FINISSAGE AM 30. JUNI VON 14 BIS 18 UHR
Jürgen Zeller, erfolgreicher Architekt aus dem fränkischen Raum, entdeckt im Anblick einer Schafherde, die auf dem Damm einer Ostseeinsel grast, das immaterielle Urbild der Baukunst, nämlich die Herde als lebendes Sinnbild der Geborgenheit bietenden Gemeinschaft. Er sah ein Bau- und Bollwerk auf Beinen und auf den Säulen des rechten Maßes und der Solidarität.
Bald sattelt Jürgen Zeller auf die Bildende Kunst um und malt seitdem Schafe,
die Held*innen das Biotops, tut dies in allen formalen, stilistischen und kulturellen Bezügen und nicht zuletzt unter der zur Zeit spannenden Frage:
Was wäre, wenn sie Menschen wären, diese Abbilder freundlicher Sanftmut?
Artikel:
WENN DIE MENSCHEN SCHAFE WÄREN - Jürgen Zeller – Malerei, Fr 31.05 2024 – So 30.05. 2024,
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freund:innen der Kunst und des kreativen Lebens,
vielleicht erinnert Euch, so wie es mich gestern überfiel, die strenge Reihe der Großformate mit den Tierdarstellungen an der Ausstellungswand an etwas jüngst Geschehenes in der Politik, an den Auftritt des Bundes-Verfassungs-Gerichtes, als dieses seine Entscheidung kundtat, die Haushaltspläne der Ampelregierung zu verbieten? Vielleicht wäre Macron nach Weiden gekommen, wenn er gewusst hätte, dass das der Ort ist, die Partnerstadt von Icy, wo die Schafe die Marseillaise singen. Fragen über Fragen, die Kunst lüftet das Gehirn, und dann kommt diese Frage:
Wenn die Menschen Schafe wären, wären sie dann netter, was den Umgang mit der Natur und untereinander anbelangt? könnte man Bert Brechts Sentenz über die Haifische paraphrasieren, wo es darum geht, zu erkennen, wie die großen Fische die kleinen unter dem Deckmantel der Sorge ausbeuten und letztendlich vernichten.
Was aber haben Schafe mit Haifischen zu tun? Für Jürgen Zeller vielleicht eine ganze Menge und für mich der Wunsch, ihn näher kennen zu lernen.
Der Stimulus war deswegen besonders stark, weil ich im Zeitraum unseres Erst-Austausches den Film von Bunuel mit dem Titel „Der Würgeengel“ gesehen hatte, wie schon mehrmals zuvor war mir diese surrealistische Produkion auch diesmal wieder ein vollkommenes Rätsel geblieben.
Da wurde von einer großbürgerlichen Party berichtet, die im Morgengrauen, als alle gehen wollen, Niemanden mehr hinaus lässt, lediglich für eine Schafherde, die unversehens aus dem Nichts auftaucht, schien es weder materielle noch immaterielle Schranken zu haben. Aber warum? Die Begegnung mit Zellers Malerei lässt hoffen.
Als Jürgen Zeller und ich, er aus dem fränkischen Raum kommend und Jahrgang 1953, der seit längerem, auf einen besonderen Impuls hin Schafe malt, uns über die Möglichkeit besprachen, im Kunstverein Weiden seine Malerei auszustellen, war ich gleich begeistert.
Denn gerade diese Frage nach der natürlich tierischen Hegemonie, die ja im Zeichen des Klimawandels höchst aktuell ist, beschäftigte mich, der ich hoffte, dem Würgeengel auf der Spur zu sein, im Augenblick selber , ich war neugierig, was mir der Künstler dazu sagen könnte.
In einem Pressegespräch in Forchheim, das ich im Laufe unserer Kommunikation mitbekam, hatte er davor gewarnt, sich ikonologisch vorschnell auf eine naheliegende, aber vielleicht doch allzu religiös schwergewichtige Deutung einzulassen. Gemeint war die Deutung, die für den abendländischen Kulturkreis signifikant ist und dem entsprechend reflexartig zu der Opferlamm-Thematik führt. Das wäre nicht nötig. Besäße doch die Malerei an sich schon Eigenwert genug. Lassen sie es uns näher ansehen:
Und tatsächlich ist es, salopp gesagt, eine Augenweide, das rein bildnerische Arrangement im perspektivischen Wechsel der „stilisch“ gewandetenTierkörper zu betrachten.
Ihre Farben und Formen zeigen gesellschaftlichen Status und spielen zusammen ein ästhetisch eigenständiges Spiel, eine Modenschau der besonderen Art, darin sie selber mit heraldischem Schwung bunte Spielkarten sind, die an den Jugendstil, an den abstrakten Expressionismus, an den Surrealismus und andere stil – und zeitgeschichtliche Momente verdeckt und offensichtlich erinnern:
Das Panorama der ornamental und farbaktiv behandelten Binnenflächen in Vordergrund und Hintergrund, allein ist schon vielgestaltig und lädt zum Studium und zum Staunen ob der Variationsbreite der Realisationen ein. Aber es ist mehr. Bei größerer Verweildauer wird die tierische Gelassenheit viral und bietet sich uns als Projektionsfläche menschlicher Belange an.
Dass es dabei mitunter auch um Geschichte und Politik geht, zeigt der gemalte Aufschrei „Liberty“, der im Bild die figürlichen Leerflächen mit Paul Elouards Dichtung bezüglich der nazi - deutschen Invasion in Frankreich füllt. Die vielteilige Installation aus einander ähnelnden Portrait - Bildern, erfasst uns im Farbschein der französischen Trikolore als die Verkörperung der demokratischen Idee, die die individuelle, unterschiedliche Freiheit gegen die antiliberale, diktatorische Repression setzt.
