BLUEMERANT: VEREINT
Kooperatives Ausstellungs-Projekt des Kunstverein Weiden
mit der Weidener Vereins-Welt
07.06.—07.07.13
Info
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Das 20-jährige Jubiläum des Kunstvereins Weiden ist der Anlass, das Thema »Verein« aus künstlerischer Sicht genauer zu betrachten. Damit führt der Kunstverein Weiden eine eigene Ortsbestimmung im Kultur-Raum der Stadt Weiden durch und bietet seinen Mit-Vereinen dieselbe Möglichkeit und Werbung für die eigene Sache an.
Das Weidener Vereinswesen umfasst rund 300 Vereine. In Vereinen kommt bürgerschaftliches Engagement zum Tragen. Die Organisationsstruktur ist gesetzlich geregelt (§56 BGB). Die Intention von Vereinen ist es, ein gemeinsames Thema und/oder ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Gleichgesinnte können sich treffen und austauschen. Die Struktur bietet die Möglichkeit „barrierefrei“ in Kontakt zu treten.
Im Heimatring von Weiden, der Dachorganisation von kultur-, heimat- und brauchtums-pflegenden Vereinen, sind 69 Vereine mit ca. 27400 Mitgliedern organisiert. Neben dem Durchführen von kulturellen Veranstaltungen, bündelt der Heimatring kulturelle Aufgaben sowie gemeinsame Interessen und vertritt diese gegenüber der Stadt.
Eine entsprechend große Einrichtung, die sich an dem Projekt VEREINT beteiligt, ist der „Stadtverband für Leibeserziehung“ in dem die Mehrzahl der Weidener Sportvereine organisiert ist. Daneben existiert noch eine starke Fraktion unorganisierter Vereine.
Bluemerant 2012
Kunst hat auch immer eine soziale Funktion, von der man weiß, über die man im Alltag, wie kunstnah oder kunstfern der auch immer sein mag, kaum reflektiert. Kunst schafft Symbole individueller und kollektiver Identität und Besonderheit, darin ist alle Kunst aus dem Holz der Totempfähle geschnitzt, die gute Geister locken und bösen bannen sollen.
In diesen Lebenszusammenhängen, wo sich Wirklichkeit zum Bild-Symbol verdichtet und Welt entsteht, liegen Arbeitsbereich und Thema der Künstlerinnen Rosa Brunner und Judith Siedersberger, die in Bamberg das Haus Siechenstrasse 12 zum KUNSTRAUM bluemerant umfunktioniert haben.
Blümerant ist die heute nur noch selten verwendete Bezeichnung für Unwohlsein, Irritiertheit und ein spezifisches Schwindelgefühl, das einen vielleicht auch befallen mag, nimmt man den Wahrheitsgehalt dessen, was einem so erzählt wird bzw wie einem die Dinge normalerweise erscheinen, genauer unter die Lupe.
Die Störung des Gleichgewichts an sich beunruhigt, kann aber auch den prickelnd inspirierenden Charakter der Neugierde und der Beschwipstheit haben. Und dies ist hier der Fall.
Die genannten Eigenschaften zeichnen auch die Aktionen und Projekte des Bamberger Künstlerinnen-Duos aus, die seit 2009 den soziologischen Raum der alten Kaiser- und Bischofs-Stadt ausleuchten. Unter gesellschafts- relevanten Themen wie Heimat, Idylle, Familie, alte Prophetinnen ( Rollenbild der Künstlerin) treten sie mit der Bevölkerung in einen interdisziplinären Dialog und erkunden mit Witz, Scharfsinn und Ortsverbundenheit das selbst-reflektorische »Volks- Vermögen«.
Das eingeschossige historische Gebäude am Rand des Stadtzentrums ist jetzt ein Projektraum, in dem mehr passiert als die Bestückung von Ausstellungs-Räumen. Auch wenn der Betrachter in der herkömmlichen Weise sein Auge wandern lassen kann, läuft hier der Betrieb doch fern des traditionellen Ausstellungswesens ab, das vom großen Abstand zwischen der Kunst und seinem Publikum geprägt ist.
