen wollen.
Kann man das so sehen, darf man das so sehen, muss man das so sehen! Z.B. Warum ist die Banane auch krumm, wenn sie blau ist? Die Farbe passt sich der Form an, oder ?, was sagt die Farblehre? Die blaue Blume der Romantik? Nein, hier handelt es sich um den blauen Pilz und die blaue Peperoni.
Was macht das Geschoß im Bein des flüchtigen Aktes? Aha, der Hirsch im andachtsvollen Hochgebirge ist ein Wolpertinger, der die Würde-Rolle des Platzhirschen voll übernimmt.
Wie kann uns die Waschmaschine beim Klimawandel helfen, das Ansteigen des Meeresspiegels lässt Inselwelten untergehen, der Akt, der die Installation wie ein weiblicher David auf dem Waschmaschinen-Podest überragt, mit dem Handtuch bewaffnet, hat zwei linke Daumen. Betörende weibliche Schönheit, warum wachsen da Schwammerln auf ihrem Arm, als wäre er ein Stück Waldboden.
Weinglas und Bügeleisen haben in gepflegter 12-Sterne-Umgebung ein Date.
Verfremdete Realität, das Ungewohnte in höchster Selbstverständlichkeit, als wäre es ganz normal, als gäbe es eine Welt, in der sich Menschenmutter und Muh-Kühe-Mütter im Stroh der Stall-Box treffen und über Frauensache reden. Der Bauernverband staunt.
Der Kaktus als Bürste sorgt für gute, stachelige Kratzbürstigkeit.
Zündende Einfälle, ein Feuerwerk von Ideen. Nonsens mit System.
Die Hände der Schizophrenie, wie sie in Roman Polanskis frühem Oeuvre „Ekel“ die schützenden Wände der Wohnung, des Zuhauses aufreißen und zur dünnen Heile-Welt-Tapete machen, hinter der der Horror haust.
Nein, ein Störfall ist es nicht, wenn die FOS/BOS mit den Arbeiten des Zweigs Gestaltung unsere Heiligen Hallen füllt, wo schon große Namen und documenta-Kunst zu bestaunen waren, es ist ja schon eine Tradition, dass die Fos-Bos und ihre engagierten Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler mit uns zusammenarbeiten. Wunderbar! Besten Dank!
Der Einfall, auch in diesem Jahr wieder bei uns gastieren zu wollen, hat mich sehr gefreut, und diesmal ist es gerade der Titel der Ausstellung Störfaktor, der uns eine mögliche Entheiligung der Heiligen Hallen auf der Ebene professioneller Ästhetik geradezu begrüßen lässt und uns in unseren Augen die Entheiligung nicht zur Störung oder zur Entgleisung macht.
Da unterscheiden wir uns von manchem Puristen, der das anders empfinden könnte, angesichts einer Ausstellung mit Arbeiten von Schülerinnen und Schülern, die zwar auf mitreißende Art die Gipfel stürmen, diese aber noch nicht erreicht haben. Grundsätzlich warne ich da: lasst Euch bitte Zeit, lasst die Sache reifen, es kommt nicht allein auf die handwerkliche Raffinesse an, denkt nicht immer an die Gipfel, an das Höchste, an das Absolute!
Als Marcel Duchamp sein berühmtes Urinal, betitelt Fontaine, 1917 in einer der großen New Yorker Ausstellungen dieser Zeit, der Zeit des 1. Weltkrieges, aufstellte, ließ er sämtliche Kriterien, die für Kunst bis dahin verbindlich waren, hinter sich, natürlich auch das handwerkliche Können, das Zaubern visueller Illusionen - das, was er da ausstellte, war überhaupt kein Kunstwerk, es war ein fertiges Massenprodukt, aus glänzendem Porzellan, strahlender als Marmor, - um den Blick für das Geistige, den inneren Sinnzusammenhang und das nicht vorfabrizierte Freie frei zu machen, für das, was dahinter steckt, was prinzipiell unsichtbar ist, was aus dem Rahmen fällt, sich der Ordnung widersetzt, nicht dingfest zu machen ist und das Fremde bleibt, hinter der faszinierenden kunsthandwerklichen Fassade, hinter unseren gebügelten Weltbildern, unseren Wunschbildern und Klischees und der Suche nach der einzigen Wahrheit.
