Wasser schwimmt
Axel Thomas Schmidt/ Die Herde im
Badehaus Maiersreuth
04. 08. 2022
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Wasser schwimmt.
Wie das geht, ist ein Rätsel,
wir befinden uns im Badehaus Maiersreuth,
einem für Kunstveranstaltungen eher
unüblichen Ort, spätromantisch in der
laubbekränzten Oberpfälzer Hügellandschaft
versteckt wurde hier in den 1970er und 80er
Jahren eine Heilwasserquelle entdeckt, sie war
der Ursprung der späteren Kur-Groß-Anlage
Bad Sybillenbad, einer zentralen Heilstätte der
oberpfälzisch – böhmischen Bäderwelt, letztere
einst eine Pilgerstätte weltlichen und geistigen
Adels, wo auch schon Goethe 1820 gestützt
vom Verseschmieden die Uhr des Alterns
zurück zu drehen versuchte.
Wenn das Schimmern dieser historisch fernen
feudalen Kulisse auch schon Maiersreuth zu
seiner Zeit nicht mehr erreichte, so ist das
kleine aber feine Badehaus eines Tages auch
nicht mehr das gewesen, was es einmal
gewesen war, mit dem ganz eigenen Charme
eines der Lost Places, von denen es viele im
hiesigen Grenzland gibt, ist es marode in den
Wahrnehmungshintergrund getreten. Seinen
Traum träumend.
Bis, verkürzt gesagt, die Künstlerin Susanne
Neumann kam, sah und siegte und Leben auf
die Bühne brachte, sie konnte den
Gemeinderat für abgehobene Pläne
begeistern, ein Künstlerhaus soll es werden,
ein Ort des geistigen Höhenflugs, mittlerweile
wird an allen Ecken und Enden gebaut, und
auch der künstlerische Anfang kann sich sehen
lassen. Alles zusammen hat schließlich in
diesem Jahr das staatliche Gütesiegel „
bayerischer Kreativort“ erhalten.
Neumann, die langjährige Mitarbeiterin von
Daniel Spoerri, konnte z. B. den Fallen-Bild-
Künstler zu einer Arbeit bewegen, die auf die
Eigenart der Baulichkeit eingeht. Indem sie den
Luftraum, sprich, den Himmel über dem
Wasser mit einer Legion stocknagel-gespickter
friedlicher Hakel-Spazier- und Lebensweg-
Wanderstecken verbindet, lässt sie sich
vielleicht als aktuelle Verbildlichung des
schwärmerischen kultur-philosophischen
Wandervogelgedankens verstehen, den die
Suche nach dem Neuen Menschen, der
Konflikt zwischen seelenloser Maschinenwelt
und Natur, zwischen Jugend und
Althergebrachtem Anfang des 20.
Jahrhunderts bestimmt hatte.
Nicht zuletzt aber lässt sich die gegebene
Wanderhöhe im Verhältnis zur Wassertiefe als
die über dem Ganzen schwebende
Qualitätsmarge lesen, an die sich das
Programm des neuen Badehauses gebunden
sieht. Dabei wird die einstige Funktion der
Anlage, die immer mitgesehen wird, zum
hermeneutischen Signal, dass hier die
Betrachtung des Einstigen überhaupt
programmatisch ist.
Wie gesagt, um uns nun nach dieser
Einstimmung aufs Atmosphärische der
Ausstellungsanlage dem Weidener Künstler
Axel T Schmidt zuzuwenden, dem Spoerri
sozusagen den Staffelstab reicht, handelt es
sich hier um einen für Kunst-Veranstaltungen
eher unüblichen, ungewohnten Ort, er besitzt
wie schon gesagt eine extreme eigenwertige
Gestimmtheit, das Reich des Cleanen und
Flüssigen führt hier das große Wort. Wir
befinden uns in einer Verfremdungs-Wasch-
Maschine, die nicht nur Badegäste verwöhnt
hat, sondern jetzt auch sich selber, einen
imposanten Teil der Werkzeugwelt, vom Staub
und Schweiß seiner konventionellen
Dienstleister-Zwecke befreit.
