Wolfgang Keuchl
Wer sich setzt, ruht nicht. Fotografie und Zeichnung zum 10. Todesjahr
06.02.—22.03.15
Info
Max, der Sohn, öffnet mir, ich komme mit dem Transporter, um Wolfgang Keuchls Kunst einzuladen, Regensburg, Au-Weg, zweistöckiges Häuschen im Mischgebiet, gleich links hinter der Nibelungenbrücke in einer Süd-West-Biegung der Donau, Industrie-Anlagen bestimmen die Stimmung, gartenmäßiges Laisser-Faire.
Max, Mann in jüngeren Jahren, wohnt hier mit seiner Tante und Mutter, wieder zurück, nach 10 Jahren Unterwegssein als Clown, Performer und Theater-Mensch, bei einem Besuch mit Stefan Voit vor einigen Wochen war die Ausstellung besprochen worden:
Themenkreise, ihre Entwicklung vom Anfang bis zum Ende, unter dem General-Thema: Mensch-Sein ist Körper-In-Der-Welt-Sein: 1. der freie Körper, 2. der domestizierte Körper, 3. die Rebellion des Körpers, 4. Heimkehr des Körpers.
Unter diesen Gesichtspunkten beinhalten die Auswahl und Gruppierung der Exponate eine Reflexion über das menschliche Körper-Sein und den Umgang der europäischen Kultur damit.
Das Körper-Wesen im Gegensatz zum Kopf-Wesen findet in Keuchl einen Anwalt, der sich für die Anerkennung des Körpers als Lust-, Lebens-, und Erkenntnis-Quelle einsetzt.
Seine Zeugen sind Denker und Dichter wie Friedrich Nietzsche, Henri Bergson, Antonin Artaud, Pier Paolo Pasolini.
Die Ausstellung suggeriert die Utopie einer herrschaftsfreien, anarchistischen Gesellschaft. Der Künstler versteht sich dabei in der Tradition der Gruppe Spur und des internationalen Situationismus als Guerillero im Geiste.
Jetzt laden wir ein. Trepp-Auf-Trepp-Ab, Dachgeschoß, Keller, zwischen Tür und Angel thematische Besprechungen, Auswahl-Fragen, es wird dunkel, Leihgaben aus dem Sozialamt und bei Freunden außerhalb.
Dann stelle ich fest, dass ich meinen Autoschlüssel verloren habe, nicht den vom Transporter, den für meinen PKW, der gerade in Weiden im Schnee untergeht.
„Was mache ich hier?“ Frage ich mich.
„Das heißt Nachlass-Pflege“. Diktiert eine innere Stimme.
Mit der Ausstellung “Wer sich setzt, ruht nicht“ möchte der Kunstverein Weiden die Erinnerung an Wolfgang Keuchl wachhalten, an einen Zu-Früh-Gegangenen und Protagonisten der jüngeren Oberpfälzer Kunstszene.
Der Regensburger Fotograf und Zeichner Wolfgang Keuchl wurde 1952 in Kümmersbruck geboren und starb 2005 nach einem intensiven Leben, das unter dem Wahlspruch Carpe Diem gelebt worden war, in seinem geliebten Haus Weg 3 in Regensburg, und viele kamen in sein Atelier in Hauzenstein, bevor es geräumt wurde, um noch einmal die Inspirationen des Genius Loci zu spüren, der hier auf unverwechselbar vitale Weise wirksam gewesen war.
Wohin jetzt mit seinen Hervorbringungen und Manifestationen?
Wolfgang Keuchl war Autodidakt.
Als er sich 1988 für die Laufbahn eines freischaffenden Künstlers entschied, war er bei der Stadt Regensburg in der Abteilung Vormundschaften und Pflegschaften beschäftigt. Dort in der Begegnung mit extremen Schicksalen, in der Erfahrung mit behinderten Menschen und in Einsichten in psychiatrische Anstalten entdeckte er sein künstlerisches Kernthema: Die Suche der menschlichen Existenz nach Halt und ihr Aufbegehren gegen die Vergänglichkeit und die Zwänge der Lebenswelt.
Die bestürzende Menge des amtlich Gegebenen verdichtet sich für Keuchls Schaffen symbolisch in zwei Alltags-Gegenständen von beredter Funktionalität, dem Stuhl und dem Gewand.