Ich will hier behaupten, dass sich diese Ausstellung unter dem Titel Störfaktor prinzipiell auch im Kontext und am Ort der Berliner Nationalgalerie behaupten könnte, mal fragen, wir kennen ihren Leiter, Udo Kittelmann, er hat hier schon mal eine Ausstellung eröffnet, 2008, und das ist jetzt nicht nur als Scherz gesagt, weil diese Ausstellung in sich als Ganzes und im Kontrast zur Profi-Ästhetik unter dem Begriff Störfaktor ein künstlerisches Grundprinzip verkörpert, das für heutige Kunst bzw seit Impressionismus, Kubismus und Surrealismus unabdingbar ist.
Zwei Arbeiten stellen für meine Wahrnehmung in diesem Sinne eine eindeutige Referenz zur Kunstgeschichte und speziell zum Surrealismus her: Das grasige Waschbecken lässt an Meret Oppenheims Pelztasse denken und das Rendez-Vous von Cocktailglas und Bügeleisen ist eine herrliche Paraphrase auf die klassische Surrealismus-Definition, die da lautet: Surrealismus ist, wenn sich eine Nähmaschine und ein Regenschirm auf einem Seziertisch treffen.
Dieses Grundprinzip folgt der Einsicht, dass alle Bedeutung, alle Ding-Definition relativ ist und auf seine Falsifizierung wartet, das gilt nicht nur für die Realität der Relativitätstheorie des genialen Einstein, sondern auch für die alltäglichen Wahrnehmungen von uns schlichteren Geistern im Privaten und Politischen, Kulturellen und Wissenschaftlichen, überall müssen sich die Menschen auf eine pragmatische Mitte hin einigen, die Wahrheit hat keiner gepachtet.
So hat diese Ausstellung zu der Ebene, auf der sie einzelne Arbeiten zeigt und die Ideenküche zum Kochen bringt, auch eine Metaebene, auf der sie selber zum Symbolbild wird und den Punkt darstellt, auf den heutige Kunst grundsätzlich gebracht werden muss, um Kunst zu sein.
Und gleichzeitig ist sie damit auch Lebenskunst, wenn sie der endlosen Vieldeutigkeit und dem Deutungswandel der Realität Rechnung trägt und in den Toleranzzwang und Gerechtigkeits-Anspruch unseres Menschseins einwilligt.
Sie wird zum Übungsfeld einer offenen und demokratischen Lebenseinstellung, wie das der Philosoph des Pragmatismus John Dewey sagen würde, das heißt natürlich auch sie muss stören, um nicht in den Teilwahrheiten der Diskurse steckenzubleiben und zu erstarren.
Da steht Bildstörungs-Notwendigkeit gegen das nur zu menschliche Dauerhaftigkeits-Verlangen. Das ist eine schwierige Grätsche, die dem Betrachter viel abverlangt, aber so ist nun mal das Leben ebenso wie seine Simulationen, deren eine und maßgebliche die Kunst ist, und es geht, es macht mental elastisch, wie Sie, die Betrachterinnen und Betrachter, vielleicht nach Bewältigung des Such-Bild-Parcours in unseren Räumen schon feststellen können.