Diese Unüblichkeit tritt uns im Vergleich mit
dem klassischen White Kube, der der
Gegenständlichkeit des Einzelnen, des
einzigartigen Exponats den absoluten Raum
gibt und die Klarheit des menschlichen
Bewusstseins symbolisiert, aus den
unterschiedlichen Wahrnehmbarkeiten des
Arrangements entgegen.
Die Dominanz des Marinen, der Kachelraster
und des Edelstahls ist eine Herausforderung,
bekommt hier faktische Gestalt, lässt bezüglich
des thematischen Rahmens an das
Luftmuseum Amberg denken und hat einen
Namen.
Sprechen wir vom Objet Trouvee bzw vom
Ready Made, dem Kunstgriff der Kunst, den
Duchamp eingeführt hat, qua Kontext-
Verschiebung Alltagsgegenstände aus ihrem
normalen Sinnzusammenhang zu entfernen
und im neuen, widersprüchlichen Rahmen
semantisch so aufzupeppen und umzupolen,
dass sie die Als-Ob-Qualität von
schöpferischen Artefakten erhalten, um diese
in einem Wechselverhältnis aber auch schon
wieder aufzuheben. Das können auch Häuser
sein, wie dies hier, man denke an Christo, der
ja u.a. gerade in der Verhüllung des Reichtags
das grenzüberschreitend Eigentliche enthüllte.
Mit anderen Worten, wir sehen ein
Schwimmbecken, aber im Rahmen des
künstlerischen Arrangements sieht es nur so
aus, sehen einen Bach, der in Wirklichkeit
auch keiner sein muss, wie uns Ahrtal und
Sintflut auf enthüllende Art deutlich gemacht
haben, einen Haus-Umgang ohne funktionellen
Sinn, tintenschwarzes Wasser, das seine
Farbe einer Schicht Schaumglasschotter
verdankt, der an Pyroklasten, an das
Tuffgestein erloschener Vulkane, denken lässt.
Sachte hebt und senkt sich die Oberfläche.
Manchmal wird sie stürmischer. Mittels einer
Armatur und einer Eisenkugel ist außerdem
das Publikum befähigt, Einfluss zu nehmen, in
dem es die Kugel in die Höhe zieht und
augurische, orakelhafte Wellengänge
auslösend auf den Wasserspiegel zurück fallen
lässt.
Was wir sehen, ohne es bereits in seiner
Ganzheit wahrzunehmen und zu verstehen, ist
ein symbolisches Gefüge, ein Leitungssystem
mentaler Energie, das aus einer Menge in
notwendiger Weise verdrängt gewesener
Konnotationen besteht, die nun ungebremst
auf uns einströmen wollen.
Unsere Alltags-Praxis, den Raum der
verdinglichten Normen, würden sie stören, in
unseren Wach-Träumen vor Ort aber erhalten
sie die Zulassung, da können sie uns spontan
beglücken, uns erschrecken, uns schattenhaft
Dämonen und Nymphen sehen und hören
lassen, deren schwirrender Flügelschlag sich
vor langer, langer, allzu langer Zeit mit dem
Sprudeln der heiligen Heilquelle gemischt
hatte. Wenn wir nur richtig und tief genug
hinsehen und die Ohren haben zu hören.
Was ist geschehen? Was sagt das ominöse
Schwarz, ist es ein Hinweis auf die
verheerenden alles verändernden
Vulkanausbrüche im Meer am Morgen der
europäischen Geschichte?
In den großen Scheiben der Halle, in dem
Glashaus, in dem wir uns hier sitzend und
stehend befinden, wird der außen einher
springende, kleine, rauschende Muglbach zum
Bild, zum paradoxen Bild einer Zündschnur,
dem Möglichkeits-Bild einer nassen Bestie, die
im Schwimmbecken, das randvoll mit
Muglbach gefüllt vor uns liegt, domestiziert
worden ist.
Aber ohne unter einer dünnen zivilisatorischen
Schicht etwas von seiner Wildheit verloren zu
haben umschleicht sie das Haus.
