The Luxury of Distance
...sich zu erinnern ist die Sendung des Menschen auf Erden - Henry Miller
26.10.—25.11.12
Info
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
besten Dank für Ihren Besuch, ich glaube wir können Ihnen diesmal eine – ich möchte sagen - sehr essentielle Ausstellung präsentieren, es ist eine der wenigen reinen Fotoausstellungen, die wir in unserer mittlerweile 20jährigen Tätigkeit durchführen.
Zum anderen ist es nicht nur ein Ausstellung unter anderen, sondern auch der Auftakt unserer Aktion 300, einer Mitglieder-Werbe-Aktion, die den Kunstverein Weiden in die Lage versetzen soll, auch in Zukunft in Verbindung mit dem wunderbaren Linda , dieser wunderbaren Wunder-Kneipe, eine Lebens-Qualitäts-Oase zu bieten, die es in dieser Form kein zweites Mal gibt.
Wo gibt es mitternächtliche Ausstellungsbesuche? Die sind hier normal!
Und zum dritten ist es eine Vernissage im Rahmen von Kunstgenuss bis Mitternacht, eine Erfolgs-Veranstaltung, die der Kunstverein Mitte der 90er Jahre unter dem Zeichen des „Röhrenden Hirsches“ erfunden hat. Die Aushängeschilder mit dem Hirsch wurden vom Kunst-Vereins-Team noch handgeklebt. Der heutige Erfolg lässt uns hoffen, dass sich die vielen, vielen Besucher der Gesamt-Veranstaltung animieren lassen, bei uns, einem erwiesenermaßen nicht unwesentlichen Teil des Ganzen, Mitglied zu werden und mit ihrer Zuwendung unsere Gestaltungskraft zu erhalten, zu erneuern, aufzufrischen und zu steigern.
Einen ganz besonderen Dank für das Hiersein möchte ich nun richten an:
als Vertreter der CSU-Stadtrats-Fraktion, Michael Bihler,
als Vertreter der Presse
hier soll auch dem Medienhaus der Neue Tag gedankt sein, für den großen Bericht über unsere gegenwärtig prekäre Situation und unserer Rettungs-Aktionen. Aktion 300! Bitte, tragen Sie es weiter.
und einen ganz besonderen Dank an Jörg Skriebeleit, den Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.
Jörg Skriebeleit tritt hier in Erscheinung als Vertreter deutscher Erinnerungskultur und ist in seinen jungen Jahren als ein Motor der Veränderung besagter Kultur seit 1945 zum Zeitgemäßen hin international bekannt geworden.
Es ist eine Arbeit im Kontext und mit den Zielrichtungen der europäischen Aufklärung, letzterer fühlt sich auch der Kunstverein verbunden.
Mit dieser Ausstellung gibt es unter dem Vorzeichen Erinnerung auch in thematischer Hinsicht eine enge Verbindung.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich ja schon die Ausstellung in einem ersten Durchgang angesehen und dabei auch die Titel der großen Foto-Arbeiten von Scott Wiener gelesen, die Motive sind Orte der schrecklichen jüngeren deutschen Vergangenheit, es ist ein Rahmen sprengendes Thema.
Hier bin ich froh, bei der Vermittlung in Jörg Skriebleit einen Partner zu haben. Und ich bedanke mich bei Dir, lieber Jörg, dass Du die Besprechung der heute ausgestellten Arbeiten mit Reflexionen Deiner Themen-Perspektive eröffnest.
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Besten Dank Jörg Skriebleit.
Diese Ausstellung ist eine Art Puzzle, das noch viele offene Stellen hat, oder ein Patchwork, das zum Weitermachen animiert, das Thema Erinnerung, um das es hier geht, ist nur angerissen.
Seit ein paar Jahren befasst sich der Kunstverein mit dem Thema der deutschen Vergangenheit zwischen 1933 und 1945, und hatte dazu eine Anzeige auf die Homepage der AdKV gestellt, die Beiträge von Scott Patrick Wiener und Mirjam Dröge stammen aus diesem Zusammenhang.
Die anderen Puzzle-Teile entspringen ganz anderen Umständen:
Sebastian Isacus Bilder unter dem Titel Noroc (Glück) wurden uns von Markus Voit, einem Teilnehmer unseres Junge-Kunst-Programms empfohlen, beide Studenten der Akademie Kassel; die Ausstellungs-Einladung an die Pragerin Zaneta Smudova folgt unserer Programmlinie, im Sinne deutsch-tschechischer Nachbarschaftspflege die tschechische Fotografie vorzustellen, ihre Arbeit ist mit Navraty (Rückkehr) überschrieben.
Wolfgang Roy, Golgatha ist sein Titel, lebt in Weiden und seine Arbeit, die sich mit den Kruzifixen der Oberpfälzer Kirchen befasst, fasziniert mich seit langem.