Hier produziert das Publikum mit. Aber auch die Arbeiten, die hier entstehen und gezeigt werden, sind anders. Die zu betrachtenden Bilder und Objekte müssen als Spuren und zeitgenössisch-künstlerische Bestandsaufnahmen des gesellschaftlichen Werte-Gefüges und als Darstellungen seines Wandels gelesen werden. Da geht es wie oben schon angedeutet um Heimat, Idylle, Familie, Freizeit, Gastfreundschaft damals und heute. Um Wunsch und Wirklichkeit und die Bilder, die man sich davon macht, und um Bilder, die diese Bilder interpretieren. Und das ist auch und vor allem Teil eines Dialogs mit den Leuten in ihrer Welt, dort, wo sie Zuhause sind.
Bezüglich ihrer künstlerischen Methodik lassen sich Brunner und Siedersberger vielleicht am besten als Diskurs-Künstlerinnen bezeichnen, deswegen, weil sie zwischen unterschiedlichen Diskurs- Formen und Denk- und Lebenswelten switchen. Da geht es von der erörternden, »volkstümlichen« Kommunikation zwischen den Künstlerinnen und den Stadtbewohner/innen in die kulturell abgehobene Domäne von Cultural Studies und Public-Art , die sich ihrer Thematik gewöhnlich in den künstlerischen Formen von Performance, Aktion, Intervention, Partizipation und Dokumentation annehmen.
Das hat den distanziert - analytischen Charakter einer Recherche.
Darüber hinaus aber gibt es bei den Bambergerinnen auch den Wieder-Eintritt in die klassische Künstlerinnen-Rolle, ins Produzententum individueller Ausdrucks - Kunst. Die beiden Malerinnen und die Bildhauerinnen schaffen Kunstwerke, die das Projekt zwar reflektieren, es dann aber als persönliche Inspirations-Quelle nutzen und gezielt auch als Manifestationen einer eigenen individuellen Handschriftlichkeit entwickeln.
Dadurch, dass der schöpferische Vorgang seine Vorstellungen dem kollektiven Prozess entnimmt, diese Vorstellungen im Intim-Bereich des privaten Ateliers umgesetzt werden, um anschließend wieder in den Öffentlichen Raum zu gelangen, wo sie als Denkanstöße wahrgenommen werden, entsteht ein Meta- Diskurs, eine hybride geistige Gestalt, in der die Teil-Diskurse selber, ihre impliziten Behauptungen und Normen, zum Erörterungs- Gegenstand und zum ästhetischen Bau-Element werden.
Der Kunstverein Weiden wird in diesem Jahr 20 Jahre alt, in dieser Zeit hat sich der Kunstverein Weiden zur Anlaufstelle für professionelle zeitgenössische Kunst in der nördlichen Oberpfalz entwickelt. Er hat eine Vielzahl an Maßnahmen durchgeführt, die der Einwicklung seines Außen-Image und seiner Position innerhalb der allgemeinen Kunst- und Kulturwelt dienlich waren.
Zu den Würdigungen, die dies signalisieren, zählen der bayerische Kulturpreis 2011 und der Jugendkulturförderpreis des Bezirk Oberpfalz 2005.
Das Innen-Image und die Verbindung des Kunstvereins zum Standort Weiden, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten viele Gesichter gehabt hat, haben eine andere, zum Professionalismus gegensätzliche Qualität.
Der Veranstaltungskalender seit 1993, der eine beeindruckende Leistungs- und Erfolgs-Liste ist, kann die gemeinschaftliche Qualität, um die es hier geht, nicht sichtbar machen. Es braucht andere Mittel. Auf der Suche danach kam es durch Vermittlung des Kunstvereins Bamberg zum Kontakt mit dem Kunstraum Bluemerant.