Das innere Aufbegehren, das sich an dieser Stelle rührt, bewegt die Gestaltung insgesamt, da ist die Ansprache auf gleicher Augenhöhe, die uns aus dem betont vertikal zum Oberkörper aufgerichteten, aufgebogenen ,Vorderteil entgegentritt.
Die Schafe kommen in aufrechter Haltung, sozialen Status repräsentierend ins Bild, jedem einzelnen seine Geschichte ins Gesicht geschrieben, wie der Gesellschafts - Fotograf der Weimarer Zeit August Sander sagt. Sie kommen jeweils als Brustportrait und in der Reihung als Familienportrait und lassen uns den versonnenen Blick der Tiere erwidern, die in wechselnden Perspektiven in aufrechter Haltung den aufrechten Gang der Zweibeiner verinnerlicht und angenommen haben.
Die Frage, was das mit Haifischen zu tun hat, steht allerdings noch offen, wie die Türe zur höheren Erkenntnis. Orientierungshilfe in dieser Richtung gab es für Zeller, nachdem er 25 erfolgreiche Jahre als Architekt absolviert hatte, beim Studium an der Bauhausuniversität in Weimar, dem auratischen Raum der Moderne.
Gleichermaßen war es dem Bauhaus in seiner klassischen Zeit um die Verschmelzung der Handwerks- und Form-Künste gegangen und dies in Hinblick auf die Kaufkraft der kleinen Leute, jeder sollte sich kostengünstig im Rahmen guter und ehrlicher Gestaltung einrichten können , dort, wo die Form der Funktion folgt.
Vom emanzipierenden Einfluss guter Form auf die menschliche Psyche versprach und erhoffte man sich die notwendige Verbesserung der Gesellschaft, und das nicht ohne Grund, war doch gerade erst der Erste Weltkrieg beendet worden. Unter der Vorspiegelung falscher Ideale hatte er den Herdentrieb im Menschen getriggert, was Millionen das Leben kosten sollte. Der Würgeengel und das sanfte Lamm, das deutsch – französische Weihnachten im Schützengraben ermöglichte, lassen grüßen.
Für Walter Gropius, den Bauhausgründer, galt die Architektur als Kathedrale des gesellschaftlichen Fortschritts, darunter verstand er einen geistigen Fortschritt, der nach heutiger Betrachtung nicht zu verwechseln wäre mit den Zielen der New Economy.
Das Aha-Erlebnis, die Epiphanie kam Zeller am Meer. Vielleicht hatte ihn die Arbeit im Feld der Messearchitektur, oder soll man besser sagen : in den Kathedralen des ökonomischen Fortschritts, wo Teile seiner architektonischen Profession ja passabel zur Anwendung gekommen waren, etwas mürbe gemacht.
Es war bei einem Familienausflug auf der Ostseeinsel Fehmarn. Auf dem Deich graste eine Schafherde, Was Zellner sah, war aber mehr, er sah das immaterielle Urbild ökologischer und politisch wohlwollender Gemeinschaftlichkeit und Stärke, sah das Biotop, das sich in dem realen Herden-Bild geistig überhöht und mit erlösender Stringenz spiegelte, sah einen Tempel, der nach seiner materiellen Zerstörung in den Menschen als geistiges Gebäude weltweit weiter existierte, als wollig weiche Phalanx der Friedfertigkeit. Der klar- bestimmte, mitunter harte großflächig durchformulierte Farb-An-Sich- Kontrast darf ohne weiteres als Ausdruck einer besondereren Standpunktstärke betrachtet werden.
So gesehen können die Arbeiten von Jürgen Zeller für die Betrachter*innen als Objekte der Meditation gerieren, ihre großen Exemplare sind in der Lage uns im Sinne einer zweiten Haut zu ummanteln, in sich einzupassen und uns im Schafsgalopp in in die Idyllen des Hirtenwesens, nach Arkadien, zu tragen.
Hier wären immer schon nicht nur Milch und Honig geflossen. Dank der Gnade der Schafe, der ersten Nutztiere des Menschen, den Ausgeburten der Sanftmut würde auch das im Angebot stehen, was die Vegetarier ablehnen müssten: Eine Hochkultur tierischer Daseins-Grundlagen.
Fleisch, Wolle, Haut, Milch und Blut haben das Nomadenvolk am Leben erhalten. Nun lichtet sich für mich auch das Geheimnis von Bunuels Film. Et in Arcadia Ego, sagt Possins berühmtes Bild zu den Hirten, auch im Paradies wird gestorben.
Erhellende Analogien lassen sich herstellen. Der Film kombiniert biblische Motive aus dem Buch Mose und den Aufbruch aus Ägypten ins gelobte Land mit dem Großbürgertum, das vor sich selber fliehen möchte, aber aus den Fesseln des Kapitalismus nicht ausbrechen kann.
Das Lamm, dessen Blut an den Türen der Israeliten dem Würgeengel signalisieren sollte, weiter zu gehen und hier nicht zuzuschlagen, könnte auch heute noch und heute wieder als Zeichen lesbar und lesenswert sein, das im Kontext des aktuellen Zeitgeschehens Sinn macht und einlädt, die Dinge im Licht der Dreiheit aus Schäfer*in, Hütehund und Schaf zu betrachten: Alles wird gut. Dass man dabei in diesen Kreisen zur Feier des Tages Sachen von Giorgio Merino trägt, liegt auf der Hand.
Wolfgang Herzer