Und auch die Störung meint nur relativ die Zerstörung, mit der sich der Gestörte häufig bedroht sieht, denn in der Kunst gehen die unvereinbaren Gegensätze zusammen, und was nicht passt, das passt gegen die Vernunft des Vernünftigen trotzdem, das liegt daran, wie uns der Ethnologe Claude Levi Strauß erklärt, dass die Kunst im Kern Bastelei ist und sich im Gegensatz zum Ingenieurswesen, das ohne ihr Baukastensystem und ihre Berechnungen verzweifelt, mit dem Material von Zufalls-Funden auf dem Weg zu helfen weiß. So ist die Kunst mit ihren Bild-Verrückungen der Wirklichkeiten auch immer ein Raum, in dem das Prinzip Hoffnung daheim ist. Irgendetwas findet man immer, damit es weitergeht.
Dieses Hoffnungsprinzip in Verbindung mit dem Störungsprinzip ist auf der Ebene professioneller Kunst, ist in der Kunst der Galerien und der Museen und der pekuniären Hemmschwellen, die durch und durch Gekonntes zeigt, oft gar nicht mehr erkennbar. Es ist in seiner Essenz, bedingt durch das Realitäts-Prinzip, das unsere Wahrnehmung pausenlos mit den schockierenden Bildern der Hoffnungslosigkeit aus den globalen Krisengebieten bombardiert, mitunter gar nicht mehr spürbar, sondern funktioniert lediglich als bildungsspezifisches geistiges Gewürz.
Ganz im Gegensatz zu einer Ausstellung mit selbstbewussten Schülerinnen- und Schüler-Arbeiten, wie wir sie hier erleben dürfen, sie stehen nicht auf dem Gipfel der Meisterschaft und das wollen sie vielleicht auch gar nicht.
Ihre Kollision mit den Ansprüchen auf galleristische Perfektion und ihre Unvollendetheit im Verhältnis zu den etablierten Geschmackskriterien, sind hier in unseren Heiligen Hallen, wo auch schon mal documenta-Kunst zu sehen war, alles andere als ein Mangel-Zeichen, sie sind gerade wegen der Pass-Ungenauigkeiten ein Symptom des Essentiellen.
Stellen wir uns vor, wir veranstalten damit eine Hausbesetzung im Haus der Kunst, Titel Störfaktor, da wäre doch Stimmigkeit auf allen Ebenen gegeben, ich freue mich, dass wir in diesem Geiste hier zusammengefunden haben, genießen wir diese Imagination produktiver Störung im Hohen Haus, Kunst, die passt, weil sie nicht passt, Jugend, die hoffen lässt, Freude, schöner Götterfunke.
Wolfgang Herzer
Störfaktor Kunst
Abiturienten der FOSBOS Weiden / Gestaltung zeigen ihre Arbeiten
Eröffnung
Mittwoch, 9. Mai 2018, 19.30 Uhr
Ausstellungsdauer
10. Mai – 16. Mai 2018
Geöffnet
So 14 – 18 Uhr, Do bis Sa 21 – 24 Uhr
Eingang durch das Vereins-Lokal Neues Linda
Eröffnungsrede
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Absolventinnen und Absolventen am FOS/ BOS-Zweig Gestaltung
Liebe Frau Gabriele Dill, liebes Gestaltungs-Pädagogen-Team, als Stellvertreter begrüße ich namentlich Herrn Jochen Lüftl,
Glückwunsch, schon als ich nach dem Antransport der Exponate in die KV-Räume die Lage sondierte, war ich angetan und neugierig, wie das alles zusammengehen wird, und als ich dann am Nachmittag des nächsten Tages wieder zurückkam nach meiner Flucht aus dem Haus, weil ich befürchtete von wild drauflos werkelnden, hämmernden, hängenden und aufstellenden jungen Menschen erdrückt zu werden, war ich hingerissen,
Glückwunsch, ein inhaltlich schwieriges Thema, glänzend bearbeitet, bestens präsentiert, die FOS/BOS-Leute kennen halt den Raum und man weiß um seine Potenziale, eine spannende Ausstellung insgesamt, super der Einsatz der elektronischen Medien, der Medien unserer Tage, tolle Installationen, eine pädagogische Leistung ist das und Realisationen aus Schülerinnen - und Schüler-Hand sind das, die sich sehen lassen können.