Keuchls Kennzeichen sind kubistisch angelegte, multiperspektivische Polaroid-Collagen und Groß-Polaroids, die Stuhl und Gewand variantenreich zum Stillleben, zum Bild der gesellschaftlichen Platzierung und Ordnung und deren Hinfälligkeit in Szene setzen.
In diesem Zusammenhang wird das Sofortbild selber zum Sinnbild.
Die ostentative Unwiederholbarkeit des lebenszeitlichen Augenblicks im weiß gerandeten Quadrat, seine tonige Farbigkeit und die Kreuz- und Gitter-Struktur der Collagen definieren das Polaroid zur Life-Style-Ikone des 20 Jahrhunderts und bringen es gleichzeitig mit den klassischen Traditionen des Memento Mori und des Ecce Homo in Verbindung.
Keuchls Arbeiten erhalten hier ihr stärkstes Ausdrucksmoment.
Dieses wird noch verstärkt durch die spezifisch objektartige Rahmung vieler seiner Arbeiten in schweren, dunklen Stahl-Rahmen. Dazu kommt der Wechsel von zwei thematischen Linien innerhalb Keuchls Fotografie: der menschliche Körper - dazu gibt es in Keuchls besonderer fotografischen Segmentierung einen weiblichen und einen männlichen Akt zu sehen - und das kultur-psychologische Setting aus Stuhl, Tisch, Bett und Kleidung.
Die weißen Polaroid-Gitter und die gesteigerte körperhafte Präsenz der dunklen Metall-Rahmen bilden eine eigenständige ästhetische Thematik, die sich in den Ausstellungs-Räumen im Kunstverein spannungsvoll entfaltet.
Die Hängung der Bild-Objekte schafft zwingende, Raum und Zeit verklammernde Blickachsen, die den Betrachter in einen eigenständigen Erlebnisraum entführen, in dem die alte Atelier-Aura und Keuchls unruhiger rastloser Werkstatt-Geist wieder lebendig werden.
Infolge eines Unfalls gesundheitlich angeschlagen schränkt Keuchel in seinen letzten Jahren das künstlerische Tätig-Sein ein. Gleichwohl arbeitet er mit aller zur Verfügung stehenden Energie.
Seinem Haupt-Motiv, dem Stuhl, bleibt er treu. Das Sitz-Gerät, das aus kulturpsychologischer Sicht gleichermaßen als Repressions-Medium und hilfreiche Körper-Stütze wirksam ist, fasziniert weiterhin.
Doch Keuchl ändert den Blickwinkel. Mit Pastellkreide zeichnet er Serien im kleinen Format, es entstehen weiche Arabesken, in deren organisch-ornamentaler Bildlogik der Stuhl Teil eines fließenden Ganzen und das Haus zum Schutzraum wird.
Aber Wolfgang Keuchl war nicht nur ein herausragender Künstler. Als Mitbegründer der Regensburger Künstler-Gruppe „Warum Vögel fliegen“ in den 1980er Jahren betrieb er auch kulturelle Strukturpolitik.
Das war das Jahrzehnt, in dem sich weite Kreise der Oberpfälzer Bevölkerung der bayerischen Staatsregierung wiedersetzten und den Bau der WAA, der Wiederaufbereitungsanlage für atomare Brennstäbe, verhinderten.
Die soziale Bewegung und die regionale Bewusstseins-Lage, die damit geschaffen waren, gaben auch der Kunst eine besondere Perspektive. Sie ließen die Oberpfälzer Kunst ihre revolutionäre politische Tradition wieder entdecken, die sich in den 1960er Jahren in der Gruppe Spur und dem internationalen Situationismus verkörperte. Das Konzept der Spaßguerilla, das der deutschen Studentenbewegung charakteristische Akzente gab, hatte hier seinen Ursprung.
Bekannt wurde „Warum Vögel fliegen“ mit Aktionen, Projekten und Ausstellungen, die die Gruppe am internationalen Vermittlungsbetrieb ihrer Vorgänger anschließen ließen. Ihre Vortrags-Reihe „Politik der Kunst“ u.a. in der städtischen Galerie im Leeren Beutel, die Referent/innen zur Lage der Gegenwartskunst aus dem gesamten deutschsprachigen Raum in die Oberpfalz holte, machten sie selber zur Vermittler-Institution, die in der Region neue Maßstäbe setzte und eine Lücke in der kulturellen Infrastruktur schloss.