In allen Arbeiten geht es um die Frage der Ganzheit im Land des Vergessens, um die menschliche Integrität, die schon jede Alltags-Begegnung zu einem Abenteuer im zwischen-menschlichen Distanz-Raum macht. Dass das Menschsein in seinem Wesen aber unauslotbar ist, zeigt die weite Begreifens-Spanne, die sich z.B. zwischen der Spurensicherung innerhalb der bescheidenen Wohn-Welt einer verstorbenen alten Frau und den Wahrnehmungen auf den Geländen ehemaliger Konzentrationslager auftut.
Das Kunstwerk wird bei uns zum mnemotechnischen Türsteher, der uns in individuelle und kollektive geistige Räume einlässt, Räume, die sich im Zusammenspiel von Rückblick, Aus-dem-Auge-Verlieren und Ausschau wandeln und laut Plato die Kernzone des Menschlichen ausmachen. Jede Erkenntnis begreift Plato als Wieder- Erinnerung.
In diesem Sinne bilden die Arbeiten von Scott Patrick Wiener, auf die Jörg Skriebleit vorhin Bezug genommen hat, eine besondere Herausforderung, bleiben doch in seinen Naturdarstellungen die Merkzeichen des Holocaust unsichtbar.
Der junge Künstler aus Boston, den wir über ein DAAD-Stipendium für Leipzig vor zwei Jahren kennen lernten, zeigt uns nur Teile aus verschiedenen Außenbereichen, die sich eine vielfältige Natur zurückerobert.
Das eigentliche Thema, das beides vereint, die Natur und die Menschennatur, tritt erst bei näherer Betrachtung der Arbeiten zum Vorschein, es ist der Stellenwert des Wissens in unserer europäischen Kultur, unserer Rationalismus- und Aufklärungs-Kultur, sie erhält in der atemberaubenden Gestochenheit der fotografierten botanischen Details Gestalt.
Wieners faszinierend detailgenauen Darstellungen können an spätmittelalterliche Bilder des Paradies-Gärtleins erinnern und üben einen Sog aus, der den Betrachter in die Tiefe der Materie und des Unterbewusstseins zu ziehen scheint.
Der Hyperrealismus der Aufnahme-Schärfe, zielt auf das Individuelle, auf das Individuum, es ist ein Blick, der über all dem aber die Person sucht, die im Natur-Leben im Gegensatz zum Menschen-Leben keine moralisch- existentielle Kategorie ist, so die antropozentrische Denkweise, und dieser Blick zielt hier aus den bekannten Gründen ins Leere.
Die Bilder sind an diesigen, verhangenen Tagen aufgenommen, es wurde gegen die im Dunst verdeckte Sonne fotografiert, der durchdringende Lichtfleck verbindet die Bilder Patrick Scott Wieners im Kontext oben genannter europäischer Kultur sehr eng mit Platos Höhlen-Gleichnis, dort symbolisiert die gleißende Sonne das Licht der Wahrheit, der Mensch muss, will er nicht erblinden, sich auf die Betrachtung der Schatten beschränken.
Mirjam Dröge kommt aus Berlin, (geb 1978 Eppingen/ Berlin) sie studierte u.a. 2000-07 an der HGB Leipzig Fotografie & Medien.
Das Individuum auf der Suche nach seinem Selbst im Spannungs-Feld der determinierenden Kräfte von Zeitgeist , sozialer Schichtung und der Biosphäre, die seine Endlichkeit bestimmt, ist das Thema , das Mirjam Dröge am Beispiel der eigenen Großmutter abarbeitet.
Hier zeugt die einstige Lebenswelt der Verstorbenen von der Suche nach dem Eigenen, Angemessenen, von der Suche nach Identität, dies geschieht via Gebrauchsspuren und Arrangement der Möbel und der Alltaggegenstände, siehe die vier kleinen Interieurs, ebenso wie die Fotografien in der kleinen abgenutzten Brieftasche, siehe große Arbeit.
Suchen heißt Licht in die Dunkelheit bringen, heißt Erinnern, ist ein Prozess zwischen Bewusstwerdung, Vergessen und Verdrängen.
Der zeitgeschichtliche Kontext, der mit der Biografie von Dröges Großmutter angesprochen wird, weist die Zeit vor und nach 1945 als Suchgelände aus und verweist auf die darin herrschenden Verdrängungs-Kräfte, die das Licht gemieden haben bzw zu vermeiden versucht haben. Es gibt zeitgeschichtliche Gedächtnislücken.
Dem wird zum einen durch gelbe Abgrenzbänder, die besondere Leerstellen markieren, symbolische Gestalt gegeben. Die ästhetische Formulierung der Fotografien sagen das in der Sprache der Tonwerte, der saugenden Dunkelheiten, der suchenden Helligkeiten, hart an der Grenze der Überbelichtung.