Was sieht man, was erlebt man? Auch wenn man den Titel nicht weiß, den Zusatz-Text nicht gelesen hat oder nicht weiter beachtet, fühlt man sich rasch von einer besonderen Aura ergriffen, da schwebt etwas im Raum, das Fülle erzeugt, gleichwohl die gegebenen Kubikmeter alles andere als proppvoll sind, es bilden sich Ketten und Netze von kleineren und größeren Aha-Erlebnissen, die das Zielversprechen beinhalteten, dass einen die genaue Betrachtung der einzelnen Arbeiten mit weiteren Ahas belohnen wird. Es tröpfeln die Ahas vom Ideenhimmel. Welche Idee aber hat sich hier so spürbar verwirklicht?
Aha, da stimmt was nicht, aber das stört nicht, wir haben es hier mit einer Ausstellung von Suchbildern zu tun, die in uns den Homo ludens und den Such-Spieltrieb wecken, der such-spielende Mensch, der in uns erwacht, will nun all die auch unterhaltsamen Unstimmigkeiten entdecken, die in den Werken stecken, z.B. die surfbrettharten, vielleicht gefrorenen Handtücher, die zu sperrig sind, um in die Waschmaschine zu passen, so spart man hier Wasser, während anderswo die Polkappen schmelzen: gedankliche Assoziations-Hagel füllen die Räume und schlagen erhellend und entzündend in die Hirnwindungen ein, der suchspielende Homo ludens, er sucht zu begreifen, was uns die Werke sagen wollen.
Kann man das so sehen, darf man das so sehen, muss man das so sehen! Z.B. Warum ist die Banane auch krumm, wenn sie blau ist? Die Farbe passt sich der Form an, oder ?, was sagt die Farblehre? Die blaue Blume der Romantik? Nein, hier handelt es sich um den blauen Pilz und die blaue Peperoni.
Was macht das Geschoß im Bein des flüchtigen Aktes? Aha, der Hirsch im andachtsvollen Hochgebirge ist ein Wolpertinger, der die Würde-Rolle des Platzhirschen voll übernimmt.
Wie kann uns die Waschmaschine beim Klimawandel helfen, das Ansteigen des Meeresspiegels lässt Inselwelten untergehen, der Akt, der die Installation wie ein weiblicher David auf dem Waschmaschinen-Podest überragt, mit dem Handtuch bewaffnet, hat zwei linke Daumen. Betörende weibliche Schönheit, warum wachsen da Schwammerln auf ihrem Arm, als wäre er ein Stück Waldboden.
Weinglas und Bügeleisen haben in gepflegter 12-Sterne-Umgebung ein Date.
Verfremdete Realität, das Ungewohnte in höchster Selbstverständlichkeit, als wäre es ganz normal, als gäbe es eine Welt, in der sich Menschenmutter und Muh-Kühe-Mütter im Stroh der Stall-Box treffen und über Frauensache reden. Der Bauernverband staunt.
Der Kaktus als Bürste sorgt für gute, stachelige Kratzbürstigkeit.
Zündende Einfälle, ein Feuerwerk von Ideen. Nonsens mit System.
Die Hände der Schizophrenie, wie sie in Roman Polanskis frühem Oeuvre „Ekel“ die schützenden Wände der Wohnung, des Zuhauses aufreißen und zur dünnen Heile-Welt-Tapete machen, hinter der der Horror haust.
Nein, ein Störfall ist es nicht, wenn die FOS/BOS mit den Arbeiten des Zweigs Gestaltung unsere Heiligen Hallen füllt, wo schon große Namen und documenta-Kunst zu bestaunen waren, es ist ja schon eine Tradition, dass die Fos-Bos und ihre engagierten Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler mit uns zusammenarbeiten. Wunderbar! Besten Dank!