Unter diesem Blickwinkel lässt eine Ausstellung mit einem Künstler wie Wolfgang Keuchl exemplarischen Charakter spüren, der über das Interesse am einzelnen Oeuvre und an der Kunst im Allgemeinen hinaus weist.
„Was wird aus dem Nachlass?“ fragten wir uns schon bei Max Bresele, als dieser im Winter 1998 verstarb
Der Abfall-Container stand bereit, um die künstlerische Hinterlassenschaft zu „dekontextualisieren“.
Das heißt: ideellen Kunstwert sollte die MVA Schwandorf in Brennwert umdeuten.
Dank einiger Kunst-Verrückter keine ganz leichte Sache. Besagte Umdeutung hat sich bis heute vereiteln lassen. Der Gedanke, der sich darin dem natürlichen Gang von allem Zeitlichen sperrt und Stefan Voit und Wolfgang Herzer im Familien- und Freundes-Kreis des verstorbenen Keuchl zu kulturellen Schatz- und Spurensuchern machte, hat eine längere Geschichte. Der Teil, der für die heutigen Nachlass-Kandidaten wie den Autor dieser Zeilen selber bedeutsam ist, reicht bis ins Jahr 1984.
Da titelte der damalige Leiter der städtischen Galerie im Leeren Beutel /Regensburg Veit Loers zwei Ausstellungen „Heimat Deine Sterne“.
Gezeigt wurde ein Ausschnitt der hiesigen Künstlerschaft aus der ehemaligen ewigen Reichstags-Stadt Regensburg und dem bayerisch-böhmischen Grenzland am Eisernen Vorhang, die damals Rang und Namen hatte, Zukunft versprach und sich bis heute sehen lassen kann. Viele sind hinzugekommen.
Die Schau war Feststellung, Frage, und Prognose in einem und bot einen Programm-Ansatz, der das Regionale nicht wie üblich als Sackgasse sah, sondern als eigenständige Qualität und Wirklichkeit in den Fokus stellte. Das geschah hier im Zusammenklang mit der politischen Konzeption eines Europa der Regionen, deren Bedeutung in dieser Zeit mit der Gründung der EFA 1981 im öffentlichen Bewusstsein zur zarten Pflanze herangewachsen war. Heute 12 Sitze im Europa-Parlament.
Zusammen mit dem von Loers skizzierten kunsthistorischen Bezugs-Rahmen war die konzeptionelle Grundlage einer Sammlung zum Thema regionaler künstlerischer Identität gegeben, die Loers Nachfolger allerdings nicht übernehmen und ausbauen wollten.
2009 griff der Kunstverein Weiden noch einmal die Vorstellung aus dem Jahre 1984 auf. Im Auftrag des Medienhauses Der Neue Tag entwickelte er unter dem Titel „Kunst=Kapital“ das Modell für eine jährliche Wahl der regionalen Top Eleven. Einer unabhängigen gesamt-regionalen Fachjury sollte das ganze Panorama der Oberpfälzer Gegenwartskunst zur Begutachtung gegenübergestellt werden. Das klappte auch. Es gab einen Versuch, der in einer Premium-Beilage der Tageszeitung Der Neue Tag umfangreich dokumentiert wurde. Aus Mangel an Inserenten- Kundschaft aus der Wirtschaft, die das Projekt hatte finanzierten sollen, gab es jedoch nur diesen einen Versuch:
Heimat Deine Stern-Schnuppen!: Man darf weiterwünschen!
In diesem Sinne stellt die Ausstellung Fragen, die den Kunstbetrieb als solchen berühren, in allgemeiner wie in speziell regionaler Hinsicht.
Ein Kunstbetrieb, der wirklich funktioniert, beinhaltet neben dem Wirk-Werk von Atelier, Markt, Sammlung, Medien und Präsentation im regionalen und überregionalen Hier und Jetzt auch ein Merk-Werk, den Gedächtnisraum, der die Kunstwerke in das Licht kunstgeschichtlicher Wahrnehmung und kultureller Zusammenschau stellt. Dort kann sie die Merkfähigkeit der Weggefährt/innen und Zeitzeugen überdauern und allen zugänglich sein.
Die Geistesgeschichte des bildhaften Denkens einer Region wird hier in ihrer Kohärenz anschaulich, die Einzelpositionen und Epochen verbindet.
Das wären Antworten auf oben gestellte Fragen.