Immer noch ist der in den Innenräumen Suchende ein Eindringling, ein möglicher Störenfried in einem aus Sein- und Zeit gesponnenen Kokon.
Der Weidener Wolfgang Roy (geb 1959/ Weiden) fertigt von Kruzifixen aus Oberpfälzer Kirchen silberne Repliken, die auch als Halsschmuck getragen werden. In seiner Reihe aus 12 Foto-Tableaux verbindet er Personen-Portraits bzw Erinnerungs-Bilder von Jung und Alt, deren Gestus auf ungezwungene, individuelle Art Privatheit und Selbstbewusstsein ausdrücken.
Hier geben sich Lebenseinstellung und Zukunftserwartung eine Haltungs-Form, die keinem Muster der religiösen Ikonographie entspricht, alle Personen tragen lediglich eines der Miniatur-Kreuze.
Diese Kreuze stehen für den religiösen Raum allgemein und für die spezifische klerikale Topografie der Oberpfalz, einem vorwiegend ländlichen Raum, dessen Lebenswelt stark religiös geprägt ist.
Sie repräsentieren die Kirchen-Gebäude als Fixpunkte in diesem Raum.
Daneben fungieren sie gleichwertig als Eck- und Verbindungspunkte eines offenen sozialen Raumes, der sich aus den Bewegungen ihrer Träger im Zeitverlauf bildet, der in steter Veränderung begriffen ist, der immer temporär ist, und in dem das Bild von der globalen menschlichen Gemeinschaft als der Tempel aufscheint, der nach dem Wort Jesu den zerstörten Tempel in Jerusalem ersetzt.
Sebastian Isacu (geb. 1978 in Cisnadie / Rumänien seit 1984 in Deutschland/ Kassel, Hamburg) studierte bei Bernhard Prinz in Kassel, der KV lernte ihn über die Vermittlung von Markus Voit ( Teilnehmer an unserem Nachwuchs-Förder-Programm: Quite Early One Morning + BAUMRAUM, 2002/05) kennen.
Isacu verbindet die Bilder von Menschen an rumänischen Omnibus-Haltstellen mit den abstrakten, martialischen Beton-Denkmälern an Eingängen von Ortschaften der ehemaligen Ceaușescu-Diktatur, überwindbare geographische Distanz und administrative Grenzziehung stellt der Künstler in einen Gegensatz zum zwischenmenschlichen Distanzraum, zur Mensch-Seins-Idee, die Unverletzbarkeit einfordert und Sensibilität auf gleicher Augenhöhe verlangt; in der ästhetischen Sprache von Isacus Fotographie löst sich die Sphäre der Zwänge, die Welt von Fahrplan und Verordnung in der Unschärfe des Mittelgrundes auf, die Personen werden dadurch vom realen Raum gelöst und freigestellt, die Wartenden scheinen zu sich zu kommen und in das kristalline Licht der Augenblicks-Fülle zu treten, die Zeit steht.
Zaneta Zmudova ( geb.1985/Prag) war Studentin bei Rudo Prekop an der FAMU/ Prag, ihre 11-teilige, kleinformatige Arbeit NÁVRATY (Rückkehr) führt uns in einer Reihe Foto-Diptychen, die jeweils aus einer oberen Schwarz-Weiß-Aufnahme und einer unteren Farb-Aufnahme bestehen, in der schwarz-weißen Reihe durch ihre Kindheit und Jugend und in der farbigen in die Gegenwart als junge Erwachsene. In beiden Reihen befindet sich die heutige Künstlerin an den gleichen Orten in der Lebenswelt ihrer Herkunft.
Die Künstlerin ist in den Farb-Bildern in strenger, säulenartiger Haltung positioniert, die mit der Bildkomposition geht, ihr Gewand ist schwarz, damit vermittelt sich die Gestalt an die Bilder der Vergangenheit und steht in einem starken Kontrast zur gegenwärtigen Umgebung, die hypnotische Starre, in der Zaneta Zmudovas Körper erscheint, hat kokonartigen Charakter und verkörpert im Kontext des personalen Werdegangs das ins Licht drängende Leben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit, jetzt haben sie ein Glas verdient, lassen sie mich aber bevor wir nun die Ausstellung eröffnen, noch einmal auf den Anfang zurückkommen, da ging es auch um das Ende des Kunstvereins, das vermieden werden kann.
Ich wünsche mir, dass die Vitalität, die dieser Kunstgenuss-Abend verströmt, hilft, Hemmschwellen zu überwinden und die Aktion 300 zu einem ähnlichen Erfolg werden zu lassen. Beitrittserklärungen können Sie von unserer Homepage herunterladen, bekommen Sie am Durchgang zum Cafe Neues Linda oder direkt von mir.
Als Mitglied sind sie herzlich eingeladen, sich an unserer Mitglieder-Ausstellung im November zu beteiligen. Informationen im Durchgang zum Cafe Neues Linda.
Einen schönen Abend.