Der Einfall, auch in diesem Jahr wieder bei uns gastieren zu wollen, hat mich sehr gefreut, und diesmal ist es gerade der Titel der Ausstellung Störfaktor, der uns eine mögliche Entheiligung der Heiligen Hallen auf der Ebene professioneller Ästhetik geradezu begrüßen lässt und uns in unseren Augen die Entheiligung nicht zur Störung oder zur Entgleisung macht.
Da unterscheiden wir uns von manchem Puristen, der das anders empfinden könnte, angesichts einer Ausstellung mit Arbeiten von Schülerinnen und Schülern, die zwar auf mitreißende Art die Gipfel stürmen, diese aber noch nicht erreicht haben. Grundsätzlich warne ich da: lasst Euch bitte Zeit, lasst die Sache reifen, es kommt nicht allein auf die handwerkliche Raffinesse an, denkt nicht immer an die Gipfel, an das Höchste, an das Absolute!
Als Marcel Duchamp sein berühmtes Urinal, betitelt Fontaine, 1917 in einer der großen New Yorker Ausstellungen dieser Zeit, der Zeit des 1. Weltkrieges, aufstellte, ließ er sämtliche Kriterien, die für Kunst bis dahin verbindlich waren, hinter sich, natürlich auch das handwerkliche Können, das Zaubern visueller Illusionen - das, was er da ausstellte, war überhaupt kein Kunstwerk, es war ein fertiges Massenprodukt, aus glänzendem Porzellan, strahlender als Marmor, - um den Blick für das Geistige, den inneren Sinnzusammenhang und das nicht vorfabrizierte Freie frei zu machen, für das, was dahinter steckt, was prinzipiell unsichtbar ist, was aus dem Rahmen fällt, sich der Ordnung widersetzt, nicht dingfest zu machen ist und das Fremde bleibt, hinter der faszinierenden kunsthandwerklichen Fassade, hinter unseren gebügelten Weltbildern, unseren Wunschbildern und Klischees und der Suche nach der einzigen Wahrheit.
Ich will hier behaupten, dass sich diese Ausstellung unter dem Titel Störfaktor prinzipiell auch im Kontext und am Ort der Berliner Nationalgalerie behaupten könnte, mal fragen, wir kennen ihren Leiter, Udo Kittelmann, er hat hier schon mal eine Ausstellung eröffnet, 2008, und das ist jetzt nicht nur als Scherz gesagt, weil diese Ausstellung in sich als Ganzes und im Kontrast zur Profi-Ästhetik unter dem Begriff Störfaktor ein künstlerisches Grundprinzip verkörpert, das für heutige Kunst bzw seit Impressionismus, Kubismus und Surrealismus unabdingbar ist.
Zwei Arbeiten stellen für meine Wahrnehmung in diesem Sinne eine eindeutige Referenz zur Kunstgeschichte und speziell zum Surrealismus her: Das grasige Waschbecken lässt an Meret Oppenheims Pelztasse denken und das Rendez-Vous von Cocktailglas und Bügeleisen ist eine herrliche Paraphrase auf die klassische Surrealismus-Definition, die da lautet: Surrealismus ist, wenn sich eine Nähmaschine und ein Regenschirm auf einem Seziertisch treffen.
Dieses Grundprinzip folgt der Einsicht, dass alle Bedeutung, alle Ding-Definition relativ ist und auf seine Falsifizierung wartet, das gilt nicht nur für die Realität der Relativitätstheorie des genialen Einstein, sondern auch für die alltäglichen Wahrnehmungen von uns schlichteren Geistern im Privaten und Politischen, Kulturellen und Wissenschaftlichen, überall müssen sich die Menschen auf eine pragmatische Mitte hin einigen, die Wahrheit hat keiner gepachtet.
So hat diese Ausstellung zu der Ebene, auf der sie einzelne Arbeiten zeigt und die Ideenküche zum Kochen bringt, auch eine Metaebene, auf der sie selber zum Symbolbild wird und den Punkt darstellt, auf den heutige Kunst grundsätzlich gebracht werden muss, um Kunst zu sein.