Thema der Künstlerinnen ist die Kultur sozialer Klein-Räume und deren Abgrenzung zur Massen - und Konsum-Gesellschaft. Und diese Ausrichtung passt zur Frage nach der lokalen Einbindung des Kunstvereins und seine Verwandtschaft mit den anderen Vereinen. Aber als Kunst-Einrichtung hat er darüber hinaus noch ein Extra.
Kunst ist per se in seinem Eigensten offen, Grenzüberschreitung als Selbstzweck und das Sich-Selbst-Entdecken im Anderen gehören zu ihrem Wesen, auch wenn das dem Mythos vom Leben im Elfenbeinturm widerspricht.
So gehört es zur Kunst des Kunstverein-Seins, auch die eigene Situation und ihre Bedingungen unter künstlerischem Gesichtspunkt zu sehen. Analog zu den sinnlich fassbaren Bausteinen, aus denen ein Kunstwerk besteht, besteht auch die Gesellschaft aus Bausteinen, aus körperhaften, lebendigen Individuen, mit denen die Geschichte Gruppen, Schichten, Strukturen und die unterschiedlichsten Gesellschaftsformen herstellt, und der Klebstoff und die Trennmittel, die das Geformte festmachen und körperloser Natur sind, sind Interessens-Lagen, Ideen, Leitbilder und Symbole.
Es sollte ein möglichst lebendiges Bild werden.
Und das leisten die Künstlerinnen aus Bamberg, sie spielen nicht nur auf der symbolischen Bildebene und bauen imaginäre Ersatzwelten, sie greifen in die Realität ein und verwenden die Bausteine beider Bereiche, die der Kunst und die der Gesellschaft. Dabei befassen sie sich mit dem Leben der Menschen in ihrem Lebensraum, aber mehr als das, sie animieren und schaffen aus dem gemeinschaftlichen Dialog von Kunst und Leben Symbole, die dem unmittelbaren Lebens-Zusammenhang und dem menschlichen Verlangen nach Selbstvergewisserung entspringen und zugleich konkreter Auftritt des sozialen Lebens und seiner Bedürfnisse selber sind.
Lebendiger kann ein Bild nicht werden.
Was ist zu sehen, was ist zu erleben? Das Projekt »VEREINT« macht das Vereins- und Kulturleben in der Stadt Weiden und den Begriff Kultur überhaupt zum Thema. Dazu schafft das Duo Rosa Brunner und Judith Siedersberger Einzelportraits der Weidener Vereine bzw führt sie bei der Herstellung solcher Vereins-Selbst-Portraits Regie. Insgesamt wird mit einer Teilnahme von 200 Vereinen gerechnet.
Die Vereine sollen im Dialog mit den Künstlerinnen Kennzeichen ihrer jeweiligen Vereins-Identität suchen und Etabliertes und Ungewöhnliches finden.
Die Fundstücke werden in eigen produzierte sechseckige Schau-Behälter zu Miniatur-Weltschaubühnen arrangiert, die sich vielfältig kombinieren lassen und nicht von ungefähr an die Waben eines Bienenstocks erinnern sollen, Symbol energievoll produktiven Gemeinschafts-Leben.
Die Waben-Module werden bei BHS Corrugated in Weiherhammer gefertigt, sie sind damit ein Beispiel intelligenter Wellpappen-Verarbeitung und der kulturellen Aufgeschlossenheit eines großen Unternehmens. Die gestalteten, eingerichteten Waben-Module werden im Neuen Rathaus der Stadt Weiden präsentiert, dem Ort, an dem alle kommunalen Verbindungen zusammenlaufen. Die Wahl des Gebäudes ist auch unter formalem Gesichtspunkt schlüssig, die betonte Vieleckigkeit der Ziegel-Architektur korrespondiert als Masterform mit der Wabenform-Menge in seinem Inneren.
Nach eine Reihe interner Gespräche und einem Pressetermin mit Vertretern der Weidener Vereinswelt, dem Sponsor Sparda-Bank, Vertretern des Kunstvereins als Initiator und den Künstlerinnen tritt das Projekt mit einem Rundschreiben an die Vereine Anfang April 2013 in die praktische Phase.