Alles in diesem Raum, der heute dem Ruf einer
Idee folgend Versammlungsraum geworden ist,
oder besser noch, ein Baptisterium, eine
Taufkapelle, ist auf Sicherheit hin angelegt, die
blinkenden stählernen Handläufe, die
Geländer, die Stufenabstände, der
Rettungsring, der Axel T Schmidt auf die Idee
brachte, und wenn man den Assoziationen
folgt, die das Ambiente bei nächtlicher,
psychodelischer Beleuchtung auslöst, können
wir auch der höchsten Potenz heutiger
Sicherheits-Fragen begegnen, für die das
atomare Reaktor - und Abklingbecken steht.
Aber gehen wir mit Hölderlin: Wo die Gefahr
ist, wächst das Rettende auch.
Da sind der Geist von Pater Kneipp, die
Schwimmkultur an sich, die klaren
Kachelraster im komplementären Kontrast zur
menschlichen Figur, der in Wellen gelegte floß-
, boots und arche - hölzerne, erhöhte Außen-
Umgang um die Hausecke, alles passt sich der
Begegnung des Menschen mit dem natürlichen
Grundstoff, dem Element Wasser an, das uns
in seinem Plätschern Geschichten erzählt.
Geschichten der Dialektik von Kanalisation,
Ausbruch und Freiheit. Das sind außerdem die
Kernthemen von Schmidts bildnerischem
Denken, die er seit langem unter dem Titel „Die
Herde“ in immer wieder neuen Variationen
visualisiert.
In einem Fall exemplifiziert der Künstler den
Widerspruch von Reglement und Emanzipation
mit der elementaren Geometrie von Eis-
Blöcken, denen er ahnungsvoll bizarre
Schmelzspuren hinterlassende heiße Wachs-
Injektionen verabreicht.
In einem anderen Fall wird der Mühlberg-
Tunnel bei Neustadt/ Waldnaab als mega-
technische Perforation der Natur und
Demonstration menschlicher All-Macht
umgedeutet, interpretiert als gigantisches
Nadelöhr, in dem sich eine Menschenmenge
einfädelt. Der Weissagung nach wäre sie im
Berg verschwunden.
Viele Geschichten sind zu erzählen, die uns
neugierig machen, aber auch Befürchtungen
wecken, was sich unter der schwarzen Schicht,
hinter dem unzerbrechlichen schwarzen,
schwimmenden Spiegel letztendlich verbirgt.
Schwarz ist die Farbe, die alle Farb-Wellen,
sozusagen alles Sichtbare im Gegensatz zu
Weiß nicht reflektiert, sondern absorbiert und
quasi verschwinden lässt, im Weltall, so wie
auch auf Erden.
Schwarz ist das energetische Potenzial
jedweder Erscheinung, ein erstaunlicher
Umstand, der im kunsthistorischen Kontext
betrachtet in sich auch eine Einsicht birgt , die
einer der Wegbereiter der Moderne, Kasimir
Malewitsch mit seinem berühmtem
hypnotisierend schwarzen Quadrat auf weißem
Grund in einen metaphysischen Rahmen zu
stellen verstand.
Der Künstler lässt die etablierte, ökonomisierte,
industrialisierte, dem Mensch – und Natursein
entfremdete Gegenständlichkeit hinter sich und
fordert 1915 mitten im ersten Weltkrieg,
inmitten der Gräuel-Bilder, die uns mit dem
Ukraine-Krieg wieder eingeholt haben, mit dem
schwarzen Quadrat einen Neuanfang der
Menschheit in ihrem Weltverhältnis.
Ich habe die nackte Ikone meiner Zeit gemalt.
Sagt Malewitsch und platziert das Bild in den
Hergottswinkel, in den sogenannten schönen
Winkel quer zur Zimmerwand. Schwarz ist das
Kaffee-Satz-Orakel, das Licht in die Dunkelheit
bringt.
Am Anfang war die Erde wüst und leer. So die
Genesis.
Wir sehen da, angesichts der uns
verschlossenen Totalität der Optionen, die in
dem schwarzen Bild beinhaltet sind, das auch
Heilung enthält, dass wir nichts sehen.
Trotzdem.
Tauchen wir beherzt ein.
Tief und tiefer,
und schwimmen wir jetzt,
wie das Wasser schwimmt, wir haben keine
andere Wahl.
Wolfgang Herzer