Und gleichzeitig ist sie damit auch Lebenskunst, wenn sie der endlosen Vieldeutigkeit und dem Deutungswandel der Realität Rechnung trägt und in den Toleranzzwang und Gerechtigkeits-Anspruch unseres Menschseins einwilligt.
Sie wird zum Übungsfeld einer offenen und demokratischen Lebenseinstellung, wie das der Philosoph des Pragmatismus John Dewey sagen würde, das heißt natürlich auch sie muss stören, um nicht in den Teilwahrheiten der Diskurse steckenzubleiben und zu erstarren.
Da steht Bildstörungs-Notwendigkeit gegen das nur zu menschliche Dauerhaftigkeits-Verlangen. Das ist eine schwierige Grätsche, die dem Betrachter viel abverlangt, aber so ist nun mal das Leben ebenso wie seine Simulationen, deren eine und maßgebliche die Kunst ist, und es geht, es macht mental elastisch, wie Sie, die Betrachterinnen und Betrachter, vielleicht nach Bewältigung des Such-Bild-Parcours in unseren Räumen schon feststellen können.
Und auch die Störung meint nur relativ die Zerstörung, mit der sich der Gestörte häufig bedroht sieht, denn in der Kunst gehen die unvereinbaren Gegensätze zusammen, und was nicht passt, das passt gegen die Vernunft des Vernünftigen trotzdem, das liegt daran, wie uns der Ethnologe Claude Levi Strauß erklärt, dass die Kunst im Kern Bastelei ist und sich im Gegensatz zum Ingenieurswesen, das ohne ihr Baukastensystem und ihre Berechnungen verzweifelt, mit dem Material von Zufalls-Funden auf dem Weg zu helfen weiß. So ist die Kunst mit ihren Bild-Verrückungen der Wirklichkeiten auch immer ein Raum, in dem das Prinzip Hoffnung daheim ist. Irgendetwas findet man immer, damit es weitergeht.
Dieses Hoffnungsprinzip in Verbindung mit dem Störungsprinzip ist auf der Ebene professioneller Kunst, ist in der Kunst der Galerien und der Museen und der pekuniären Hemmschwellen, die durch und durch Gekonntes zeigt, oft gar nicht mehr erkennbar. Es ist in seiner Essenz, bedingt durch das Realitäts-Prinzip, das unsere Wahrnehmung pausenlos mit den schockierenden Bildern der Hoffnungslosigkeit aus den globalen Krisengebieten bombardiert, mitunter gar nicht mehr spürbar, sondern funktioniert lediglich als bildungsspezifisches geistiges Gewürz.
Ganz im Gegensatz zu einer Ausstellung mit selbstbewussten Schülerinnen- und Schüler-Arbeiten, wie wir sie hier erleben dürfen, sie stehen nicht auf dem Gipfel der Meisterschaft und das wollen sie vielleicht auch gar nicht.
Ihre Kollision mit den Ansprüchen auf galleristische Perfektion und ihre Unvollendetheit im Verhältnis zu den etablierten Geschmackskriterien, sind hier in unseren Heiligen Hallen, wo auch schon mal documenta-Kunst zu sehen war, alles andere als ein Mangel-Zeichen, sie sind gerade wegen der Pass-Ungenauigkeiten ein Symptom des Essentiellen.
Stellen wir uns vor, wir veranstalten damit eine Hausbesetzung im Haus der Kunst, Titel Störfaktor, da wäre doch Stimmigkeit auf allen Ebenen gegeben, ich freue mich, dass wir in diesem Geiste hier zusammengefunden haben, genießen wir diese Imagination produktiver Störung im Hohen Haus, Kunst, die passt, weil sie nicht passt, Jugend, die hoffen lässt, Freude, schöner Götterfunke.
Wolfgang Herzer