Dass Wolfgang Keuchls Kunst über seine Galerie in Toronto in die Sammlung des Superstars Madonna gelangt wäre, wie es heißt, und man in den entsprechenden öffentlichen Oberpfälzer Einrichtungen so gut wie nichts von ihm findet,
sollte man dabei nicht überbewerten. Es ist bedauerlich, darf aber den Blick nicht trüben.
Auf oben besagte Fragen nach der kunstgeschichtlichen Pflege und Hege in der Region gibt es neben vielen Teilantworten, die von den Mitgliedern der 1999 gegründeten Kulturkooperative Oberpfalz stammen, wenigstens eine Antwort, die man wegen ihrer Umfassentheit loben darf, und es ist bemerkenswert, dass sie aus dem ländlichen Raum kommt: Das Oberpfälzer Künstlerhaus Fronberg, das 1988 in der sogenannten Kebbel-Villa eingerichtet wurde.
Es vereint in sich vier der Hege-und Pflege-Funktionen:
Es ist Mitglied im Netzwerk Internationaler Künstlerhäuser, Res Artis, es verfügt über Ausstellungsräume auf drei Etagen, bietet eine Werkstatt für Druckgraphik, Lithographie und Radierung an und da ist auch die Sammlung des Bezirks, die bis in die 1960er Jahre zurückreicht. Nach längerer Ankaufspause kommt sie jetzt in der Amtszeit des Bezirkstagspräsidenten Franz Löffler wieder in Gang.
Immerhin, hier bewegt sich auch in Sachen Nachlass und Förderung etwas bzw ist erneut auf den Weg gebracht worden.
Quo Vadis? Was ist das Ziel?
Wie schon gesagt: Archivierung, Spurensicherung, Signifikanz, Synopsis. Deutlich machen, was los war: Tendenzen, Themen, Theorien. Bereitstellung von Forschungs-Grundlagen zur regionalen Ideen-Geschichte, Quellen-Pflege unverzweckter Kreativität, einer der wesentlichen, weichen Antriebe einer innovativen Gesellschaft.
Wie es anderswo auf diesem Weg geht, was man sich vielleicht anschauen bzw abschauen sollte, zeigen in naher Nachbarschaft zur Stein - und Kartoffelpfalz die 2014 neu eröffnete städtische Nürnberger Kunstvilla im KunstKulturQuartier und das 1989 eröffnete, altgediente private Kunstmuseum Erlangen im Loewenichschen Palais. Letzteres beschränkt sein Forschungsfeld nicht nur auf den fränkischen Raum, sondern dehnt es bis in die Oberpfälzer Teile der Metropolregion Nürnberg aus.
Beide Einrichtungen zeigen in Einzel-, Gruppen-, Themen- und Gedächtnisausstellungen zur regionalen Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, wie man als Kunst-Region wurde, was man ist.
Beim Streben nach geschichtlicher Signifikanz gehört das Fragmentarische zum Wesen. Nicht zuletzt finanziell bedingt. Und trotzdem geht es ums Ganze, um das regionale Kunst-Raum-Gesamt-Bild, um Aura und Idee, was unter einer bestimmten Zahl an Einzelpositionen nicht anschaulich gemacht werden kann. Darüber, wer in die repräsentative Auswahl kommt, bzw dem Prinzip des Fragmentarischen unterliegt, wird es immer wieder zum Streitfall kommen.
Das Ganze vor Augen entscheidet die Fachjury, wer draußen bleibt und wer reinkommt, wer dort strahlen darf, am Heimat-Himmel.
Als 2005 Wolfgang Keuchl, wenige Wochen vor seinem Tod, in der Galerie Kunstpartner in Adlmannstein bei Wilma Rapf-Karikari und Ingo Kübler ausstellte, stand die menschliche Tragik im Vordergrund, die Keuchls künstlerisches Thema gewesen und zum eigenen Geschick geworden war.
Sein Weg als Künstler ist posthum noch nicht beendet.
Mit Wilma Rapf-Karikari und Ingo Kübler, die den Künstler nahe standen, wollen wir am Vernissage-Abend unserer Keuchl-Gedächtnis-Ausstellung über die künstlerische Nachlass-Problematik sprechen. Keuchls Fall ist dafür beispielhaft.
Da werden die Gedanken gestreift, die weiter oben stehen. Da ist vielleicht auch folgender Dialog zu hören:
Heimat Deine Sterne.
Und der Keuchl Wolfgang?
Was soll die Frage!
Er ist doch längst schon da oben!
Wolfgang Herzer